Worüber wir reden
Das, worüber wir reden, wenn wir uns darüber unterhalten, woran du dich erinnerst, wenn du dich daran erinnerst, mich gestern im Park gesehen zu haben, ist der intentionale Gegenstand deiner Erinnerung, und der bin ich.
Das, worüber wir reden, wenn wir deine aktuelle Wahrnehmung meiner Person in diesem Raum, wo wir uns gegenübersitzen, zum Gegenstand unserer philosophischen Plauderei machen, ist der intentionale Gegenstand deiner Wahrnehmung, und der bin ich.
Ist der intentionale Gegenstand der Erinnerung und der Wahrnehmung ein Vorstellungsbild, das dem erinnerten und wahrgenommenen Gegenstand hinreichend ähnlich ist? Müssten, wenn dem so wäre, nicht nur die Vorstellungsbilder dem Objekt, sondern auch einander ähneln?
Aber der Gegenstand, an den du dich erinnerst, ihn gestern im Park gesehen zu haben, und den du jetzt wahrnimmst, weil wir uns gegenübersitzen, ist derselbe Gegenstand, nämlich ich.
Wäre der Gegenstand, an den du dich erinnerst, nicht derselbe Gegenstand wie der, den du wahrnimmst, sondern diesem nur mehr oder weniger ähnlich, könntest du unter ungünstigen Bedingungen (wenn externe Belege wegfielen) niemals herausfinden, dass es derselbe Gegenstand ist, nämlich ich.
Nur wenn wir davon ausgehen, dass der Gegenstand, an den du dich erinnerst und den du jetzt wahrnimmst, derselbe Gegenstand ist, können wir behaupten, dass ich dieser Gegenstand bin.
Nehmen wir an, du erzählst mir von deiner letzten Reise nach Paris und du erinnerst dich dabei an den lebhaften Eindruck, den dir das Hauptportal von Notre Dame mit seinen Plastiken gemacht hat, ich aber wäre noch nie in Paris gewesen, kennte aber das Portal der Kathedrale von Abbildungen, dann würden wir sagen, der Gegenstand, worüber wir reden, ist derselbe, auch wenn wir gern zu konzedieren bereit sind, dass unsere Vorstellungsbilder des Gegenstandes oder Themas, worüber wir reden, zwar einander hinreichend ähnlich, aber keineswegs identisch sind.
Nehmen wir andererseits an, du erzählst mir von Hanna, deiner Kollegin am Arbeitsplatz, wie sie dich einmal mehr geschnitten, von oben herab behandelt und geschurigelt habe. Du hast mir schon viele Geschichten dieser Art erzählt und ich habe von daher ein Bild von Hanna Mosaik für Mosaik aufgebaut, das wenig freundlich, sondern finster und monströs dreinblickt. Nun will es der Zufall, dass ich auf einer Party einer freundlichen Dame vorgestellt werde, mit der ich eine anregende Plauderei beginne, sodass ich für meine Gesprächspartnerin aufgrund ihres Lächelns, ihrer Herzlichkeit, ihrer Liebenswürdigkeit recht eigentlich eingenommen bin. Schließlich stellt sich heraus, dass diese Dame keine andere Person als besagte Hanna ist.
Wir bemerken, dass wir Vorstellungsbilder von demselben Gegenstand entwickeln können, die nicht nur einander nicht ähnlich, sondern sogar ganz verschieden oder gegensätzlich sind. Und dennoch müssen wir sagen, es handele sich dabei um denselben Gegenstand. Folglich ist es nicht möglich, mit Gewissheit die Identität eines Gegenstandes über die Ähnlichkeit der Vorstellungsbilder zu bestimmen, die wir uns von ihm machen.
Wenn ich an dich denke, denke ich dann an eine Person, die 168 cm groß ist und blaue Augen hat? Es gibt tausende Personen, auf die diese Angaben zutreffen. Woran also habe ich gedacht, wenn ich sage, ich habe an dich gedacht?
Wir kommen zu dem Schluss, dass der intentionale Gegenstand der Erinnerung oder Wahrnehmung derselbe Gegenstand ist, über den wir reden dann und nur dann, wenn der intentionale Gegenstand mit dem realen Gegenstand, über den wir reden, identisch ist und es letztlich dieser reale Gegenstand ist, über den wir reden.
Wenn wir nicht annehmen könnten, dass der Gegenstand, an den wir uns erinnern oder den wir wahrgenommen haben, derselbe Gegenstand ist, über den wir reden, und dass die Identität des Gegenstandes unseres Gesprächs durch die Identität des realen Gegenstands gewährleistet ist, würden wir immerdar aneinander vorbeireden und unsere Hinweise und Bezugnahmen ins Leere gehen.
Wenn wie im schlechten Filmszenario dein langjährige Partner eines Tages von bösartigen Genetikern durch seinen aufs Haar ähnlichen Doppelgänger ausgetauscht würde und du mit diesem Double ungestört und harmonisch deine übrigen Tage zubringen würdest, wüssten wir mit Gewissheit, dass die Person, von der du aus der Zeit vor dem fatalen Ereignis erzähltest, nicht dieselbe Person ist wie die Person nach dem Ereignis. Was macht aber den Unterschied, wenn der Körper der ausgetauschten Person aufgrund derselben genetischen Ausstattung identisch mit dem Körper der ursprünglichen Person ist?
Wir bemerken, dass die Identität des Gegenstandes, an den wir uns erinnern und den wir wahrnehmen und über den wir als denselben reden, nicht zurückführbar ist auf die materielle Identität des Körpers, in dem er verkörpert oder instantiiert ist.
Gilt dies nicht nur für Personen, bei denen es offensichtlich zu sein scheint, sondern auch für materielle Körper? Wenn Gott über Tag den Mond in Nichts auflöste und zugleich einen neuen Mond schüfe, der unserem alten Bekannten nicht nur wie ein Ei dem anderen gliche, sondern tatsächlich Molekül für Molekül nach seinem entschwundenen Vorbild nachgebaut wäre, würden wir sagen, es sei derselbe Mond?
Was wäre, wenn die Identität der Gegenstände, über die wir reden, nicht gewährleistet wäre durch die Identität ihrer realen Gegenstücke? Dann wäre, wie der Dichter sinnigerweise sagt, das Leben ein Traum.
Es wäre so, als würden wir uns unser Leben am Telefon erzählen – wie es bekanntlich nicht selten geschieht. Du erzählst mir von den neuen Vorhängen in deinem Zimmer oder der Blume, die du in eine Vase vor dir gesteckt hast, oder von dem neuen T-Shirt, das du gerade anhast. Aber du könntest mich auch anschwindeln oder deinen Phantasien freien Lauf lassen, und es gibt gar keine neuen Vorhänge, keine Blume, kein T-Shirt. Oder du könntest an einer Psychose leiden und mir all dies erzählen, keineswegs um mich anzuschwindeln, sondern weil du unter Halluzinationen littest. Du erzählst mir von deiner Arbeitskollegin Hanna, die ich nie zu Gesicht bekommen habe, und wie sie dich wieder geschnitten, von oben herab behandelt und geschurigelt habe. Aber du könntest mich auch anschwindeln oder deinen Phantasien freien Lauf lassen, denn es gibt gar keine reale Person namens Hanna. Es liefe auf dasselbe hinaus, wenn du unter der Einwirkung einer psychotischen Erkrankung Hanna aufgrund von Halluzinationen wahrgenommen hättest. All dies wäre gleichrangig und von gleichem semantischen Gehalt wie deine Erzählung über den Inhalt des neuen mir unbekannten Romans, in dem geschildert wird, wie die Protagonistin von ihrer Arbeitskollegin Hanna geschnitten, von oben herab behandelt und geschurigelt wird, und in dem von anderen merkwürdigen Leuten und ihrem merkwürdigen Verhalten die Rede ist.
Sicher, ich könnte mir ein immer genaueres Bild von Hanna machen, denn du erzählst mir nicht nur einmal von ihr. Oder ich könnte, wenn es um den Roman geht, mir das Buch kaufen und selber lesen und dann mein Bild von Hanna vervollständigen oder korrigieren, indem ich all die Elemente abziehe, die gemessen am Ergebnis meiner Lektüre mit den von dir vermittelten Bildelementen nicht übereinstimmen.
Wäre die fiktive Hanna, die Protagonistin des Romans, über die wir beide nach genauester Lektüre nunmehr gut Bescheid wissen, derselbe Gegenstand, an den du denkst und an den ich denke, an den du dich erinnerst und an den ich mich erinnere, wenn wir uns darüber unterhalten? Keineswegs.
Denn wir beide sind aus verschiedenem Holz geschnitzt, was dir auffällig, bemerkenswert und prägnant erscheint und sich dir als relevante Eigenschaften der fiktiven Person Hanna eingeprägt hat, erscheint mit weniger auffällig, bemerkenswert und prägnant, dafür haben sich mir andere Eigenschaften der Protagonistin in den Vordergrund gedrängt und eingeprägt oder die von dir hervorgehobenen überlagert und in den Schatten gestellt. Aber auch wenn wir haargenau in unseren Beschreibungen und Einschätzungen der fiktiven Person übereinstimmen würden, woran könnten wir ermessen, dass unsere übereinstimmenden Beschreibungen und Einschätzungen zutreffen? Sollten wir einen Dritten hinzuziehen, einen gelehrten Literaturwissenschaftler, der unsere Beschreibungen und Einschätzungen gleichsam ex cathedra zu bewerten und zu beurteilen vermöchte? Aber auch das gelehrteste Haus wäre uns im Prinzipiellen keinen Deut voraus oder überlegen.
Wir bemerken: Es gibt keine Bezugnahme im Reiche der Fiktion oder im Schattenland der Ähnlichkeiten, so bunt die Schatten sein mögen, sondern gleichsam nur Zitate und Zitate von Zitaten, die aber durch nichts belegt und gerechtfertigt werden können als durch die fiktiven Quellen, aus denen sie fließen. Es wäre so, als suchte man den Wahrheits- und Existenzbeweis einer Schlagzeile in einer Tageszeitung dadurch zu führen, dass man sie durch die Schlagzeile einer anderen Tageszeitung zu belegen und zu stützen glaubt, ohne zu berücksichtigen, dass beide aus derselben Quelle stammen.
Wir halten fest: Bezugnahme oder eine Semantik intentionaler Gegenstände ist nur auf der Grundlage dessen möglich, dass intentionale Gegenstände ihr reales Gegenstück haben oder wir die Existenz realer Gegenstände notwendigerweise unterstellen müssen.
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