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Väter und Mütter

07.12.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Weil sie geboren hat oder gebären kann, ist die Frau mitfühlender, lebensvoller, gemüthafter als der Mann; weil die Zeugung durch den Mann ein jäher Scherz ist im Vergleich mit der langen Passion der Schwangerschaft und Geburt, sehen wir die männliche Hand eher ausholen, schlagen, töten.

Die natürliche Polarität und der Zwiespalt der Geschlechter ist eine Ableitung der weiblichen Funktion, Kinder auszutragen, und der männlichen Potenz zu zeugen. Wer sie leugnet oder vergleichgültigt, ist dem Leben schon ziemlich abhandengekommen.

Es mutet wie ein neuer Puritanismus an, die alle Fibern menschlichen Lebens, Fühlens und symbolischen Gestaltens durchpulsende und durchwebende Macht der Zwiegeschlechtlichkeit in der keimfreien Atmosphäre der Akademien, Seminare und Politbüros ersticken und in der trüben Lauge einer lebensfremden, moralisch-politisch korrekten Begrifflichkeit neutralisieren und zerfasern zu wollen.

Der neue Puritanismus, eine paradoxe Mischung von hedonistischer Zügellosigkeit und moralischer Strenge, von sprachlicher Verwahrlosung und moralisch-korrekter Enge, wütet wie der Bildersturm und der Ikonoklasmus der frühen Neuzeit und der modernen Revolutionen: Heute sind die mythischen Bilder, die endgültig aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt werden sollen, Archetypen der alteuropäischen Kultur wie das Bild der aus dem Herdfeuer singenden Erdgöttin, der schönen, aber auch grausamen Nymphen der Quellen, Bäume und Meere, der nährenden, gewährenden und duldsamen Mutter, des geheimnisvollen Lächelns der Schwangeren, der großen Trauernden, aber auch das verstörende Bild der hysterisch Erregten, bacchantisch Tanzenden und dionysisch Entfesselten.

Eros verhüllt sein Angesicht über dem mechanischen Getriebe steriler Lust.

Aufgrund ihrer Natur sind sich Mann und Frau nach ihrer seelischen Struktur sowohl abgründig fremd als auch einzigartig nahe, in einer Nähe der Intensität und Spannung, die von den Klischees der Ebenbürtigkeit und der gleichen Augenhöhe verdunkelt wird.

Der Mann sieht sich im Spiegel des Auges der Geliebten, die Frau versinkt im Blick des Geliebten.

Die Mutter des Kindes ist bekannt; zur Not müssen wir einen genetischen Test machen, um uns der Vaterschaft zu vergewissern: Das sagt viel über das Verhältnis der Geschlechter, bei dem der männliche Nomade den weiblichen Hort und Herd oft eher vorübergehend aufzusuchen geneigt ist.

Die rohe Hand des Mannes sehen wir in den antiken auf kriegerische Auseinandersetzung aufbauenden Volksverbänden wie in Sparta oder Rom den schwächlichen, kränkelnden oder mißgestalteten Säugling von der mütterlichen Brust reißen, um ihn als lebensuntüchtig oder kriegsuntauglich auszusortieren und auszusetzen.

Daß ein Leben an sich, ungeachtet seiner physischen und moralischen Artung, bejahenswert sei, ist ein mütterlicher Gedanke, und so finden wir ihn nicht bei Moses, Platon, Schiller oder Nietzsche, sondern im vom marianischen Stern überstrahlten Hort des Christentums, dem eingefriedeten Pferch der Lämmer, nicht dem finsteren Wald der Wölfe.

Die Psychologie des Mannes und die Psychologie der Frau überlappen sich nur fragmentarisch, oberflächlich, peripher. Nur ein Mann wie Freud konnte die Psychologie der Frau über eine Fehlkonstruktion wie den Penisneid und den Elektrakomplex an die des Mannes angleichen wollen.

Die Psychologie der Frau ist in großen Teilen ungeschrieben; aber ihr Material quillt überreich in den Zeugnissen weiblichen Lebens und Fühlens, den dichterischen Werken der Sappho, der Catharina Regina von Greiffenberg, der Annette von Droste-Hülshoff, der Else-Lasker Schüler oder der Gertrud Kolmar und Nelly Sachs, um nur diese zu nennen.

Ein erstaunlicher Befund über die Psychologie des Mannes, gewisser Männer müssen wir einschränkend sagen, liefern uns die Werke der Dichter und Dramatiker, die auf genial-intuitive Weise der Psychologie der Frau in Gestalten wie Iphigenie, Antigone, Elektra oder Medea ihren Tribut gezollt haben. Einen intuitiven Zugang zur weiblichen Psyche finden wir ebenso bei großen Komponisten wie Mozart, Wagner und Richard Strauss.

Der zärtliche und unheimliche Goethe schuf Gretchen, Mignon, Iphigenie und die Marienbader Elegie, der herbe und leidenschaftliche Kleist eine Amazone.

Haben nicht schöpferische Genies wie Goethe, Rilke oder Hugo von Hofmannsthal eine zwittrige, mann-weibliche Seele?

Sollen wir, wenn wir an die Jungfrau von Orléans oder Ophelia denken, nicht einer Psychiatrie mißtrauen, die den Ursprung, die Symptomatik und Therapie seelischer Erkrankung nicht nach Geschlechtern differenziert?

Daß die Frau ein anderes, gebrocheneres Verhältnis zur objektiven Wahrheit hat, glaubten männliche Psychiater an der Hysterikerin in mehr oder weniger denunziatorischer Absicht dingfest machen zu können; man kann die weibliche Hysterie aber auch als traumartige Offenbarung verstehen, die den geheimen Wunsch zugleich ausdrückt und verhüllt. Welchen Wunsch? Nun, den nach Empfängnis.

Das Geschlechtsteil der Frau ist die Verkörperung ihrer Psychologie. – Empfängnis und Aufbewahrung kostbaren Gutes sind ihr wesentliche Züge.

Dem Mann der Tat, der Leistung, des Willens fällt es weniger leicht, nichts zu tun, der Muße zu frönen, schwerer, Stille zu ertragen, am schwersten, da es ihn der souveränen Stellung beraubt, kindlichen Sinnes sich beschenken zu lassen und demütigen Sinnes dankbar zu sein.

Wilhelm von Humboldt ist der Entdecker des internen Zusammenhangs von Sprache und Weltbild, den selbst die größten Denker vor ihm nicht wahrgenommen haben, weil sie wie Aristoteles oder Descartes die sprachliche Funktion auf die zeichenhafte Wiedergabe von Erlebnisinhalten, Vorstellungen und Gedanken einengten; so als wäre der vom sprachlichen Zeichen unverdeckte Gedanke die Sache selbst; so als müßte man das Fenster der Zeichen mit der Lauge der Analyse reinigen, um klar und deutlich zu sehen, was da draußen vorgeht.

Doch die sprachliche Differenzierung zwischen Vater und Mutter verkörpert selbst schon eine wesentliche Struktur unseres sprachlichen Weltbildes, die so allgemein ist wie die Differenzierung zwischen Belebtem und Unbelebtem, Pflanze und Tier, Göttern und Menschen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, so daß sie von allen Zweigen aller Sprachfamilien repräsentiert wird.

Humboldt war auch der erste, der hinsichtlich der moralischen und ästhetischen Bedeutung des Geschlechtsunterschieds zu tieferen Einsichten vorstieß.

Die Rede von Vaterschaft und Mutterschaft gräbt eine Schneise oder zeichnet eine Linie in die Topographie unseres Weltbildes; sie konstituiert einen Sinn, der uns allererst ermöglicht, von bestimmten Wahrheiten zu sprechen, wenn wir etwa behaupten, Peter sei der Sohn von Johannes oder Anna die Tochter von Elke.

Zu sagen, Peter sei der Sohn von Johannes, ist etwas anderes, als zu sagen, Herakles sei der Sohn des Zeus. Nicht deshalb, weil der Göttervater Zeus kein wirklicher Vater sein kann, da er nur das Schattendasein einer mythologischen Phantasie fristet; sondern weil Zeus im Gegensatz zu Johannes nicht der Name eines Individuums, sondern der Name einer überindividuellen, symbolisch erfaßten und verdichteten Macht ist, die für den antiken Menschen nicht minder real war, weil sie sich nicht biologisch in einem singulären Dasein verkörpert hat.

Daß der jüdische und christliche Gott Vater genannt wird, ist ein Hinweis darauf, daß die Frommen ihm als Kinder gegenübertreten, und dies heißt nicht nur, sich seiner Führung und seinem Wort zu unterstellen, sondern auch, wenn sie sich seiner würdig erweisen, jenes Erbe anzutreten, von dem die Schrift als Gottesreich spricht.

Platon spricht von der geistigen Zeugung im Schönen, aber nicht von der Gnade einer geistigen Geburt.

Mit dem Wort oder dem Werk schwanger zu gehen ist etwas anderes, als es zu machen, anzufertigen, zu fabrizieren. Es handelt sich um ein Wachstum und ein Heranreifen, das vom Willen und der Willkür losgelöster Einwirkungen und Segnungen bedarf.

Daß die Frau ästhetisch anders empfindet und urteilt als der Mann, beruht nicht auf der kulturellen Kontingenz, aufgrund derer wir sie mit Mustern, Farben, floralem Dekor und wohlduftenden Essenzen beschäftigt sehen, sondern auf der Verborgenheit der virtuellen Frucht im Mutterleib; nicht das vom Tageslicht rein umrissene Phänomen, nicht die ästhetisch gerundete Gestalt, nicht die sonnenbeschienene Plastizität, sondern die vom Dämmerlicht des Gefühls halb umflossene, halb verhüllte Wirklichkeit des lebendigen Daseins ist für solches Empfinden entscheidend. Der Mann braucht das Bild, die Form, die Gestalt, um sich einen klaren Eindruck zu verschaffen. Unter der Sonne Platons will er seinen Acker bestellen und seine Maschinen bauen.

Wie anders Dekor, Schmuck, Anmutung eines von weiblicher Hand geprägten Wohnbereichs als die nüchterne Atmosphäre des männlichen Arbeitszimmers; wie verbindet die Liebe zu den Blumen, erlesenen Stoffen, schillernden Gefäßen und betörenden Düften die Seele der Frau und die Seele des lyrischen Dichters.

Die mütterliche Frau empfindet die Kinder zeitlebens als Teil ihres Leibes, während sie sich dem Erzeuger leicht in den anonymen Raum des öffentlichen Lebens emanzipieren.

Am Ursprung des Rechts sehen wir das Gesetz des Vaters, das die Erbfolge sichern soll und den Nachfolger und Erben durch erzieherische Maßnahmen mit den Eigenschaften auszustatten anweist, die ihn die Rolle des Vaters zu übernehmen gestatten. Die mosaische Gesetzgebung soll die Nachfolge der erwählten Führer Israels sichern und seine rituellen Vorschriften das Gedächtnis der Väter bewahren und ihre Sendung auf die Nachkommen übertragen.

Dagegen sehen wir den Anspruch der Mutter auf die Formung des Kindes in der sittlichen Bildung im eigentlichen Sinne verwirklicht; sie ist es, oder müssen wir sagen, war es, die ihm Wiegenlieder singt, Märchen erzählt, Blumen und Früchte und Vögel zu unterscheiden lehrt, sie ist es, die falls es glückt auch die geduldige und einfühlsame Lehrerin gibt, wenn es gilt, große Gefühlsaufwallungen und seelische Konflikte zu meistern.

Vermag nicht die mütterliche Frau den Tod als im Dunkel des Selbst herangereifte Frucht, der Mann, vor allem der kinderlose, beinahe nur als Riß und Blitz zu gewahren?

Die virtuelle Mutterschaft hat Frauen mit neuronalen Mustern versorgt, die sie anders fühlen und denken lassen als Männer, hat ihnen eine Weltbild-Perspektive mitgegeben, in der sie grundlegende sprachliche Konzepte unserer Lebensform wie Liebe und Glück, Erfüllung und Unglück, Angst und Lust und Langeweile anders interpretieren.

Das subjektive Zeitempfinden eröffnet Frauen längere Schneisen der Erwartung als ungeduldigen Männern, kürzere Passagen durch das Dickicht der Ungewissheit und Bedrohung als dem mit Gefahren und Risiken spielenden und seiner Position nie ganz sicheren Herrn der Schöpfung.

 

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