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„Wie paßt das zusammen?“

16.11.2015

Über die Semantik der Begriffe des Passens und der Anpassung

 

Wir schauen aus dem Fenster der Semantik, ob wir zumindest im sichtbaren Ausschnitt Beete und Blumen im Garten der Welt erblicken oder ob wir nur den Schattenriß unserer eigenen Gestalt dort drüben erspähen können, der vom Licht unserer Sprache geworfen wird.

Wenn wir aus dem Fenster der Semantik Blumen im Garten der Welt erblicken, dann sind es Lilien oder Dahlien oder Iris. Doch so heißen sie nicht von Natur aus, sondern wir selbst sind es, die ihnen diese Namen gaben, anhand derer wir sie identifizieren.

Wir sagen, der Schlüssel passe perfekt ins Schloß, und meinen damit, daß er genau oder ideal oder so gut ins Schloß passe, daß er die ihm spiegelbildlich entsprechenden widerständigen Metallteile berühre, wenn wir ihn drehen. Ein Schlüssel, der passt, ist kein Schlüssel, der besser passt, als ein anderer, denn dieser andere würde überhaupt nicht passen.

Ähnlich verhält es sich mit der Schraube und dem Schraubendreher oder der Schraube und der Mutter: Nur wenn der Schraubendreher genau in den Schlitz der Schraube oder das Gewinde der Schraube genau in das Gegengewinde der Mutter paßt, können wir die Schraube fachgerecht drehen und befestigen.

Wir erfassen also einen Sinn von „passen“ oder „angepasst sein“, der nicht steigerungsfähig ist, sondern eine absolute Aussage impliziert.

Dagegen passt eine Jacke oder Bluse mehr oder weniger gut, schlechter oder besser, wenn wir schließlich bei der Anprobe auch ein Kleidungsstück finden, von dem wir sagen, daß es perfekt sitze. Wenn dir die Hose zu eng oder zu weit geworden ist, bringst du sie zum Schneider, damit er sie deiner veränderten Figur anpasse.

Wenn der Schneider Maß nimmt und statt des Meterstocks ein Lineal oder ein Maßband mit normierten Maßeinteilungen zur Hand nimmt, um das Kleidungsstück genau abzustecken, wechselt er von einem Normsystem zu einem anderen. Er paßt nicht die Weite des Bunds an, sondern das Meßsystem an die Anforderungen der zu vermessenden Gegenstände.

Meßsysteme müssen das Maß und das zu messende Etwas aufeinander anpassen: Um starre Gegenstände messen zu können, darf das Lineal nicht weich oder flüssig sein, während die Messung der Temperatur eines beweglichen Stoffes wie des Quecksilbers bedarf, das auf Temperaturwechsel kontinuierlich-fluide reagiert.

Wir sagen aber auch, jemand habe sich an die Bedingungen und Herausforderungen, Gegebenheiten und Ansprüche seines neuen Wohnortes, seines neuen Arbeitsplatzes oder seiner neuen Freundschaftbeziehung angepaßt, und meinen damit, daß er seine Erwartungen und sein Verhalten auf die neue Situation umgestellt oder daß er sich in die neue Lage eingelebt oder an sie gewöhnt hat. Wenn jemand sich von der neuen Stelle finanziell mehr versprochen hat, als sie im Endeffekt abwirft, muß er wohl oder übel seine Erwartungen an den Verbrauch den Gegebenheiten anpassen, in diesem Falle herunterschrauben und auf diesen oder jenen Luxus verzichten.

Wenn einer, verwöhnt von der Unbeschwertheit des Verliebtseins, mit seinem neuen Ehepartner die Gewöhnlichkeiten und Trivialitäten des Alltags zu bewältigen hat, muß er vielleicht das Bild, das er von seinem Partner allzu pastellfarben gezeichnet hat, mit etwas mehr Grautönen an die neue Realität anpassen, um von den eigenen Erwartungen nicht in die Irre oder in Enttäuschungen geführt zu werden.

Der Gärtner wird allmählich sein noch bescheidenes Vokabular bei der Benennung von Pflanzen mittels der reichen Klassifikation Linnés an den Reichtum der botanischen Vielfalt anpassen, und so tut es der Vogelkundler, der Automechaniker, der Architekt, der Chemiker und der Astronom je auf ihre Weise auf ihrem speziellen Gebiet des Wissens. Die Differenziertheit des sprachlichen Ausdrucks wächst in diesen Fällen direkt proportional und linear mit der Zunahme des Wissens, ja die Zunahme des Wissens besteht eben darin, neue Namen für neu erkannte Phänomene und Aspekte verwenden zu lernen.

Wir können noch weitergehen und neben der Ausdifferenzierung unseres Wortschatzes auch die Ausdifferenzierung unserer Grammatik unter dem funktionalen Aspekt der Anpassung an neuen Probleme, Fragestellungen und Herausforderungen betrachten. Um ausdrücken zu können, daß wir uns morgen zu einem Spaziergang verabreden, müssen wir über das Futurum I des Verbs verfügen, um ausdrücken zu können, daß wir morgen Nachmittag im Café verbringen werden, um die Eindrücke auf unserem Spaziergang Revue passieren zu lassen, müssen wir über das Futurum II des Verbs verfügen („Wir werden über die Eindrücke plaudern, die wir auf unserem Spaziergang gehabt haben werden“). Das gleiche gilt für die Formen der Vergangenheit des Verbs, ohne die wir weder vergangene Ereignisse noch unsere Erinnerungen in den Griff bekommen könnten. Um ausdrücken zu können, daß etwas geschehen könnte oder der Fall gewesen wäre, wenn etwas anderes der Fall oder nicht der Fall gewesen wäre, müssen wir über die Modalformen des Konjunktivs verfügen.

Wenn wir nüchtern und sachhaltig von unserem Weltbild und der Ausformung unseres Weltbilds reden wollen, dann nur unter Berücksichtigung sowohl der klassifikatorischen Ordnungen unseres Wortschatzes als auch der temporalen und modalen Ordnungen unserer Grammatik.

Wir haben kurzen Einblick getan in den Sinn der Verwendung des Begriffs des Passens oder der Anpassung und fanden ihn eingebettet in unser sprachlich strukturiertes Weltbild, soweit es uns Aussagen über funktionale Beziehungen wie die zwischen Werkzeug und Werkstück oder Verhalten und Umwelt oder Sprache und Wissen erlaubt.

Wir bemerken, daß die funktionalen Kontexte des Passens jeweils in einen intentionalen Kontext von Absicht und Handlung, Maßgabe und Maßnahme, Wollen und Können eingebettet sind. Wenn wir die Pflanzen im botanischen Garten kennenlernen wollen, müssen wir die genauen Bezeichnungen und ihr hierarchisches System nach Gattung und Art beherrschen. Wenn wir eine Geschichte zum besten geben wollen, müssen wir den modalen und temporalen Gebrauch der Verben beherrschen und wissen, daß wir mit dem Indikativ Präsens den Zeitpunkt angeben, an dem wir stehen und die Geschichte erzählen, und mit den Vergangenheitsformen die jeweilige Zeitstufe des Geschehens angeben, die der ersten vorangeht oder der nächsten folgt, während wir mit den modalen Formen uns ins Reich des Traumhaften oder des Märchens begeben können („Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“, was pedantisch in die korrekte Form übertragen meint: „Und wären sie nicht gestorben, lebten sie noch heute“).

Wir bemerken außerdem, daß die Prozesse der Anpassung gewöhnlich kontinuierlich oder in Stufen erfolgen. Wir können nicht erst den Konjunktiv II erlernen, bevor wir den Indikativ beherrschen, und wir können nicht irreale Bedingungssätze formulieren, bevor wir einfache indikativische Wenn-Dann-Sätze beherrschen.

Was sagen wir aber zu Aussagen wie der folgenden? „Das Geißeltierchen hat sich an seine fluide Umwelt perfekt angepaßt, denn es verfügt mit seinen Flagellen (Cilien oder beweglichen Geißeln) über ein perfektes Fortbewegungsmittel, das ihm die Flucht vor Freßfeinden und die aktive Suche nach Nahrung ermöglicht.“

Wir wissen seit den hervorragenden biologischen Studien von Michael J. Behe, daß mit dieser Aussage etwas faul ist und daß der Begriff des Passens und der Anpassung in biologischen und evolutionären Kontexten und damit die darwinistische Theorie der Evolution der Organismen definitiv auf Grenzen stößt. Das Geißelorgan des Bakteriums hat eine komplexe Struktur und besteht aus ca. 240 Proteinen derart, daß ein fehlendes Element seine Funktionsfähigkeit augenblicklich lähmen und damit die Lebensfähigkeit des Tiers einschränken oder untergraben würde. Wie ein noch so langwieriger Prozess der allmählichen Anpassung ein Organ solcher Komplexität aus primitiveren Vor- und Zwischenstufen hervorgebracht haben könnte, bleibt unerfindlich und erscheint begrifflich konfus.

Wenn ein primitiveres oder weniger komplexes Organ als das Flagellum, über welches das Tier im Beobachtungszeitraum verfügt, das aber der Theorie gemäß in der Zeit vorangegangen sein muß, nicht die vitale Leistung und Überlebensfähigkeit gehabt haben kann, die das komplexe Organ auszeichnen, wie könnte es dann zur Evolution des perfekt angepaßten Organs beigetragen haben? Im Gegenteil, eine primitive und weniger komplexe Vor- und Zwischenstufe des Organs hätte seine weitere Evolution gerade verhindert.

Wenn Flugtiere wie Vögel nicht mit einer Feder fliegen können, kann diese zufällige Mutation keine Vorstufe des perfekt angepaßten Organs, des ganzen Flügels, gewesen sein. Wenn sich die Arme und Beine der Vorstufen von Meeressäugern wie der Wale und Delphine zurückgebildet haben müssen, um die perfekte Anpassung als Meeresschwimmer zu erlangen, hätten sich die durch verstümmelte Organe behinderten Tiere nicht abertausende Jahre vor ihren Freßfeinden in Sicherheit bringen können. Wir wollen gewiß nicht abstreiten, daß es evolutionäre Prozesse gegeben haben muss, nur führt der Begriff der Anpassung nicht zur rechten Aufhellung ihrer Ursachen.

Die begriffliche Konfusion zeigt sich daran, daß ein zentraler Begriff für funktionale Zusammenhänge, der Begriff des Passens und der Anpassung, der wie gesehen in intentionale Kontexte eingebettet ist, seinen Sinn verliert, wenn er auf Zusammenhänge übertragen wird, die jeden intentionalen Kontext vermissen lassen, wie die evolutionären Mechanismen der Mutation und Selektion. Daher sollten wir diesen Begriff aus der Biologie verbannen, denn wenn wir ihn bewahren wollen, müssen wir zu noch waghalsigeren Konstruktionen wie dem des intelligenten Designs (intelligent design) unsere Zuflucht suchen (eine fragwürdige Ausflucht, die auch Michael J. Behe gesucht hat).

Mit dem Begriff des Passens und der Anpassung können wir nicht aus dem Fenster der Semantik in eine Welt sehen, die ein rein mechanisches Treiben an sich seiender Dinge und Wesen ohne Bezug auf intentionale Kontexte darstellen würde.

Infos zu Michael J. Behe: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_J._Behe

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