„Wir haben zusammen gelacht!“
Mythen und Wahrheiten über die Kollektivseele und die soziale Institution
Du erzählst von deiner guten Freundin und wie ihr zwei die Köpfe zusammengesteckt und lauthals über jeden noch so geringfügigen Anlass euch gekugelt und zusammen gelacht habt. Wenn ihr zusammen gelacht habt, dann hast du gelacht und deine Freundin hat gleichzeitig gelacht, aber es war nicht so, dass dein Lachen und ihr Lachen in die neue Entität eines Kollektivlachens verschmolzen wären.
Mit deinen Freundinnen hast du auch „Händeklatschen“ gespielt, wobei Hand auf Hand gelegt und die zuunterst liegende Hand jeweils weggezogen und auf den Haufen Hände wieder oben draufgelegt wird. Dabei passiert es leicht, dass du im Gewühl der verschiedenen Hände deine Hand gar nicht mehr wiedererkennst, obwohl du sie dann gleich, wenn sie von jemand anderem berührt wird, spürst und solcherart wiedererkennst. Auch wenn du deine Hand im Moment nicht wiedererkennst und als deine Hand im Gewühl nicht ausmachen kannst, entsteht deshalb aus dem Haufen Hände nicht eine neue Entität, gleichsam ein Handkollektiv.
Du hast mit deiner Freundin damals im Chor gesungen. Deine Freundin stand immer neben dir, beide habt ihr ja auch Sopranstimmen. Weißt du noch, wie in manchen Chorälen von Bach es darauf ankam, die männlichen Gegenstimmen im Bass gleichsam auszuhalten und eure hellen Sopranklänge dagegenzusetzen? Dann verschmolzen die Stimmen wieder und schienen in der feierlichen Schlusskadenz wie in einem einzigen Jubelklang ineinanderzufließen. Aber deine Stimme und die Stimme deiner Freundin flossen nicht wirklich zusammen, sondern ihr habt genau aufgepasst und keinen Einsatz verpasst, sodass euer Singen gleichsam synchronisiert und harmonisiert war. Für manchen Hörer muss, was ihr sangt, geklungen haben wie aus einer Kehle, in Wahrheit blieben deine Stimme und die deiner Freundin zwei Stimmen. Dies gilt a fortiori für das Zusammensingen des ganzen Chors: Wenn es gelingt und die Sänger übersetzen gleichsam mit Hilfe des Dirigenten und Chorleiters die Partitur in Gesang, kann es den Hörern bei manchen Stellen so vorkommen, als würden nicht viele Kehlen viele Klänge hervorbringen, sondern der Gesang erschölle aus einem einzigen Mund.
Wir geraten auf abschüssige Wege, wenn wir Vorgänge der genannten Art mittels abwegiger und unangemessener Bilder deuten. Wir meinen, es müsse mit den Stimmen so sein wie mit den Gläsern Wasser, die wir in einen Eimer schütten, und dort sind sie unauflöslich vermischt. Aber du musst an vielen Stellen eurer Aufführung des Bach-Chorals fein die Ohren spitzen und darauf achten, was deine Freundin neben dir singt oder was die Herren unten gleichzeitig von sich geben, ebenso musst du deine Augen zwischen den Noten der Partitur, die dich leiten, immer wieder zum Chorleiter und Dirigenten erheben, dessen Gesten dir auf dem Weg des Gesanges Orientierung geben. Du bist und bleibst auch nach den Maßgaben der Synchronisierung und Harmonisierung deiner Stimme mit den Stimmen des Chors jemand, der gemeinsam oder zusammen mit anderen singt. Du bist nicht jemand, der in den Geist einer Gruppe, in die Kollektivseele des Chors, aufgeht und damit verschmilzt – ganz einfach, weil es keinen Gruppengeist und keine Kollektivseele gibt und der ontologische Status, jemand zu sein, nicht aufgehoben werden kann. Dennoch neigen wir dazu, die Partitur eines Musikstückes wie die Flasche mit dem eingeschlossenen Geist zu betrachten, den die gute Aufführung der Komposition auch wirklich aus der Flasche hervorzuzaubern vermöchte und dessen magischer Kraft wir unseren Willen als Chormitglieder nur unterwerfen müssen, um seinen Zauber zum Ertönen zu bringen.
Uns narren Bilder, wie das Bild des Zusammenströmens von Flüssen oder der Mündung eines Flusses ins Meer, wenn wir uns vergeblich bemühen, das Zusammenwirken menschlicher Handlungen und Bestrebungen zu erklären, das für unser Dasein von so zentraler Bedeutung ist. Wir meinen, wenn wir den Choral von Bach hören und uns die Gegenwart des Chores wegdenken, so etwas wie den Ausdruck eines mythischen Wesens oder den Geist des Chores selbst singen zu hören. Sprechen wir nicht vom Geist einer Gruppe oder der Seele eines Kollektivs und meinen damit, dass die Wirklichkeit von Gruppe und Kollektiv irgendwie der Wirklichkeit, die unserer Wahrnehmung unmittelbar zugänglich ist, wie eben der Chorgesang, ontologisch vorgängig sei? Insbesondere bei großen Kollektiven oder geschichtlich hoch wirksamen Gruppen wie den Legionen Cäsars oder den Armeen Alexanders des Großen will es uns bedünken, als könne ihre Macht und Durchschlagskraft sich nicht der einfachen Synchronisierung und Harmonisierung des Willens der Legionäre und Soldaten verdanken – vielmehr sei gleichsam der Geist und Dämon des Krieges selbst in sie gefahren und habe sie zu solch ungeheuren Taten angetrieben.
Das Zusammenwirken menschlicher Handlungen und Bestrebungen nennen wir soziale Institutionen und Vorstellungen wie die vom Verschmelzen und Ineinanderfließen der Einzelwesen in eine Kollektivseele oder einen Gruppengeist Mythen über soziale Institutionen. Wir stellen die Hypothese auf, dass die Mythen im eigentlichen Sinne, wie wir sie von den alten Griechen über Götter und Göttinnen wie Zeus, Hera, Athene, Ares, Aphrodite und Hermes kennen, als Mythen über soziale Institutionen betrachtet und verstanden werden können.
Formen menschlichen Zusammenwirkens und gemeinsamer Bestrebungen, die die Handlungen einer gewissen Anzahl von Individuen über einen längeren Zeitraum koordinieren, nennen wir Institutionen, wobei wir in den Begriff der Handlungen auch Sprechhandlungen einschließen. Freundschaften, Ehen, Bündnisse, Unternehmen, Armeen und Staaten, aber auch alle Arten von Spielen und das Geld, zählen wir zu den Institutionen, wobei wir zwischen der Begründung und dem Eintritt in eine Institution wie der Unternehmensgründung und der Anstellung in einem Unternehmen und der mehr oder weniger langen Dauer der Institution unterscheiden. Die Formen der Gründung und des Eintritts (aber auch des Austritts oder des Ausschlusses) sind oft Riten oder mit rituellen Elementen des Tuns und Redens ornamentierte Formen sozialer Interaktion, wie Hochzeitszeremonien, Taufen oder Exkommunikationen zeigen.
Das Unternehmen oder der Betrieb, für die du arbeitest, ist nicht das Gebäude, in dem sich das Büro oder der Raum befindet, in dem du arbeitest. Die Schule oder die Universität, in der du lernst oder studierst oder unterrichtest, ist nicht das Schul- oder Universitätsgebäude, in dem sich das Klassenzimmer oder der Saal befindet, wo du lernst oder hörst oder lehrst. Das Gebäude ist ein Teil der sozialen Institution namens Unternehmen oder namens Schule. Alle Gegenstände, physischen Dinge und Personen, die sich in den Gebäuden befinden oder darin ein- und ausgehen, gehören zu dieser Institution. Wie viele werden es wohl sein? Wir können sie nicht zählen.
Wenn du im Büro deinem Kollegen über das Intranet des Unternehmens eine Mail mit Anhang schickst, in welchem der von dir erledigte Auftrag liegt, den du gestern von ihm erhalten hast, und er den Empfang bestätigt und deine Bearbeitung akzeptiert, ist ein Kreislauf von intentional und zweckvoll ausgerichteten Handlungen geschlossen, den wir Kooperation nennen. Kooperationen sind ein Kernbestandteil sozialer Institutionen. Sie beruhen auf der Koordination, das heißt der Synchronisierung und Harmonisierung von Willensbestrebungen und Handlungen, mit dem Ziel, einen übergeordneten Zweck wie ein physisches oder immaterielles Produkt oder eine Dienstleistung hervorzubringen. Um Handlungen koordinieren zu können, müssen die Beteiligten in wichtigen Überzeugungen übereinstimmen und für die Zusammenarbeit relevante Intentionen aufeinander abstimmen. Zum Beispiel stimmst du mit allen Kollegen in der Überzeugung überein, dass eure Mails durch die unternehmenseigene digitale Post ohne Datenverlust und pünktlich zugestellt werden, und du stimmst deine Intention, eine Mail zu schreiben, um die Anfrage des Kollegen zu beantworten, mit der Intention des Kollegen ab, dich mit der wichtigen Anfrage zu befassen. Wie viele Handlungen gehören zum Kreislauf der Kooperation? Das Schreiben der Mail, das Telefonat mit dem Kollegen, die Ablage des Dokuments im Archiv – sicher. Aber auch dein freundliches Lächeln, wenn dich die Dame im Empfang grüßt, oder deine diplomatische Art, das Zimmer für eine Weile zu verlassen, wenn dich die Kollegin wieder einmal anzuzischen droht? Wir können die Anzahl der Handlungen, die wir für eine gelingende Kooperation für unabdingbar oder relevant halten, nicht angeben.
Ein Fußballspiel ist die Summe aller von zwei gegnerischen Mannschaften im Verlauf von zweimal 45 Minuten vollführten regelkonformen Handlungen (aber auch aller regelwidrigen Handlungen, ob geahndet oder nicht geahndet) mit dem Fußball zum Zweck der Erzielung von Torabschlüssen. Wenn der Torhüter sich elegant dem Schuss des Gegners entgegenwirft und den Ball zu erfassen bekommt, gehört das zum Spiel, nicht aber die Bewegung, die er, gelangweilt das Geschehen in der gegnerischen Hälfte betrachtend, vollführt, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Wir sagen, das Spiel besteht in der Ausführung von Spielhandlungen und es besteht nur so lange und in dem Maß, wie solche Handlungen tatsächlich ausgeführt werden. Wenn der Mannschaftsgeist vom Trainer in der Pause mit anfeuernden Worten beschworen oder von den Fans durch gellende Parolen eingefordert wird, so wissen wir, dass es diesen Geist nicht so gibt, wie es den konkreten Gegenstand des Balls oder den Rasen auf der Spielstätte gibt. Wenn sich der Mannschaftgeist dank der Anfeuerungen von Trainer und Fans hervortraut und von seiner besten Seite zeigt, meinen wir damit, dass jeder einzelne Spieler sich am Riemen reißt und sein Bestes gibt und in seine Einzelaktionen so viel Elan wie möglich hineinlegt. Der Mannschaftsgeist hat kein eigenständiges Wesen und ist keine abgesonderte Persönlichkeit, wenn er auch in den Symbolen und Emblemen des Fußballvereins allegorisch dargestellt werden mag.
Der Mythos einer sozialen Institution wurzelt ursprünglich in dem Bild oder Symbol, das Menschen sich von ihr machen: Die alten Griechen und Römer haben uns reichlich Bilder in Form von Statuen ihrer Götter zur Befüllung unserer Glyptotheken und Antikenmuseen hinterlassen. Wir sehen Zeus als den weisen, aber auch schrecklich strafenden Richter als Allegorie der Institution des Rechts, Hera als Allegorie der Institution von Ehe und Familie, Athene als Allegorie und Namensgeberin der ihr geweihten Stadt (gleichsam einer Institution von Institutionen), Ares als Allegorie der Institution des Krieges, Aphrodite als Allegorie der Institution der Liebe und Hermes als Allegorie der Institution des Handels.
Freilich geht es hier nicht um altertumswissenschaftliche Subtilitäten, sondern um die Idee und den Begriff – schon bei der Freundschaft müssen wir ja passen, finden wir doch kein entsprechendes Bild für die griechische Philia und die römische Amicitia. – Nun sind Freundschaften Beziehungen zwischen mindestens zwei Individuen, die eine unbestimmt lange Liste von Konventionen, Vereinbarungen und Regeln befolgen. „Wenn meine Freundin Geburtstag hat, bekommt sie von mir ein schönes Geschenk.“ „Wenn ich Sorgen habe, kann ich sie meiner Freundin anvertrauen.“ „Wenn ich mich amüsieren und ausgehen oder etwas Schickes zum Anziehen kaufen will, tue ich das am liebsten zusammen mit meiner Freundin.“ „Jeden Tag schreiben wir uns E-Mails oder SMS.“ So und so ähnlich könnten die Konventionen einer Mädchen-Freundschaft beschrieben werden. Freundschaften entstehen und bestehen und wandeln sich und vergehen. So war es auch mit deiner Freundin und dir. Eines Tages blieben die E-Mails aus, die Geschenke, die kleinen Aufmerksamkeiten, die Einladungen und Verabredungen. Eure Freundschaft war eingeschlafen oder gestorben. Hättet ihr in einem süßen kleinen Teddy für sie eine knuffige Allegorie gefunden, wäre das Plüschtier am Ende vom Kissen gefallen, auf dem es Zeit eurer Freundschaft zu thronen pflegte. Aber wollen wir ernstlich behaupten, der Teddybär sei ein allegorisches Bild, in dem sich das Wesen eurer Freundschaft verkörpert hat?
Welche Wirklichkeit und Macht hat die Freundschaft? Sie existiert nur und ausschließlich aus den gegenseitigen Beziehungen und Einstellungen der Freunde zueinander. Sie existiert nur und ausschließlich aus den Verhaltensweisen und Handlungen, die diesen Einstellungen entspringen. Die Summe dieser Einstellungen und Verhaltensweisen können wir in einer Liste mit Regeln und Konventionen für das Tun und Lassen zusammenstellen und sie Regelwerk der Freundschaft nennen. Vielleicht machen wir uns ein Bild von einer intensiven Freudschaft, als wäre sie ein lebendiges Wesen, das uns im Traum wie ein Engel erscheint und zu uns spricht. Aber wir wissen, dies ist ein allegorisches Bild, dessen selbstständige Wirklichkeit wir nicht annehmen.
Was für die Freundschaft gilt, gilt naturgemäß für alle anderen sozialen Institutionen. Der Legionär Cäsars ist aufgrund seines militärischen Treueeids verpflichtet, den Befehlen des Imperators und Feldherren zu willfahren. Er gehorcht den Befehlen Cäsars, indem er sie in die Tat umsetzt. Und eben diesen Gehorsam dem Imperium gegenüber finden wir bei allen Soldaten der Legionen Cäsars, so dass ihre militärischen Handlungen auf Dauer oder zumindest auf die Dauer der Kriegseinsätze miteinander synchronisiert und koordiniert sind. Die Folge aller militärischen Einsätze der römischen Legionen unter dem Oberbefehl Cäsars in Gallien in den Jahren 57 bis 53 v. Chr. nennen wir den Gallischen Krieg. Im Unterschied zu den Orten, an denen er stattfand, und den Soldaten, die daran teilgenommen haben, ist der Gallische Krieg keine ontologische Entität, sondern eine Summe von definierten Sachverhalten, wie dem Sachverhalt, den Befehl Cäsars, am frühen Morgen den Angriff zu wagen, durchgeführt zu haben, auch wenn dadurch konkrete Orte und konkrete Menschen betroffen waren. Hinter dem Geflecht solcher Sachverhalte taucht kein Wesen und kein Objekt auf, das den Namen „Gallischer Krieg“ trüge, auch wenn sich die Römer selbst nicht schwer damit taten, den Krieg im Gott Mars zu allegorisieren oder die römischen Legionen dem Legionsadler kultisch zu unterstellen.
Das militärische Verhältnis zwischen Cäsar und seinen Legionären ist symmetrisch: Der Legionär verpflichtet sich durch seinen Treueeid, den Befehlen des Feldherrn zu gehorchen, der Imperator verpflichtet sich, seine Legionäre zu verpflegen und ihnen als Veteranen am Ende ihrer langen Dienstzeit die Strapazen ihres Dienstes mit der Überschreibung eines kleinen Landguts zu vergelten. Wir bemerken, dass ausgezeichnete Akte, zu denen gewöhnliche Handlungen und Sprech- und Schreibhandlungen wie Eide, Schwüre, Gelöbnisse, Versprechen, Verträge, Obligationen, Aktien und viele andere gehören, die Schwelle zum Eingang einer sozialen Institution darstellen, die nehmen muss, wer ihr zugehören und ihre Vorteile nutzen möchte.
Verfällt die sie tragende Verpflichtung, zerfällt die Institution. Intrigen oder auch nur das Erschlaffen des Engagements führen zur Auflösung des Freundschaftsbunds, fortgesetzter Ehebruch mündet in die Scheidung, Geheimnisverrat zieht die Entlassung nach sich. Mit dem Bruch des Eides, Cäsar die Treue zu halten, wird der Sachverhalt aufgehoben, dass die Legionäre die Befehle ihres Feldherrn ausführen. Die Unfähigkeit des Imperators, aufgrund von Machtverlust und fehlender Mittel, seine Legionäre zu verpflegen und abzufinden, führt zum Abfall und der Desertion der Soldaten. Die Institution des stehenden Heers löst sich allmählich oder lawinenartig auf, der Krieg verliert seine institutionelle Basis, auch wenn die Kriegsziele, wie die Abwehr feindlicher Mächte an den Grenzen, erhalten bleiben.
Geld besteht nicht aus dem metallischen Stoff, sei es Gold, Silber oder Kupfer, aus dem die Münzen geschlagen oder gepresst werden, noch aus den materiellen Geldscheinen: Wenn sie nicht mehr als Wertträger anerkannt werden, wie die Münzen und Scheine mit dem Zeichen der Deutschen Mark, gelten sie nicht mehr als Geld und sind wertlos und unbrauchbar für Handel und Wandel. Geld ist aber die soziale Institution par excellence, ohne die das wirtschaftliche Gedeihen der Gesellschaft zusammenbrechen muss. Dies kann geschehen, wenn das Vertrauen in die Wertstabilität der heimischen Währung, zum Beispiel aufgrund einer unsoliden Schuldenpolitik des Staates, schrumpft. Die Anleger scheuen mehr und mehr davor zurück, den Finanzinstituten ihr Kapital anzuvertrauen und in Börsenwerte zu investieren. Die Lähmung der wirtschaftlichen Aktivitäten führt dazu, dass die Konjunktur einbricht oder eine Wirtschafts- und Bankenkrise ausbricht.
Geld ist demnach als soziale Institution das täglich tausendfach in Handels- und Finanzgeschäften unter Beweis gestellte Vertrauen in die Fähigkeit der Handels- und Finanzpartner, den Wert der ausgetauschten Leistungen durch geldwerte Gegenleistungen zu vergüten oder sich vergüten zu lassen. Ob wir den Gegenwert unserer Leistung in Form von Münzen und Scheinen oder durch codierte digitale Zeichen erhalten, ist für die Geltung und den Erhalt der sozialen Institution des Geldes ohne Belang.
Geld ist eine soziale Institution, weil es den geregelten Austausch von Leistungen ermöglicht, und zwar auf Grundlage und als Funktion gewisser Glaubensüberzeugungen, wie der Überzeugung: „Ich glaube, dass mein Guthaben auf der Bank mittels Verzinsung wachsen wird.“ Oder der Überzeugung: „Ich glaube, dass die Maßnahmen der Regierung die Währung stabilisieren und den Geldwert erhalten werden.“ Werden Überzeugungen dieser und ähnlicher Art nicht mehr geäußert oder wird mehrheitlich ihre Negation geäußert, verfällt der Wert des Geldes. Die Variabilität des Geldwerts kann also weder eine Funktion des abstrakten Wesens des Geldes noch des konkreten Dings, das ihn verkörpert, sein – sie ist eine unmittelbare Funktion aller sie betreffenden Glaubensüberzeugungen und aus ihnen abgeleiteten Handlungen der Marktteilnehmer in Geschäften, Warenhäusern, Restaurants, an Tankstellen, in Banken oder Börsen.
Der Zusammenhang menschlichen Lebens, der Grund, weshalb du und deine Freundin zusammen gelacht haben, besteht in der Wirkmacht sozialer Institutionen wie der Freundschaft, die als Funktion aufeinander abgestimmter Willensbestrebungen und Glaubensüberzeugungen der Freunde den Sachverhalt bildet, dass einer den anderen erfreut, fördert, unterstützt. Schwinden diese Bestrebungen und Überzeugungen, zerfällt die Freundschaft, und kein Beschwörungsritual vor dem mythischen Idol oder dem Talisman, der sie verkörpert, erweckt sie wieder zum Leben.
Wir meinten feststellen zu können, dass sich der Ursprung der mythischen Götterbilder auf die mentalen Wirkmächte der sozialen Institutionen zurückführen lasse, die sie verkörpern. Wird dies nicht auch an der Umdeutung der Götterbilder als Funktion des Zerfalls der sozialen Institutionen deutlich? Als aufgrund von Sittenverfall die soziale Institution von Ehe und Familie im römischen Kaiserreich und insbesondere in seinen herrschenden Eliten trotz der Versuche der Kaiser von Augustus an, mittels gesetzlicher Maßnahmen gegenzusteuern, mehr und mehr im Morast von Hurerei und Untreue, Betrug und Intrigen, Gatten- und Kindsmord, Inzest, Homosexualität, Päderastie und anderen Perversionen versank, verzerrte sich das schöne Gesicht der Venus zur hässlichen Fratze der Hure Babylon.
Dennoch glauben wir ebenso wenig wie die späten Römer an die Existenz der Göttin Venus oder der babylonischen Gegen-Göttin. Wenn wir aber sagen, dass wir an unsere Freundschaft glauben oder an die Stabilität unserer Währung, meinen wir damit, dass wir unseren Freund weiterhin in der Überzeugung bestärken, ihm beiseite zu stehen, wenn er uns braucht, wie auch wir weiterhin die symmetrisch entsprechende Überzeugung hegen, beziehungsweise, dass wir weiterhin unser Kapital in Aktien, Wertpapiere oder Immobilien anlegen oder biedersinnig unser Erspartes auf der Bank in der guten Hoffnung hinterlegen werden, dass es Zins und Zinseszins abwerfe.
Comments are closed.