Wunde, sie spricht
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Raufbolde, die aufgrund charakterlich-natürlicher Gegensätze immer voll Argwohn und Mißgunst einander belauern und befehden, sich berserkerhaft ineinander verhaken, muß man trennen, sie nebeneinander die Schulbank drücken zu lassen deutet auf Dummheit oder Ideen moderner Pädagogik, also auf beides.
Separation, Segregation, Apartheid – nicht die Lösung rassischer, ethnisch-kultureller Konflikte (sie sind nicht lösbar), sondern ihre Vermeidung.
Sprachliche Schnitzer sind oft Symptome gedanklicher und logischer Insuffizienz. So verwechselt man die Konjunktionen „nachdem“ und „weil“, also ein temporales Verhältnis („Ihm wurde übel, nachdem er die Schweinshaxe heruntergeschlungen hatte“) mit einem kausalen („Ihm wurde übel, weil er die Schweinshaxe heruntergeschlungen hatte“). Doch die Angabe gleichzeitiger oder aufeinanderfolgender Phänomene und Ereignisse drückt eine Korrelation aus, anders die Angabe von Ursachen und Gründen. (Ihm könnte, nachdem er die Schweinshaxe heruntergeschlungen hatte, übel geworden sein, obwohl das üppige Mahl nicht die Ursache seines Unwohlseins war.)
Heute leisten sich Dozenten an Hochschulen und Universitäten Schnitzer, für die in Zeiten schwarzer Pädagogik Klein Fritz in die Ecke gestellt worden wäre, das Gesicht zur Wand. Jene aber verlieren deshalb nicht an Ansehen, geschweige denn die venia legendi, sondern werden zu Säulenheiligen des Zeitgeistes erhoben, wenn sie ihm nur schmeicheln („Wahrheit ist das Ergebnis herrschaftsfreier Diskurse“ oder „Es gibt keine natürlichen Rangunterschiede unter Menschen“).
Gewalttätige Exzesse und sexuelle Perversionen können in vielen Fällen als Ausdruck und Symptom metaphysischer Langeweile („Spleen“ bei Baudelaire) verstanden werden.
Spleen, Langeweile, taedium vitae und ihre zivilisatorische Spätzeit anzeigenden Symptome: Verödung, geistige Leere, Abgestumpftheit und ihre Zwillingsschwestern Nervosität und Erregtheit bei tiefer Müdigkeit und Niedergeschlagenheit, scheeläugige Neugier und masochistische Schaulust, Rede- und Schwatzsucht bei seelischer Erblindung und geistiger Stummheit, Umtriebigkeit und Ruhelosigkeit im raschem Wechsel von Wohnort, Reiseziel, Amüsierlokal bei vollständiger innerer Erlahmung und Erstarrung, obsessive Berauschungen gegen gemüthafte Dumpfheit und mentale Sklerose, Erotizismus und sportliche Nachäffung pornografischer Vorlagen, Jagd nach dem Orgasmus als Suizid von Liebe und Eros, organisierter Tourismus als Ichflucht, Kunstmarkt als Musenstrich, Kunstbetrieb als Metastase des Amüsierbetriebs, politisch-moralische Dauererregung als Religionsersatz.
Der Antisemitismus ist nicht Ursache, sondern Folge von Diskriminierung und Aussonderung, nämlich der Erwählung des biblischen Volkes zum ersten und bevorzugten Hörer von Gottes Wort.
Erwählung aber impliziert auch die Ausgesetztheit des Herzens in die Wüsten sternenloser Nacht.
Je mehr das göttliche Wort vom Rauschen der Maschinen und dem Gejohle des Amüsierbetriebs übertönt wird, desto lauter wird das intellektuelle Geschwätz von Menschenwürde und Humanität.
Je mehr die Flamme des Heiligen Geistes vom Feuer der Motoren und der Nervosität der künstlichen Beleuchtung überblendet wird, desto wilder wirbeln die Asche einer kalten Leidenschaft und der Staub der abstrakten Kunst.
Niemand ist weiter vom ödipalen Begehren der psychoanalytischen Lehre entfernt als der Ödipus des Sophokles. Nichts liegt weiter von der freudschen Kastration ab als die Blendung des tragisch Verblendeten, sie ist nicht Strafe, sondern tragische Tat, um mit dem Gott der Reinheit ins reine zu kommen.
Hölderlin sieht zurecht in der tragischen Tat wie der Selbstblendung des Ödipus oder dem Sturz des Empedokles die angestrebte Wiedervereinigung mit dem „aorgischen Grund“ oder dem göttlichen Pleroma.
In der Industrialisierung der Landwirtschaft wurde das Gesicht Demeters hinter dem Nebel der ausgebrachten Gifte unkenntlich, in der Esse der Hochöfen verlöschten die Funken des Hephaistos.
Die Heilsgaben Brot und Wein entwirklichen sich fast unwillkürlich zu bloßen Zeichen einer sich selber feiernden Gemeinschaft, wenn man am realen Brot die Fadheit der Fabrikware schmeckt und im realen Wein die Glut der dionysischen Macht, die noch im Hintergrund der christlichen Überlieferung lodert, längst in organisiertem Frohsinn verblaßt ist.
Die Idiotie des Zeitgeistes grinst einem in der Leugnung des natürlichen Unterschiedes der Geschlechter entgegen, also der Tatsache, daß es einen schicksalhaften Unterschied macht, ob sie mit einem Uterus und schwellenden Milchdrüsen ausgestattet und in der Lage ist, Kinder auszutragen, und er mit Hoden und Penis, und somit spermienklein hinter der Größe und Bedeutung von Schwangerschaft und Geburt zurückbleibt.
Die natürliche mädchenhafte Anmut fällt der Blindheit des Zeitgeistes ebenso anheim wie die natürliche Wildheit, Abenteuerlust und Verstiegenheit des Knaben.
Das Nächstbeste wollen sie nicht leisten, sondern eifern, über es hinwegtretend, ins fahle Licht eines sie dem eigenen Dasein entfremdenden doktrinären Ideals.
Klug, redegewandt, smart, doch innerlich verödet.
Die Quelle, die uns die Wüste des Herzens bewässert, können wir nicht wie Landvermesser und findige Ökologen kartieren und ingenieurmäßig anzapfen.
Die heilige Quelle ist nicht nur ein Ursprung der seelischen Fruchtbarkeit, sondern als ein Wasser, das singt, Ursprung des dichterischen Weltumgangs.
Nach dem Mythos hat Pegasus, das geflügelte Pferd der Dichtung, den heiligen Quell der Poesie auf dem Gebirge Helikon mit seinem Hufschlag geweckt.
Wir finden das Bild der Offenbarung des göttlichen Sinns in allen Mythen über den Ursprung der Dichtung, so als Anhauch, Einflüsterung, Verwundung, Verbrennung oder eine andere Weise der Versehrung. Ähnliche Bilder enthalten die biblischen Berichte über die Berufung der Propheten wie des Moses, Elias oder Jesajas.
Wunde, sie spricht, Wunde, sie singt.
Es ist ein Symptom des spirituellen Verfalls und der verödenden Macht der Zivilisation, wenn sie den Dichter in die Kolonne der den Sekt der Selbstvergötzung schlürfenden Bohemiens einreiht (denn das Bitterkraut der Verwandlung mundet ihnen nicht), Entertainer, die der dumpfen Masse die Langeweile mit sentimentalen Versen oder rhythmischem Unzuchtschnalzen vertreiben sollen.
Die Sentimentaliserung der Poesie hüllt das banale Gefühl, das sich abgestumpfter Rohheit zu entschlagen wähnt, in ein mit rotem Samt ausgekleidetes Futteral, parfümiert mit Veilchenduft und Eau de Cologne.
Der sentimentale Dichter, der noch feinsinnig genug ist, um zu ahnen, daß er von der helikonischen Quelle durch unübersteigliche Mauern der Sinnleere abgeschnitten ist, kompensiert sein Mangelgefühl durch Ironie.
Biß der ironischen Desillusionierung in die obszön entblößte Brust der Muse.
Die Verödung des dichterischen Weltumgangs spiegelt sich in der verbissen oder routiniert betriebenen ingenieurhaften Kopie technischer Verfahren wie der Fragmentierung der Verse oder Klänge und ihrer Montage nach kalkulierten Mustern.
Manche suchen dem Stigma der Sentimentalität zu entrinnen, indem sie vor dem Wohlklang voller Reime zurückscheuend wie wurmstichige Früchte unreine ans Versende reihen.
Andere wähnen sich in erhabener Nähe zu den Dichtern, die ihre Formen nach antiken reimlosen Mustern und Strophen gebildet (oder suchen den Stachel der Ruhmsucht in ihre Adern senkend parasitär anzuschwellen), doch auf ihrem Acker strotzt das freudlose und staubige Unkraut der Beliebigkeit, wucherndes Chaos, das sie für den Ausweis einer außergewöhnlichen Fruchtbarkeit halten.
Und wirklich, wem, der barhaupt über die abgetretene Schwelle seines Könnens und Wollens unter ein Sternenwehen menschenferner Nacht träte, geschähe Anhauch, Bauschen des Haars, das ihn nicht eitel sich selbst tiefer und feiner spüren ließe, entrückter Chöre fern flüsterndes Funkeln, das ihm nicht die Bühne seiner Selbstinszenierung erhellte, Stimmen, die seine schattenhafte Gegenwart in das Meer blauer Versunkenheit tauchten?
Comments are closed.