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Wortsalat

30.10.2015

Oder warum der linguistische Idealismus und Dekonstruktivismus zu Unsinn führt

Wer meint, unsere Wörter verwiesen nur auf andere Wörter und unsere Texte nur wieder auf andere Texte, ist wie ein Narr, der, um zu überprüfen, ob eine Nachricht in der einen Tageszeitung stimmt, sich eine andere Tageszeitung kauft, um sie dort bestätigt zu finden, ohne zu berücksichtigen, daß beide Zeitungen dieselbe Datenquelle wie die DPA benutzt haben.

Wörter ohne Bezugnahme außerhalb von Wörtern benutzen heißt Wortsalat anrichten auch wenn seine französischen Variationen noch so delikat aussehen, nahrhaft sind sie nicht.

Würden unsere Wörter nur auf Wörter verweisen, unsere Beschreibungen nur auf andere Beschreibungen und unsere Texte nur wieder auf andere Texte, könnten wir analog zum positivistischen Idealismus von einem linguistischen Idealismus und dem aus ihm folgenden Relativismus und Solipsismus sprechen. Ein linguistischer Idealismus dieser Art ist auch der Dekonstruktivismus eines Jacques Derrida.

Der damalige Imperator Caesar nennt sich in seinem Bericht über den Feldzug in Gallien und Germanien De bello Gallico „Caesar“ und spricht von sich als von jenem Caesar, der am 9. Januar 49 (vor Christus) den Grenzfluß Rubikon überschritten habe. Nennen wir also den Ausdruck „derjenige, der am 9. Januar 49 den Rubikon überschritt“ die Beschreibung oder die deskriptive Paraphrase für den Eigennamen „Caesar“, dann müßten wir an allen Textstellen, die von Caesar handeln, den einen für den anderen Ausdruck einsetzen können. Doch das geht nicht: Wir finden Textstellen, wie die des Historikers Livius über das erste Triumvirat von Caesar, Crassus und Pompeius, die von einem Caesar handeln, der (noch) nicht den Rubikon überschritten hatte. Wenn unsere Beschreibungsäquivalenz gültig wäre, müßte es sich hierbei um einen anderen Caesar handeln. Offensichtlich ist das Unsinn. Folglich stimmt die Äquivalenz nicht oder wir sind genötigt, sie um einen Zusatz zu erweitern und zu schreiben: „derjenige, der der Dritte im Bunde mit Crassus und Pompeius war und am 9. Januar 49 den Rubikon überschritt“. Wie viele Erweiterungen brauchten wir wohl, um eine Äquivalenz zu erhalten, die allen Erwähnungen des Eigennamens Caesar Genüge täte? Wir kämen nicht leicht an ein Ende.

Was tun, wenn ein dreister oder kühner Historiker auftritt und behauptet, Caesar sei nicht am 9., sondern am 10. Januar 49 am Rubikon gewesen, und dafür auf eine entlegene Quelle verweist, die man bisher ignoriert hat? Sollen wir sagen, die Mehrheit der Textquellen verweist auf das Datum, das in allen Schulbüchern steht, also belassen wir es dabei? Nun, als Kopernikus seine Schrift mit dem neuen Weltentwurf mit der Sonne als dem Zentralgestirn veröffentlichte, findet sich in allen einschlägigen Textstellen der scholastischen Theologen und anderer Schriftsteller die Angabe, die Erde stehe im Mittelpunkt des Universums. Mit Zitaten kann man augenscheinlich alles und nichts beweisen, und Worte und Texte haben keine magische Verbindung zu den Instanzen, was immer sie sein mögen, die sie bestätigen oder widerlegen können.

Warum halten wir am historischen Datum des 9. Januar 49 vor Christus fest, an dem Caesar den Rubikon überschritten hat? Einfach deshalb, weil er es selbst schriftlich niedergelegt hat und weil wir davon ausgehen, daß für den Fall, daß er sich bei der Datumsangabe geirrt hätte, genügend Augenzeugen, also beispielweise Offiziere seiner Legionen, später auf den Irrtum aufmerksam gemacht hätten. In den Augenzeugen historischer Ereignisse haben wir demnach eine der gesuchten Instanzen gefunden, die unsere Texte über Ereignisse der Vergangenheit bestätigen oder widerlegen können. Bei weit zurückliegenden Ereignissen müssen wir davon ausgehen, daß wir eine ununterbrochene Kette oder einen ununterbrochenen Überlieferungsstrang, kurz eine authentische Tradition, ausfindig machen können, die von Augenzeugen des ursprünglichen Ereignisses angestoßen worden und bis auf unsere Tage weitergetragen worden ist. Für die Zwischenträger der authentischen Nachricht sind wir gehalten, ihrer Zeugenschaft mit einem Maß von Vertrauen entgegenzukommen, der dem Grad ihrer Glaubwürdigkeit entspricht, den wir an ihren sonstigen Äußerungen und Bezeugungen bemessen. Im Falle Caesars sind das seine eigene Autorschaft und die Autorschaft von Historikern wie Livius, Sueton, Plutarch und Cassius Dio.

Wenn wir die Identität eines Eigennamens wie „Abendstern“ mit der Beschreibung äquivalent setzen, er sei der Stern, der als erster am Abendhimmel erstrahle, dann wäre der Morgenstern allemal als ein anderes physisches Objekt anzusehen, wenn wir dieses anhand der Beschreibung „jener Stern, der als erstes am Morgenhimmel erstrahlt“ identifizieren. Wenn die Astronomen aber feststellen, daß es sich bei Morgenstern und Abendstern um dasselbe Objekt, nämlich den Planeten Venus, handelt, werden wir wohl kaum hartnäckig bleiben und sagen, das Objekt der Astronomen sei ein anderes Objekt als diejenigen Objekte, die den früheren Beschreibungen entsprechen. Folglich sind die Bezugnahmen von sprachlichen Ausdrücken Bezugnahmen, die wir nicht auf ihre kontingenten Beschreibungen reduzieren können.

Dann müssen wir auch zugestehen, daß bestimmte Beschreibungen wie die Beschreibungen von Morgenstern und Abendstern zwar unvollständig sind, sich aber auf dasselbe Objekt beziehen, auch wenn diejenigen, die diese Eigennamen gebrauchten, bevor die Identität des mit ihnen Gemeinten festgestellt worden ist, davon nichts wußten. Daraus folgt, daß die Beschreibung eines Objekts eine Funktion des jeweiligen Wissens der jeweiligen Sprachverwender darstellt, während die Bezugnahme mittels der Beschreibung einen Spielraum virtueller Beschreibungen offenläßt. Heute wissen wir, daß die Erde nicht, wie Ptolemäus glaubte, im Mittelpunkt des Universums schwebt, aber sollen wir deshalb annehmen, Ptolemäus habe von einem anderen Objekt geschrieben als von dieser unserer Erde, über deren Position im Sonnensystem wir heute besser Bescheid wissen?

Wir bemerken, daß wir einerseits nur mittels unserer Sprache überhaupt auf die Existenz von Gegenständen in der Welt zugreifen können, daß aber andererseits unsere Weltbeschreibungen keiner linguistischen Immanenz frönen, sondern von den Weltereignissen konstituiert und modifiziert werden, und dies bis zu einem Grad, daß ihnen bestimmte Ereignisse den Garaus machen können. Da unsere Biologen keinen substantiellen Elan vital gefunden haben und ganz gut ohne diese Hypothese bei ihren Erklärungen klarkommen, haben wir den Begriff schmerzlos gestrichen.

Wir nennen in hergebrachter Manier die Eigenschaft unseres Geistes und unserer Sprachverwendung, auf etwas Bezug zu nehmen, was nicht nur mentale oder linguistischen Eigenschaften hat, Intentionalität. Wenn Manfred behauptet, daß ihm sein Freund Walter aus dem Fenster zugerufen hat, mußte er mit dem Eigennamen „Walter“ auf ein Wahrnehmungsobjekt Bezug nehmen, auf das ich unabhängig von seiner Wahrnehmung ebenfalls Bezug nehmen kann, auch wenn seine Beschreibung von Walter wie: „derjenige, der zurzeit mein bester Freund ist“ keinesfalls eine Beschreibung ist, die ich für meine Person akzeptieren könnte.

Wenn außerirdische Lebewesen mit uns Kontakt aufnähmen und uns einen Besuch abstatteten, woran könnten wir erkennen, daß es sich bei ihnen um uns ähnliche, intelligente Lebewesen handelt, also um solche, die über eine mentale Verfassung und eine Sprache verfügen, mit der sie auf Gegenstände referieren können? Ein experimentum crucis für einen solchen Turing-Test wäre folgendes: Angenommen die kosmischen Exoten hätten sich auf der Erde umgeschaut und wären fasziniert von bestimmten Phänomenen, die sie auf ihrer Gegen-Erde nicht kennen, wie Eis, Schnee und Nebel, wobei sie auf jedes dieser Phänomene mit einem neu in ihre Sprache eingeführten Namen hinwiesen. Natürlich haben unsere gewitzten Linguisten ihre seltsame Sprache, die nicht Laute, sondern Lichtstrahlen und ihre abermillionenfachen Möglichkeiten von Ausdruckswerten und Ausdrucksnuancen in Farbbrechungen und Farbintensitäten, Farbmischungen und Farbkontrasten zur Bedeutungsübertragung verwendet, schon dechiffriert und mittels Verwendung von Lasern ein Kommunikationsmedium konstruiert, mit dem wir uns auf Luziferisch mit ihnen unterhalten können. Könnten wir ihnen nun klarmachen, daß es sich bei diesen Phänomenen um die Aggregatzustände ein und desselben Stoffes, nämlich von Wasser, handelt, und sie wären in der Lage, daraufhin ihr sprachliches Bezugssystem und entsprechend ihr sprachliches Verhalten zu ändern, würden wir zurecht schließen, daß ihre Intelligenz der unseren ähnlich ist.

Natürlich können wir verbale und schriftliche Beschreibungen auch durch visuelle Dokumente ersetzen. Legen wir unserem Probanden im Turing-Test statt einer verbalen Beschreibung ein Foto einer Person vor und nennen ihr den Namen dieses Menschen aus dem Lande der Franken: „Pierre Jumeau“. Dann machen wir mit ihr eine Gegenüberstellung, wie wir sie aus der Kriminalastik und aus Krimis kennen: Sie muß aus einer Reihe von Personen jenen Pierre Jumeau wiedererkennen, dessen Namen und Beschreibung sie bereits kennengelernt hat. Nun befindet sich unter den vorgeführten Personen wirklich eine, die Pierre Jumeau aufs Haar gleicht. Wenn nun unsere Versuchsperson sagt, sie habe eine Person erkannt, die Pierre Jumeau sein könnte, aber sie könne nicht mit letzter Gewißheit sagen, daß sie es ist, hat sie den Test bestanden. In Wahrheit war die vorgeführte Person nicht Pierre Jumeau, sondern Paul Jumeau, ihr Zwillingsbruder. Die scheinbar eindeutige Beschreibung hat demnach auf unterschiedliche Referenzobjekte verwiesen.

Wir haben damit eine Definition sprachlich fundierter Intelligenz gewonnen: Sprachlich fundierte Intelligenz ist die Fähigkeit, die Bezugnahme sprachlicher Ausdrücke und die Identitätsannahme des mit ihnen bezeichneten Gegenstands oder die eindeutige sprachliche Bezugnahme auf intentionale Objekte von ihren wirklichen und möglichen Beschreibungen unterscheiden zu können. Eine Spezifikation dieser Definition könnte so lauten: Sprachlich fundierte Intelligenz ist die Fähigkeit, trotz unterschiedlicher und teilweise sogar widersprüchlich scheinender Beschreibungen an der Eindeutigkeit der Referenz des intentionalen Objekts festzuhalten, bis sich die Situation mittels kohärenter und konsistenter Modifikationen der Beschreibungen klären läßt. Vielleicht können Experten hier die Vereinheitlichung der klassischen Teilchenphysik und der Quantenphysik zur Quantenfeldtheorie als Beispiel für die gewonnene Kohärenz und Konsistenz widersprüchlicher Beschreibungen wie der Beschreibung von Licht im Sinne von Teilchen und Welle einordnen.

Wir erläutern dies an einem Beispiel der christlichen Theologie: Wären uns nur die gnostischen Evangelien überliefert, könnten wir uns fragen, ob uns durch ihre Beschreibungen der in Menschengestalt verborgenen Gottheit Christi die christliche Wahrheit des sich in die Passion herablassenden Gottessohnes verdeckt geblieben wäre. Wir könnten auch fragen, ob in der Häresie des Arianismus, der die Menschwerdung Christi leugnet, nicht ein begriffliches Unvermögen zur Geltung kommt, nämlich das Unvermögen, trotz scheinbar widersprüchlicher Beschreibungen, wie der Beschreibung des leidenden Gottesknechts und der Beschreibung des glorreichen Weltenherrschers auf dem Throne, die Identität der Bezugnahme herzustellen, ähnlich dem begrifflichen Unvermögen, in den scheinbar widersprüchlichen Phänomenen fester Kristalle und flüssiger Materie auf den identischen Stoff Wasser oder trotz widersprüchlicher Beschreibungen im Sinne von Teilchen und Welle auf das identische Phänomen Licht Bezug nehmen zu können.

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