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Überwindung des Nihilismus

26.08.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Der Nihilismus ist die letzte Phase des Monotheismus.

Nietzsches Wort ist noch ein Teil dessen, was es negiert.

Daß wir die atonale Musik als letzte Phase der klassisch-romantischen begreifen können, wird schon an den Rissen und Sprüngen in der Biographie ihrer Gründer evident.

Mythos, Religion, Kunst – Versuche der Steigerung und Sublimierung des Lebens. Wenn sie zerfallen, wird das Leben flach, schal, ohne den geheimnisvollen Duft jener exotischen Blumen.

Fällt kein Licht mehr von den Flammen der Tempel, Kultstätten und Altäre in die trübe Wirrsal des Lebens, borniert es sich in einen dumpfen All- und Nichtstag.

Die Feier des Perversen ist das moribunde Stadium des Patriarchats.

Der Siegeszug der Technik und die Digitalisierung der Kommunikation sind die letzte Phase des Cartesianismus.

Vom Glauben an die Vernunft bleibt nur der Wahn der Machbarkeit.

Eine Rose, eine Mücke, einen Tiger oder einen Menschen kann man nicht erfinden.

Die Erfahrung der Lebensstufen und des Alterns läßt sich vom freien Entwurf der Existenz nicht überholen.

Worte haben nicht die Bedeutung, die wir ihnen geben.

Gäbe es keine Rosen, Mücken oder Tiger, wir könnten ihren Begriff nicht erfinden oder konstruieren.

Aus dem Begriff eines Stoffes, der H2O ist, können wir die Bedeutung von Wasser nicht herleiten.

Die Schachtel mit der subjektiven Bedeutung des Wortes, die jeder mit sich herumschleppt, ist bekanntlich leer.

Epochen der Epiphanien des Seins – dies ist der gehaltvollere Begriff als der sich in geschichtlichen Phasen manifestierende Weltgeist Hegels und seiner Derivate im Marxismus oder Spenglerismus.

Die Erfahrung des Nihilismus bei Hugo von Hofmannsthal – wenn die Worte, die großen und die geringen, nach nichts mehr schmecken, auf der Zunge zerfallen.

Heidegger überwand den Nihilismus, der notwendig aus der cartesischen Annahme des nur sich selbst zugänglichen Ego cogito folgt, dadurch, daß er die Strukturen der Bedeutsamkeit freilegte, in die das Dasein fraglos eingebettet ist, Stimmungen, Gesten, Rituale, Sitten, Gepflogenheiten.

Wir finden zu einer tieferen Bedeutsamkeit des Lebens nur zurück, wenn wir die Idee der Singularität des Subjekts aufgeben und durch die Erfahrung des Heiligen ersetzen.

Ein wesentliches Merkmal des Heiligen ist seine Aura, dasjenige, was in unsere Dunkelheit leuchtet, wenn das lumen naturale oder der Funke der Seele schon erloschen ist.

Wie wir die Anmut einer Bewegung oder Geste wahrnehmen, können wir die Aura des Heiligen wahrnehmen, nicht durch Vergleich mit einer Mustervorlage, sondern unmittelbar und intuitiv.

„Die erste Zeile schenken die Götter“ – doch muß der Dichter sich auf die Feinheiten und subtilen Techniken des poetischen Handwerks verstehen, um sie in den Bau des Gedichts als Schlußstein einsetzen zu können.

Der Rezitator, der Sänger, der Musiker, sie müssen ihr Handwerk und ihre Disziplin aufgrund jahrelanger Übung und Praxis vollkommen beherrschen; doch damit die Interpretation gelingt, bedarf es der Gunst der Stunde, der Gnade des Augenblicks, dessen, was die Griechen Kairos nannten, und dies ist ihrer Verfügungsgewalt und künstlerischen Kontrolle entzogen.

Wir nennen, was dem Duft der sich öffnenden Blüte gleich als Glück des Gelingens der Interpretation entströmt, Charisma.

Die Strahlen des Charismas legen sich über den Abgrund der Angst und die Leere des Nihilismus wie eine Brücke, die wir ohne Schwindelgefühl betreten.

Man mag die Handlungen des Menschen auf dem Hintergrund ihrer Absichten und der Fähigkeiten zu ihrer Ausführung für der Willkür unterstellte Bewegungen ansehen; doch an jenen, deren Gelingen auf uns die Wirkung der Anmut oder des Charismas ausübt, gewahren wir ein unwillkürliches Moment, das sich unserer Analyse entzieht und den Begriff der Freiheit und Willkür überholt.

In wesentlichen Momenten unseres Daseins unterliegen wir einem Dritten jenseits von Tun und Leiden, so beim Einschlafen, im Traum, bei der zärtlichen Berührung, der Erinnerung oder dem schöpferischen Prozeß der Kunst.

Zu den Strukturen der ursprünglichen Bedeutsamkeit des Daseins gehören auch, wie Heidegger gezeigt hat, die Stimmungen. Sie haben medialen Charakter, entfalten sich jenseits von absichtsvoller Regung und passiver Duldung, so die heitere Stimmung des morgendlichen Spaziergangs im sommergrünen Park oder die düstere beim Heimgang durch den Wald am Winterabend, wenn es zu regnen beginnt. Stimmungen dieser Art sind nichts Innerseelisches, denn sie umhüllen uns und unsere Begleiter gleichermaßen.

Wir müssen, anders als Homer und die Griechen, die Mächte, die unser Leben „stimmen“ oder mit der Gunst ihres Charismas begaben, nicht als göttliche Wesenheiten betrachten, um ihrer Größe und Verfügungsgewalt gerecht zu werden; dennoch sind sie auch uns ein Jenseits von bloßer Konvention und Fiktion.

Wir können den Verlauf und den Ausgang einer Unterredung, einer Verhandlung, eines Gesprächs, einer Plauderei zu Beginn nicht überschauen und voraussagen; dem einen fällt eine treffende und erhellende Formulierung ein, der andere verstrickt sich in dürres Wortgeranke.

Die hochmütige Aspiration, als selbstbewußtes Ego ein selbstbestimmtes Dasein führen zu wollen, führt uns an den Abgrund der Ohnmacht und der Verzweiflung.

Die autonome Moral des guten Willens, die sich regel- und gesetzförmig in einer widerspenstigen und tauben Welt zur Geltung zu bringen sucht, ist ein Ahnherr des Nihilismus.

Wir singen oder summen eine bekannte schlichte Melodie; wir können in gleichem Sinne sagen, daß wir es sind, die sie im Munde führen, aber auch, daß sie es ist, die uns von Note zu Note, von Takt zu Takt weiterleitet.

Es ist unfruchtbar und trügerisch, dem Gefühl der Sinnlosigkeit des Lebens und dem Nihilismus entfliehen zu wollen, indem man sich einer kulturellen Modeströmung oder einer Exaltation des Zeitgeistes unterwirft.

Betrachten wir die Neurosen und Perversionen im Lichte ihrer scheinhaften Flucht aus dem Dickicht und Wirrsal der vom Nihilismus erregten Angst.

Es ist besser, die Leere auf sich zu nehmen, statt sie mit Illusionen und Chimären zu füllen, besser, in der Entsagung auszuharren, als sich mit noch so schmackhaften Lotosfrüchten abspeisen zu lassen.

Wir finden ein lichteres Feld und freieres Atmen, wenn wir uns vom rationalen und öffentlichen Diskurs einer Sprache abwenden, die sich der Worte als Instrumente, Waffen oder Reizmittel bedient, und jener Sprache zuwenden, in der die Worte gleichsam wie Masken eines Traumspiels erscheinen, das wir zugleich erfunden und nicht erfunden haben, in dem wir zugleich Zuschauer und Mitspieler sind, einer Sprache, in der die Worte gleichsam wie abgefallene Knospen auf einem Fluß treiben, ohne daß wir wüßten, woher und wohin, der Sprache der Dichtung.

Die Erneuerung oder die Ankunft des Denkens in der dichterischen Sprache belehrt uns darüber, daß der argumentative Gebrauch der Worte nicht der allein maßgebende und die kommunikative Vernunft der wohlgenährte Parasit jener Sprache ist, die sich frei von der Absicht, etwas mitzuteilen, wie das nächtliche Rauschen einsamer Fontänen gleichsam selber spricht.

 

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