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Zugeflüstert und angeschrien

22.02.2017

Gedichte für das Radiofeature „Zugeflüstert und angeschrien: Vom Leben mit fremden Stimmen“ von Anja Krug-Metzinger, WDR 5, 2017, Redaktion: Thomas Nachtigall

Links zur Sendung:
http://www.krug-metzinger.de/site/radiofeature-stimmen-im-kopf.html
http://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/dok5/fremde-stimmen-100.html

 

Die Gedichte sind zum polyphonen Vortrag für bis zu vier Sprecher angelegt; wo möglich können und sollen mehrere Stimmen gleichzeitig erklingen – entweder synchron oder übereinanderlegt.

 

Die Hydra der Flammen

Wir sind die Schlangen,
die aus dem Nest der Urzeit zischen,
aus dem Loch im Meerschlamm,
wo die Urmuschel tönt.

Du kannst uns nicht fassen,
du kannst uns nicht lassen.

Schreist du uns entgegen,
werden wir zu Flammen,
dein Schrei erstickt im Rauch.

Magst uns auch verdammen,
wir züngeln nur zusammen.

Schlägst du dir an den Kopf,
zischen wir aus dem Magen.
Kochst du uns im Topf,
unsre Kinder werden dich jagen.

Du kannst uns nicht fassen,
du kannst uns nicht lassen.

 

Gebrabbel I

Blase Wahn aus der Asche.
Ritze mit ratlosem Messer.

Reiße Blumenmuster.

Wasche Blut aus dem Traum.
Ritsche, ratsche, scheuer mit Asche.

 

Intermezzo

Regentropfen, Regentropfen,
Knöchlein an mein Fenster klopfen.

Brause-Wind, Sause-Wind,
weint da nicht ein Kind?

Regenwasser hat geschäumt,
Stille, Stille, hab geträumt.

Nur die Geistermücke summt,
und mein Kindlein ist verstummt.

 

Gebrabbel II

Augen weißer Leere.
Blindgeweinte Chimäre.

Wirre, schwirre, schwarze Krähe,
wirble Haß um alle Nähe,
schwirre, wirre, schwarze Mücke,
sauge Gift aus jedem Glücke.

Schäume weißer Leere.
Schorf auf totem Meere.

 

Drachengeist

Ich hab kein Drachengesicht.
Ich bin nur Schnauben.
Meine Höcker brennen.
Menschheit acht ich nicht.

Ich bin das Glucksen aus Mooren,
ich bin das Flüstern der Asche.
Meine Zunge ist Flamme.
Menschheit gilt mir verloren.

Wirren ist meine Pflicht,
schnauben aus Tröten und Hörnern,
aus Muscheln und hohlem Gebein.
Menschheit bring ich Gericht.

 

Holde Blumengeister

Hör, was Veilchen wissen:

„Bebe mit den Lüften,
sauge mit den Düften
Traum und Sehnsucht ein.“

Hör, wie Astern küssen:

„Regentropfen fallet,
Blumenlippen lallet,
weich wird jeder Stein!“

Hör, wie Rosen grüßen:

„Sanfter Augen Leuchten
wollen wir befeuchten,
Träne löst die Pein!“

 

Die Nachtigall

Es schläft wie unter Linnen
des warmen Schnees tief innen
eine Nachtigall.

Wer hat sie dort begraben,
verschmähte Honigwaben,
trunken-süßen Schall?

Der Liebe sanftes Leben
ließ ihre Flügel beben
steil ins Morgenrot.

Und wirst du sie entdecken,
versinkst du in Erschrecken,
stumm ist sie, ist tot.

 

Panische Stimmen

Durch das Loch in der Mauer,
durch den Spalt im Schrank …

Durch den Riß im Dach,
durch das Ofenrohr …

Durch die Lücke des Zahns,
durch die nässende Narbe …

Sputet und flutet!
Blast und rast!
Schreit und entweiht!
Keucht und verseucht!

Ich will die Haare versengen.

Ich will die Ohrmuschel sprengen.

Ich will die Augen blenden.

Rennt und flennt,
schwirrt und wirrt,
zuckt und spuckt.

Ich will die Seele schänden.

Ich will die Seele schwärzen.

Ich will die Seele ausmerzen.

Sputet und flutet!
Blast und rast!
Schreit und entweiht!
Keucht und verseucht!

 

Die Muse singt

Plötzlich sinkt der Fuß
eines verirrten Wunsches
in die moosige Mulde.

Die Erde gibt nach,
Bienen schwirren empor.
Ihr goldener Schleier zerreißt.

Glucksen steigt aus dem Dunkel,
Seufzer tropfen ans Licht.

Es singt die einsame Quelle
mit hellen Kristallen,
es leuchtet in Tränen
das innerste Leid.

„Neige das Ohr, das Herz,
an meinen warmen Mund,
schöpfe aus meiner Quelle
mit dem Becher der Hände,
was die Seele stillt, das Lied.“

 

Chor der Ahnengeister

Blut trägt das Feuer.

Feuer leckt das Herz.

Herz springt in die Wolke.

Wolke regnet herab.

Regen löscht das Feuer.
Wolke verdunkelt das Herz.
Erde trinkt das Blut.

*

Du geh nach Norden,
leg dich unter den Schnee.

Du geh nach Süden,
leg dich unter den Stern.

Du geh nach Westen,
leg dich zu den Toten.

Du geh nach Osten,
steh mit ihnen auf.

Nimm den glimmenden Stein,
trag ihn zur Quelle der Ahnen,
grabe ein Loch in das Gras,
leg ihn hinein, und dann trinke.

*

Das Gesicht der Mutter erlischt.

Das Gesicht des Vaters erlischt.

Das Gesicht der Götter erlischt.

Das Gesicht der Erde erlischt.

Bring aus dem Norden den Schnee.
Bring aus dem Süden den Stern.
Bring aus dem Westen die Toten.
Bring aus dem Osten das Licht.

*

Das Gesicht der Erde erblüht.

Das Gesicht der Götter erglüht.

Das Gesicht des Vaters leuchtet.

Das Gesicht der Mutter lächelt.

Innen ist außen.
Außen ist innen.
Jeder Herzschlag
birgt neues Beginnen.

 

Das Lamento der Toten

Wir haben den Regen geschlürft
und sind immer noch durstig.

Wir haben die Särge zernagt
und sind immer noch hungrig.

Wir haben die Erde geschmeckt
und wurden nicht satt.

Gib uns dein Fleisch,
wir wollen essen.
Gib uns dein Blut,
wir wollen trinken.
Gib uns deinen Atem,
wir wollen schweben.

*

Wir können in der Erde nicht ruhen,
während du auf ihr tanzt.

Wir finden das Dunkel nicht für den Schlaf,
währen du die Lampe anhast.

Wir finden das taube Ei der Stille nicht,
während du den Dotter schlürfst.

Hilf uns zu schweigen,
hilf uns zu schlafen,
hilf uns tot zu sein.

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