Voraussagen und vorauswissen
Der gestrige Tag war vorgestern ein Teil der Zukunft. Wer vorgestern oder vorvorgestern oder vorvorvorgestern und so weiter ad libitum bis „zum Anfang der Zeiten“ vorausgesagt hätte, daß auf den vorgestrigen Tag der gestrige folgen werde, hätte rechtens die Zukunft vorausgesagt, also über eine kommende Zeit eine wahre Aussage gemacht. Ja, es scheint so, als habe er vorausgewußt und also gewußt, daß auf den vorgestrigen der gestrige Tag habe folgen müssen.
Doch es scheint nur so, als sei dieses Voraussagen ein Vorauswissen und also ein echtes Wissen gewesen. Denn zum echten Wissen gehört die Anwendung bestimmter Kriterien, sein Inhalt muß nicht nur wahr und die Behauptung, in der er beschrieben wird, nicht nur begründet sein, sondern die als Begründung aufgeführten Gründe müssen vollständig oder umfassend sein, sodaß wir der Aussage das Kriterium des sicheren Wissens oder der Gewißheit zuschreiben dürfen.
Der Unterschied zwischen Voraussagen und Vorauswissen ist entscheidend: Wir können Aussagen über die Zukunft oder Voraussagen nicht hinreichend begründen und mit dem Kriterium der Gewißheit versehen. Wir können im Einzelfall die Zukunft zwar voraussagen, aber nicht vorauswissen, was morgen geschehen wird oder ob es überhaupt ein Morgen geben wird.
Das ist die menschliche Grundsituation, die den Anstoß des Nachdenkens bildet. Weil der Horizont der Zukunft offen ist, schweben wir in Unsicherheit und Angst, sind aber auch von Erwartung und Hoffnung erfüllt. So sind wir das schwankende Rohr, von dem Pascal sprach: Zwar wurzeln wir so, daß wir unseren Sitz im Leben haben, an uns rüttelt aber der Wind des Schicksals, zwar können wir Blüten bilden und Samen ausschütten, doch am Ende werden wir aus dem Boden herausgerissen und ins Feuer geworfen. Weil wir auf Grund bauen, von dem wir nicht sicher wissen, ob er hält, sind wir auf Vertrauen als unsere Fundamentaltugend angewiesen.
Wir nehmen an, du erwachst und hast alles vergessen, was du bisher erlebt und gelernt hast. Vor dir siehst du einen Kreisel, der sich sehr schnell um die eigene Achse dreht und dadurch im Gleichgewicht aufrechthält, weil er die Gravitationskraft durch die Zentripetalkraft ausgleicht, die den gleichen Betrag hat wie die mechanische Krafteinwirkung, die derjenige auf den Kreisel übertragen hat, der ihn beispielsweise mittels der Muskelkraft seiner Hand und seines Armes zur Rotation gebracht hat. Da diese Krafteinwirkung endlich groß ist, wird sie sich verbraucht haben, sobald der Drehimpuls nicht mehr erneuert wird. Dann wird die Rotation sich verlangsamen, der Kreisel trudelt und fällt schließlich zu Boden.
Aber von solchen vertrackten physikalischen Zusammenhängen weißt du nichts. Du siehst nur, wie schön und schnell und stabil der Kreisel sich dreht. Was denkst du? Nun, so kann es ewig weitergehen. Des Kreiselns wird kein Ende sein. Es sind Illusionen dieser Art, die uns glauben machen, es gehe weiter und es gehe immer so weiter.
Nehmen wir den Schein der ewigen Dauer des Kreisens aber als wahres Bild für die Idee der Ewigkeit oder des ewigen Lebens, erfassen wir unmittelbar im Taumeln und Niedersinken des Kreisels das wahre Bild der Sterblichkeit und des Todes.
Wir können den Sinn für die Stabilität und Fragilität des Daseins an allen Ordnungsstrukturen und homöostatischen Gleichgewichtssystemen der Natur erproben, handele es sich um die subatomaren Strukturen des atomaren und molekularen Aufbaus der Materie oder die Strukturen im Aufbau der Organismen oder die Gleichgewichtssysteme der Sonnensysteme und Galaxien, die von den physikalischen Feldkräften reguliert werden. Wenn in den äußersten Planetenbahnen unseres Sonnensystems kleine Abweichungen im Umlauf von Saturn oder Jupiter auftauchen sollten, was eines Tages nicht ausbleiben wird, kann in der Folge das ganze System aus den Fugen geraten, der Mond die Umlaufbahn um die Erde verlassen und die Erde dadurch neuen Impulsen zu neuen Rotationsbahnen nachgeben. Wenn Prionen sich in den Strukturen des Gehirns ausbreiten, bricht das zentralnervöse Gleichgewicht über kurz oder lang zusammen. Wenn Protonen oder Photonen mit sehr hoher Geschwindigkeit aufeinanderprallen, entstehen in nicht vorhersehbarer Weise neue Teilchen, Materie und Antimaterie.
Wir unterscheiden lineare von nichtlinearen Abläufen, wobei wir Verlauf und Ausgang von linearen Prozessen oft mathematisch durch Exponentialfunktionen darstellen und berechnen können, während uns das bei nichtlinearen Prozessen meist nicht möglich ist. So können wir die Tropfen, die ein Glas bis zum Rand füllen, zählen oder die Sandkörner, die es braucht, um einen Haufen zu bilden, der in sich stabil ist. Wir können den linearen Verlauf des embryonalen Organwachstums abwägen und das Wachstum verzinsten Kapitals mit der Zinseszinsrechnung auf die Minute genau vorherbestimmen und voraussagen. Doch setzen wir dabei stets die Weiterexistenz der komplexen Ordnungsstrukturen voraus, in denen solche Wachstumsvorgänge eingebettet sind, also das Weiterleben des Embryos und den Weiterbestand des Bankensystems. Indes, je komplexer diese Strukturen, desto fragiler und störanfälliger sind sie. Ob den Embryo nächsten Monat ein Virus dahinrafft, ob die Bank nächstes Jahr bankrott macht, können wir nicht mit Sicherheit ausschließen.
Wieder finden wir den wichtigen Unterschied zwischen Voraussagen und Vorauswissen: Das Wachstum von Viren oder Bakterien in der Petrischale oder in einem lebenden Organ ist exponentiell, wir können die Wachstumskurve berechnen und das Maximum der Kurve angeben, das erreicht wird, wenn die Nährflüssigkeit der Petrischale aufgebraucht und die Zellen des Organs zerstört sind. Doch für die Vermehrung der Weltbevölkerung finden wir keine einfache Formel, die uns die Zukunft enthüllte: Die Umweltbedingungen sind zu komplex. Die Ressourcen sind wohl im Prinzip begrenzt, können aber durch Anwendung neuer Techniken maximiert werden. Die betroffenen Länder und Regionen können von Seuchen und Bürgerkriegen infolge des Bevölkerungswachstums heimgesucht werden, was das ungehemmte Wachstum einschränkt oder reduziert. Daher können wir zwar mittels Annahme bestimmter Ausgangsfaktoren die Zukunft der Bevölkerungsentwicklung voraussagen, aber wegen der Ungewißheit über die Größenordnung der Ausgangsbedingungen nicht vorauswissen.
Wenn sich das Gerücht ausbreitet, diese oder jene Bäckerei im Ortsteil sei durch Mäuse und Bakterien verseucht, wird sich das Einkaufsverhalten derjenigen, die das Gerücht für bare Münze nehmen und weitertragen, schlagartig ändern: Sie kaufen bei dem Bäcker nicht mehr ein. Die exponentielle Ausbreitung des Gerüchts erreicht ihr Maximum, wenn alle bisherigen Kunden die Bäckerei boykottieren und der Laden schließt.
Hier berühren wir einen wichtigen Faktor der Verhaltenssteuerung, der zukünftige Verläufe voraussehbar und voraussagbar macht. Wenn dir die Wahrsagerin in der TV-Astroshow die Karten legt und dir auf den Kopf zusagt, daß sich in deiner Umgebung eine sinistere Gestalt aufhält, von der dein Karma ungünstig beeinflußt wird, und du nimmst die Aussage für bare Münze, wirst du dein Verhalten ihr gemäß ändern und gewiß eine dunkle Gestalt in deinem Umfeld ausfindig machen, die dir schon immer verdächtig war und der du hinfort aus dem Wege gehst. Durch diese Maßnahme fühlst du dich erleichtert und führst dein Wohlgefühl auf eine Handlung zurück, die von der Wahrsagerin motiviert worden ist. Also fühlst du dich im Glauben an die Fähigkeit der echten Wahrsagekunst, die Zukunft voraussehen und vorauswissen zu können, bestätigt. Wir sprechen in solchen Fällen von „self-fulfilling prophecy“, weil sich die Voraussage in dem Ausmaß erfüllt, in dem du dich ihr gemäß verhältst.
Weil der erste römische Kaiser Augustus an die von den Sibyllen und Dichtern vorausgesagte Bestimmung Roms, den Erdkreis zu beherrschen und die Völker zu befrieden, geglaubt hat, tat er alles in seiner Macht Stehende, um dieser Bestimmung gerecht zu werden, sei es, daß er von Spanien bis Persien die Völker durch Krieg unterwarf, sei es, daß er durch eine großartiges Bauprogramm mit Tempeln und Palästen die Größe Roms ins hellste Licht rückte. Wie es so schön heißt: Der Glaube versetzt Berge und läßt Prophezeiungen wahr werden.
Wir haben gesehen, daß wir den Zuordnungen spezifischer Wirkungen zu eindeutigen Quellen der Kausalität mit Argwohn begegnen sollten. Verschwindet der Lichtschein des Feuers aus dem Blickfeld, wenn ich mich von der Quelle der Lichtausstrahlung mehr und mehr entferne, irre ich mich zumeist in der Zuordnung der Kausalitätsquelle, wenn ich daraus schließe, das Feuer sei erloschen. Wenn wir die eindeutige Ursache der Tatsache, daß du einen Pfeil mit dem Bogen abgeschossen hast, oder der Tatsache, daß du ein Wort in deinem Mund gebildet und erschallen hast lassen, ausfindig machen wollen, sezieren wir das Phänomen bis auf die Muskeln und Sehnen deiner Hand und deines Munds, die Nerven, die das Greif- und Sprechwerkzeug mit dem Gehirn verbinden, und die Aktivitätsmuster bestimmter Hirnareale, die immer dann funken, wenn du eben machst, was du machst. Haben wir jetzt die Ursache gefunden? Oder wir gehen zurück von der Muskelenervation zu demjenigen, der sie willentlich ausführt, und nennen den ursächlichen Faktor die Absicht oder den Willen des Handelnden oder eines seiner bewußten Selbst. Haben wir jetzt die Ursache gefunden? Wenn wir aber die ursächlichen Faktoren nicht klar identifizieren können, sondern sie mehr oder weniger gewohnheitsmäßig und konventionell festlegen, können wir die Wirkung, die wir ihnen zuschreiben, nicht immer eindeutig voraussagen und vorauswissen. Jetzt funkt es bei dir im Hirn, jetzt bewegst du den Mund, jetzt artikulierst du ein Wort, jetzt höre ich, was du sagst: Aber kann ich irgend voraussagen und vorauswissen, was du sagen wirst? Ich kann voraussagen, daß du etwas sagen wirst, aber nicht vorauswissen, was du sagen wirst.
Wenn du mir versprichst, mir morgen das geliehene Buch zurückzubringen, sind die Implikationen deines Versprechens nicht aufzählbar unendlich: Zu ihnen gehört dein Vertrauen darauf, daß du morgen wie gewohnt aufstehen und die Person sein wirst, die du heute bist; daß du in dem Haus und der Stadt aufwachen wirst, in denen du heute aufgewacht bist; daß du dich an mich, das Buch, das mir gegebene Versprechen erinnern wirst; daß ich aufwachen werde und dieselbe Person sein werde, die ich heute bin und die sich an dich, das Buch, das mir gegebene Versprechen erinnern wird; daß ich mich in dem Haus und dem Stadtteil aufhalten werde, in denen ich mich heute aufhalte; daß das Buch an der Stelle liegt, an die du es bereitgelegt hast; daß der Mond in gewohnter Weise um die Erde kreist und die Erde um die Sonne; daß die Zeit keinen Sprung gemacht hat, sondern kontinuierlich weitergelaufen sein wird; daß was heute in der Zeitung steht morgen als Ereignisse von gestern identifiziert werden kann … Gewiß können wir vieles von alledem voraussagen, aber mit Gewißheit vorauswissen nichts. Also handeln wir, wenn wir etwas versprechen, gleichsam auf Kredit und jedenfalls auf ein mehr oder weniger blindes Vertrauen in die Gleichförmigkeit der Welt, der Dinge und Ereignisse hin.
Angesichts der Ungewißheit über das Künftige sind wir auf die menschliche Grundtugend des Vertrauens verwiesen. Wir studieren oder erlernen einen Beruf im Vertrauen darauf, es in unserer Profession einmal zu etwas zu bringen. Wir liieren uns mit diesem Mann oder heiraten jene Frau im Vertrauen darauf, daß sie unser Vertrauen rechtfertigen und übermorgen noch mit uns zusammen werden. Wir unterschreiben einen Kreditvertrag im Vertrauen darauf, ihn dereinst mit Zins und Zinsenzins zurückzahlen zu können. Wir pflanzen einen Baum im Garten im Vertrauen darauf, dermaleinst seine wohlschmeckenden Früchte ernten zu können. Wir setzen ein Testament auf im Vertrauen darauf, daß der Beerbte unser Vertrauen verdient. Gewiß, wir können das Examen vermasseln, der Mann oder die Frau läuft uns davon, der Kredit platzt mangels regelmäßiger Einkünfte, den Baum trifft der Blitz, der Erbe verspielt das Geld im Casino. Und dennoch versiegt unser Vertrauen in die Zukunft nicht ganz und für immer, bis zuletzt, wenn unser Herz aus Erschöpfung, Überdruß oder Gleichgültigkeit endgültig nein sagt.
Wir wissen, daß wir sterben werden, nur der Zeitpunkt unseres Todes ist unserem Vorauswissen gnädig entzogen. Wir wissen, daß diejenigen sterben werden, die wir lieben, nur wann, das wissen wir nicht. Vieles, was wir uns vorgenommen hatten, blieb Stückwerk. Immerhin hat der eine ein Haus gebaut, der andere ein Buch geschrieben, jener Kinder gezeugt und diese Schüler unterrichtet oder Kranke gepflegt. Doch im Fundament des Hauses nagt schon der Zahn der Zeit, das Buch wird bald verramscht, auch die Kinder sterben, die Schüler haben alles vergessen und die Kranken haben es nicht gedankt.
Angesichts dieser Lage können wir philosophisch uns nur bescheiden und das Bescheiden ins Glück des kleinen Lebens zur Devise erheben. Es scheint uns kostbar genug und verdient weise Beachtung. Können wir also philosophisch mehr nicht sagen als das, was der Dichter besser sagt: carpe diem? Denn was Horaz sonst Großes zu künden hatte, wert großer Zuversicht und allen Vertrauens auf morgen, wie ihm schien, die historische Bestimmung Roms, dafür finden wir, scheint uns, heute und bis auf weiteres wohl keine Entsprechung. Und das Wissen, daß Rom untergegangen ist und die größte Lyrik Roms, die des Horaz, deren Dauer er mit der Roms verknüpfte, allmählich in den Schatten des Vergessens taucht, bestärkt uns in der Auffassung, daß Voraussagen nicht den Rang des Vorauswissens in Anspruch nehmen können.
Wir können philosophisch nur die Möglichkeit einer Wahrheit aufweisen, die die menschliche Situation, zwischen Geburt und Tod fatalen Ereignissen und fragilen Dingen ausgesetzt zu sein, auf viel und vielerlei Unglück und bescheidenes Glück zu treffen, als Frage auffaßt und mit einem radikalen Namen beantwortet: Gott.
Wir können nur aufzeigen, daß aus der menschlichen Grundsituation und dem existentiellem Wurzelgrund zwischen heute und morgen, Wissen und Ahnen, Angst und Vertrauen der Monotheismus entsprossen ist, der Glaube an den einen allmächtigen und gnädigen Gott, der als ewiger die Zeit und die Zeiten in der Hand hält: Auf ihn vertrauend, auf seine Verheißungen und Zusagen setzend ist das jüdische Volk aufgebrochen in eine Zukunft, in der sich Gottes Gnade immer leuchtender ausbreiten und mit dem Messiaslicht schließlich die Finsternis der Welt überwunden werden soll. Der in das Dunkel der Welt herabgestiegene Christus hat mit seinem Gnadenwerk die letzte Grenze durchstoßen und den Erlösten die Hoffnung wider alle Hoffnung über den Tod hinaus geschenkt.
Wir können diesen Zusammenhang auch so aufschlüsseln: Wenn wir unsere Lage als Eintagswesen zwischen Traum und Tod, heute und morgen, Zuversicht und Verzweiflung als metaphysische Frage behandeln und Mythos und Religion als mögliche Antworten gemäß den Kriterien der Angemessenheit und Adäquatheit sichten, kommen wir zu folgendem Ergebnis:
1. Die auf dem polytheistischen Mythos fußenden Lehren geben keine Antwort, sondern hüllen sich entweder in Schweigen oder flüchten sich vor der Einsicht in die Eitelkeit aller Dinge ehrenvoll in die Apotheose der scheinbar ewigen Dauer historischer Größe wie der Größe Roms und der Dichtung eines vates wie Horaz oder weniger ehrenvoll in das Vergessen bei Wein, Weib und Gesang.
2. Der Glaube an den einzigen allmächtigen und gnädigen Gott kann eine angemessene und adäquate Antwort auf die menschliche Lage sein, denn seine Allmacht verbürgt die Möglichkeit, die Zeit aufzuhalten, den Prozess des Verfalls und Zerfalls aller natürlichen Ordnungsstrukturen und Gleichgewichte durch die Rettung und an der Rettung der Seele zu transzendieren, denn nur seine Güte verbürgt die Möglichkeit, die eine und andere Seele, und sei sie noch so sündig und unwert, durch seine Gnade und seinen Segen zu entsühnen und der Rettung für würdig zu befinden. Auf diesen Annahmen gründet sich die Hoffnung des Gläubigen, der menschlichen Situation zu entkommen.
3. Unter den monotheistischen Religionen ist das Christentum unter den genannten Annahmen die angemessenste und adäquateste Antwort auf die menschliche Lage, weil seine Botschaft den für unsere Sünden gestorbenen und den von den Toten auferstandenen Christus verkündet, der den Weg zum Vater vorausging, dem nachzufolgen der Gläubige erbetet und erhofft. Wäre Christus nicht wirklich für die Erlösung gestorben und nicht wirklich von den Toten auferstanden, wäre der Glaube an die mögliche Rettung der Seele aus der Vernichtung von Zeit und Welt grundlos und absurd.
Wir können indes philosophisch nur die Möglichkeit der rettenden Wahrheit abschätzen und nach Kriterien der Angemessenheit und Adäquatheit das Optimum der möglichen Antworten der christlichen Offenbarung anheimstellen.
Wir sprechen hier nicht theologisch, sondern philosophisch und gehen daher nicht von der ausgemachten Wahrheit der christlichen Lehre aus, sondern von der Möglichkeit ihrer Wahrheit. Wer die Möglichkeit einer die Seele rettenden Wahrheit aus der Vernichtung von Zeit und Welt als Antwort auf die menschliche Lage bestreitet, ja wer bestreitet, die menschliche Situation überhaupt als Frage formulieren zu können, sagt nicht die Unwahrheit, auch wenn er die Möglichkeit der Wahrheit des Gegenteils nicht wohlbegründet bestreiten kann. Wer die Wirklichkeit der Rettung der Seele aus der Vernichtung von Welt und Zeit behauptet, behauptet keinen Satz des Wissens, denn er kann weder beanspruchen das Schicksal der Seele voraussagen noch es vorauswissen zu können, sondern er verkündet einen Satz des Glaubens und der gläubigen Hoffnung, von dem wir philosophisch nur die geringe Wahrheit erweisen können, daß er mit dem Rest unserer Annahmen nicht unverträglich ist.
Der Inhalt der Offenbarung, Schöpfung und Erlösung, ist das Wunder der Gnade. Über Wunder pflegen Philosophen zu schweigen. Der große Logos der Philosophen geht scheu in den Schatten, wenn der größere Logos Gottes erstrahlt. Wie sollten wir uns am Mirakel der Auferstehung den Mund des Verstandes verbrennen? Wir können nur bemerken, daß unter der Annahme einer schöpferischen Allmacht die Möglichkeit des Wunders nicht verwunderlich ist oder sein sollte. Und diese Annahme übersteigt zwar die Vernunft, widerspricht aber nicht ihren sonstigen allgemeinen Prinzipien und Annahmen. Mit dieser Annahme haben wir die Möglichkeit der theologischen Wahrheit zugelassen, ohne den Tatsachen der Natur zu widersprechen, aber auch ohne ihrer Wirklichkeit um einen Deut näher zu kommen. Mehr können wir nicht sagen.
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