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Über Inspiration

08.02.2018

Sentenzen und Aphorismen

Es kann nur eines geben: inspiriert oder nicht inspiriert.

Goethe oder Heine, Trakl oder Brecht, Celan oder Grünbein.

Damit ist nichts erklärt, aber alles gesagt.

Nichts erklärt: Denn um zu wissen, was inspiriert ist, ja um zu wissen, was NICHT inspiriert ist, bedarf es der Inspiration.

Alles gesagt: Nur was vom Geiste zur Sprache kommt, kann die Grenze des Sagbaren bis zum Rand des Unsagbaren erfüllen und ermessen.

Sind der Zauber und das Faszinosum, die von den inspirierten Schriften und Sprüchen, vom Charme großer Musik, ausgehen, kein Kriterium der Inspiriertheit?

Nein, denn auch Satan bezaubert und bedient sich durch eine Art Betäubung oder durch Schändung der Musen.

Auch wenn die Musen unter Satans Würgegriff stöhnen, vernimmt man in der Ferne noch eine seltsame Art von Musik.

Anhauchung, Begeisterung, Inspiration: Bilder und Metaphern, die das, was sie meinen, voraussetzen oder implizieren. Sie erklären also nichts, sondern sind Hinweise und Winke.

Gottes Geist kann sich nur selbst verstehen und auslegen. So hören wir aus der Muschel das Rauschen des eigenen Bluts.

Man könnte auch von der Quelle reden, die das Wort bewässert, von der Quelle, deren Rauschen das Wort erfüllt. Und wir verstehen ohne weiteres, was das Revers-Bild meint, wenn wir sagen, die Quelle sei versiegt oder vertrocknet.

Wir denken an Reinheit, Klarheit, Lauterkeit und Demut, wenn wir das Bild der Quelle verwenden, doch kann es nur der reine, klare, lautere und demütige Geist wie der goldene Sand der Wüste dankbar in sich aufnehmen.

Licht und Wolken, Blüte und Blatt, Tropfen und Tau, Feuer und Rauch, Erde und Strom, Wald und Lichtung, Flocken und Schnee: Alle natürlichen Phänomene verwandeln sich unter dem Blick der Muse in heilige Zeichen oder Embleme der Gottheit.

Die Flocken gehören in der heiligen Ursprache zum Dasein der Zeichen, alles andere ist wie Celan es nennt, schon Metapherngestöber.

Sprechen wir von Inspiration, berühren wir den Ursprung des dichterischen Sagens. Das Bild des wehenden Zweigs, dessen bewegter Schatten über das dichterische Wort streift, ist selbst das Wehen, der Zweig und der Schatten.

Wir sprechen von einer Anwandlung, als hätte eine kühle Brise das schlaffe Zelt der Mittagsschwüle gebläht, bis an seinem losen Flattern bemerklich wird, daß es nur eine Grille oder ein Capriccio war.

Es ist eine Folge der Wirkung des Heiligen Geistes, weissagend oder prophetisch davon zu künden, daß Gott als Schöpfer der erste oder anfängliche Inspirator ist.

Ohne Beistand des Heiligen Geistes kann man also das Wort Gottes, verbum Dei, nicht verstehen.

Das reine Wasser der Quelle ist fruchtbar und an seinem Rand und in seiner Tiefe sprießt und gedeiht die Kreatur. Das kreatürliche Dasein weist in seiner Wohlgeformtheit und dem Gedanken der Ordnung, die sich in seinem Leib, seinem Wuchs und seiner Bewegung kundtun, auf den Formsinn und den Ordnungstrieb seines schöpferisch gesprochenen Ursprungs hin.

In der Tiefe des Wassers, das die Quelle der dichterischen Inspiration spendet, finden wir die schön gebaute Muschel des Gedichts mit dem feingliedrigen Bau seiner Rhythmen und Strophen und dem Fruchtfleisch des verborgenen Sinns.

Wir finden im dichterischen Wort den Inhalt oder das, was es beschreibt und darstellt, und den schöpferischen Akt, daß es anruft, beschwört und hinstellt, was immer es an Dingen und Sachverhalten benennt und beschreibt.

So unterscheiden wir am Schöpfungsbericht das, WAS alles als daseiend und lebend beschrieben und benannt wird, von der Tatsache, DASS all dies ins Dasein und Leben gerufen wird.

So ist ja das Geheimnis der Welt nicht irgendein in ihr enthaltener sonderlich staunenswerter Inhalt, sondern ihre Existenz.

Wir könnten vermuten oder erwägen, inwiefern die satanische Bezauberung dazu verdammt ist, unfruchtbar zu bleiben oder sogar die Frucht zu verderben und die Ordnungen des Lebendigen zu zerbrechen. Die ihr Hörigen genießen an solch bizarren Deformationen eine sterile Form der Wollust.

Die sich an der Phrase vom Verschwinden des Subjekts oder dem Versiegen und Zerbröckeln der Autorschaft ergötzen, muß man als flüchtige Schatten unter den blinden und niedrigen Horizont der Leugnung Gottes als auctor divinus stellen.

Nachdem seine Schwester Hermine Wittgenstein ihre Verstörung angesichts der Tatsache zum Ausdruck gebracht hatte, daß ihr Bruder Ludwig nicht nur seinen ererbten ungeheuren Reichtum in den Wind geschlagen habe, sondern nunmehr auch sein Genie in einem geistig und physisch dürftigen Dasein als Volksschullehrer in der finstersten Provinz Niederösterreichs verschwenden wolle, antwortete ihr der Philosoph in einem Brief mit einem inspirierten Bild: Sie verhalte sich wie jemand, der sich bei geschlossenem Fenster über die sonderbaren Bewegungen eines Passanten unten auf der Straße verwundere, unwissend, daß dieser gegen einen heftigen Sturm angehe. So sind, könnten wir sagen, die wunderlichen und fremdartigen Ausdrucksformen inspirierter Dichtung manchen rätselhaft oder anstößig. Doch rührt dieser befremdliche Eindruck aus der Tatsache, daß sie das Gedicht wie die sonderbaren Bewegungen und Haltungen des Passanten in Wittgensteins Brief gleichsam bei geschlossenem Fenster hinter einer Scheibe betrachten, die den in der Tiefe brausenden Sturm wahrzunehmen verhindert.

Horaz nennt sich in der Ode 2, 20 vates, einen Seherdichter und deutet die damit gemeinte Berufung im Bild der Verwandlung in einen Schwan, der auf dem Strom des Äthers über Städte und Länder bis zu den Grenzen der bekannten Welt dahingleitet, wo selbst exotische Völker und die seligen Inseln seinen Schwanengesang vernehmen. Eingang und Ausklang der Ode sind sinnreich verschränkt: Mit der Bitte an seinen Förderer Maecenas, hohen Pomp und zeremonielle Klage von seinem Grab zu verweisen, greift er auf das Eingangsbild seines unter dem Anhauch der Muse schon verwandelten Daseins zurück, in dem er über die stygischen Gewässer der Todverfallenheit hinwegfliegt. Wir haben an diesen Versen ein besonders kostbares Zeugnis der Ahnung des Ewigen aufgrund der Begeistung durch den göttlich-schöpferischen Odem (besonders kostbar, weil ganz außerhalb des biblischen Schrifttums stehend).

Verwandlung in ein geflügeltes Wesen, ob Vogel oder Engel, ist ein wiederkehrender Topos der Inspiration von Horaz bis Eichendorff, und damit sinnvoll verknüpft die Entrückung in eine übermenschlich-himmlische Sphäre des Glanzes und der Schönheit, in eine ferne Höhe, deren Gestirne der dunkle Spiegel des Styx und der Totenflüsse der Unterwelt nicht reflektieren.

Die Inspiration hat für Horazens gewandeltes Selbstverständnis eine solch intensive Anmutung, daß er sogar aus dem antiken Dunstkreis der untröstlichen Klage um das sterbliche Dasein in das reine Licht der göttlichen Dauer hervortritt, auch wenn sich dieser Gedanke scheinbar in den welkenden Flor des Ruhmes kleidet (berühmter als des Dädalus Sohn Ikarus, der freilich anders als der begnadete Vates abgestürzt ist, weil ihn nicht himmlischer Hauch emportrug, sondern dünkelhafte Menschenkunst), Lorbeer, betaut von den Tränen um die fernen Lieben dürftiger Herkunft, die der heiße Wind seines erhabenen Flugs für immer abwischt.

Das Lied des inspirierten Dichters ist als Schwanengesang schon, mit Paul Celan zu sprechen, jenseits der Menschen gesungen. Nicht sein Gehalt ist wesentlich (und die Lieblingstöne der Dichter, die Vogelstimmen, haben ja keinen Inhalt), sondern die reine Tatsache seiner Existenz.

 

Horaz, Oden, Buch II, 20

Non usitata nec tenui ferar
penna biformis per liquidum aethera
vates neque in terris morabor
longius invidiaque maior

urbis relinquam. non ego, pauperum
sanguis parentum, non ego, quem vocas,
dilecte Maecenas, obibo
nec Stygia cohibebor unda.

iam iam residunt cruribus asperae
pelles et album mutor in alitem
superne nascunturque leves
per digitos umerosque plumae.

iam Daedaleo notior Icaro
visam gementis litora Bospori
Syrtisque Gaetulas canorus
ales Hyperboreosque campos.

me Colchus et qui dissimulat metum
Marsae cohortis Dacus et ultimi
noscent Geloni, me peritus
discet Hiber Rhodanique potor.

absint inani funere neniae
luctusque turpes et querimoniae;
conpesce clamorem ac sepulcri
mitte supervacuos honores.

 

Ein Zwiegewächs mit reinen und starken Flügeln,
als Seherdichter trägt mich der Ätherstrom, auf
der Erde hält mich nichts, ich bin der
Mißgunst entronnen, von ferne leuchten

die Städte. Ich, nur ärmlicher Eltern Blut,
ich, den du rufst, Maecenas, entgehe wohl
der Todverfallenheit und werde von
stygischen Wassern umfangen nicht ganz.

Da, da umwachsen runzlige Häute mir
die Fesseln und ich werde verwandelt vom
Haupt her in einen weißen Vogel, es
sprießt um die Finger, die Schultern Flaum mir.

Berühmter schon als Ikarus, Dädalus
Sohn, schaut der Küste Rauschen am Bosporus
mich, Syrten Gätulas vernehmen den
Schwanengesang und die seligen Inseln.

Mich hört der Kolcher, mich, der die Furcht verheimlicht
vorm Marserheer, der Daker, es hört mich singen
das Grenzvolk der Gelonen, Spanien
hört und der Zecher der Rhône hört mich.

Es soll am leeren Grabe mir nicht ertönen
bezahlte Flöte, hässliches Stöhnen nicht
und Jammern. Verhalte die Stimme, hohler
Pomp bleibe fern meiner Totenfeier.

 

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