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Über Dummheit und Intelligenz

05.08.2018

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Es ist ein Zeichen mangelnder Intelligenz zu glauben, es gäbe so etwas wie intelligente Maschinen, so etwas wie künstliche Intelligenz.

Ist der Taschenrechner weniger intelligent als der Computer?

Intelligent nennen wir das Verhalten von Personen, die gute oder weniger gute, passende oder weniger passende Mittel und Methoden anwenden, um ihre Absichten auszuführen oder von ihnen gewählte Zwecke zu erlangen.

Intelligenz impliziert Wissen, wie das Wissen um die Gründe, die einen bewegen, den Weg nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad, sondern mit der U-Bahn zurückzulegen, wenn wir die Absicht haben, möglichst schnell und unbeschadet an unser Ziel zu gelangen.

Hat der Taschenrechner die Absicht oder verfolgt er den Zweck, auf optimalen Rechenwegen das Ergebnis einer Addition anzuzeigen?

Dumm nennen wir das Verhalten von Personen, die unpassende und ungeeignete Mittel und Methoden zur Verwirklichung ihrer Absichten und zur Erlangung ihrer Zwecke anwenden.

Ist der Taschenrechner, der mir ständig falsche Ergebnisse bei der Addition anzeigt, dumm? – Nein, er ist kaputt.

Ein wesentlicher Teil menschlicher Intelligenz ist die Intuition. So erledigte der geniale Carl Friedrich Gauß als kleiner Pimpf die von seinem Lehrer gestellte Aufgabe, die natürlichen Zahlen von 1 bis 100 zu addieren, indem er rechnete: 1 + 100 = 101, 2 + 99 = 101, 3 + 98 = 101 und diese Reihe fortsetzte bis 50 + 51 = 101, also auf kürzeste, ökonomischste und eleganteste Weise zu dem Ergebnis kam: 50 x 101 = 5050.

Kein Tier und keine Maschine verfügt über diese Art der Intuition. Ist sie aber als wesentlicher Teil der menschlichen Intelligenz anzusehen, müssen wir folgern, dass weder Tiere noch Maschinen in einem plausiblen Sinne des Wortes als intelligent zu bezeichnen sind.

Der schlaue Hans folgert aus der Tatsache, dass er größer ist als sein Freund Peter und Peter größer als seine Freundin Carla, dass er selbst größer ist als Carla.

Aber aus der Tatsache, dass Peter nicht größer als Carla und Carla kleiner als Hans ist zu folgern, Peter sei kleiner als Hans, ist ein Fehlschluss, der selbst dem schlauen Hans unterläuft, denn Peter könnte ja gleich groß sein wie Hans. Fehlschlüssen dieser und verwandter Art aufzusitzen, ist ein Zeichen mangelnder Intelligenz.

Doch aus der Prämisse „Sokrates ist ein Mensch“ und dem Schluss „Sokrates ist sterblich“ die fehlende zweite Prämisse abzuleiten „Alle Menschen sind sterblich“ bedarf sowohl eines gewissen Scharfsinns wie einer formalen Intuition.

Logisches Folgern, und zwar Ableitungen sowohl aus expliziten Satzverknüpfungen als auch aus impliziten oder unvollständigen zu bilden, ist ein Merkmal intelligenten menschlichen Verhaltens. Roboter können nur anhand expliziter Vorgaben, den Algorithmen, Schlüsse ziehen, nicht aber aus impliziten und unvollständigen.

Wenn die Biene aufgrund des Tänzelns ihrer Schwester im Stock ihren Flug in der angezeigten Richtung anhebt, folgert sie nicht aus diesen visuellen Informationen, dass es südwestlich von ihrem derzeitigen Aufenthaltsort und östlich der einfallenden Sonnenstrahlen ein Feld oder einen Garten mit Blüten gibt, die reichlich Nektar versprechen, sondern lässt sich von einem angeborenen Verhaltensprogramm leiten, wenn sie auf der signalisierten Flugbahn abhebt.

Wenn das Murmeltier aufgrund des früh einsetzenden Frosts im Hochgebirge einen größeren Futtervorrat in seiner Höhle ansammelt, folgert es nicht aus den aktuellen Wetterdaten, dass es einen langen und strengen Winter geben wird und es gut daran tut, mehr Vorräte zu horten, sondern lässt sich wie die Biene von einem angeborenen Verhaltensprogramm leiten. Das Tier verhält sich instinktiv.

Das Tier kann sein Verhalten nicht aufgrund von Überzeugungen steuern und sich etwa sagen: „Das war früh im Jahr die erste Frostnacht. Es muss nicht heißen, dass es in der nächsten Nacht wieder friert. Also übereile ich mich nicht mit der Vorratsspeicherung, sondern schaue, wie die Wetterlage morgen sein wird.“

Wenn die Biene den von ihrer Schwester angezeigten Weg zur Nahrungsquelle verfehlt oder wenn das Murmeltier aufgrund der Jahreszeit und der Wetterlage nicht genügend Vorräte einsammelt, würden wir nicht sagen, die Biene oder das Murmeltier seien weniger intelligent oder dümmer als ihre Artgenossen, die den Weg finden und im Winter nicht an Hunger darben, sondern sie seien krank, weil bei ihnen eine Störung oder ein Ausfall im genetisch codierten Verhaltensprogramm vorliegt. Ihr Instinkt ist degeneriert.

Das Murmeltier kann sich nicht sagen: „O, es gibt einen strengen Winter, ich will doch fleißig Vorräte sammeln!“ Es kann nicht an den kommenden Winter denken, ebensowenig sich an den vergangenen Winter erinnern, nicht weil es dümmer wäre als wir Menschen, sondern weil es über keinen Zeitbegriff verfügt.

Das Murmeltier kann sich nicht sagen. „Ach, ich muss heuer mehr Vorräte anlegen, im letzten Winter gingen sie frühzeitig zur Neige!“ Es kann nicht mittels Erfahrungsdaten unter Anwendung logischer Wenn-dann-Verknüpfungen der mit ihnen gefütterten Sätze LERNEN.

Kann der Hase der Meinung sein oder glauben, der über die Lichtung spurende Fuchs sei eine Gefahr und daher sei es das Klügste, die Flucht zu ergreifen?

Meinungen können nur sprachfähige Personen haben, die sie in sinnvollen Sätzen über bestehende oder nichtbestehende Sachverhalte ausdrücken. Sätze dieser Art, des Meinens, Annehmens oder Glaubens, sind durch Inferenzen miteinander verknüpft. So impliziert die Annahme, dort laufe ein Fuchs über die Lichtung, die Annahme, dass es sich dabei nicht um eine Stoffpuppe oder einen Hasen handelt.

Meinungen und die Bedeutungen der sie ausdrückenden Sätze sind keine kausale Folge bestimmter Eindrücke, beispielsweise des visuellen Eindrucks, der in den Inhalt solcher Sätze eingeht. Denn die Annahme, was dort über die Lichtung laufe, sei KEIN Hase, kann nicht die kausale Wirkung des visuellen Eindrucks von einem Hasen sein.

Meinungen und Bedeutungen sind keine Bilder (sofern sie keine projektiven Modelle darstellen) oder Vorstellungen oder Repräsentationen im Kopf dessen, der sie hat oder äußert. Und keiner ist intelligenter als andere, weil er die deutlicheren und klareren Bilder vor Augen oder im Kopf hat, keiner dümmer, weil er nur mittels dicker Brillengläser den Fuchs unter den Gräsern entlangschleichen sieht.

Bilder und Vorstellungen können im Gegensatz zu Meinungen und Überzeugungen weder bestätigt noch widerlegt werden. Kein Bild und keine Vorstellung sind wahr oder falsch, sondern mehr oder weniger dem Gegenstand ähnlich, den sie abbilden.

Das Bild oder die Vorstellung von einem rechtwinkligen Dreieck ist weder wahr noch falsch, aber die Überzeugung, dass zwei Winkel im rechtwinkligen Dreieck kleiner als 90 Grad sind, ist wahr, während die Überzeugung, dass in jeder Form von Geometrie rechtwinklige Dreiecke konstruiert werden können, falsch ist (in der nicht-euklidischen Geometrie können sie es nicht).

Wer die richtige Überzeugung davon hat, dass dort ein Fuchs über die Lichtung läuft, muss überhaupt kein Bild im Kopf haben.

Der Hase allerdings, der plötzlich den Fuchs auf der Lichtung heranschleichen sieht, reagiert auf den visuellen Reiz, indem er die Flucht ergreift. Aber der visuelle Reiz war keine Ursache derart, dass der Hase zur Überzeugung kam, dort schleiche ein Fuchs über die Lichtung, und immer wenn er zu dieser Überzeugung gelangt, folgert er daraus, es sei ratsam oder klug, die Flucht zu ergreifen.

Semantische Formen wie Bedeutungen, Meinungen und Überzeugungen werden nicht durch Wahrnehmungen verursacht, sondern können mit sensorisch verursachten Eindrücken einhergehen oder durch sie veranlasst werden, so wie ich angesichts des visuellen Eindrucks der Mondscheibe in mir die wahre Überzeugung wachrufen mag, der Mond sei der einzige Trabant der Erde, und die falsche Überzeugung, er sei aus Käse.

Zu glauben, der Mond bestehe aus Käse, ist zwar eine falsche, doch sinnvolle Überzeugung. Doch zu glauben, alles, was unsere Welt ausmacht, bestehe aus gewissen Dingen, Entitäten oder letzten Einheiten wie Sinnesdaten, Molekülen oder Neuronen ist weder wahr noch falsch, sondern unsinnig. Denn die Überzeugung, alles, was unsere Welt ausmacht, bestehe aus Sinnesdaten, Molekülen oder Neuronen, besteht weder aus Sinnesdaten, Molekülen oder Neuronen noch ist sie aus ihnen ableitbar.

Ist es ein Ausdruck von Intelligenz, die Grenzen dessen zu sehen, was wir sinnvoll sagen und annehmen können? Nein. Es ist Ausdruck einer Einsicht, die auch den Sinn und die Grenzen intelligenten Verhaltens sichten und in Frage stellen kann.

Kant unterschied zwischen dem Verstand, das heißt den intelligenten Verfahren der Urteilsbildung anhand empirischer Daten, und der Vernunft, der Einsichtsfähigkeit, dieser Art des Wissens die ihr innewohnenden Grenzen aufzuzeigen.

Den Mond zu sehen, impliziert nicht zu wissen, dass man den Mond sieht, geschweige denn zu wissen, dass er der einzige Trabant der Erde ist.

Intelligenz setzt einen Begriff des Wissens voraus, Wissen wiederum kann nur in propositionalen Formen des Bewusstseins, das heißt in Aussagen, ausgedrückt werden. Aussagen aber sind elementare Strukturen der Sprache. Demnach kann Intelligenz nicht auf Arten der Wahrnehmung oder auf Sinnesdaten und seien sie noch so subtil oder differenziert zurückgeführt werden.

Wenn wir annehmen, was dort über die Lichtung streift, sei ein Fuchs, müssen wir uns bestimmter Gelegenheiten erinnern, bei denen wir die wahre oder falsche Annahme gebildet haben, was dort heranschleiche, sei ein Fuchs.

Doch unsere Erinnerungen sind keine Ansammlung von Bildern im Gedächtnis, beispielsweise von Füchsen. Denn wir erinnern uns der Tatsache, dass unser Freund NICHT zur gestrigen Verabredung gekommen ist, und gelangen dadurch zur Überzeugung, dass er aus welchen Gründen auch immer verabsäumt hat, uns zu treffen.

Wenn wir morgen zur wahren Überzeugung kommen, dass wir gestern in der Lichtung keinen Fuchs sahen, hängen wir dann das entsprechende Erinnerungsbild im Museum unserer Erinnerungen ab?

Die Wissenschaft wird dumm, wenn sie aus den Grenzen ihrer Disziplin ausbricht und aus dem Stehgreif philosophiert.

Die Philosophie wird dumm, wenn sie sich in die Grenzen einer Wissenschaft borniert und logische, semantische oder grammatische Begriffe wie Bedeutung, Referenz, Bewusstsein, Absicht und Handlung wie empirische Objekte mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen und erklären will.

Intelligenz ist wie Besonnenheit, Tapferkeit, Mäßigung oder Weisheit (die platonischen Tugenden) ein Pseudo-Gegenstand, und das gilt für alle Begriffe ähnlicher Bedeutung wie Klugheit, Scharfsinn oder Einsichtsfähigkeit. Intelligenz ist das zu allerlei Missverständnissen und philosophischen Konfusionen verführende Kürzel für all die Zuschreibungen und Prädikationen, mit denen wir ein Verhalten als klug, scharfsinnig oder einsichtsvoll etikettieren.

Kann man den Begriff der Intelligenz analysieren? Ja, doch nicht ohne ihn auf Begriffe zurückzuführen, die nicht weniger voraussetzungsreich sind als er selbst. Nehmen wir das Beispiel der genialen mathematischen Intuition des Schülers Carl Friedrich Gauß. Die Aufgabe bestand in der Addition aller natürliche Zahlen von 1 bis 100. Gauß fand eine Lösung in einem einfachen Rechenkalkül (50 x 101), der ihm eine Methode bot, die Aufgabe ohne Aufwand umständlicher Rechnungen in kürzester Zeit zu lösen. Ökonomie der Mittel bei der Lösung einer Aufgabe, Zeitersparnis, Korrektheit und Eleganz des Lösungsverfahrens – darin zeigte sich die Intelligenz des mathematischen Genies, aber diese Begriffe wiederum zu analysieren, wäre nicht weniger aufwendig als die Analyse des Begriffs der Intelligenz selbst.

Weder Tieren noch Maschinen können wir die Fähigkeit zuschreiben, mehr oder weniger scharfsinnig zu denken und mehr oder weniger klug zu handeln. Denken heißt einen Gedanken zu fassen, einen Gedanken zu fassen heißt, ihm sprachlichen Ausdruck verleihen zu können. Handeln heißt eine Absicht zu haben und sie mittels der Wahl geeigneter Mittel mehr oder weniger intelligent in die Tat umzusetzen. Absichten zu haben impliziert die Fähigkeit, von ihrer Verwirklichung auch Abstand nehmen oder sie revidieren zu können, also das, was wir mangels eines besseren Begriffs freien Willen nennen. Setzt Handeln den freien Willen voraus und ist Sprechen eine Form des Handelns, müssen wir folgern, dass auch Gedanken zu fassen oder zu denken einen freien Willen voraussetzt.

Reineke gedachte seines Vetters Isegrimm, als er den Hasen genüsslich verschmauste, den er ihm vor der Nase weggeschnappt hatte, und seine Augen gingen ihm über, ob mehr aus gestillter Gier oder befriedigter Rachsucht, hätte er selber nicht zu sagen gewusst. – Augenscheinlich sind wir im Märchen, doch auch große Teile pseudowissenschaftlicher Traktate über das Leben der Tiere lesen sich so, wenn man statt der Märchennamen die gebräuchlichen Namen, also für Reineke „Fuchs“ und für Isegrimm „Wolf“ einsetzt.

Diese alteingewurzelte Form der Einfalt, das Leben der Tiere zu vermenschlichen, wird heute allerdings bei weitem von der Dummheit übertroffen, mit der man Maschinen und Robotern Denken und Handeln, Absichten und Wünsche, wenn auch nur in der herabgestuften Qualität von Quasi-Absichten und Quasi-Wünschen, zuschreibt.

Wir könnten demnach Tieren und Maschinen nur dann die Fähigkeit zu denken und zu handeln zuschreiben, wenn wir ihnen auch einen freien Willen zuschreiben würden.

Wir können den mystisch klingenden Begriff des freien Willens mittels einfacher Beschreibungen entmystifizieren, ohne den Sinn seiner Anwendung aufgeben zu müssen. Auf pragmatischer Ebene finden wir eine sinnvolle Anwendung des Begriffs beispielsweise in allen Arten der Lüge, der Verstellung, der Hinterlist und des Betruges. Der schlaue und verschlagene Dieb rempelt den Passanten an und entschuldigt sich höflich, während er in eben dem Moment, da der Angesprochene abgelenkt ist, die Geldbörse stibitzt. Die höfliche Entschuldigung ist ein Sprechakt, den wir machen, um dem Gegenüber unser Bedauern über einen Übergriff zu bekunden, gleichgültig ob dieser aus Absicht oder wie beim Stolpern unabsichtlich und unfreiwillig geschah.

Im Falle des Diebstahls ist die Entschuldigung vorgeschützt und ein Mittel der Hinterlist, sie ist also eine Lüge. Der Kolkrabe mag seine Artgenossen gleichsam hinters Licht führen, wenn er seinen Futtervorrat ausgräbt und an einer sicheren Stelle wieder eingräbt. Aber er kann nicht in betrügerischer Absicht beispielsweise dem Artgenossen eine gefundene Frucht überlassen oder schenken, um listig auszuspähen, an welchem Ort er sie zu seinen anderen Vorräten eingräbt.

Das listige und verschlagene Verhalten des Taschendiebs bezeugt ein gerüttelt Maß an Intelligenz, weist uns aber auch darauf hin, dass Intelligenz keinen Wert an sich, geschweige denn einen moralischen Wert darstellt.

Der gerissene Betrüger, der verschlagene Heiratsschwindler oder der gewiefte Erbschleicher umgarnen ihr Opfer mit verlockenden, aber falschen Versprechungen, Schmeicheleien und Geschenken. Unter solchen Gaunern finden wir äußerst intelligente Exemplare der menschlichen Gattung.

Können Maschinen oder Roboter uns belügen, austricksen, hinters Licht führen, beschwindeln? Können sie unter Vortäuschung redlicher und ehrenhafter Absichten ihre wahren Absichten verbergen, die wie bei Betrügern, Heiratsschwindlern und Erbschleichern auf die Ausplünderung und Erniedrigung ihrer Opfer hinauslaufen?

Diese Formen der Lüge, Maskerade und Hinterlist sind echte Kennzeichen von Intelligenz, wenn auch einer ruchlosen, die wir im Ernst weder Tieren noch Maschinen zuschreiben.

Nur in dem Falle, wenn wir Maschinen einen freien Willen zur mehr oder weniger intelligenten Ausübung und Verwirklichung krimineller Absichten unterstellen dürften, müssten wir unsere moralischen Maßstäbe zur Diskriminierung und Ahndung abweichenden Verhaltens auf sie anwenden. Doch wie dumm anzunehmen, wir sollten in die missliche Lage kommen, einen Roboter wegen Fehlverhaltens zu tadeln oder zu bestrafen.

Es ist bemerkenswert, dass wir für etwas um Verzeihung bitten können, was uns ohne böse Absicht und unfreiwillig unterlaufen ist, wie im Falle, dass wir im Gedränge dem Nebenmann auf den Fuß getreten sind. Wir tun demnach so, als ob der Übergriff nicht absichtslos geschah, um vor dem Betroffenen unser Gesicht zu wahren.

Die Rechenmaschine, die uns mit einer falschen oder unsinnigen Lösung Ärger bereitet, kann uns keine falsche oder unsinnige Lösung in der Absicht vorlegen, uns Ärger zu bereiten, sie kann nicht einmal einsehen, dass es sich um eine falsche oder unsinnige Lösung handelt, geschweige denn sich dafür entschuldigen.

Wir können Absichten zum Ausdruck bringen und verwirklichen, indem wir etwas NICHT tun oder unterlassen, indem wir beispielsweise unseren Nachbarn nicht grüßen, um ihm unsere Geringschätzung zu bekunden.

Der brave Hund liegt im Körbchen und schmollt, wie wir sagen, wenn er NICHT freudig wedelnd aufspringt, um sein Herrchen zu begrüßen, als wolle er seine Geringschätzung dafür ausdrücken, dass ihn der Hundebesitzer so lange vernachlässigt hat, denn er kam erst viel später als gewöhnlich nach Hause. Warum immer der Hund im Körbchen verweilt, mag er müde sein oder schwach oder lustlos, er verfolgt mit seinem Verhalten keine Absicht, ebensowenig wie er im anderen Falle, wenn er sein Herrchen, obwohl es so spät erst nach Hause kommt, freudig wedelnd begrüßt, die Absicht hat, seine unerschütterliche Treue und Zuneigung zu bekunden.

Wir nehmen die Welt gewöhnlich nicht als vages Feld von Reizen und Reizmustern wahr, sondern gleichsam als intentionale Gegenstücke möglicher Aussagen, wie der Aussage, dass es regnet und wir besser daran tun, uns mit einem Regenschirm zu bewaffnen, wenn wir nach draußen gehen. Wir sehen nicht bloß die Regentropfen, sondern gewahren die Tatsache, dass es regnet, die uns zu der intelligenten Folgerung führt, den Regenschirm nicht zu vergessen.

Wir können die Regentropfen sehen, aber wir kommen zu der Überzeugung oder sagen, wir wissen, dass es regnet. Wahrnehmen ist demnach keine Form des Wissens, das wir in Sätzen der Form „Ich glaube, dass p“ ausdrücken.

Weiß das Pferd, das unter dem dichten Laub der Bäume Schutz sucht, dass es regnet, wenn es den Regen sein Fell durchnässen fühlt? Ist es aufgrund der Wahrnehmung des Wetterphänomens zur Überzeugung gelangt, dass es regnet?

Weiß der in der Pflege eingesetzte Roboter, dass er den Bettlägerigen an die Einnahme seiner Medikamente erinnern soll, und bedauert er es, wenn er es vergessen haben sollte? Lernt er sich besser zu erinnern, wenn sein Pflegling ihn nachdrücklich und tadelnd auf sein Versehen aufmerksam macht (indem er die Tastatur des Rechners bedient)? Aber Maschinen können nichts wissen, nichts bedauern, sich an nichts erinnern und nichts vergessen. Sie lernen auch nicht, wie Kinder lernen, die getadelt und ermahnt werden, das nächste Mal sich vor dem Essen die Hände zu waschen.

Wir orientieren uns anhand der Wanderkarte, die am Rand des Waldweges aufgestellt ist, und handeln intelligent, indem wir die kürzeste Wegstrecke zwischen unserem Standort und dem von uns angestrebten Ziel ausfindig machen, wenn wir noch vor Einbruch der Dunkelheit ankommen wollen.

Doch zu erkennen, dass der Pfeil auf der Wanderkarte den Standort anzeigt, an dem wir uns jetzt befinden, ist keine Sache der Intelligenz, sondern eine Leistung des seiner selbst bewussten Ich.

Wir könnten den Roboter mit allen möglichen geographischen Daten füttern, unter denen sich auch die Daten seines eigenen Standortes beispielsweise in Frankfurt oder Berlin befinden. Wenn wir ihm befehlen, seinen Standort anzugeben, wird er uns unverzüglich die korrekten Koordinaten und den zugehörigen Ortsnamen angeben. Aber er weiß nicht in irgendeinem plausiblen Sinne oder kann nicht in irgendeinem plausiblen Sinn der Überzeugung sein, dass er sich in Frankfurt oder Berlin aufhält.

Dieses Manko ist ein prinzipielles und geht nicht auf einen Mangel an Rechenleistung oder algorithmischer Intelligenz zurück.

Wir können Überzeugungen von etwas nur haben und nur in der Welt leben, über die wir reden, weil und insofern wir von uns selbst wissen.

Denn wir können in den sprachlichen Ausdruck „Ich weiß, dass p“ oder „Ich glaube, dass p“ für das Pronomen der ersten Person keinen sinngleichen sprachlichen Ausdruck wie beispielsweise unseren Namen mit spezifischen deskriptiven Angaben zu unserer Person wie Geburtstag und Geburtsort einsetzen, ohne dass der Ausdruck seinen epistemischen Status und seinen Aussagewert einbüßt.

Die seltsame Tatsache, dass wir in einer Welt leben, die wir durch die minutiöse Beschreibung objektiver Daten und Informationen, wie jene über Galaxien, unser Sonnensystem, die Erde, Pflanzen, Tiere oder künstliche und technische Geräte, nicht vollständig erfassen können, bekundet sich beispielweise darin, dass wir einander von uns und unseren Erlebnissen sei es aufrichtige oder fiktive Erzählungen mitteilen können.

Wir können, was Tiere und Maschinen nicht können, uns Masken überstülpen und aus der fiktiven Perspektive einer fiktiven Figur über eine imaginäre Welt erzählen oder dichten.

Doch es wäre nicht klug, auf diese Weise unsere Zeugenaussage vor Gericht auszuschmücken, und nicht immer ratsam, unsere Gespräche mit unserem Freund oder unserer Geliebten interessant machen zu wollen.

Wir können verrückte Geschichten erfinden, wie Roboter sich in selbstbewusste Wesen verwandeln und beschließen, die Macht über die Welt zu erobern. Doch Roboter können weder das eine noch das andere, denn könnten sie sich Geschichten erzählen, wie sie die Welt erobern, wären sie ihrer selbst bewusste Wesen, und weil sie sich keine Geschichten erzählen können, wie es wäre, die Welt zu erobern, können sie die Welt nicht erobern.

In der Detektivgeschichte „Der entwendete Brief“ von Edgar Alan Poe hat der raffinierte Täter den gestohlenen wertvollen Brief vor dem Zugriff der seine Wohnung durchsuchenden Polizei nicht etwa dort versteckt, wo die weniger schlauen Polizisten ihn vermuten, in einer Schublade oder in einem Buch, sondern offen in einer Ablage liegenlassen, wo nur der weniger dumme Detektiv Dupin ihn findet.

Der intelligente Täter hatte die Absicht, die weniger intelligenten Beamten hinters Licht zu führen.

Hat der Kolkrabe, der seine Früchte als Vorrat in der Erde vergräbt, die Absicht, seine Artgenossen hinters Licht zu führen, wenn er sie ausgräbt und zu einem geschützteren Versteck befördert?

Der intelligente Täter in der Detektivgeschichte von Edgar Alan Poe könnte nicht nur die Absicht gehabt haben, die Polizisten hinters Licht zu führen, sondern gleichsam die Absicht zweiter Stufe, unter Beweis zu stellen, was für ein schlauer Kerl er sei.

Könnte der Taschenrechner die Absicht haben, mich mit den Angaben falscher Additionsergebnisse hinters Licht oder an der Nase herumzuführen?

Natürlich nicht. Und kein Rechner beliebig hoher Komplexität wäre in der Lage, Absichten zweiter Stufe zu hegen und zu verfolgen, und mir beispielsweise mit der Angabe falscher Rechenergebnisse vor Augen zu führen, dass er sich meinen Anweisungen nicht fügen, sondern sein autonomes Handeln unter Beweis stellen will.

Tiere und Maschinen können nicht absichtlich Fehler machen.

Absichtlich Fehler zu machen, sich vorsätzlich dumm zu stellen, um andere hinters Licht zu führen oder negativ zu beeindrucken, ist ein Zeichen von Intelligenz.

Was Menschen vor Tieren und Maschinen ironisch gesprochen auszeichnet, ist auch ihre Fähigkeit und Neigung, sich selbst zu betrügen, anders, schöner, heiterer, freier sein zu wollen, als sie in Wahrheit sind, anders, hässlicher, finsterer, gemeiner sein zu wollen, als sie in Wahrheit sind. Der Scharlatan, der anderen weismacht, er sei ein Genie, doch immer ein Dilettant und Stümper bleibt, glaubt es mehr und mehr von sich selbst. Der hässliche Grübler, der sich lächerlicherweise für einen unwiderstehlichen Verführer hält, lässt sich von leichten Mädchen zum Narren halten, und läuft wie ein Gigolo mit öligen Haaren und glühenden Augen daher, doch die Haare sind eine Perücke und die Augen brennen, denn er hat wieder einmal eine schlaflose Nacht hinter sich. Der einsame Eckensteher wähnt, er sei das Gesprächsthema des Tages und fühlt sich bald von Stimmen heimgesucht, die seine Ödnis bevölkern und ihn verspotten oder hymnisch besingen. Der harmlose Tunichtgut, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann, fühlt sich eines ruchlosen Vergehens schuldig, das kein Mensch ihm vergeben kann, nicht einmal Gott.

Menschen können anders als Tiere und Maschinen am Sinn ihres Daseins verzweifeln. Das ist gewiss keine Folge mangelnder Intelligenz, ja viele herausragend scharfsinnige Köpfe werden von diesem Gewölk eher überschattet als Einfaltspinsel, deren Himmel in fadester Weise wolkenlos und deren Horizont eine dünne Linie ist, dünn wie die Lippen der uralten Parze.

In diese Reihe drängen sich weitere Kandidaten und Virtuosen der Verzweiflung mit theatralisch inszenierten Wunden und Stigmata der Erwählung oder eines heroischen Opferwillens, dem als schattenhaft empfundenen Dasein mit Blut einen schrecklichen Glanz zu verleihen in der Hingabe für irgendeine ausgefallene oder abstruse Idee.

Für den Bewohner abgelegener Gefilde ist es klug, nicht den Weg übers Gebirge zu gehen, um den alten, im Sterben liegenden Freund zu besuchen, sondern am Fluss entlang, auch wenn es ein Umweg ist, aber ein sicherer, denn im unwegsamen Bergland drohen Gefahren. Doch die Entscheidung und der Zweck der Wanderung, der Besuch des alten Freundes, ist keine Sache der Klugheit, sondern des Anstands, des Ehrgefühls, einer in freundschaftlicher Verbundenheit wurzelnden moralischen Verpflichtung.

Die Verschlagenheit, eine Form der natürlichen Intelligenz, sagt: „Warum den beschwerlichen Weg auf sich nehmen, um den alten Kerl zu besuchen, der im Sterben liegt? Er ist ein armer Schlucker, da ist nichts zu holen.“

Wir sollten, anstatt von einem allgemeinen Begriff der Intelligenz zu sprechen, von der Mannigfaltigkeit der Prädikate reden, mit denen wir intelligentes Verhalten beschreiben wie scharfsinnig, klug, einsichtsvoll, luzide, aber auch schlau, listig, gewieft, verschlagen, gerissen. Dasselbe gilt vice versa für den Gegenbegriff der Dummheit. Hier reicht die bunte Palette von begriffsstutzig, einfältig, naiv, tölpelhaft bis zu borniert, unverständig, uneinsichtig, stumpfsinnig, bedeutungsblind oder schwachsinnig.

Diese Betrachtung der Mannigfaltigkeit der Prädikationen und ihrer Anwendung erspart uns die nutzlose pseudowissenschaftliche Suche nach einem Wesensbegriff und ersetzt ihn durch die Beschreibung dessen, was Wittgenstein die Familienähnlichkeit von Begriffen genannt hat.

Mit dieser Methode gewinnen wir auch einen Einblick in die Verflechtung der Begriffe in unterschiedliche Felder ihrer Anwendung, so ist Scharfsinn und Luzidität beim Rechnen und Schlussfolgern am Platze, List und Gewieftheit bei gewissen Handels- und Finanzgeschäften oder Spielen angesagt, während Schläue, Gerissenheit und Verschlagenheit uns geradewegs in den Morast krimineller Machenschaften führt.

Begriffsstutzigkeit, Einfalt und Torheit mögen ein Feld pädagogischer Bemühungen darstellen, während uns Formen der Bedeutungsblindheit und des Schwachsinns mit gewissen Krankheitsformen der Psychiatrie in Berührung bringen.

Eine wichtige Aufgabe besteht darin, Intelligenz in eine Mannigfaltigkeit verwandter oder hierarchisch gestufter Klassifikationen einzuordnen. Eine bewährte Unterscheidung bietet die Zweck-Mittel-Relation, wobei wir die Wahl der passenden und geeigneten Mittel und Methoden der Intelligenz, die Entscheidung für einen bestimmten Zweck indes einer anders gearteten Instanz wie der Moral oder der künstlerischen Intuition zuweisen.

Wer ein großes Vermögen erbt, handelt, sagen wir, klug und intelligent, wenn er es sicher aufbewahrt oder besser noch gewinnbringend anlegt. Ludwig Wittgenstein erbte ein riesiges Vermögen und schlug es in den Wind. Sollen wir sein Verhalten unklug und dumm nennen?

Der Philosoph stellte den Zweck, sich unabhängig vom Einfluss seiner Familie zu machen und ein materiell bescheidenes Leben der Selbstbetrachtung zu führen, über den zu Schlendrian und Vergnügungssucht verführenden Luxus.

Der scharfsinnigste Kopf des zwanzigsten Jahrhunderts, der das Frühwerk Wittgensteins beeinflusste und seine logischen Passagen bewunderte, verstand das Spätwerk des Philosophen nicht, er hielt es für eine subtile Art, dem seriösen Denken, wie er es vertrat, auszuweichen. War Bertrand Russel zu dumm, die Philosophischen Untersuchungen zu verstehen? Gewiss nicht, ihm fehlte der intuitive Zugang oder der angemessene Blick.

Der intuitive Zugang, der erhellende Blick und die angemessene Weltsicht sind keine Sache der Intelligenz, sondern sind in den Ebenen unseres Alltags, was die Theologen in ihren Höhen Erleuchtung oder Offenbarung nennen.

Mit dem angemessenen Blick verhält es sich ähnlich wie mit dem Aspekt-Wechsel bei der Betrachtung der Kippfigur der Hasen-Ente: Der hellste Kopf steht davor und sieht es nicht, der kleine Hans sieht es sofort.

 

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