Von der Semantik des Bewußtseins
Ein Beitrag zur Philosophie der Subjektivität
Wenn wir sagen: „Peter ist mit Karl befreundet“, erhalten wir durch Neutralisierung der Eigennamen und die Relation F (für die Relation „ist befreundet mit“) den ungesättigten Funktions- oder Relationsausdruck F(x, y), in den wir für die Variablen x und y beliebige Namen einsetzen können.
Wir fragen, wie die Welt beschaffen sein muß, im Sinne einer impliziten oder apriorischen Evidenz, damit Aussagen der genannten Art und Struktur, wie sie die ungesättigte Funktion F anzeigt, möglich sind.
Die erste Implikation ist die Identität: Peter muß Peter sein oder Peter kann nicht Karl sein. Wir verifizieren die Identitäten von Personen wie Peter und Karl, indem wir sie raumzeitlich lokalisieren: Dort wo Peter jetzt ist, kann nicht gleichzeitig Karl sein. Wir erhalten demnach gemäß der ersten Implikation den Begriff der Identität, der in eine raumzeitlich geordnete Welt körperlich identifizierbarer Entitäten eingebettet ist. Allerdings lokalisieren wir anhand des raumzeitlichen Daseins einer Person die gänzlich anders geartete Identität ihres Bewußtseins, das wir von außen nicht zu beschreiben vermögen, sondern nur die Person selbst mit Aussagen wie „Ich habe Schmerzen“ oder „Ich glaube, es regnet“ oder „Ich bin mit Karl befreundet“ zum Ausdruck bringen kann. Anders als die Konstanz der Dinge, die hinter einem Vorhang verschwinden und als dieselben wieder auftauchen, ist die Identität von Peter demnach eine des Bewußtseins von sich selbst, das strukturell identisch bleibt, auch wenn die organische Zusammensetzung von Peters Körper, seine dinghafte Konstanz, ausgetauscht worden ist.
Was macht Peter zu Peter? Etwa die Tatsache, daß dieser Name in seinem Taufregister und seinem Paß eingetragen ist? Daß er so gerufen wird und auf den Namen Peter hört? Und wenn er morgen seinen Namen ändert, ist er dann nicht mehr jener Peter von gestern, mit dem Karl befreundet war und mit dem er heute weiterhin befreundet ist? Peter kann nur Peter sein, wenn er, gleichgültig, wie er jetzt heißt, von sich sagen kann: „Ich bin mit Karl befreundet.“
Wir gehen davon aus, daß Peter jemand ist, der Peter heißt, anders als sein Hund, den er Wuschel nennt und der hört, wenn sein Herrchen diesen Namen ruft, der aber nicht weiß, daß er Wuschel heißt, weil er nicht jemand ist, der einen Namen haben kann. Anders gesagt: Um das Konzept des Eigenamens zu verstehen und anzuwenden, muß man jemand sein, der weiß, daß sein Freund Karl sich fragen kann, ob Peter noch an seinen Freund Karl denkt, wobei er mit „Karl“ sich selbst meint, während der Wuschel gerufene Hund sich nicht fragen könnte, ob sein Herrchen im Büro daran denkt, was sein Wuschel jetzt so treibt, wobei er mit „Wuschel“ sich selber meinen würde. Tiere haben Namen, weil Menschen ihnen Namen geben, aber sie wissen weder, daß sie einen Namen haben, noch können sie sich und anderen Lebewesen wie den Menschen Namen geben.
Peter könnte vergessen, daß er mit Karl befreundet ist – und wäre aufgrund dieser fatalen mentalen Tatsache nicht mehr mit Karl befreundet; er könnte sogar vergessen, daß sein Name Peter ist oder daß er eine menschliche Person ist. Aber er wird nicht das Subjekt seiner Blau-Empfindung, die er gerade hat, weil er aus dem Fenster in den klaren Himmel blickt, mit dem Subjekt eines anderen Bewußtseins verwechseln, denn die Vorkommnisse seines Bewußtseins sind immer die seinen oder echte Teile seiner Ich-Identität.
Die zweite Implikation aus der sprachlichen Verwendung des Funktionsausdrucks F für die Freundschaftsrelation ist die Dauer: Es mag eine Zeit gegeben haben, wo F für die individuellen Eigennamen Peter und Karl nicht galt; es mag eine Zeit geben, wo F für die individuellen Eigennamen Peter und Karl nicht mehr gilt; es muß indes auf alle Fälle eine Zeitstrecke oder zeitliche Dauer geben, für die F gültig ist.
Die dritte Implikation ist das Bewußtsein oder das Leben, das sich als einzelnes Ich seiner selbst bewußt ist. Denn wie finden wir heraus und bestätigen die Aussage F, daß Peter mit Karl befreundet ist? Etwa mittels Beobachtung? Wir sehen vielleicht, daß Peter Karl besucht und ihm ein Geschenk, ein Buch oder ein Bild, mitbringt. Aber können wir sehen und durch Beobachtung verifizieren, daß es sich bei dem Geschenk um ein Zeichen der Freundschaft handelt? Genausogut könnte es sich um eine Form der Bestechung handeln, wenn Karl beispielsweise dazu ermuntert werden soll, Peter im Gremium einer Preisvergabe, dem er vorsteht, als Kandidaten vorzuschlagen. Dieser skeptische Einwand läßt sich bei allen möglichen Gesten, die wir als Freundschaftszeichen aufzufassen aufgefordert werden, beliebig wiederholen.
Am Ende bleibt kein Weg, als Peter zu fragen. Und nur wenn Peter in einem geeigneten Kontext, der ihn aller Zwänge und Befangenheiten enthebt, offenherzig sich zu seiner Freundschaft mit Karl bekennt, sind wir geneigt, sein Geschenk für Karl als Beleg seiner freundschaftlichen Beziehung anzuerkennen.
Sich zu einer Freundschaft zu bekennen ist ein Ausdruck des Selbstverständnisses dessen, was wir Bewußtsein oder bewußtes Leben nennen. Um diesen Aspekt seines bewußten Lebens zu verwirklichen, muß Peter seinen Freund Karl „Freund“ nennen; sobald er ihn Freund nennt und Karl sich gern so nennen hört, besteht die Freundschaft. Nur ein sprachfähiges Individuum führt ein bewußtes Leben. Ein unbewußter Automat, dessen Software so programmiert und mit einem anderen Automaten so verdrahtet ist, daß er ihm eine codierte Zeichenkette übermitteln kann, die dieser als die Äußerung „Ich bin dein Freund“ decodiert, hat damit nicht bekundet, daß er ein Freundschaftsverhältnis wie Peter mit Karl unterhält.
Wir gehen davon aus, daß Peter annimmt, Karl erwarte von ihm, daß er ihm zu seinem Geburtstag gratuliert und ihm an diesem Tage ein Geschenk überreicht; wir gehen ebenfalls davon aus, daß Karl enttäuscht sein wird, wenn Peter seinen Erwartungen in Bezug auf seine Geburtstagsfeier nicht erfüllt. Peter befürchtet natürlich diese Enttäuschung seines Freundes und möchte ihr deshalb zuvorkommen. Wir sprechen hier davon, daß Personen ihre Erwartungen aufeinander abstimmen; das Spiel geht so weit, daß Peter so tun kann, als habe er den Geburtstag seines Freundes vergessen, nur um seine Freude zu verstärken, wenn er dann doch unerwartet sein Geschenk hervorzieht.
In der Welt der Erfahrung oder des lebendigen Bewußtseins, in der wir leben, sind die Äußerungen des sich und die Welt erfahrenden Subjekts nicht nur Ereignisse wie der Regenschauer oder der Autounfall, sondern absichtsvolle Handlungen. Wenn Peter nicht mit Vorsatz und absichtsvoll Karl das Geschenk überreicht hätte, hätte er gar nichts geschenkt, ja nicht einmal eine Handlung vollzogen.
Wenn Karl in der Folge die Freundschaft mit Peter aufs Spiel setzt oder verrät, indem er seinem Freund nicht aus einer Verlegenheit oder Notlage hilft, was zu tun ihm freistünde, könnte Peter mit Recht bedauern, ihm das Geschenk gegeben zu haben.
Daß wir etwas bedauern oder bereuen können, dies und jenes geäußert und getan zu haben, ist eine dem lebendigen Bewußtsein inhärente Möglichkeit, sich selbst zu verstehen: Sie folgt aus seiner prozessualen Verfassung, nämlich durch absichtsvolle Äußerungen und Taten in den Prozess des Lebens verwickelt zu sein.
Peter glaubt, nimmt an oder hat die Meinung, daß er mit Karl befreundet ist; würde Peter nicht oder nicht mehr glauben, annehmen oder der Meinung sein, daß er mit Karl befreundet ist, wäre er nicht oder nicht mehr mit Karl befreundet. Auf diese Weise zeigt sich die erfahrungskonstitutive oder schöpferische Form des Denkens, Glaubens und Fürwahrhaltens, die ein wesentlicher Aspekt des lebendigen Bewußtseins darstellt.
Würde Peter glauben, mit Karl befreundet zu sein, während Karl auf Nachfrage hin glaubwürdig und hartnäckig abstreitet, seinerseits mit Peter befreundet zu sein, müßten wir davon ausgehen oder folgern, daß Peters Annahme in Bezug auf die Freundschaft mit Karl falsch ist oder daß er sich irrt. Hier gilt beides: Sowohl, daß Peters Annahme nicht wahr ist, als auch daß die Unwahrheit seiner Annahme eine bestimmte Form der Selbsttäuschung offenbart. Peter täuscht sich in der Deutung bestimmter Äußerungen und Handlungen Karls, die er als Freundschaftsbekundungen versteht, obwohl sie es in Wahrheit nicht sind; er täuscht sich über seine eigenen Motive und Regungen, denn zum Begriff der Freundschaft gehört selbstredend die Gegenseitigkeit, die in diesem Falle offensichtlich fehlt. Zu glauben, Freundschaft gegenüber einer Person empfinden zu können, die jede Form der Freundschaftsbekundung von sich abweist, offenbart augenscheinlich eine schwerwiegende Form der Selbsttäuschung.
Daß wir uns irren oder mit unseren Annahmen neben der Wahrheit liegen können, ist eine evidente Implikation der Struktur unseres Bewußtseins, das nur dann sein Leben vollzieht, wenn ihm dies oder jenes bewußt ist oder bewußt ist, daß dies und jenes der Fall ist – auch unter dem bedauerlichen Umstand, daß dies oder jenes in Wahrheit nicht der Fall ist.
Daß wir uns in einem weiteren, existentiellen Sinne irren und uns mit unseren Annahmen selbst täuschen können, ist ebenfalls eine dem lebendigen Bewußtsein inhärente Möglichkeit, sich selbst zu verstehen, nämlich sich selbst mißzuverstehen.
Würde Peter nun aber glauben, mit Karl befreundet zu sein, während dieser schon seit Jahren tot ist, würden wir nicht sagen, Peter liege mit seiner Annahme neben der Wahrheit oder seine Glaubensüberzeugung sei falsch, sondern wir würden sagen, er sei verrückt oder wahnsinnig. Denn verrückt oder wahnsinnig zu sein heißt, einer grundlegenden Form der Bedeutungsblindheit anheimgefallen zu sein; es heißt, erfahrungskonstitutive Weisen unseres sprachlichen Weltumgangs verloren zu haben und zu ermangeln. Wenn Symmetrie und Gegenseitigkeit eine notwendige Bedingung zur Erfüllung der vollen Bedeutung des Begriffs Freundschaft darstellen, müssen wir in diesem pathologischen Falle davon ausgehen, daß Peter dieses Begriffs nicht oder nicht mehr mächtig ist. Denn zu glauben, mit einem Toten befreundet zu sein, heißt etwas glauben, was dem Begriff der Freundschaft widerspricht. Das offenkundig Widersprüchliche und Widersinnige anzunehmen aber ist ein untrügliches Symptom dessen, was wir das kranke, verrückte oder wahnsinnige Bewußtsein nennen. Verrückt oder wahnsinnig zu sein ist demnach etwas anderes als sich wenn auch noch so grundlegend zu irren; es ist vielmehr nicht bloß ein Irrtum in Bezug auf die Tatsachen, wie die Tatsache, daß Karl tot ist, sondern die Flucht oder der Absturz in die Annahme des Widersinnigen oder Absurden, wie die Annahme Peters, daß der verstorbene Karl lebe und mit ihm weiterhin freundschaftlich verbunden sei.
Daß wir verrückt oder wahnsinnig werden können, ist eine dem lebendigen Bewußtsein inhärente Möglichkeit, insofern es durch mehr oder weniger starke Erschütterungen den Halt im Leben der sprachlichen Bedeutungen und der absichtsvollen Handlungen verlieren kann. Wenn Karl für Peter zeitlebens und während ihrer intensiven Freundschaft eine von Peter nicht verwirklichte Lebensmöglichkeit verkörperte, die ihn, Peter, allererst leben und weiterleben ließ, kann die große Erschütterung infolge seines Todes Peter den Halt im Leben rauben und ihn dazu bringen, die Tatsache seines Todes zu verleugnen und phantastische Freundschaftrituale wie imaginäre Unterhaltungen oder Spaziergänge gleichsam jenseits des Grabes mit ihm zu pflegen.
Wir bemerken an dieser Stelle nicht zum ersten Mal, daß die Rede von einem nicht prinzipiellen, sondern nur graduellen Unterschied von Mensch und Tier von großer Verwirrung in Bezug auf die Verfaßtheit und Struktur des Menschen eignenden Bewußtseins zeugt: Nur das Bewußtsein des Menschen kann wahnsinnig werden, Menschenaffen pflegt dergleichen nicht zu widerfahren. Ein Orang-Utan, der glaubte, ein in einen Menschenaffen verzauberter Mensch zu sein, wäre verrückt, wie ein Mensch verrückt wäre, der glaubte, ein in einen Menschen verzauberter Orang-Utan zu sein; aber da Tiere in dem für unser bewußtes Leben konstitutiven semantischen Sinne überhaupt nichts glauben, annehmen und für wahr oder falsch halten, können sie auch nicht verrückt werden.
Worin gründet das lebendige Bewußtsein? Können wir es nicht nur anhand seiner Äußerungen oder seiner notwendigen Implikationen erfassen, welche die Struktur der Erfahrung ausmachen? Haben wir einen Funktionsbegriff oder eine relationale Form, mit der wir es unmittelbar erfassen können?
Wenn wir wieder auf unseren eingangs formulierten ungesättigten Funktionsausdruck F(x, y) zurückgreifen und versuchsweise die beiden Variablen identisch setzen, erhalten wir F(x, x), und wenn wir F statt mit „ist befreundet mit“ durch „ist vertraut mit“ definieren, erhalten wir durch Einsetzen von Peter für die Variable: „Peter ist mit Peter vertraut.“
Doch haben wir schon gesehen, daß wir für die Beschreibung und Verifikation der Relationen, in die Peter als Subjekt eingeht, wie in die Freundschaftsbeziehung, auf das Selbstbewußtsein und das Selbstverständnis der Person zurückgreifen müssen. So kommen wir zu dem Ergebnis, daß wir F in folgender Weise ausdrücken sollten: „Ich bin mit mir vertraut.“
In der Tat hat man geglaubt, mit dem Begriff einer ursprünglichen Selbstvertrautheit dem Selbstverhältnis, wenn es denn eine relationale Struktur besitzt, auf die Sprünge kommen zu können. Doch der Schein trügt, denn die Formel lebt wie all unsere Selbsterhellungen von einem Bild oder einer Metapher, die wie die Metapher des Spiegels oder der Reflexion wohl etwas Wahres enthüllt, aber zugleich immer auch Wesentliches verbirgt und dadurch in die Irre führt. Denn vertraut werden und vertraut sind wir immer mit anderem als uns selbst, dem Weg, den wir täglich gehen, dem Platz, an dem wir arbeiten oder mit der eigenen Sprache. Aber mit uns selbst sind wir nicht auf diese Weise vertraut; das zeigt sich darin, daß wir den Weg, der uns jetzt vertraut ist, ein ersten Mal gingen, da er uns nicht vertraut war – wir haben ihn allmählich in seinen verschiedenen Wahrnehmungsaspekten kennengelernt. Nicht so wir mit uns selbst – denn nicht waren wir uns „am Anfang“ gänzlich unvertraut und lernten uns dann allmählich kennen! Denn solange wir sind, sind wir immer schon – in einem extratemporalen Sinne – da, für uns da.
Wir können sprachliche Bedeutung nur dadurch erhellen, daß wir den betreffenden sprachlichen Ausdruck in Funktionsbegriffe umformen, die uns ihre Wahrheitsbedingungen liefern. Die Wahrheitsbedingung für den eingangs gegebenen Ausdruck F(x, y) beruht auf der Existenzbestimmung der Variablen, die in diesem Falle, wenn wir F als „ist befreundet mit“ definieren, auf die Reihe der Eigennamen einzuschränken ist. Nichts dergleichen ist für einen Funktionsausdruck in Sicht, der F als „ist sich seiner selbst bewußt“ definierte.
Denn wenn wir wieder x und y gleichsetzen und den Eigennamen Peter einsetzen, erhalten wir: „Peter ist sich seiner selbst bewußt.“ Und das muß man uns nicht zweimal sagen. Es ist ähnlich wie mit der berühmten Formel Fichtes „Ich=Ich“; hier sehen wir gleich, wo der Hase im Pfeffer liegt, denn die Formel impliziert eine unendliche Reflexion und Iteration oder einen unendlichen Regress, weil wir immer für „Ich“ wiederum „Ich=Ich“ einsetzen können:
1.1 Ich=Ich
1.1.1 (Ich=Ich)=(Ich=Ich)
1.1.1.1 ((Ich=Ich)=(Ich=Ich))= ((Ich=Ich)=(Ich=Ich))
Wir können etwas nur bestimmen, wenn wir es in einem Satz ausdrücken können, in dem die Identität der Bestimmung einen Unterschied enthält, wie in dem Satz „Peter ist der Täter“, in dem die Identität nicht vollständig und singulär oder exklusiv ist, weil natürlich auch Karl und Hans Täter sein können. Die vollständige Identität wie in dem Satz „Peter ist Peter“ aber sagt NICHTS, also auch nicht Fichtes Satz: „Ich ist Ich.“
Der Zirkel, in den wir hier geraten, tat sich schon anfangs auf, als wir den ungesättigten Funktionsausdruck für die Freundschaftsrelation betrachteten und feststellten, daß er nur korrekt erfüllt werden könne durch Einsetzen geeigneter Eigennamen wie Peter und Karl. Was aber ist mit unseren beiden Wellensittichen, die wir Peter und Karl getauft haben? Sie sind vielleicht rührend einander zugetan, doch werden wir ihnen nicht die Ehre antun anzunehmen, Peter befürchte, Karl könne enttäuscht sein oder gar die Freundschaft aufkündigen, wenn Peter vergißt, ihm an seinem Geburtstag am kommenden Sonntag ein Geschenk zu überreichen. Tiere sind nun einmal nicht Personen der Art, daß wir ihnen unterstellen, ein selbstbewußtes Leben zu führen, das sie in gegenseitige Erwartungen und Verpflichtungen, Enttäuschungen und Sanktionen verstrickt. Demnach dürfen wir nur diejenigen unter den Trägern von Eigennamen als Kandidaten für die Variablen unserer Freundschaftsrelation auswählen, die das Kriterium selbstbewußten personalen Lebens erfüllen. Das ist der Zirkel.
Ist also die Urtatsache, die unser Leben und die Erfahrungswelt bestimmt, das lebendige Bewußtsein oder das Selbst, unaussprechlich, unsagbar, mystisch?
Betrachten wir einen Satz wie: „Der Mount Everest ist der höchste Berg der Erde“ und klären wir seine Wahrheitsbedingungen mittels Umformung in den entsprechenden Funktionsausdruck, gemäß dem es von allen Bergen genau einen gibt, der alle überragt; und diese Bedingung ist erfüllt, wenn gilt: Wenn der Berg x die Eigenschaft F hat (wobei wir F mit „überragt alle anderen Berge“ definieren) und wenn der Berg y die Eigenschaft F hat, dann sind diese Berge derselbe Berg und x=y. Formulieren wir dies in einem Funktionsausdruck: F(x, y) (x=y). Die Wahrheitsbedingung schränkt anhand des Identitätszeichens den Wertebereich der Variablen auf eine singuläre Entität ein.
Und diese Einschränkung gilt naturgemäß auch für das Bewußtsein oder Ich oder für mich (oder für dich): Wie wir allen größeren Erhebungen die Eigenschaft, Berg zu sein, zusprechen, sprechen wir allen Personen die Eigenschaft zu, ein Ich zu sein. Und wie wir von allen Bergen nur einem einzigen Berg die Eigenschaft zusprechen, der höchste zu sein, sprechen wir von allen Personen nur einer einzigen Person die Eigenschaft zu, ICH zu sein.
Wir finden in der theologischen Ausdrucksweise eine Analogie: Wenn es heißt, Jesus sei der Christus, dann wird eine Identität ausgesagt, die der Ich-Identität entspricht. Wir können demnach folgende Sätze logisch-semantisch vergleichen:
(1) Jesus ist der Christus.
(2) Diese Person bin ich.
In beiden Fällen wird dem Subjekt keine allgemeine Eigenschaft zugesprochen, die es mit vielen weiteren Subjekten gemeinsam hätte. Denn in (1) ist „Christus“ kein Titel wie „König“ in dem Satz: „Karl der Große war der König des Frankenreichs“, für den wir die ungesättigte Funktion F(x) hinschreiben können, bei der die Variable den Wertbereich aller Namen von Königen umfaßt. Vielmehr ist, wenn (1) gilt, Christus der einzige König der Welt und als solcher die zweite Person des trinitarischen Gottes. Da nun Gott Person ist, ist er ein singuläres, seiner selbst bewußtes Lebewesen. Insofern haben wir in der theologischen Formel „Jesus ist der Christus“ in der Tat einen analogen Ausdruck für die Ich-Identität.
Wir können noch ein Stück weitergehen: In der Formel (1) ist zugleich die Tatsache der Inkarnation ausgesagt, denn die historisch leibhaftige Person Jesus wird als Christus bezeichnet. Hier finden wir die zweite Analogie zur Ich-Identität: Auch diese scheint uns unlöslich von ihrem leibhaftigen Träger zu sein. So kann ich auf ein Foto zeigen und ohne Mißverständnisse zu erwecken sagen: „Das bin ich.“
Für (2) gilt: Zwar haben alle Personen die Eigenschaft, ihrer selbst bewußt oder ein Ich zu sein, aber nur eine einzige von allen hat die Eigenschaft, ich selbst zu sein: Wenn Peter seinem Freund Karl sein Leben erzählt und sich an viele Personen erinnert, die darin eine Rolle gespielt haben, weiß Karl, daß Peter mit keiner der erinnerten Personen identisch ist, sondern daß er identisch mit demjenigen ist, der sich an sie erinnert, und daß es keine andere Person gibt, die sich jetzt in dieser Weise an sie erinnert.
Wir schließen daraus: Wenn wir die Wahrheitsbedingung des Funktionsausdrucks für die Ich-Identität auf die singuläre Entität einschränken, die sie erfüllt, kommen wir der Semantik des Bewußtseins zumindest ein gutes Stück näher.
Wir kommen an eine Grenze des Sagbaren, wenn wir bemerken, daß wir ebenso im Grund von allem enthalten sind wie der Grund von allem in uns, in uns als bewußten Wesen. Denn, um es im theologischen Bild zu sagen, wenn Gott sich in der Welt inkarniert hat, sind wir ein leibhaftiger Aspekt seines Bewußtseins. Und wenn wir uns unserer bewußt sind, dann weiß Gott durch unser Wissen von uns von sich. Aber von sich zu wissen ist wie ein Schleier oder Schatten, den die Dinge werfen, mit denen wir umgehen; wollen wir den Schleier oder Schatten für sich greifen, zerfließt er unter der Hand, wird zu nichts. Daß der Schatten ein Leben lang mit uns wandert, verweist darauf, daß wir in allem enthalten sind; doch bleibt er ungreifbar, wie der Grund von allem, wenn wir danach greifen wollen.
Ich kann, wenn ich mich als im Grunde von allem enthalten denke, auch denken, daß ich von Gott gedacht werde, daß ich von Gott angesprochen werde. Aber wenn ich mich allein im All sehe, verliere ich mich natürlicherweise im Nichts.
In der semantischen Annäherung können wir diesem Gedanken des Rückbezugs von Allheit und Ich-Identität etwa so formulieren: Jeder Satz enthält ein Gedachtes oder einen Gedanken, jeder Gedanke weist auf ein mögliches Subjekt des Denkens. Der Grund und die Struktur des Gedankens sind im Grund und der Struktur des Bewußtseins enthalten. Es gibt nicht die ontologische Form eines Sachverhalts ohne die semantische Struktur eines Bewußtseins, das um ihn weiß oder glaubt, daß er besteht oder nicht besteht.
So weist, um es wieder metaphorisch zu sagen, das Bewußtsein in den Grund der Welt, und der Grund der Welt spricht sich im Bewußtsein aus. Deshalb kann es keine Evolution oder eine natürliche Entwicklung des Bewußtseins in der Form geben, daß gewisse objektive Verhältnisse, wie die Stammesentwicklung, die Hirnentwicklung oder die Entwicklung der sozialen Kommunikation, für die Form und Struktur des bewußten Selbst unmittelbar ursächlich wären. Das Kind kann nicht die indexikalische Rolle der Pronomina „ich“ und „du“ lernen, ohne schon von sich zu wissen; zu wissen, daß es gemeint ist, wenn es von anderen Kindern gerufen wird.
Comments are closed.