Wittgensteins Sinnbilder XXI – der unermeßliche Gram
Pain is a sensation. Pleasure is not. Then he went on to discuss the use of the word sensation – senses, etc., in psychology – as psychological concepts. Why are the senses – sight, hearing, smelling, taste, touch – classified together? Obviously, they are not a bit alike. Smells, odors, aren’t a bit alike sounds. Then he gave the account. With respect to all these, you can time them precisely with a clock. “Now you see; now you don’t. Now you hear it; now you don’t.” And so with smelling, tasting, feeling (pressure, for instance). By the clock you can tell. This is not at all as it is with grief. It makes no sense to say that at 2 o’clock sharp I began to grieve, and at 2:15 I stopped. This then shows how sensations are distinguished from emotions.
Schmerz ist eine Empfindung. Freude nicht. Dann ging er dazu über, den Gebrauch des Wortes „Empfindung“ – Sinnesempfindungen usw. in der Psychologie – als psychologische Begriffe zu erörtern. Weshalb werden die Sinne – Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Getast – als eine Gruppe zusammengehöriger Begriffe erfaßt? Sie ähneln sich offenkundig überhaupt nicht. Gerüche, Düfte sind kein bißchen Klängen ähnlich. Dann gab er die Erklärung. Hinsichtlich all dieser Dinge können wir eine genaue Zeitmessung anstellen. „Jetzt siehst du; jetzt nicht. Jetzt hörst du es; jetzt nicht.“ Ebenso mit dem Riechen, Schmecken, tastend Fühlen (einen Druck beispielsweise). Du kannst es mit der Stoppuhr abmessen. Ganz anders verhält es sich mit dem Gram. Es ist sinnwidrig zu sagen, genau um 14 Uhr begann ich, mich zu grämen, und um 14.15 hörte der Gram auf. So kann man zeigen, wie sich Empfindungen von Gefühlen unterscheiden.
Quelle: O. K. Bouwsma, Wittgenstein, Conversations 1949–1951, Indianapolis, Indiana 1986, S. 63
Wittgenstein wird zunächst vor der zitierten Stelle von seinem Gesprächspartner Bouwsma nach der Bedeutung des lustvollen oder angenehmem Empfindens, des Vergnügens und der Freude (pleasure) gefragt (damit nimmt Bouwsma den Faden ihrer Gespräche über Hedonismus und Freud wieder auf); Wittgenstein knöpft sich daraufhin ihr Gegenteil vor, die Schmerzempfindung.
Um herauszufinden, was es mit den Empfindungen auf sich hat, schaut der Philosoph genauer hin auf das, was wir unter „Empfindung“ verstehen, und erörtert, wie wir über die sensuellen Empfindungen Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten reden.
Wittgenstein fällt dabei eine Besonderheit unseres sprachlichen Umgangs mit den Sinnesempfindungen auf: Wir ordnen sie in eine Reihe oder stellen sie in eine Gruppe zusammen, wie wir es bei Gegenständen tun, die eine wesentliche Eigenschaft gemeinsam haben und die wir deshalb als eine einheitliche und homogene Gruppe auffassen und klassifizieren, wie wir es mit Rosen, Tulpen, Astern, Veilchen und Maiglöckchen tun, wenn wir sie in die Klasse der blühenden Blumen einordnen, oder mit Walen, Pferden, Füchsen, Schafen und Hamstern, wenn wir sie der Klasse der Säugetiere zuordnen.
Doch was ist das gemeinsame Merkmal oder die übereinstimmende Eigenschaft der Sinnesempfindungen Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Tasten, die uns berechtigen würde, sie in einer Klasse von homogenen Phänomenen zusammenzufassen? Augenscheinlich, konstatiert der Philosoph, finden wir keine wesentliche Übereinstimmung und kein gemeinsames Merkmal der Sinnesempfindungen; denn was hätten das Bild und der Klang, der Duft und der Geschmack, was das Sehen und das Hören gemeinsam, das Schmecken und das Riechen, das Riechen und das Tasten?
Durch den Umstand, daß wir den Sänger zugleich sehen und hören, was er singt, die Suppe zugleich schmecken und ihren Duft genießen, oder daß wir die Hand, die uns streichelt oder schlägt, zugleich sehen, werden wir dazu verleitet, die Sinnesempfindungen als Gruppe von Phänomenen in der Weise zusammenzustellen und zu klassifizieren, wie wir es mit Deutsch, Italienisch, Französisch und Suaheli machen, wenn wir sie in die Klasse der natürlichen Sprachen einordnen.
Freilich können wir einen deutschen Satz auf Italienisch oder Französisch sinnerhaltend wiedergeben; aber wir können nicht hören, was wir sehen, nicht riechen, was wir fühlend ertasten.
Wir können beispielsweise ein gesehenes Gemälde nicht auf die Weise sinnerhaltend durch Klänge oder ein Lied wiedergeben oder „übersetzen“, daß einer, der das Bild nicht kennt, es anhand des Gehörten zeichnen oder malen könnte.
Wenn wir die Sinnesempfindungen in der Weise klassifizieren, als hätten sie ein ihnen innewohnendes Merkmal gemeinsam, begehen wir denselben methodisch-begrifflichen Fehler wie in dem Fall, wenn wir unterschiedliche Formen des Spiels wie Fußball, Handball, Schach, Tennis und Schauspiel einer homogenen Gruppe von Phänomenen zuordnen, weil wir sie eben alle Spiele nennen.
Wir können den Sinnen ihnen jeweilig eigentümliche Sinneseindrücke zuordnen, dem Gesichtssinn das Gesicht oder den visuellen Eindruck, dem Gehörsinn den Klang, dem Geschmackssinn den Geschmack, dem Riechsinn den Geruch und dem Tastsinn das Ertastete.
Die jeweiligen Sinneseindrücke umfassen eine geordnete Mannigfaltigkeit von Qualitäten, beispielsweise der Gesichtsraum Farben und Formen, Fläche und räumliche Tiefe, das Kontinuum von Hell und Dunkel; das Gehör die akustischen Qualtäten wie hoch und tief, laut und leise, spitz und weich, langsam und schnell; der Geschmackssinn die Qualitäten süß, sauer, bitter, und salzig; der Geruchssinn die olfaktorischen Qualitäten von angenehm und ekelerregend, beißend und sanft, scharf und lau; der Tastsinn den Tastraum zwischen warm und kalt, weich und hart, trocken und flüssig, schwer und leicht.
Wittgenstein ging von der Frage aus, was uns dazu berechtigt, die Sinnesempfindungen trotz ihrer augenscheinlich unterschiedlichen Qualitäten begrifflich einer homogenen Gruppe zuzuordnen. Er geht dazu nicht auf funktionelle Erklärungen oder Hypothesen zurück, wie die Annahme, mittels der Sinne könnten wir uns im leibhaft erschlossenen Lebensraum orientieren, wenn wir beispielsweise etwas in der Nähe sehen, was bläulich aussieht, angenehm duftet, sich weich anfühlt und ein Veilchen ist.
Den phänomenologischen Zugang zur Sinneserfahrung weist Wittgenstein aus verschiedenen Gründen zurück. Einer der wichtigsten Gründe besteht in der begrifflich konfusen Konstruktion eines Pseudo-Objekts der Erfahrung, dem die Phänomenologen und Psychologen die Einheit der Sinnesempfindungen zuweisen, und in falscher Konsequenz der Einheit des Objekts der Sinneswahrnehmung die Einheit eines wahrnehmenden Subjekts koordinieren, so als würde ihm die Einheit des Objekts als Sinnesdatum oder mentales Phänomen, als Vorstellung oder Repräsentation auf seltsame, mysteriöse, nur ihm selbst zugängliche Weise „vorschweben“.
Mit dem Begriff des aus Sinneseindrücken konstruierten Objekts weist Wittgenstein auch seinen Zwillingsbruder, das vorstellende, denkende Subjekt oder Cogito zurück.
Ein anderer Grund dieser Verabschiedung der traditionellen Begriffe von Objekt und Subjekt, Gegenstand und Denken besteht darin, daß Wittgenstein die Idee des Objekts als eines Atoms oder elementaren Bestandteils der Erfahrung zurückweist; wenn wir in konfuser Anwendung der Namenstheorie auf solche Pseudo-Objekte glauben (wie er einst selbst im Traktat), damit erreichten oder berührten wir die Grenze dessen, was eigentlich und wirklich existiert, reden wir von nichts als Begriffschimären.
Die ganze Erörterung Wittgensteins hat nun den Sinn, den Zusammenhang zwischen den gewöhnlichen Sinnesempfindungen und der Schmerzempfindung zu erhellen.
Wir sehen vor uns etwas, hören hinter uns etwas oder etwas stößt uns in die Seite; dergleichen orientierende Erschließung unseres leiblich gegebenen Sinnenraumes vermittelt uns die Schmerzempfindung freilich nicht. Der Schmerz gibt uns keine Auskunft über die Beschaffenheit der Welt wie das Sehen von unserer räumlichen, das Hören von unserer akustischen, der Tastsinn von unserer dynamischen Umwelt.
Um die Verwandtschaft von Schmerz und Sinneseindrücken als Empfindungen zu erhellen, beleuchtet Wittgenstein ein Charakteristikum unserer Art, über Empfindungen zu sprechen, das begrifflich der Familienähnlichkeit entspricht, die er statt eines identischen Merkmals unter der Mannigfaltigkeit der Sprachspiele ausmacht.
In diesem Falle ist das Kriterium der Ähnlichkeit oder Verwandtschaft der Zeitbezug: Wir können beim Vorgang des Sehens und Hörens (und der anderen Sinnesarten) ein Vorher und Nachher und demnach eine Dauer ausmachen, ja die Dauer mit der Uhr vermessen. Wir können angeben, seit wann und bis wann oder wie lange wir etwas wahrnehmen; und diesen Zeitbezug können wir auch bei der Schmerzempfindung gewinnen und empirisch nutzen.
Wir sagen: „Der Schmerz im Fuß setzte unmittelbar ein, nachdem ich umgeknickt bin.“ Oder: „Nachdem ich das Mittel eingenommen hatte, ließ der Schmerz im Rücken sogleich nach.“ Oder: „Die Zahnschmerzen hielten über Stunden an.“
Es ist bemerkenswert, daß wir ähnlich den sonstigen Sinneseindrücken auch dem Schmerzempfinden gewisse Qualitäten zusprechen, der Schmerz ist stechend oder ziehend, scharf oder dumpf, wild oder mild.
Wir können die Schmerzempfindung auch lokalisieren, im Kopf, an der Hand, im Fuß; darin gleicht sie der Geschmacksempfindung, die wir im Mund, auf der Zunge und am Gaumen, verspüren, und dem Tastempfinden, das wir auf einer bestimmten Oberfläche der Haut registrieren. Dagegen finden wir hier keine Analogie zum Gesichtssinn, denn das Gesehene ist nicht im Kopf, ebensowenig zum Gehörsinn, denn der Klang ist nicht im Ohr (sondern kommt beispielsweise aus der Ferne).
Die Erörterung der Sinnesempfindungen einschließlich der Schmerzempfindung mittels der Analyse der Begriffe, die wir zu ihrer Beschreibung verwenden, dient Wittgenstein als Präliminarien oder als begriffliche Folie, um ihren Unterschied zu den Affekten, Gemütsbewegungen oder Emotionen herauszuarbeiten.
Wittgenstein nennt hier exemplarisch den Gram, den Kummer oder die tiefe Betrübnis (grief) und erläutert, inwiefern uns die Familienähnlichkeit der Sinnesempfindungen (der Zeitbezug) in diesem Falle im Stich läßt. Denn wir können nicht sagen, unser Gram habe Schlag 14 Uhr eingesetzt und uns genau um 14.15 verlassen, wie wir es freilich über ein Musikstück sagen können, das wir in diesem Zeitraum gehört, oder ein Bild, das wir im Museum während dieser Zeitspanne angeschaut haben.
Gewiß, unser Kummer, unsere Betrübnis aufgrund des Verlusts eines geliebten Menschen mag mit der traurigen Nachricht von seiner Abwendung von uns oder seinem Ableben einsetzen und lange währen, um schließlich schwächer zu werden und zu verebben. Doch können wir die zeitliche Dauer unserer affektiven Betroffenheit nicht wie die Dauer eines Sinneseindrucks mit der Stoppuhr messen.
Wir sprechen mit Recht davon, unser Gram sei unermeßlich, wenn wir zum Ausdruck bringen wollen, daß er alles bisher an Traurigem und Betrüblichem Erlebte und Erlittene weit übersteigt. Aber wir können nicht davon reden, ein Sinneseindruck wie eine Farbe oder ein Klang, ein Geschmack oder ein Geruch überstiegen alles bisher Wahrgenommene und sei solcherart und in diesem Sinne unermeßlich. Und wenn uns ein Schmerz auf bisher nicht erfahrene Weise quält, sagen wir, er scheine uns unerträglich.
Das Gesicht liefert uns visuelle Eindrücke, das Gehör Geräusche und Klänge, der Geschmack Geschmacksnuancen, der Geruch Gerüche und Düfte, der Tastsinn Tasteindrücke – doch der Kummer, die Trauer, die Eifersucht, der Neid, die Freude, die Zuneigung, die Liebe?
Wir könnten sagen, der Kummer, die Trauer, der Neid, die Eifersucht färben alles, was wir erleben, in ein ödes, trostloses Grau in Grau oder sie verhängen unser Leben mit einem Schleier, der das Licht nur getrübt durchsickern läßt; die Freude, die Zuneigung, die Liebe verklären alles, was wir erleben, in einem milden und wärmenden Licht.
Wir können sehen, was einer fühlt, denn es ist nicht in einem unzugänglichen Inneren verborgen: Der Bekümmerte und Traurige geht zögernd, vornübergebeugt, sein Blick bleibt, verschleiert und gesenkt, nicht an dem unseren haften; der Frohe und der von Liebe Erfüllte, sie schreiten aufrechten Ganges, erhobenen Blickes weit aus, und zögern nicht, uns mit ihren hellen Blicken in die Augen zu schauen.
Der Geschmack entfaltet sich im Mund, der Geruch zieht durch die Nase, das Ertastete rinnt oder gleitet über die Haut; doch wo sitzt der Gram, die Betrübnis, die Eifersucht, die Freude, die Zuneigung, die Liebe? Wir sprechen von keiner physischen Lokalisierung, wenn wir sagen: im Herzen.
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