Skip to content

Vom Trost der Dichtung

08.09.2021

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Trostlose Rhetorik der Politik, die wähnt, ihre Lügen gewönnen durch ständige Wiederholung an Glaubwürdigkeit.

Die Obszönität der politischen Macht schimmert durch das fadenscheinige Kleid ihrer hochtönenden moralischen Phrasen.

Erotische Attraktivität scheint in einem umgekehrten Verhältnis zur Tüchtigkeit und Lebensklugheit zu stehen, von Weisheit zu schweigen.

Hephaistos muß im Schweiße seines Angesichtes schuften; Aphrodite genießt das Privileg, von den Musen (und nicht nur von diesen) unterhalten zu werden.

Das Pseudos des deutschen Idealismus und der Fichte folgenden Philosophie liegt in der verklärenden Sicht auf die Natur, als wäre sie die ursprüngliche, dem Lichtwort der Schöpfung entsprungene. Aber die von Eichendorff, Brentano, Novalis und Hölderlin besungene ist nicht die Wildnis der Urzeit, ließen sie ihre Blicke doch über die sanften Hügel und leuchtenden Matten der Kulturlandschaften an Rhein und Neckar, Donau und Inn, Elbe und Saale schweifen.

Der tiefe Geist Goethes zog der dämonischen Macht der absoluten Skepsis, der teuflischen Ironie und des geistreichen Nihilismus die grotesk-komische Maske des Mephistopheles über.

In Goethe kämpfte das patriarchale Lichtwort der Genesis gegen den Abgrund der heidnischen Götterdämmerung.

Der Geist kann das Grauen der Natur nicht im Sinne Hegels aufheben.

Das Haus mit seiner Schwelle und seiner Pforte, aber auch seinen Fenstern, und der gehegte und eingefriedete Garten sind Grundformen und zugleich Ursymbole der Kultur und der Dichtung­.

Unzeitgemäße, ja ungehörige Lehre eines Nietzsche oder Freud, daß der Charakter von den Eingebungen und Insinuationen des Geschlechts überschattet oder auch ins rechte Licht gerückt wird. Indes, ein Lebewesen mit Testikeln oder Ovarien und einer Gebärmutter zu sein, ein Gehirn zu haben, das die Ausschüttung von Testosteron oder Östrogen reguliert, heißt ein Schicksal zu haben, ob man mit ihm hadert oder nicht.

Es gibt kein moralisches Gefälle zwischen einer Kultur, in der die Frau das Haus hütet, und einer, in der sie mit dem Mann um Arbeitsplätze und öffentliche Posten konkurriert.

Das Bewußtsein, der Wille, der Adel, aber auch die verschmähte Liebe oder die dem Gefühl der Nichtigkeit entstiegene Trauer walten und gestalten sich in der Pinselführung des Malers, im schwachen oder leidenschaftlichen Druck des Zeichners auf seinen Stift, in der Wahl der Worte und Bilder des Dichters.

Imagination, Einbildungskraft und Phantasie sind keine intentionslosen Äußerungen des menschlichen Geistes; wir können uns ja auf Geheiß etwas vorstellen und ausmalen, spintisieren nach Lust und Laune.
­
Kitsch ist die Lüge, die sich als Ausdruck authentischer Gefühle mißversteht.

Es gibt den verniedlichenden Kitsch, aber auch den negativistisch-destruktiven, den Kitsch, der Rosen auf Gräber streut, und den Kitsch, der nackt im Morast wühlt.

Aufgeblähte Sprache, als ginge ein Sturm durch die Zeilen und Verse, gegen den der Schreiber wild gestikulierend zu Felde zu ziehen vorgibt; doch in Wahrheit liegt er unangefochten und gefahrlos auf dem Kissen, das mit den weichen Daunen des Klischees gefüllt ist.

Der Trost der Dichtung, die uns das Medusenhaupt des Lebens im schonenden Spiegel zeigt, kann nicht die Süße der Pausenlimonade haben, sondern kredenzt uns einen Wein, der lange im Dunkel gereift ist.

Der Trost der Dichtung ist kein Parfum, kein Veilchenwasser, versprüht, um den Gestank des Siechen oder des faulenden Leichnams zu überdecken.

Ist es tröstlich oder verstörend oder beides zu entdecken, daß der Wüstling das Gedicht der reinen Liebe und Hingabe zu verfassen vermag, der feiste Prasser und stammelnde Trunkenbold die Elegie auf die Schlichtheit und Anmut ländlichen Lebens und bukolischer Ruhe, der Salonlöwe den Hymnus auf die schweigende Sternennacht des Eremiten?

Die Katharsis im Bad der Tränen.

Die tragische Ernüchterung, die vor dem Abgrund der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung haltmacht, nicht, weil die Chöre des Sophokles dem Wunderklang der Nachtigallen nicht nachstehen, sondern weil Elektra und Ödipus als Seelenverwandte empfunden werden.

Der Virtuose der Empfindung schöpft den Rahm ab, den bitteren Mocca läßt er stehen.

Schon in der elementarsten und schlichtesten dichterischen Form, der Wiederholung, liegt ein Trost, denn sie beschenkt uns mit der Ahnung einer Wohlordnung des Denkens und Fühlens, die in der Unruhe des Lebens immerzu im warmen Schlamm des halb Empfundenen versinkt, von den Staubwolken des Ungedachten verwischt und verschluckt wird.

Die Wiederholung ist sowohl eine Grundform des Lieds als auch des Gebets.

Im Wiegenlied bildet die Wiederholung die mütterliche Geste stillender Liebe nach.

Die wiederholte Anrufung des Namens beschwört die Nähe des Geliebten über das Grauen des Grabes hinweg.

Die wiederholte Anrufung der Namen in der liturgischen Litanei beschwört die Nähe der auferstandenen Toten.

Die Kabbalisten sahen in der Schrift die verborgene Wiederholung des Namens Gottes.

Die Form der Wiederholung und der Variation flicht das Gesagte gleichsam zu einem Kranz, der in sich vollendet ist; zu einem in sich zurücklaufenden Umschwung und Kreisgang, bei dem man vor jeder aus dem Dunkel hervorleuchtenden Rose am Ziel, unter jeder Schattenranke eines aufatmenden Innehaltens angekommen ist.

Das vollkommene Gedicht ist gleichsam eine dichterische Form der Paradoxie, die immer nur wiederholt, daß wir bejahen, auch wenn wir verneinen, daß wir lieben, auch wenn wir hassen, daß wir träumen, auch wenn wir wach sind.

Im gewöhnlichen Leben sind wir enttäuscht, nach mühsamer Wegbahnung schließlich wieder an den Ausgangspunkt unserer Reise zu gelangen; nicht so im Gedicht.

Zehnmal den Satz „Ich bin ein ewiger Bummler und Taugenichts vor dem Herrn“ auf die Tafel vor der hämisch grinsenden Klasse schreiben zu müssen, ist eine entwürdigende Strafe; ihn in mäandernden Variationen vor sich hin zu trällern, ein poetisches Vergnügen.

„Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ Die Struktur des hebräischen Verses, und also der Offenbarung des Heiligen, hat vielfach die Form der Wiederholung der Aussage in einer bestätigenden Variation.

Eine Säule macht noch keinen Tempel; der Rhythmus ihrer Wiederholung erst gibt ihm die sakrale Würde.

Wenn Tropfen für Tropfen aufschlagen, beginnen wir sie rhythmisch und taktweise zu gliedern.

Im Regen, der monoton auf das Laubwerk niederprasselt, vernehmen wir nur den Ennui und die Verlorenheit unseres entwurzelten Daseins.

Im Reim nimmt die Wiederholung die Gestalt der Resonanz eines Sinnes an, der Wiederkehr einer sich selbst im anderen liebkosenden Sinnlichkeit, die wir, Sklaven der Abstraktion, schon verloren gaben.

Das digitale Bild oder Selfie ist die Auslöschung der Imagination, das Dokument, seiner selbst abgestorben zu sein.

Das künstlerische Porträt ist keine Kopie, sondern die bergende Wiederholung und Rekonstruktion der im Antlitz verschütteten Lebensmöglichkeiten. Deshalb muß es dem Porträtierten im perzeptuellen Sinne nicht ähnlich sein.

Ein Maß der künstlerischen Form ist die Gliederung des menschlichen Leibes, aber auch die geheimnisvolle Ordnung der Strukturen, Verästelungen und ornamentalen Wiederholungen von Blättern, Wellen, Wolken, Federn, Vogelstimmen.

Die dichterischen Grundformen der Wiederholung und Variation verlieren an Gewalt des magischen Banns, die noch in den alten Zaubersprüchen waltet, in dem Maße, wie sie sich zur Geste der Hingabe sänftigen, die uns als Trost der Segensprüche, Widmungen und Gedenktafeln, aber auch als reiner Ton der Dankbarkeit wie in Hölderlins Elegien und Hymnen zuteilwird.

 

Comments are closed.

Top