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Zeichen und Winke

18.02.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Dem Andenken an Sir Roger Scruton

In ihrer scheinbar gerechten, in Wahrheit tückischen Forderung, immer auf Augenhöhe mit dem anderen reden zu wollen, verbirgt sich die Angst, in den Schatten wahrer Größe zu geraten.

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Die Kirchen sind noch geostet, die Herzen nicht.

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Wo ihnen das Licht aufgehen könnte, verdunkelt sie ein Spiegel.

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Schiefe Bilder und falsche Metaphern verwenden sie als philosophische Aufputschmittel und bemerken nicht, daß sie den Geist einschläfern.

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Der fehlende Genetiv ist ein untrügliches Zeichen dafür, daß sie der Opfer, der Ahnen, der Toten nicht gedenken.

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Sie reden wie das nasse Kraut, das man schüttelt, und die Tropfen fallen.

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Der Ausverkauf des Konjunktivs ist ein Zeichen für den Niedergang logischen Denkens. – Die Aussage, er hätte es nicht getan, wären ihm die Folgen seines Tuns bewußt gewesen, impliziert das Gegenteil der Aussage, daß er die Folgen vor Augen gehabt habe, denn dann hätte er es getan, obwohl er es wußte.

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„Entwicklung“, „Evolution“, „Fortschritt“ – das sind modische Floskeln, die nicht mehr sagen, als daß ich heute hier bin, weil ich nicht mehr dort weile, wo ich gestern war – also nichts.

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Die Annahme des Aristoteles, daß alles mehr oder minder beseelt sei, und diejenige des Descartes, Tiere seien eine Art seelenloser Maschinen, bezeugen den Gegensatz des künstlerischen Denkstils der Antike und des technischen der Neuzeit.

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Je mehr der Sinn für das Sakrale schwindet, umso protestantischer wird die katholische Kirche; bis sie auch die letzten Bilder einschließlich des Kruzifixus abhängen und die Messe zu einem geselligen Abendmahl zwecks Hebung sozialer Gefühle inszenieren.

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Der Hammer korrespondiert dem Nagel, der Schlüssel dem Schloß, der Henkel der Hand, die Tasse der Flüssigkeit und dem Mund, die Biene der Blüte, der Mann der Frau, die Kultur der Sprache, der Satz dem Sinn. – Wem aber der Mensch? Die Tradition nannte diese Entsprechung „Gott“.

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Die Logik, die Mathematik, die Sprache sind normative Disziplinen. – Die falsche Metapher macht den Satz so sinnlos wie die Anwendung der falschen Formel die Auflösung der Gleichung und der Fehlschluß das Argument.

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Wären wir in einer platonischen Höhle eingeschlossen und wäre unsere Sprache ein Idiolekt dieser Höhle, könnten wir nicht sagen, ob es nebenan noch eine andere Höhle gibt, in der ebenfalls Leute wie wir hausen.

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Doch wir können ein wenig mehr sagen, etwa: Hätten die Leute von nebenan eine Sprache, müßten sie ihre Zeichen so verwenden, daß sie nicht nur etwas benennen, was sie selber sind (wie das Farbmuster für „Rot“ selber rot ist), und nicht gleichzeitig das Gegenteil des Gesagten zulassen, kurz, die Zeichen so verwenden wie wir, denn sonst wäre ihre Sprache keine Sprache. – Somit wissen wir, was eine Sprache über einen bloß lokalen Idiolekt hinaushebt oder was jeden Idiolekt zur Sprache macht.

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Mit dem logischen Widerspruch oder dem Unsinn gelangen wir an die Grenze des Aussagbaren, ohne sie überschreiten zu können; denn wenn wir den Widerspruch, wie geboten, auflösen, sind wir gleichsam logisch wieder zu Hause.

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Der Unsinn zeigt sich als Signatur des Zeitalters; denn jenseits aller Normen glauben sie sich zu feiern, indem sie Farben schmieren und es Kunst, Laute leimen und es Dichtung nennen.

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Daß wir das Zeichen als Zeichen begreifen und die Ordnung der Zeichen als normativ, deutet darauf hin, daß ein wenig Licht in unsere Höhle fällt, auch wenn wir nicht wissen, woher.

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Daß wir existieren, daß es die Welt gibt, daß wir etwas sagen und darstellen, was wahr ist und gilt, berührt die Grenze, denn begreifen können wir es nicht.

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Die Logik hat keinen Grund, der sprachliche Sinn hat keinen Grund. Die Gewißheit, die wir der Folgerung entnehmen, daß Sokrates sterblich ist, wenn alle Menschen sterblich sind und er ein Mensch ist, können wir nicht weiter begründen, ohne wieder auf Verfahren gültiger Argumente zurückzugreifen, sondern nur intuitiv einsehen. – Den Sinn des Satzes: Sokrates war der Lehrer Platons, können wir verdeutlichen, wenn wir ihn als Relation zwischen den Namensträgern analysieren, was uns erlaubt ihn so umzuformen: Platon war der Schüler des Sokrates; aber der Sinn des Satzes läßt sich nicht begründen, ohne wiederum auf den Sinn von Begriffen wie „Namen“ und „Relation“ zurückzugreifen, sondern nur intuitiv einsehen.

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Die griechischen Götter nennt Homer „die leicht Lebenden“, wir können sagen, die Heiteren, weil der Stachel des Todes sie nicht trifft; sie sind daher dem dunklen Ernst des Lebens, der auch ein Spiel sein mag, aber wie wir es aus dem Tierreich und dem geistigen Tierreich der menschlichen Geschichte ersehen, ein Todesspiel, glücklich entronnen. Die Zeichen des Mythos geben uns diesen Wink.

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Wir werten und verwerten alles, wir nutzen und vernutzen alles, einschließlich unserer Mitmenschen und unserer selbst; doch der Sinn für das Sakrale und Numinose rückt etwas abseits von Gebrauch und Verzehr oder der Beschmutzung durch die mit Blut befleckten Hände: das heilige Buch, die geweihten Bilder, die eucharistischen Substanzen. – So auch die Musik, die Dichtung, die als Lobgesang und Hymnus aus dem sakralen Bereich herrührt oder noch seine Spuren trägt.

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Das Heilige kann auch das Reine genannt werden, das wohl – die eigentliche Sünde – entweiht werden kann, aber an sich unberührbar ist. – Daher die Bedeutung des Reinen in der Dichtung Hölderlins, aber auch die numinose Angst vor der Entweihung, die sich vielfach in ihr ausdrückt.

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Das Heilige kann nur im Ritual vergegenwärtigt werden; so im jüdischen Ritual der Tora-Verehrung, im christlichen Meßritus.

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Die Hymnen Hölderlins haben einen rituellen Sinn, insofern sie die Ankunft der Gemeinde bei der festlichen Verehrung des von ihnen beschworenen Heiligen evozieren.

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Wie es keinen Grund oder keine naturwissenschaftliche Erklärung für das logisch Wahre, das mathematisch Beweisbare und das sprachlich Sinnvolle geben kann, so auch keine naturalistisch-evolutionäre Erklärung für das Heilige; denn eine solche bedient sich eines Trugschlusses, der den Sinn für das Heilige auf das gemeinschaftsstiftende Ritual reduziert, während beides gleichursprünglich ist.

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Das Gold der Ikone, die blauen Lüfte Hölderlins, die selig in sich webenden Melodien Mozarts sind mehr als Zeichen für seelischen Reichtum, ein heiteres Gemüt, eine lebenstrunkene Hochgestimmtheit, sie geben uns Winke.

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Das logisch Wahre, das mathematisch Korrekte und das sprachlich Sinnvolle stehen für sich selbst. Wir mögen den sinnvollen Satz paraphrasieren oder in andere Sprachen übersetzen; den Sinn aber müssen wir bei allen Verfahren der Transformation bewahren.

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Wir können eine Melodie Mozarts musikalisch paraphrasieren oder transponieren; den Sinn aber müssen wir bei allen Verfahren der Transformation bewahren. Doch ist er uns nie unabhängig von seiner intuitiven Erfassung gegeben.

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Der Sinn der Melodie kann nicht in ein anderes Medium übersetzt werden; schon unsere sprachlichen Etiketten wie „heiter“, „melancholisch“, „getragen“ oder „tänzerisch“ sind nicht mehr als kurzatmige wertende Einordnungen.

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Wie wir die Melodie nur durch Hören in uns aufnehmen, so das Lächeln eines Gesichts oder die Aura einer Landschaft nur durch Sehen.

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Das Lächeln läßt sich nicht beschreiben; wir können es nur mit Etiketten wie „freundlich“, „erstaunt“, „trügerisch“ oder „augurenhaft“ versehen, aber nicht ins Medium der Sprache übersetzen.

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Unser Dasein in der Welt korrespondiert der Struktur unserer Erfahrung, und all unsere Erfahrung ist von Subjektivität getönt. Wir hätten keine Sprache (sondern es gäbe nur einen Code), würden wir sie nicht in unserem Sprechen von diesem Ding oder Ereignis dort zu diesem Dialogpartner hier zentrieren. Die Subjektivität unserer Erfahrung steht nicht der Objektivität unserer möglichen Einsichten entgegen; denn fehlte sie uns, ginge uns jede Form von Erfahrung ab.

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Ähnlich wie das logisch Wahre, das mathematisch Beweisbare und das sprachlich Sinnvolle gibt uns die Tatsache der menschlichen Ich-Zentriertheit oder des menschlichen Bewußtseins einen Wink.

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Ebensowenig wie Logik, Mathematik und Sprache kann die Subjektivität des menschlichen Lebens naturwissenschaftlich oder naturalistisch-evolutionär erklärt werden. – Erklärungen sind schon eine Form des subjektiven Daseins.

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Der lebendige Ausdruck des subjektiven menschlichen Daseins ist das Gespräch und jede Weise des sprachlichen und zeichenhaften Austauschs; er kann nicht naturwissenschaftlich als Mechanismus oder konditioniertes Verhalten aufgrund von Reiz und Reaktion erklärt werden. Denn wir können schweigen, statt zu antworten; können die gegebene Antwort in Frage stellen; können das Thema wechseln. Auch wenn unser Reden durch institutionelle Rahmenbedingungen eingeschränkt ist wie beim Einkauf, bei einer Verhandlung, vor Gericht, sind wir unserer Spontaneität nicht völlig beraubt.

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Die Subjektivität unseres Daseins ist leibhaftig präsent in den Formen unseres Wohnens, die uns das Gefühl geben, zu Hause zu sein. Dazu gehören nicht nur Möbel, Eßzeug, Tapeten und Gardinen, sondern Speisen und Getränke, Dekor und Blumen, Werk- und Feiertage, Arbeit und Muße, Familie, Freundschaft und die Riten von Feier und Fest.

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Die Anordnung von Tisch und Stühlen, von Tassen und Tellern, der Blumenschmuck in Vasen und Schalen, die Auswahl der Kleidung, die zeremonielle Begrüßung der Gäste, der Verlauf der Plaudereien und Gespräche – all dies steht in Korrespondenz zur Ordnung dichterischer Formen, zur Einteilung der Leinwand bei einem Stilleben oder einem Landschaftsbild, zur musikalischen Struktur eines einfachen Lieds oder einer komplexen Sonate.

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Wen wollen wir einladen? Welche Blumen passen zum festlichen Anlaß? Welche Lieder wollen wir singen? Willst du zu Hause oder in der Klinik sterben? Unsere Lebensfragen sind keine wissenschaftlichen Fragen und können nicht durch Anwendung wissenschaftlicher Methoden gelöst werden.

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Rhythmus, Gestalt, Ordnung, sie geben dem alltäglichen Dasein, den Tagen und Taten, dem Alleinsein und dem Mitsein, aber auch den Werken der Dichtung und Kunst jenes Flair und jene Aura von Würde und Schönheit, die mehr als Zeichen des sich bejahenden Lebens sind, sondern ebenso Winke in einen unser Dasein geheimnisvoll umgreifenden Hintergrund, auch wenn er nur intuitiv einsichtig und nicht gänzlich begreifbar und begründbar sein mag.

 

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