Wort und Tat – Ethik ohne Moral
Skizzen zu einer empirischen Ethik auf sprachlicher Grundlage
Worte, die weder im Schatten von Taten und Werken stehen noch Taten oder Werke zur Folge haben, sind unverbindliches Gerede und allerhöchstens unterhaltsames Geplauder. Wer die Folgen dessen, was er sagt, schultern muß, hat etwas gesagt; der Schwätzer sagt heute dies und morgen jenes – auf wechselnden Podien; keiner braucht sich an den verwehten Schnee von gestern zu erinnern.
Wir können sprachliche Wendungen, die in typischen Redesituationen geäußert werden, auf ihre expliziten und impliziten Verpflichtungen analysieren. Verpflichtungen sind Verlautbarungen bestimmter Intentionen, die sich auf näher oder ferner liegende zukünftige Ereignisse beziehen; das entscheidende Moment dieser Ereignisse liegt in dem Umstand, daß sie der Gegenstand eben jener Verlautbarungen sind, die eine explizite oder implizite Verpflichtung enthalten, diese Ereignisse durch zweckgerichtetes Handeln herbeizuführen oder durch beabsichtigtes Unterlassen bestimmter Handlungen zuzulassen.
Sagst du zu mir „Ich werde dann kommen“, handelt es sich dabei um eine Verlautbarung, die deine Intention expliziert, an einem bestimmten Datum der näheren oder ferneren Zukunft zu mir zu kommen. Geschieht die Verlautbarung in der Situation, in der ich dir mit einer Summe Geldes aus einer momentanen Verlegenheit geholfen habe, handelt es bei der Äußerung um das Versprechen, mir an dem festgelegten Datum das Geld zurückzugeben.
Wir analysieren den Sprechakt des Versprechens auf folgende allgemeine Merkmale hin, die den Verpflichtungscharakter ethisch bedeutsamer Rede kennzeichnen:
1. Der intentionale Gegenstand der Rede ist ein zukünftiges Ereignis, das herbeizuführen oder zuzulassen sich der Redende angedeihen läßt. Wir können die Rede dann und nur dann verifizieren, wenn wir aus der ursprünglichen Äußerung, die sich eines futurischen Tempus bedient, eine Äußerung im perfektiven Tempus ableiten können: Aus dem Satz „Ich werde dir das Geld zurückgeben“ wird sodann der Satz „Ich habe dir das Geld zurückgegeben.“
2. Äußerungen verpflichtenden Charakters sind Äußerungen unter einem zweifachen Risiko:
2.1 Das erste Risiko, das eingeht, wer ein Versprechen ablegt, besteht in der mehr oder weniger empfindlichen Sanktion und dem mehr oder weniger hohen sozialen Schaden, den er auf sich nehmen muß, sollte er seine Zusage nicht halten oder brechen. Wer dem Freund nicht, wie versprochen, das geliehene Geld wieder aushändigt, läuft Gefahr, daß ihm die Freundschaft aufgekündigt wird; wer das Versprechen gegenüber einer Gruppe, aufgrund dessen er in sie aufgenommen wurde – wir kennen es gewöhnlich als Gelöbnis, Treueschwur oder einfach als Beitrittsverpflichtung –, bricht, auflöst und verrät, riskiert, aus der Gruppe, dem Verein, der Organisation oder der Kirche ausgeschlossen zu werden oder in Verruf zu geraten. Ein äußerstes Risiko ist neben der sozialen Ächtung die physische Vernichtung, wie sie Hochverrätern in Zeiten des Krieges und Bürgerkrieges oder Abtrünnigen einer kriminellen Bande oder strenger religiöser Bünde wie des Scharia-Islams zu drohen pflegt.
2.2 Das zweite Risiko, das Äußerungen auf die Zukunft gerichteter Handlungsvorhaben wie Versprechen mit sich bringen, besteht in der prinzipiellen Offenheit und Unvorhersehbarkeit zukünftiger Ereignisse und in dem mehr oder weniger hohen Grad an Wahrscheinlichkeit, daß widrige Gründe unseren Intentionen einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn es dir zwingende Gründe wie Krankheit oder Verdienstausfall verwehren, die geschuldete Summe bis zum Stichtag aufzubringen, bist du entschuldigt und wir fangen wieder bei null an. Auch hier finden wir als äußerstes Risiko die physische Vernichtung, doch ist es der Tod, der gleichsam alle Bande persönlicher Verpflichtung zerreißt und könnte man sagen alles entschuldigt.
Wir bemerken en passant, daß entgegen landläufiger Meinung das Todesrisiko oder die Todesdrohung die Betroffenen nicht egalisiert, sondern hierarchisiert: gemäß dem natürlichen Wert, der sich im Verwandtschaftsgrad ausdrückt, und dem sozialen Wert, der sich im öffentlichen Prestige der Person ausdrückt. – Eine Mutter wird aus einem brennenden Schulbus zunächst ihr eigenes Kind zu retten versuchen, bevor sie sich um das Überleben der fremden Kinder kümmert. – Die Gefangenen der R. A. F. im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim sollten 1977 mittels der Todesdrohung gegen den damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin Schleyer, der sich in der Geiselhaft der R. A. F. befand, freigepreßt werden; das Leben Schleyers galt den Terroristen demnach aufgrund seines hohen Prestige als mindestens viermal so viel wert wie das der Gefängnisinsassen. Als die Erpressung nicht gelang, versuchten palästinensische Gesinnungsgenossen die Freilassung durch Geiselnahme von 87 Passagieren und Besatzungsmitgliedern des Flugzeugs „Landshut“ zu erreichen. Hier ist der Proporz noch eklatanter, nur daß nun umgekehrt mindestens 87 Personen, die über keinerlei mediales Prestige verfügten, den sozialen Wert der Person von Hans Martin Schleyer aufwiegen mußten.
Wir bemerken, daß uns aus rationaler Sicht, und wir schürfen ja mit den Methoden der Vernunft und stapeln nicht hoch mit schönen Redensarten und Metaphern, im Spiel- und Handlungsraum ethisch bedeutsamer Rede nur ein einziger absoluter Wert begegnet: das ist das Gut des Lebens oder der Zustand, am Leben zu sein, ein absoluter Zustand, was sich darin zeigt, daß er sich nicht relativieren, sondern nur negieren läßt.
Wenn wir ein Versprechen ablegen, implizieren wir damit den Wunsch und die Hoffnung weiterzuleben; wer die feste Absicht hat, sich morgen das Leben zu nehmen, wird nicht heute jemandem versprechen, ihn übermorgen wiederzutreffen, um ihm das geliehene Geld auszuhändigen; täte er es trotz seines Vorhabens, handelte es sich um kein echtes Versprechen, sondern um ein vorgetäuschtes, denn das echte Versprechen impliziert, nicht nur das Versprochene wie die geschuldete Summe einzulösen, sondern auch das Menschenmögliche zu tun, um diejenigen Bedingungen zu gewährleisten, die den Handlungsraum bilden, in dem wir unsere Absichten erfüllen (aber auch verfehlen) können.
Das Gemeinte wird klarer, wenn wir den Lebens- und Handlungsraum inspizieren, in dem sich unser ethisch bedeutsamen Sagen und Tun alltäglich oder außeralltäglich vollziehen: Wir sprechen von der Gewohnheit oder der Regel, auf denen wir die Bahnen unseres Erlebens und Handelns in die Zukunft projizieren. Wenn die Tage wie bei einer russische Puppe einer aus dem anderen hervorgehen und sich durch Gewohnheiten trivialisieren und ritualisieren, wähnen wir, das Risiko größerer Schwankungen und Wechsel, wie sie mit der prinzipiellen Offenheit der Zukunft verknüpft zu sein pflegen, einigermaßen gebändigt zu haben.
Wir erwarten allmorgendlich den Gruß des Kollegen am Arbeitsplatz und wären erstaunt, wenn er ausbliebe, wir wären irritiert, wenn der Kollege uns mit einem unverständlichen Kauderwelsch aufwartete. Die Routine macht das Leben erträglich, insofern sie die Ungewissheit der Zukunft reduziert und das Kommende auf das Erwartete einschränkt; sie macht das Leben auf Dauer zugleich unerträglich, weil sie es in Monotonie und Langeweile erstickt. Aus dieser dem Spielraum des Erlebens und Handelns innewohnenden Spannung und Diskrepanz gibt es kein Entrinnen – nur einen Ausgleich in den Formen gehobener Daseinsstimmung in Feier und Fest, im ephemeren und immer vorläufigen Eskapismus des abenteuerlichen Herzens, im Abdriften in den Formen stimulierten Bewußtseins durch Drogen und Rausch.
Welche Routinen und habituellen Einstellungen wir wählen, um den überquellenden Fluß des Lebens in ein überschaubres Bett zu zwängen, läßt sich nicht vor dem Forum einer praktischen Urteilskraft dingfest machen und anhand formaler Kriterien der Vernunft entscheiden: Es mag eine Sache der Kunstfertigkeit, der Prägnanz des sprachlichen Ausdrucks und des regionalen Bezugs sein, die wie bei den Gruß- und Abschiedsformeln ausstrahlen und den Ausschlag geben. Doch außerhalb der Zwänge des Kollektivs, wie im Klassenverband oder beim militärischen Begrüßungs- oder karitativen Willkommensappell, steht es mir frei, damit zu bedenken oder meiner anerzogenen Höflichkeit zu entziehen, wen immer ich will.
Auch im außeralltäglichen Leben der Mönche und Nonnen, ja auf noch prägnantere Weise, zeigt sich der Sinn der Regel (wie der Titel der Regularien lautet, die von Benedikt von Nursia an das Tun und Lassen, das Reden und Schweigen der Ordensleute trivialisieren und ritualisieren): Das Dasein verschwimmt im Rhythmus der gewöhnlichen Verrichtungen der Daseinsfristung und der liturgischen Verrichtungen mit ihren Gebeten und Gesängen. Dabei kann das individuelle Bewußtsein im Extremfall wie bei den buddhistischen Ordensmitgliedern auf den Nullpunkt an Selbstlosigkeit schrumpfen.
Wenn ich dir etwas versprochen habe, erwartest du von mir die Erfüllung des Versprechens; wenn ich das Versprechen erfüllt habe, erwarte ich von dir, daß du deine Forderung an mich als abgegolten betrachtest: Wir sagen, Versprechen und Erwartung sind spiegelbildliche Begriffe.
Wir finden diese Spiegelung auch in grammatischer Form im Verhältnis folgender Sätze:
1.1 Ich werde dir das Geld übermorgen bei dir zu Hause zurückzahlen.
1.2 Ich habe dir das Geld gestern bei dir zu Hause zurückgezahlt.
Sätze mit Indexwörtern wie „ich“, „du“ oder „dir“, „übermorgen“, „gestern“ und „zu Hause“ können durch Einsetzen der betreffenden Namen und Daten in objektivierbare Aussagen umgeformt werden, die wir anhand intersubjektiv kontrollierbarer Beobachtungen und Recherchen verifizieren oder falsifizieren können.
Wir wissen demnach, daß ich das Versprechen eingelöst habe, wenn die Umformung von 1.1 zu 1.2 mit den korrekten Namen und Daten erfolgreich war.
Wir listen zur Verdeutlichung eine Reihe von bekannten Sprachhandlungen auf, die ethisch bedeutsame Verpflichtungen begründen oder nach sich ziehen; wir weisen darauf hin, daß sie allesamt Handlungen darstellen, die mit dem Namen des Sprechers oder Handelnden ursächlich in der Weise verknüpft sind, daß er für die Einhaltung und Erfüllung des im Sprechakt gemeinten oder beabsichtigten Inhalts mit seinem Namen einzustehen hat:
Versprechen
Geloben
Schwören
Bezeugen
Beeiden
Beglaubigen
Leugnen (Abstreiten)
Besiegeln
Beurkunden
Widerrufen
Taufen
Weihen
Berufen
Befehlen
Die Identität oder Folgebeziehung von Wort und Tat wird durch die Identität dessen, der spricht, mit dem, der das Angekündigte vollzieht, gewährleistet. Wir erfassen diese Identität im Eigennamen, der einen Arbeits- oder Ehevertrag oder ein amtliches Dokument besiegelt oder anderweitig aktenkundig wird.
Wir bemerken, daß wir ethisch bedeutsames Reden durch empirische Untersuchungen der Sprechakte ausfindig machen können, die bestimmte Verbindlichkeiten und Verpflichtungen entweder ausdrücklich machen oder stillschweigend implizieren. Wir setzen bei diesem Verfahren keine Moral und keinen moralischen Kodex voraus, sei er religiöser oder weltanschaulicher Provenienz.
Ethische Untersuchungen auf empirischer Basis sind rein deskriptiv und keinesfalls normativ: Wir halten uns schlicht an die Art und Weise, wie die Leute unter sittlich bedeutsamen Kontexten reden, und an das, was aus dem Gesagten folgt oder nicht folgt. Folgt aus dem Gesagten nichts, handelt es sich um unverbindliches Gerede; wird jemand für sein gegebenes Wort in die Pflicht genommen, zur Kasse gebeten oder sozial stigmatisiert, stoßen wir auf harten philosophischen Grund.
„Ethik ohne Moral“ bedeutet: Wir verzichten auf alle metaphysischen Klimmzüge, mit denen man sich angeblich über den Boden der sprachlichen Tatsachen in die Höhe universal gültiger moralischer Normen und Gebote recken können soll. Das Ethos der Sprache reicht nur so weit, wie UNSERE Sprache reicht; sollte es dort im Lande Wolkenkuckucksheim einen sprachlichen Umgang geben, bei dem das Nichteinhalten einer Zusage, eines Gelöbnisses, eines Versprechens keine Folgen hat, stehen wir nicht an, einem solchen Reden den ethisch bedeutsamen und gehaltvollen Verpflichtungscharakter zu bestreiten.
„Ethik ohne Moral“ bedeutet, daß wir aufhören, rationale Verfahren der Rechtfertigung bestehender oder wünschenswerter moralischer Gebote oder Verbote auszutüfteln, sondern uns auf den empirischen Boden all der Sprachhandlungen stellen, die gleichsam in summa das Pflichtenheft ihrer jeweiligen Kultur und kulturellen Lebensform enthalten. Man könnte zugespitzt sagen, wir müssen uns mit der skeptischen Bestandsaufnahme bescheiden, daß es so viele Ethiken wie kulturelle Lebensformen gibt – und natürlich mit der Tatsache, daß sie nicht wie konzentrische Kreise harmonisch und kohärent ineinanderliegen, sondern sich überkreuzen, teilweise überlappen und großenteils auslöschen. Ideologische und religiöse Leitmotive, anhand deren wir sie moralisch über einen Leisten schlagen können, verbschieden wir aus der nüchternen Betrachtung als eine Naivität, die noch größer und stupider ist als diejenige, die davon ausgeht, es sei ja eine einzige Gottheit, die in den vielen Religionen angerufen werde und daher nehme die Menschheit in einer einzigen Arche Noah morgen oder spätestens übermorgen groß Fahrt auf. Nein, es sind da und dort in Ufernähe wohl noch einzelne Segler, die gegeneinander kreuzen, es sind auch etliche hochgetunte Motorboote, die sich scharf angehen und einer im Wogenschwall des anderen untertauchen, selten sieht man noch den einen oder anderen alten Fischkutter dahintuckern, die Herrschaft aber haben weit draußen ganze Ketten von Containerriesen unter eigener oder fremder Flagge, mit der Überlebensfracht für die Metropolen, die neuerdings zur Feindabwehr vielfach von U-Booten, Kreuzern, ja von Flugzeugträgern begleitet werden.
Wird aber in diesem Ansatz nicht Rohheit, Barbarei und Schlechtigkeit als hinzunehmendes factum brutum deklariert? Nur scheinbar. Nehmen wir als Beispiel den Tötungsbefehl: Auch in den besten Kreisen, in denen man sich als bigotte Friedenstauben geriert, wird stillschweigend hingenommen, daß der Tötungsbefehl bei der kämpfenden Truppe oder als ultima ratio im Polizeieinsatz rechtens erteilt wird.
Der Befehl gehört zu den originären Sprechakten, die ihren Verpflichtungscharakter explizit machen. Er zeigt aber auch mit aller Deutlichkeit, daß und in welcher Weise verbindliche Sprechakte in die jeweilige Situation eingebettet sind, denn er verlangt den institutionellen Kontext der Autorität, die aufgrund eines Amts oder durch charismatische Zuschreibung berufen ist, ihn auszusprechen und auf seine Befolgung und Ausführung zählen darf.
Wir aber können in all dem Wildwuchs ethischen Sagens und Tuns nur uns selbst zur Geltung bringen, indem wir das Edle vom Gemeinen sondern, das Sublime vom Vulgären, das Feine vom Groben und das Erhabene vom Niederträchtigen – dann aber reduzieren wir ethische Fragen auf Geschmacksfragen: Und das ist es, was wir für uns anstreben. So fühlen wir uns in seelischer Harmonie mit den aristokratischen Werttafeln der frühen Griechen und den vornehmen Haltungen, die sich in den tänzerischen Ritualen und sublimen Kunsterzeugnissen der Renaissance-Höfe Italiens oder in den hohen Hallen mittelalterlicher Burgen beim Vortrag der Liederdichter und Epiker zeigten, deren ethisch bedeutsame Begriffe wie staete, triuwe, zuht, höveschkeit, milte und mâze seltsam schillern und changieren zwischen Verhaltensbekundung und ästhetischem Wert.
So können wir Stifters utopischen Nachsommers gedenken und wieder von schöner Sittlichkeit sprechen, und meinen damit, daß wie Tiere und Blumen die Menschen einer Landschaft und Region nach dem Untergang der Städte und der Geist und Sinne vergiftenden Zivilisationen ihre leibliche und seelische Eigenart dem Gären, Wachsen und Sprudeln der heimischen Säfte, physischer und mythischer Gewalten und reiner Quellen verdanken, die Edlen aber die herrschende Elite derjenigen stellen, die gemeinen Zudringlingen den Zugang zu ihren umzäunten Höfen und Gärten verwehren und die Dienste glücklicher Untertanen in Anspruch nehmen, die sie pflegen und bewirtschaften. Gemeinsam aber feiern sie die Feste der wiedererstandenen Götter des Himmels und der Erde mit rosenumrankten Ritualen, anmutigen Tänzen und Liedern, die Dichter hoher Herkunft und edler Zunge ihnen aus dem leuchtenden Wasser der Erinnerung schöpfen.
Hat auch dichterische Sprache einen Verpflichtungscharakter, gibt es ein Ethos der dichterischen Sprache? Ja, wenn wir Dichtung als Dienst an der eigenen Sprache verstehen. Der Dichter aber wäre sodann der Hüter oder Gärtner im Garten der Sprache, jenem Garten, der bekanntlich stets der kultivierenden Hand bedarf, denn von jeher ist er vom Wuchern des Wegerichs und Gierschs, von Lolch, Ampfer und Disteln bedroht, stereotypen Klischees, unschönen Füllseln, leeren Kapseln, Dorngestrüpp und verholzter Syntax, die es in sprachpflegerischer und sprachkritischer Absicht zu jäten, zu rupfen und auszureißen gilt; Dienst als schöpferisches Walten und Gestalten mit liebend-sorgender Hand, die den Ranken zart sprießender Metaphern aufhilft, junge Rosen um die zierlichen Formen alter Gitter bindet und die durstige Seele der Erde tränkt.
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