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Auswahl älterer Gedichte

15.10.2011

Wort um Wort

Worte tropfen
Brunnenkunde
aus dem blecke-lecke
wirr bemoosten Munde.

Tropfen klopfen
lichtgesandte zarte Unbekannte,
alles Ungeblühten Mahngeläute,
an die Fensterscheibe
menschenmüdem Schlafe.

Worte tropfen
lässlich unerlässlich,
klirren spitzig,
klatschen hitzig,
auf die harten Wangen
schweigebangem Steine.

Worte flocken
schneelichtweh,
kreisen weiblich
überheimlich
um die wimperndunkle Stelle
stille stillversiegter Quelle.

 

Rheinischer Vorgarten

Hier endet die Welt zwischen Reben,
die sich gichtfingrig
in den Schieferschutt krallen.

Die Grille, der gläserne Mund eines Fauns.
Die laue Luft lüpft gern den Schleier der Nönnchen.

Der Mond, ein blonder Dionysos mit Schluckauf,
hockt sommers dickbauchig auf Hügeln,
dümmlichrund tränengemästet.

Unten im engen Tal drängeln die Wellen,
dem schäkernden Glitzern entrinnend
murmeln sie die kalten Litaneien,
alte, graue Wasserrhetorik, die nicht mal
der Angler mit dem Filzhut versteht.

Wenn der Asphalt schwitzt,
kommen die Kinder getrippelt
und hinter ihnen her der lahmende Hund.

Die üppigen Gärten dampfen am Morgen
ihr Verwunschensein aus.
Eine Kinderschaufel liegt vergessen im Gras.
Schimmliges Obst. Fäule der Vorjahrsblätter.

Auf den Basaltsimsen gurren die Tauben.
Im lauen Ton einer fernen Glocke
vertröpfelt die Zeit.

Die Weidenbäume am Ufer sind alt und müde,
alt und müde wälzt sich der Strom,
müde der Schiffer, müde der Fische, müde der Sage.

Der Mittag bringt Geklapper, Getute, Migräne,
wenn die Hinterhöfe nach Kraut und Fett riechen.
Der Zwerg, der immer schon alt war,
destilliert seine Schwermut im Schifferklavier.

In den feisten Monumenten, den gezierten Epitaphen,
in den Rosenwangen der Marien
bezeugt sich hier Geschichte als Traum.
Blätter und Masken schwimmen zur Mündung anderer Zeit.
Römer, Burgunder, Christen, Sansculotten
und die adretten Fähnleinscharen.

Am liebsten gezeugt wurden Dichter und Kapläne.

Der Abend mit seiner Patina aus Kupfer und Gold
ist der Refrain auf tausend verlorene Tage.
Auf den Pokalen glimmt:
adieu, laß gut sein, laß sein.

 

Der verzauberte Ganterich

Am frühen Nachmittag,
ein frühlingsseichtes Gähnen
überrieselte den Efeu des Hinterhofs,
schwang er sich mit schwülstig-fettem Flügelschlag
auf den Giebel des Nachbarhauses.

Dort bezog er Stellung,
den pythonfeisten Hals windend
und grotesk verdrehend,
stieß er den Schnabel links und rechts,
nach oben und unten,
die Luft walkend und
die blütenklebrige Stille
mit blökendem Geschnaube.

Voll Angst und Grauen war dies Geschrei,
voll Siegeswahn und Todessucht.

Kühn und verflucht hatte er sich emporgeschwungen
von ihrem umgatterten Teich
hoch über die ratlos-blöd nachäugende Gefährtin
und war in der schmatzenden Fülle seines Leibes gesonnen,
über den Dächern der Stadt
nach einer zu schreien,
die ihm Zeichen höherer Liebe entböte,
nach einer Menschengefährtin zu schrein.
Hin und her, auf und ab stakte er grandios
und doch tapsig über die Dachrinne,
wiegte sich über den nächsten Abgrund:
hub an das inbrünstige Verzweiflungsgeschrei,
Stunde um Stunde, bis die Nacht kam,
und mir der Schlaf die unseligen Melodien
des großen Verstörten entrückte.

Spät gegen Morgen riss mich ein Schuss hoch:
ein zerwühltes, panisches Flattern,
und dann dumpf der erstickte Aufprall.

Wie ist verschlossen die Welt,
die ganze Natur, wie traurig.

 

Erpreßter Beischlaf

Auge, das schwärzer glänzt
als die von gnadenlosen Klöppeln
gehämmerten Klänge von Erz.

Lippen, ferner von der Wölbung des Zuspruchs
als die im Morast erstickten Seufzer des Sklaven.

Brüste, die tückischer
auf den sterilen Wellen der Begierde tanzen
als losgelöste Bojen des Meers.

Knie, in die Nacht der Menschenleere
gesprengter Mond.

Doch deine Finger spielen
in den gebauschten Fahnen des Schicksals
wie Skorpione,
die gleichgültig durch Flammen gehen.

Und dein Geschlecht singt
spitzig-kitschige Operettenarien,
auf „Prosit“ lallende Zungen,
gereimte Niedertracht, gleisnerischer
als das Röcheln des Erdrosselten.

 

Hortus conclusus

Ich wollte ganz für mich verschlossen sein,
mich in den alten Garten der Fiktion
erretten vor der Todesfickfriktion,
allen Flennens, allen Fluchens bar zu sein.

Doch der beschworne Frieden war nicht rein
von Fehl: Der Garten flockte von Insekten,
von Zungen, die an Blumen leckten,
dort stand ein Schrat auf einem Bein.

Mein Wachsein summte wie ein Bienenschrein,
von schwarzem Honig überquollen,
verstopft von heißen Blütenpollen,
mein Schlaf pfiff wie ein Mäuselöchelein.

 

Zwei Mädchen in der Pubertät
Vier Minuten im Chinesischen Garten zu Frankfurt am Main

Zuerst erobern sie vogelleicht zirpend und zwitschernd
den künstlichen Wasserfall,
oben der Steinmund,
unten die lachende Lache.

Hüpfen, Krakeln, Hand in Hand:
So luftig gibt sich ihr Frühling.

Dann hocken sie Seit an Seit, gepaarte Distanz,
auf dem kühlen Basalt.
Wie die träumenden Kinder am Brunnen:
Leicht baumeln die Beine,
die Köpfe sinnig geneigt,
Blick an Blick webt sich ein Tuch für den Traum.

Zuletzt mimen sie Touristen
und Cat-Walk-Girls für Viva:
Die eine fotografiert,
die andere wirft sich in Pose –
kopfüber schüttelt sie das Haar,
jetzt effektvoll aus der Kinderspange gelöst,
auf und nieder, bauscht es vollhändig.

So posiert sie kokett,
den Kopf im Nacken, die Hand im Nacken,
auf dass sich die unzüchtige Linse
endlich schmatzend ihr löst.

 

Schacht durch den Kalvarienberg

Feuchtes, glitzerndes Schwarz.
Krötendumpfes Atemverlies.

Glucksende, röchelnde Stille.

Grünspan, aufgewuchert
unter Kalkgeblatt.

Blaugrünliches Gelicht,
wo die Bremse am Kot leckt.

Zerbröckelter Kadaver,
geplättet von panischen Füßen.

Das urinverätzte Eck mit dem
Gekritzel abseitigen Geschlechts.

Schiefergrund mit der zerkratzten Inschrift,
schwach glimmend im Disteldämmerlicht
(namenloser Träne noch deutbar).

Schräg vom versunkenen Schindanger,
dort, wo ein gekränktes Gebell
leere Monstranzen bewacht.

Beim Menhir, an der Gemarkung Grenze,
blendet Gladiolengeflamm und
weithin, nach der Sense lechzend,
Gewoge des Korns.

 

Wahrgesagter Pfad

Braungelborange, vertrockneter, verkrusteter Lehmpfad,
rissig und vom Sonnenlicht erwärmt,
der die nackten Füße gerne geführt,
gleich wohin, nirgendhin, nur den Pfad entlang.

Und dein Gesicht, dein Lächeln,
das hell entzückte Auge oder
der vom dufterfüllten Wind

ausgetrunkne müde Blick
waren dir kaum bewußt.

Und auf den Lippen, die durstig zersprungen
oder vom hastigen Biß in blutende Kirschen verfärbt,
schwebte nicht einmal Gedankenschatten,
der Vorbote eines Worts,
noch gar wie sprödes Blatt herabgesunken
Kräuseln jäher Frage,

ob dies das Leben sei nach Art und Fülle,
das nur dir zu eigen,
ob nicht wohl den Tag unbegangner Horizont umfange,
ob die mit dir gesungen, gebetet, geschwiegen,
in fleischige Abwesenheiten sich zurückziehen
und wie unbemooste Steine quer dir liegen im Weg.

So unbedrängt, so unbedarft zur Unterscheidung
zwischen Gesicht und Wind,
Schatten und Traum,
Gras und Geist
ging im Strauchwerk deiner Duldsamkeit
ein Schwarm schriller Vögel
auf und nieder.

 

Ochs und Esel

Als er das Grautier sieht, der Ochs,
durchzuckt es ihn durch Horn und Bein.
„Ich bin der Au-, der Auerochs,
sei du mein Bru-, mein Bruderlein!“

Der Esel schüttelt das Geohr,
und artig scharrend mit dem Huf:
„So öchsel nach mir durch das Tor.
In freie Welt lockt, der uns schuf!“

Durch Licht und Dunkel, Berg und Tal,
die Freunde ein- und zweisam gehn.
„Siehst du, mein Ochs, den Silberstrahl?
Dort werden wir das Wunder sehn.“

Der Ochs stiert wie der Ochs vorm Berg.
„Ein Was, ein Wu-, ein Wunderding?
Gibt’s dort den Fu-, den Futterberg,
den ich mit Lu-Lu-Lust verschling?“

Der Esel senkt den Blick in Scham.
„Ich sag nur, was ich selbst nicht weiß,
wie einst mein Ahn bei Bileam.“
Die Nacht ist kalt. Die Herzen heiß.

Ein süßer Sang erfüllt den Stall.
Maria wärmt und stillt das Kind.
„An solchem Wu-Wu-Wunder-Schall
wird mein verhorntes Ochsen lind.“

Da hebt das Kind das Haupt empor.
Und Blicke segnen königlich.
„Den König trüg ich gern durchs Tor.
Doch fühl’s, er trägt ja dich und mich!“

 

Vanitas

Die Üppigkeit des Sinns
in Rot und Dunkelrot
im Rosenwort verging.

Was dich mit Schluchzen stillt
an Rosenwortes Duft,
ist dornig-stummes Ding.

Was dich ins Blaue hob,
ein pfingstliches Geblüt,
im Widersinn verging.

 

Was das Beste sei

Abgelöst wesen,
einem Blatt gleich,
das in die tote Aura
des Abends sinkt.

Auge, dem Gedächtnis entrissen,
das die Dinge leer träumt.

Abgelöst vom Gebein,
vom Weh, vom Gesang.

Von allem Weh.

Abgelöst vom Mund,
den Gesichten zu rufen,
dem Geahnten zu hauchen.

Von allem Mund.

Abgelöst von Arm und Hand,
zu modeln, zu halten,
sich ins Geheimnis zu krallen.

Von allem Halt.

Ungleich der Seerose,
die sich schamlos küssen lässt vom Licht,
während sie hoffnungslos dunkelwärts saugt.

Abgelöst wesen,
dem Verwesten gleich,
wenn den zerschossenen Schädel
die Schweineschnauze
über die Böschung von Katyn wälzt.

 

Der unsichtbare Gast

Von da an war es Warten,
ohne Hoffnung auf ein Gesicht,
eine Geste, eines Mundes Erfüllung,
eines Kusses zerspaltene Frucht.

Von da an war es in sich die Süße,
in sich die Zunge der Liebe
erahnendes Warten, die Hand,
ausgestreckt dem plötzlichen Regen.

Am Ende ist es Gewißheit, ist es
Gefühl, ein die Poren besingendes
Schweigen. Der Erwartete
war immer schon da.

Als unscheinbarer Gast saß er
auf dem Schemel am Tisch,
an dem hölzernen Tisch mit der Vase
und den Krusten von Wachs.

Geredet hat er ja nicht,
es sei denn jenes Erinnern kam
wie vom Horn verwunschenen
Sehnens weit von ihm her.

Oder wie nach traubenschwerer Nacht
sich öffnet ein Wald zur Lichtung,
ging ein kühles Lüftchen von dort,
einer Begrüßung recht nah.

Du dachtest wohl, dieses und jenes
sei nötig, eine Spende, eine dir
heiß abgezogne Empfindung,
die Lücke zu füllen, zu schlichten.

Doch war kein Bettler der Gast.
Sein Schleier war ohne Geheimnis,
geduldig bot er dir dar
des Augenblicks dunkelnde Iris.

 

Pfaffendorfer Gärten

Nah über dem Stein,
eingefasst von gelbem, rotem Blattwerk,
dem Stein mit der verblaßten Inschrift
oder wo bald für ein Verstorbenes
eingegraben wird Name und Zahl –

wenn der Abend kommt über den Strom
und in den Gärten trieft
von den vergessenen Früchten Saft –

dann sage,
mit weichen, kühlen Lippen
versuche zu sagen:

Es sind den Einsamen,
den von Liebe durchs Zwielicht Getrennten,
den in den Fluchten des Sommers
kindlichen Sinns Gebliebenen,

in den herbstlichen Dünsten beigemischt
Aromen spätesten Glücks.

 

Vier Masken
In die alten Eichen auf dem Kühkopf bei Koblenz gehängt

Das schöne Mädchen

Komm, blauer Wind, bausche,
bausche das Haar mir,
dass ich erblinde.

Los, weißer Sturm, rausche,
rausche ins Herz mir,
Herz mir entwinde.

Da will den Leib ich
wie einen Fächer
öffnen und schließen.

Da soll mein Mund sich,
flutender Becher,
küssend genießen.

Kommt, Feuerblüten, schneit
unter den Fuß mir,
dass ich mich wiege.

Los, Himmelsvögel, schreit
in die Nacht mir,
wenn ich auffliege.

Da will ich schweben,
zärtlichste Taube,
in silbrigem Schwunge.

Da will sich ergeben
pochendem Raube
Lippe und Zunge.

Kommt, süße Tropfen, salbet,
salbet die Haut mir,
dass ich erröte.

Los, Geisterpfeile, ritzet,
ritzet das Herz mir,
dass es mich töte.

Da will wie tot ich,
von Tränen genährt,
blumenstill leben.

Da soll mein Blick sich,
von Sehnsucht verklärt,
an Blicken beleben.

 

Das Kind

Du, hab mich lieb … Bleib hier bei mir, hier winkt mir deine Hand ins Licht … Hier sind die alten Mauern weiß, so weiß wie ihre Stirn, als Mutter starb … Mein Freund, erzähl mir bald von all dem Leben, das hinter diesen Mauern lebt, sing mir davon, mein Lieber … Legt auch dort ein Kind den müden Kopf an eine liebe Brust, schenkt ihm ein Herz die Wärme? Sing mir davon … Und halt mich fest, ganz nah bei dir, wenn die Mauern wieder dunkeln … wenn das Bangesein wie auf Stelzen herangetrippelt kommt … so krabbelt eine Mücke auf die Spitze eines Halms … Dann ist die Nacht schon da, das Zwitschern und das Summen hat sie in den Schlaf gesperrt … Die Nacht hat kein Gesicht, doch abertausend Sterne … Sag mir, ist dieser große, fremde Glanz aus einem Traum gemacht? … Mir ist so bang, ich fühl dein Herz nicht mehr …  Hörst du nicht rufen? … Hör, ein Vogel ist es nicht, es ist kein Tier … Rief es nicht nach mir? … Mutter ist es nicht … Ist es der Engel, der mich lieb hat, der mich in seine weißen Flügel hüllt? … Hebt er mich nicht empor, ganz sacht, ganz sacht? … Die Luft ist kühl … Die Sterne zittern … So kühl die Luft … Was zieht er mich, so stark, so fest? … Wo ist die Erde, sind die Freunde, sind die Spiele? … Da tief, weit, das weite Land, so weit das Land … und weiter noch der schwarze Glanz, das Meer … Die Luft so kühl, so kühl … Lass mich nicht fallen, Engel … Das Meer ist unter mir, die Wellen reden, reden: Wie klein das Menschenkind, ein Püppchen, ausgestopft mit nichts als totem Stroh … Höre, hörst du mich, lass mich nicht fallen, halte mich, mein Engel, so du mein Engel bist … noch ruft die Stimme, ruft nach mir … Dort, Engel, dort: Die Naht platzt auf, das große Licht strömt aus wie Blut, wie Blut … Das große Licht, es singt, es singt … Es übertönt die Stimme, die mich beim Namen rief … Gewaltig singt das Licht … Ich bin allein, allein … Ich falle, falle, falle …

 

Der hässliche Alte

Mit meinem schwarzen Zahne reiß ich
die glucksende auf, die Ader
der launigen Lust.

Licht vernicht.
Leib entleib.
Hass belass.

Mit dem blutigen Finger schreib ich
das geseufzteste hin in die Luft,
das wonnige Wort.

Spitz der Witz.
Wut das Blut.
Mord das Wort.

Giftigen Sud braue aus der Pisse ich
rosiger Ratten, dem Schweiß der drüsigen
Kröte, der schaumigen Molke des Mönchs,
dem stieß die erloschene Stirn ich gegen die Mauer,
die Mauer, die nie ein Gebet je durchdrang.

Abgefüllt in zart geschwungner Phiole,
gärt der Saft unter dem rötlichen Mond.
Mit hechelnder Zunge durchquer ich die Bettstatt
der Schönen, sprenge den Tran auf die Kissen,
in die heimlichen Buchten träufe ich ihn.

Tut, wenn der Morgenstern zittert,
wie Nachtviole sich duftend
ihr Geschlecht auf, schmiegt sich hinein
die zartgrüne Natter, zischt
in die Höhle sich langhin besonnenen Keimens
den Gegenkeim, den Brand meines Fluchs.

Mit meinem schwarzen Zahne reiß ich
die glucksende auf, die Ader
der launigen Lust.

Licht vernicht.
Leib entleib.
Hass belass.

Mit dem blutigen Finger schreib ich
das geseufzteste hin in die Luft,
das wonnige Wort.

Spitz der Witz.
Wut das Blut.
Mord das Wort.

 

Der männliche Dämon

Ich lebe nicht wirklich.
Unecht wie Falschgeld
werd ich gereicht
von Hand zu Hand.

Ein steriler Hauch
bin ich in den Atem
der Menschen gemischt:
Sie wärmen mich nicht.

Als ich hier ankam,
stand noch der Baum:
ein rauschendes Mal
lichtgläubigen Daseins.

Doch wuchsen schon rings
die Schalen der Lüge,
die mit Tränen und Schleim
vermörtelten Mauern.

Ich saß in der grüngoldenen
Krone des Baums.
Ein einsamer Vogel,
sang aus mir das Licht.

Das Beil unterbrach mich.
Mit dem ächzenden Fall
bin ich verstummt.
Fremdwärts flatterte ich.

Und zerstob in der Luft.
So bin ich in den Atem
der Menschen gemischt:
Sie wärmen mich nicht.

Ich lebe nicht wirklich.
Unecht wie Fabeln
beschatte ich das Denken
des ermüdeten Menschen.

 

Echo der Glocken

Verschmähter Klang. Übernächtigtes Gefühl.
Den warmen Stein riß dir die Ungeduld
vom zart beäugten Pfad des Urstromtals.
Zerschellt ewig denn die Schläfe dieses Traums?

Wie waren deine Wege offen in die Gärten,
die Halme, Sträucher, Moose überströmt von Gold,
und atmend deine Hand ergründete den Teich.
Als hätte Liebe deinen Schmerz gepflückt, entkeimt.

Dein Angesicht ist nun der Dämmerung ergeben.
Das dir von fernen Vätern eingeschreinte Bild,
es sollte Lippen lösen, heischte den Gesang.
Du bist von Rätseln müd, bist abgeschweift.

 

Abendlicht

Glocken geneigter Dolden,
von lauen Winden angestimmt,
so abendlich.

Stummer Menschen Schattenrisse,
vom Scherenschneider Einsamkeit gezahnt,
durchschreiten sich
unmerklich, ohne Schmerz.

Sie wissen voneinander nicht den Traum,
die Kühle eingesunkner Brunnen,
von keiner Lippe angerührte
Schimmer ersten Taus.

Der Himmel öffnet seine letzte Rose
über dem trocknen Lärm der Raupen,
dem scheuen Zirpen
am zarten Saum der Zeit.

Das Menschenich vertröpfelt
in diesem großen Atmen,
das Schwärme heißer Vögel
hebt und senkt.

Das Menschenaug ist Kiesel,
glatt und blass und
überschwemmt von Fluten
astraler Transparenz.

Schweigen entrollt den schwarzen Samt
zu Füßen leichter Seelen,
die wiederkehren
mit dem Rauschen, den Gebeten
weltentrückter Nacht.

Der Übergang des Menschen ist vollendet,
vom Schnee der ausgerauschten Flügel
ganz bedeckter Engel
entschlief auf blauer Schwelle.

 

Greisin am Fenster

So abgelallter Mund
schlürft Odem spät.

Das graue Büschel vor der Stirn –
vom eiligen Pfleger in Gedanken
an das wartende Geschlecht
schief hingeschert –,

so pflanzenhaft verwachsne Hand –
nach all dem Pflücken ungenossner Frucht,
dem Wringen ganz verschlissner Linnen,
dem falschen Händedrücken –
ist auf den Sims gelangt,
tastend nach dem letzten Strahl.

Am offnen Fenster – deinem Alterssitz –,
wenn stadtwärts Leben über Leben fährt
(verborgen hinter Reklametafeln
harrt dein Heiland und das Totenland),
lauschst du, ob wiederkehrt
die blonde Stimme eines längst begrabnen Kinds.

Du tränenblindes Bild
für herbstlich scheuen Schmerz.

Dies Angesicht –
für immer aufgelassner Wingert.

Das Flackern einer Frage
hält noch wach.

Wenn das Herz von Rätseln zugeschneit,
fällt der Kern der grauen Wildnis heim.

Der samtne Saum der Nacht erglimmt.

 

Gefälschte Bilanz

Das Gesicht eines Kindes ist weich,
die Augen drehn sich und spielen,
ein Mund wie Antwort des Winds.
Die Stirn, halb Frage, halb Lust.

Das Alter hat vom Schicksal
die Blattern und schnieft.
Es humpelt, hüstelt
von schwarzem Verdruss.

Wo Freude, wo trauliches Denken
an liebenswerte Gestalt?

Leben, das abseits steht, ist kein Leben,
ist nicht lebenswert.

Die süße Täuschung der Dauer,
die mit kindischem Tand
den Gram der Seele pariert,
ist ein geschminktes Grab.

Können Bilder vertrösten?
Nein. Nur der jetzige Atem,
der die Nacht verdichtet,
das Glück fesselt wie Pech,
nur getauschte Küsse zählen
im Hauptbuch des Lebens.

 

Eden

Mir ist kalt, Schwester!
Wo ist, Mutter, das Licht?
Deine Hand, Bruder, die Hand!

Die Stufen sind Erz.
Das Wasser dort unten
glitzert aus Eden.

Musik erfüllt die durstige Seele.
Bist du mir, entwurzeltes Leben,
als Engel fühlbar erschienen?

Fand ich die einzige Träne
zum Beweis,
dass Liebe Wirklichkeit ward?

Ich küsse dich, Schwester.
Ich bin Licht, Mutter, dir.
Blüten streue, Bruder, ich dir.

 

Frankfurt–Berlin–Warschau

Das junge Grün, das ich schäumen sah,
wo nur, auf welcher Fahrt,
zwischen Stationen mit unbekannten Namen.

Weidengesträuch oder Linde,
ein Fetzen Heimat,
mit 250 km/h vorbeigerast.

Nicht eine Gestalt blieb wahr,
als ein Mal, ein Stein, ein Kreidefels,
mit der Schrift aus Ocker und Grau.

In den fruchtbaren Senken,
einem Dorf der Rhön, an der Werra, der Saale,
hockt vor der Tür
der Krüppel auf zerbrochener Schwelle
und zählt lispelnd
vor den hüpfenden Kindern
Abzählverse auf.

Das Gekicher der Mädchen,
die Vorabendfernsehserien,
den Schwulenwitz, die Passion des Herrn,
all das versteht er nicht,
spurlos zieht durch sein Auge
die Wolke und der Schatten der Wolke.

Wo mag einsam er liegen
zwischen Moor und Gehöft,
wenn des Nachts reihweis
aufgehängt an Bändern
den Hühner die Köpfe abgeschlagen werden?

In diesem jetzt gesanglosen Land
bin ich im Gesetzlosen bei euch
unter Tieren, die sich im Dunkeln
saugend und seufzend
von mir ernähren.

Oder hexengeil reiten, weiße Schatten,
unter dem Grabmal des Monds,
auf den Knochen und Stoppeln
des mir abgestorbnen Gefühls.

Fernher über die funkelnde Ebne der Lausitz
beschämt mich krähenböses Gelächter.

Wann wirst, Sohn des Menschen, du
die runden Augen wieder
im Licht der östlichen Birken waschen?

Unersättlich, schlaflos, knirschend
ist immer dürstendes Sein.
Des Wachseins Wunde
schließt sich nicht.
Unter zuckendem Lid ist es
des Hasenschartigen Traum,
wenn es stottert:
„Und … au-au-aus … bi-bist … du!“

Weidengesträuch oder Linde …
ein Fetzen …

 

Der Geschlagene spricht,
worauf sein Bruder, den es nicht gibt,
einen Psalm auf Dinge singt,
die es auch nicht gibt

Mit dem hübsch verflochtenen Teppichklopfer aus Bast,
ich weiß nicht, an welchem Marzipangeländer ich mich hielt,
mit meiner kleinen, weißen Kinderhand,
schlug meine Mutter mich haltlos
auf den Rücken, den Po,
vor mir sah ich den Weltenbrand,
von dem mir Genosse Heraklit
im nachhinein die dialektische Auskunft gab.

Rhythmisch schlug sie mich –
ich glaube, sie sang.
Ja, so beglückte uns
unschuldige Liebe.
So heftig, so stark,
bis plötzlich der Griff abbrach.

Mutter, ich danke dir, du hast mir die Tiefe der Welt,
des Körpers Nacht offenbart.

Mein Vater buchstabierte mir das Glied,
ein Schattenspieler, launischgewandt,
nie erhob er die Hand,
seine schiefe Zigeunerstimme flößte
wässrige Weisheit mir ein.

Vor dem Crucifixus hab ich die Fassung so ziemlich verloren.
Seitdem entdeckten sich mir
im Inkarnat kyprischen Bilds
die rosigen Stigmen,
der Aussatz der Hoffnung.

Mit ihrem spitzen Lehrerinnenkinn,
den Augen der Eule,
den fahrigschönen Gebärden,
Glocke endloser Echos
aus dem Migne,
Series Graeca, Series Latina,
schlug sie mich,
auf des zarten Knaben Wange schlug sie,
unvergessliche Botschaft,
dass er unrein sei
in der Pisse seiner Angst.

Das braune Weib mit dem Helm
blonder Unwirklichkeit
stieß das Horn mir in die Seele,
das wuchs unter Kretas Monden
und erklang den Ziegenfürsten des Walds.

Das weiße Weib mit der Zwiefalt
schluchzenden Vulva
schnipselte mich aus der Sexmaschine
in pittoreske Tattoos
zwischen warmen Schenkelflaum.

„Wende dich ab von der Tür“,
psalmodiert die Stimme des Bruders,
„von der Tür, die es nicht gibt,
Lieber, wende den Sinn,
nimm die Treppe mit den Stufen
der Schmerzkristalle,
die es nicht gibt,
tauch ab ins mosaische Licht,
unter dem das Gesehne beglückt,
wo im schwarzen Wasser
des menschenleeren Parks,
den es nicht gibt,
die liebe Ewigkeit lang
nicht existente Säulen schweben und
nur rein bildlich zu nehmende Reiher trinken,
und du, ein sanfter Rentner des Seins,
wurzellos wohnst, ganz zentral,
gleich beim Pampelmusenbaum,
der du nichts Höheres weißt,
wie auf der Parkbank sitzen
und die in Tauben verwandelten Possen
abgelebter, substanzloser Zeit
aus ganz und gar ruhigen,
weil unwirklichen Händen
füttern.“

 

Glückliche Nachricht

Du kamst aus den Träumen zurück.
Ich konnte nicht bleiben. „Jetzt,
ohne Kind, ohne Gesicht, soll ich
die letzte Schwelle betreten, das Schweigen?“

Ein Namenloser brachte die Rosen,
die vertrockneten Fledermäusen gleich
am Fensterkreuz hingen.
Und das Geschriebne verblich.

„Hast du Nachricht vom heiligen Land?
Gibt es die Zeder noch und die Lilien?
Und hoch überm Weltgewühl
der Stern, er ist nicht verlöscht?“

„Was einst dunkler Erde entsproß,
Antwort dem Tau, es hat am Zion
noch Lippen, die es sagen, es küssen,
Hände, die den Ölzweig ihm halten.“

 

Köln–Frankfurt

Dünne Sprossen klingen unterm Staub.

Dumm und weiß wie Taubenkot auf den Fialen
stiert ein frischer Petrus aus der Dombauhütte.
Die Tauben werden unter den gotischen Hauben ausgebrütet.
Nach kurzem Trippeln, Flattern, Hacken auf dem Beton,
der den Dom umwürgt,
von Kölscher Fatumseligkeit „Domplatte“ getauft,
siehst du sie kränklich,
das rote Fleisch glänzt aus den Federn,
mit verstümmelten Zehen
ihre alten, dumpfen Riten des Gurrens und Buckelns vollführen.

Auf dieser Intercitystrecke,
Business, Studenten, Massentourismus,
zwischen Siebengebirge und Binger Loch,
dem von den Dichtern und Reiseagenturen meist gepriesenen Deutschland,
mag ich schon nicht mehr aus dem Fenster blicken,
aus Überdruss an den immer gleichen Gedanken,
den immer neu gekränkten Gefühlen.

Wiewohl die Wiese dampft und Regen schliert,
gehen auf dem Campingplatz jenseits der Loreley,
wo unten wirklich „Loreley“ draufsteht,
die ersten Lichter an.

Was hier rumsteht an Natur,
den blechernen Bacchanalen,
den abgekauften Blicken
gab es nach und verstummte.

Grauer Schiefer,
grauer Mond über dem aufgelassenen Wingert,
die giftigen Bojen des Rheins,
der Schlick und Schlamm am Grunde,
am Grunde des Rheins,
und noch darunter, unter Schlamm und Schlick,
Tian.

Ungerührt, mit der Aussicht
auf unbeweinte Gefährten,
blitzen die heimlichen Namen mir auf,
Rhens, Filsen, Bornhofen,
all die Treue, Händedruck und Gebet,
es zittern die Wassermonumente,
die Ölfahnen der Containerschiffe.

Im Gegensinn des Mondgesteins
scheint das schüchterne Flackern des Lebens,
hier in den jetzt bräutlichen Tälern,
wie eine im Morast der Legende
stecken gebliebene Pilgergruppe,
das Ziel ward ausgeblasen,
das Marienbild verblich, Gebete,
verwehte Blüten.
Dort, wo zwischen die schroffen Fluchten
Reflexe der Seine, der schönen Garonne,
die Muschel süßer Namen,
ein bronzener Arm und
ein Purpurflügel
deutsche Dämmerung durchbrach,
wird Kalk gestreut,
spiegle ich mich mit Unbekannten
in den rasenden Fenstern,
sitzen im Bistro vor ihrem Bier
stumme Engel,
Beamte vom Grenzschutz mir gegenüber.

 

Heimweg

Die Oberen siehst du,
nicht dich.

Wenn der Schwall schäumt,
Jauchzen sich den Schatten entringt.

Ermessen musst du
an göttlicher Elle,
aphrodisisch geblendet,
den Abschied.
Des Abschieds hohl dröhnende Schlucht.

Lächelns letzte Blüte
hat vor der Zeit
abgepflückt dir
ein komödiantischer Wind.

Die Höheren sind entrückt.
Rausch ozeanischen Summens.
Echo des Bluts unter Schläfen.
Schnee des funkelnden Glücks.

Dein Zeitmaß,
Hüsteln und Schnaufen.

So schaufelt Sehnsucht ein Grab.

Ein Gesicht,
wert es mit Küssen zu halten,
sinkt.

Ein Name,
hoch über Herzen gebetet,
gellt, ein Fluch
unter Flüchen.

Der ärmliche Schuldiener kommt,
du erkennst sein Schniefen,
er sammelt die Hefte jetzt ein.
Du weißt: Du hast dein Thema verfehlt.

Die Todlosen sitzen an üppigen Tischen.
Flamme ist gelb.
Flamme ist rot.
Flamme, die singt.

Dein Heimweg schämt sich
an hohen Fenstern vorbei.
Die Musik, der Sieg
über Gram und Gebein.

Dein Heimweg führt nicht nach Hause.
Im Ranzen dein Pausenbrot,
das die Mutter dir mitgab.

Mutter lebt lang,
lange nicht mehr.

 

Ich taste nach etwas

Ich gehe durch einsame Höfe.
Mein Leben hat sich zerteilt
in so viele Leben, die mir
nichts mehr bedeuten, die seltsam
widerhallen mit meinem Schritt.

Ausgesetzt auf die einsame Erde
gehe ich durch einsame Höfe.

Wo bist du, Gesicht einer Blume,
das sich mir ins Wirkliche reckt?
Wo seid ihr einst wimmelnde Bienen,
wo des Täuberichs trunknes Gegurr?

Sagen wollt ich: Durchwandere du
meinen Traum.
Nichts ist, nichts ist zu fassen.

Die Bilder, die Winke, der Traum.
Nichts. Nur die Mulde, stille und blau.

Ich rufe nach Gästen, nach Geistern.
Ich reiche mein Herz, mein aufgespartes
Gefühl. Ich taste nach etwas.

Sag mir, sage mir, sprich.
Einen Mund muss es doch geben.
Für jedes gibt`s ja sein andres.
Für die Hand ihren Groschen.
Für die Zunge die Frucht,
die süß ins Zukünftige träufelt.

Ich taste nach etwas.

 

Herbst

Die Wäsche baumelt sehr allein
im Hinterhof. Die Zeit ist gar.
Du fragst den blankgewetzten Stein,
wo blumenweich das Leben war.

Es soll sich wie in Falten
das auf- und abgesagte Leben
in zarten, herben Zeilen halten.
Mag auch der müde Leib erbeben.

Es mag sodann mit wildem Nicken
wie reife, dunkle Trauben
ein Schnabel all die Worte picken
und all die guten Träume rauben.

Der Herbst wird mild,
wenn Liebesschatten handeln
in zartem Einverwandeln.
Wenn fernes Wähnen ist gestillt.

Und fragst du nach dem Trost,
wenn blütenleer die Zeilen stehen,
es ist die Hinterwelt erlost,
wohin die ernsten Seelen gehen.

Bald kommt wie stummer Engel
Schnee, das Glück der letzten Zeile,
wo unter heller Nacht der Flügel
dein Angesicht verweile.

 

Miau

Gestiefelt kommt Herzbube
in die Denkerstube.
Mit verheulten Dramen
bestiefelt er die Damen.

Groß ist die Flausenmuse
der großen Philosoffen.
Sie wird nur übertroffen
von Klein-Beate-Use.

Dichterlein, mach die Show
der verdrehten Augen.
Offenbarung alle saugen,
kläff du dein Wauwau.

Die Nacht miaut und blaut.
Die Seele ist versaut.
Tu dir von den Häuten krätzen
Die verstunknen Dichterfetzen.

 

Dichters Saustall

Sie bleiben mammonlechzend Hormonübermannte,
Propheten mit dem Bocksgeruch,
Dichter mit den Maulwurfsaugen
fürs verweste Abendland –
und die große Intuition
für den verwaisten Schoß.

Sie können nur zitternd schreiben,
so groß ist der Drang,
die Ader schwillt an,
sie keuchen in der Umarmung
über der Mutter der Symbole,
Mord zeugend und
mordend das ganze Zeug.

Sie halten die große Hure im Fett
mit Schnalzen, Rülpsen und Bellen,
Metaphern lassen sie schwellen
ins Gedärm des Tiers.

Sie füttern die babylonische Schlange
mit Schluchzen, Klingeln und Prusten,
mit Schwirren, Klirren und Husten,
sie verfüttern das Kind.

Kinder sind den mannweiblichen
Gottespfuschern die Werkchen,
mit tausend Jungfernhäutchen
zierlich inkrustiert.

Und sie seufzen und blöken so stumm,
die Windellosen nässen sehr,
aus den undichten Stellen
rinnt warmer Urin ins Gefühl.

Dichter, verzwergte
unter des Lebens
rotem Marschallstab,
von seiner Hexenküche
benebelte Dichter.

Dichter, Hexer, Scharlatane,
Drogenfresser, Drogenmacher,
zahnlose Urwortfaschisten,
bissige Wehmutjuden,
beamtete Lebensverklärer,
behütete Nihilisten.

Missionar oder Spitzbub,
wer mag es ergründen?

Schwitzt er für das kniende Bewusstsein
die schwule, die völkische,
die kosmische Seele aus?

Poeten in der Prosaangst
vor dem sicheren, schnellen,
tödlichen Pfeil, dem Satz,
der trifft und ade,
epitaphenscharf.

 

Mein weiches Schülergrab

Wie warst du strahlend aus der bunten Bluse.
Der goldnen Härchen Wahngeflimmer
für aparten Kuss.

Ich liebte dich, ich war dir zugetan,
dein heller Atem leerte mir`s Gemüte.
Den schnöden Optativ, die Ars Latina
warf ich hin, die dummen Eselsbrücklein
für deines Fußes braune Zier.
Der Ablativus Absolutus löste sich
unterm absoluten Regen deines Haars.

Für dich! Für dich! war Sommerkuckucksruf.
An deinen Wimpern zählte ich die Zeit.
Die Zeit, die nicht mehr zählte.

Weißt du all dies, wie ich um deines Lächelns Blüte
schwirrte, wie ich ertrank?

Was hielt mich noch, als mich dein Herzschlag schlug?
Mich hielt nichts auf, in deinen Vogelgruß zu wandern.

Wie war mir wohl zu Haus, als deine Blicke sanftes
Dunkel ums lose Angesicht gestreut.

Wie schneit mir heut
die lose, leise Liebe weich ins Grab.

 

Die Sehnsucht der Ratte

Die rosig schimmernde,
plattgewaltzte Ratte,
ihre Eingeweide triefen
über den Asphalt,
sie war ich, ich war sie,
tat twam asi,
sie war tot und träumte,
sie träumte ihren Tod,
ich lebte meinen Traum,
ich lebte meinen Tod,
im Tode pfiff sie noch,
pfiff ihr altes Rattenlied,
von der Schwalbe träumend,
deren rasender Schatten
ihr den letzten Wegsaum schnitt,
ich war der scharfe Schnitt,
das Sehnsuchtslied der Ratte
bannte in den Traum ich ein.

So bescheidet sich mein Dasein,
der Ratte Todesröcheln auszudeuten,
sitzend als Orakel in der Kneipe,
vor mich hin pfeifend,
die Eingeweide, die mir munter
seit- und abwärts sacken,
schüchtern immer wieder
unters Hemd mir schiebend,
das Auge irrend zeilenstur
auf der Suche nach dem Schatten,
der den Todessaum der Einsamkeit
im Sehnsuchtsfiepen
einer Ratte abgeschnitten hat.

 

Wenig, viel

Wenig Menschen.

Weniges, was dem Spätlicht blieb.

Eine Wiese,
von Herbstzeitlosen erwärmt.

An den Rändern
erblassende Birken.

Wo seid ihr,
Leben spendende Augen,
dunkle Gewissheiten ihr?

Busch und Strauch
hat Nacht gesaugt.

Verweht ist Vogelruf.
Scharren mündet in Schlaf.

Ist kein Flügel
im flüsternden Laub,
dort im Wipfel der Angst
keines mehr wach?

Reglos.
Als hingen Glocken
erinnerungslos im Baum.

Im Moos,
dem Traume sehr nah,
erglimmt der leere Kopf eines Vogels.

Hier ist die Mulde,
wo ärmliches Wasser entrückt.

 

Wie bist du fern auf deiner Reise!

Wie bist du fern auf deiner Reise!
Ich lief den Sonnenpfad entlang,
auf dem dein Herz mit Veilchen sang.
Mein Wehmut-Pochen wurde leise.

Wie bist du fern auf deiner Reise!
Mich dunkelte dein Augenpaar.
Ich barg den Gram in deinem Haar.
Und träumend zog der Mund die Schneise.

Wie bist du fern auf deiner Reise!
Ein Nachbild wie von lieber Hand
sich Sehnsucht im Geblatt erfand.
Wie bist du fern auf deiner Reise!

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