Unbehaust
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Viel erlebt und nichts verstanden.
Viel gereist und nichts gesehen.
Viel erlitten und nichts begriffen.
Am Übermaß der Bilder erblindet.
Am Geschwätz erstickt.
Um mit ihrer Weltweisheit aufzutrumpfen und ihre Nichtigkeit zu bemänteln, prahlen sie mit ihrer Sammlung von Flug- und Eisenbahntickets, Eintritts- und Visitenkarten.
Alben und Annalen der Erinnerung: vollgestopft mit leeren Gesichtern und verlogenen Landschaften.
„Der archaische Mensch, der antike Mensch, der moderne Mensch“, „Fortschritt der Humanität“, „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“ – welche Dummheiten, welche Phrasen!
Wir verstehen die homerischen Epen und die biblischen Erzählungen von der Zeit der Patriarchen und der frühen Könige Israels, weil sich die grundlegenden Züge der menschlichen Natur gleich geblieben sind.
Nicht Fortschritt, nicht Pöbelkrawall auf den Gassen und Plätzen, nicht die endlich gewebte Flagge des ewigen Friedens, sondern Flucht ins Reich der Fabel, Entrückung in künstliche Paradiese, Traumwelt der Kunst – hier leuchtet bisweilen die reine Flamme menschlicher Würde.
Wenn die Männer keine Herren, die Frauen keine Damen, die Deutschen nicht mehr deutsch sein wollen – mag man sie vielleicht bedauern, doch soll man ihnen nicht nachtrauern.
Das Leben krankt an zuviel Eigengewicht, der Kopf an zuviel Eigensinn, das Herz an zuviel Selbstgefühl, wenn die tragende Schicht der Traditionen und Gebräuche wie jene des christlichen Festkalenders nachgibt.
Freiheit ist der Güter gefährlichstes – wehe, wenn der Scharlatan, der Triebtäter, der Kriminelle auf der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit bestehen!
Cave hominem steht als Motto über der Pädagogik und Psychologie, die das menschliche Elend und Grauen nicht mit einer spanischen Wand menschenfreundlicher Illusionen verstellt.
Wenn man den bösen Trieb, um mit dem Talmud zu sprechen, aus dem Menschen herausoperiert, verliert er auch die Antriebsenergie und Schubkraft zum Guten. Darin liegen die absurde Tragik und die schreckliche Komik aller grandiosen staatsterroristischen Umerziehungsprogramme und aller Utopien vom neuen Menschen.
Zuviel Testosteron läßt den Mann zuschlagen, zu wenig siechen.
Der Atheismus ist das Opium aller innerweltlichen Glücksverheißungen und der Mittäter der größten Verbrechen.
Die Natur des Menschen liegt mit dem Glück in ständigem Hader.
Die Dämonen hausen in den Gliedern und Teilen des menschlichen Körpers, in Auge und Mund, Ohr und Zunge, Bauch und Geschlecht.
Diebe wollen das unrechtmäßig angeeignete Gut als ihr Eigentum behandelt sehen und es sich nicht wieder entreißen lassen.
Der Hang zur Faulheit ist universell, er motiviert ein Gutteil der Verbrechen wie Diebstahl, Raub und Betrug.
Die einen liegen auf der faulen Haut und tun sich an den Früchten des Lotos gütlich, die anderen recken sich nach dem Lorbeer, bauen Tempel, errichten weithin glänzende Monumente, um in die rühmlichen Annalen Klios einzugehen. Doch bisweilen schreibt Klio im Rausch oder in somnambulem Zustand und vertauscht oder verfälscht die Namen und Daten.
Gewiß, den Landstreicher quält nicht die Sorge um das Eigentum eines prächtigen alten Anwesens, die Angst, es beschädigt zu finden oder es zu verlieren, der Kummer angesichts unwürdiger Erben; doch auch er hütet die Mundharmonika, auf der er bisweilen abends nicht ohne Sentiment zu spielen pflegt, wie seinen Augapfel.
Wer mit der Zeit geht, hinkt dem ephemeren Glück des erfüllten Augenblicks immer hinterher.
Wenn Gott nicht mehr Monarch ist oder keine Könige von Gottes Gnaden herrschen, wird der nackte, jämmerliche, nichtsnutzige Mensch zum Götzen.
Keine Massengesellschaft ohne Massentierhaltung und die durch sie auf Mensch und Kreatur ausstrahlende Entwürdigung.
Die technische Zivilisation ist auch ein Seitentrieb der menschlichen Faulheit.
Nachdem sie mit ihren Denkern und Dichtern auf den Gipfel gestiegen sind, rasen die Deutschen mit ihren Erfindern und Ingenieuren wieder in den Abgrund.
Die Via Appia in ihrer alten Gestalt, und dann irgendeine öde Einkaufspassage in einer der Metropolen.
Im Gegensatz zu den Wohnsilos der Metropolen haben selbst die schmutzigen Winkel und windschiefen Häuser eines ärmlichen Bergdorfs in den Abruzzen, den Alpen oder den Tälern des Himalaya ihren eigentümlichen ästhetischen Charme.
Man erkennt das ästhetische Niveau eines Zeitalters an seinem bevorzugten Material für die Gestaltung von Kunst- und Gebrauchsdingen; so Knochen, Elfenbein und Stein der Frühzeit, Holz, Marmor und Bronze der Antike, Gold, Onyx und Porphyr in Byzanz, Eisen und Blech der Neuzeit, Plastik und andere synthetische Materialien in der Gegenwart.
Homer, die Tragiker, Vergil, Dante, noch George und die Surrealisten glaubten an die Offenbarung durch Träume; heute sieht man in ihnen nur noch blasse Chimären des Begehrens und der Angst.
Die von Türmen und Berggipfeln Ausschau halten, sehen die subtilen Schönheiten der Nähe nicht, lesen nicht die Schönschrift in den Maserungen und Lineamenten der Kiesel, Blätter und Insektenflügel.
Vergil ist der Autor der Aeneis. Aber wessen Autor ist Vergil? Es ist ein Unterschied ums Ganze, wenn man auf sein Zeitalter weist oder seinen Genius.
Die größte Dekadenz dieser Zeit, die der Kirche, wird als Aggiornamento und Welterschließung verklärt, obwohl sich ihr Auftrag nicht auf den Tag, sondern die Ewigkeit, nicht auf die Welt, sondern das Reich Gottes richtet.
Der Anteil höherer Bildung des gemeinen Volkes waren die immerhin noch schmackhaften und gut verdaulichen Brosamen, die von den Tischen und Pulten der Oberschicht fielen; was heute über die neuen Medien herabsickert, sind fade Geschmacklosigkeiten, die noch dem gesündesten geistigen Organismus die Adern verstopfen, selbst dem nüchternen Verstand den derben Magen umdrehen.
Gehetzt, zerquält und unbehaust, dem eigenen Dasein und Wert mißtrauend, voller Unruhe, die an keinem Bilde, keinem Wort und keinem Bunde sich sättigt und stillt, das nahe Gute einer Chimäre gespenstischer Ferne opfernd, hinter Masken nur wieder neue Masken ertastend, auf dem Zaubermantel eines Alter Ego vom Wind des Spotts und der Verneinung in immer neue Selbstinszenierungen getragen – wenn dieser Faust ein Porträt der deutschen Seele sein soll, können wir seine und ihre Erlösung kaum für bare Münze nehmen.
Die Riten sind die Mauern, hinter die sich die bange Schar der Erwählten flüchtet.
Zuerst war das dichterische Wort magisch wie in den alten Zaubersprüchen, dann rituell wie in den Musenreigen und den tragischen Chören gebunden; losgerissen von allen Bindungen, wird es abstraktes Gerede, Asche auf der Zunge von Irren, fauler Atem aus dem Mund von Todgeweihten.
Die Ode und der Hymnus starben, weil die Gemeinde, die sie hätten mit Leben behauchen können, selbst als gehoffte wie bei Hölderlin, ausblieb oder sich wie die beschworene bei George in alle Einsamkeiten und Einöden verstreute.
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