Stachlige Früchte
Sentenzen für behutsame Zungen
Die Ideen der Aufklärung führen zu ihrer Selbstaufhebung in einem neuen Mittelalter, gegen das die angebliche Finsternis des europäischen eine strahlende Lichterprozession gewesen sein wird.
Die Selbstermächtigung des aufgeklärten Individuums paart sich mit der Unterwerfung unter eine neue totalitäre Disziplin und Bevormundung.
Das Pochen des schwärmerischen Herzens unterliegt am Ende dem stillen Tun der alltäglichen Pflicht.
Das Ethos ist das Wasser, das Individuum der Schaum.
Dem aufgeregten Menschen des unmittelbaren Anspruchs fehlt die Geduld des Samens, der lange im Dunkel keimt.
Die Sprache ist weiser als der Sprechende. Wenn er ihr Gewebe zu heftig spannt, reißt es.
Die Künstler, die den Massengeschmack bedienen, sind Flöhe im warmen Bett der Lüge; es knackt, wenn sie sich umdreht.
Die Wunde der Aufklärung heilt nicht, sie verschorft.
Man kann nichts Fremdes achten, wenn man sich selbst verachtet.
Sie bemerken den Wert nicht einmal bei seinem Verlust.
Wenn Susette in die Nacht des Grabes sinkt, geht der Stern Diotimas auf.
Mit der Mundorgel erreicht man nicht die Nuancen und Abgründe Mozarts.
Es ist ein Zeichen des vulgären Geschmacks, daß er sich am Rhythmus betäubt.
Platon war Elitist, Aristoteles Monarchist, Thomas Theokrat – nur demokratische Schwärmer wie Rousseau verkennen die gebrochene Natur des Menschen.
Ich weiß nicht, wie es den Leuten im Eckhaus geht, und Gott bewahre, ich will es nicht wissen. Aber ich soll unter einem Dauerbombardement von Nachrichten mir ständig zu Gemüte führen, wie es den Leuten im Jemen, der Türkei oder auf Bali geht – Gott bewahre, ich will es nicht wissen.
News – ein Euphemismus für Verblödung oder Betäubung.
Kunst, die nach staatlichen Subventionen schielt, wird scheeläugig.
Das Gehüpfe, Gebrülle, Gesudel auf Brettern und an Wänden weicht der erbaulichen Stille und dem Grau-in-Grau der Besinnung, wenn dem Erziehungsinstitut namens Staat der Säckel abgeschnitten wird. Wer aber führt diese Kulturrevolution an? Sie hängen ja alle am Tropf.
Die Mönchszelle ist die wahre Therapie, nicht die Couch.
Es gibt ein Ethos der Kunst, das durch Selbstverleugnung wirkt.
Künstler, die wirken wollen, moralisch, politisch, ästhetisch, malen keine Bilder, sondern färben Ideen.
Das Ethos der Kunst wirkt wie der Schatten, in den man vor dem grellen Tageslicht flüchtet.
Die helfende, schenkende Hand ist leer. Sie winkt von weitem, ins Weite.
Die Quelle war erstorben. Lange, nachdem auf den Höhen der Schnee geschmolzen war, begann sie zu sprechen.
Die Lektüre der Chiffren des Grases ist belehrender und geistvoller als die Lektüre des Programms zur Rettung der Menschheit.
Es ist nur ein Wort, es ist schon verklungen. Es ist nur ein Duft, er ist schon verhaucht.
Die Dunkelheit und die rätselhafte Fluoreszens um das dichterische Wort sind wie die schützenden Stacheln der süßen Frucht.
Die Stacheln hemmen den Griff, machen das Sich-Einfinden in das innere Fruchtfleisch zu einer saumseligen Betrachtung.
Die Frucht des Worts betäubt nicht, sie stillt den Hunger, ohne satt und schläfrig zu machen.
Das Wort ist die Frucht und zugleich der Garten, in dem sie wächst.
Manchmal sind die üppigen Blüten trügerisch und die Frucht bleibt aus.
Der Garten des dichterischen Worts ist zugleich auch der Zyklus seiner Tages- und Jahreszeiten, in denen er sich lichtet und dämmert, Düfte braut, Blätter zu Farben vergärt oder sich in Eiszapfen ausweint.
Manche, Satiriker, Polemiker, hinkende Iambiker oder von der Liebe enttäuschte Romantiker, haben es nur auf die Stacheln abgesehen – ihre armselige Freude an den Blutstropfen der kalt Erwischten.
Es gibt welche, die werfen mit den Stachelfrüchten und ergötzen sich wie Kinder, wenn die abgeschossenen Kletten am fremden Hosenbein kleben bleiben.
Die Umwendung des Blicks: Wir haben uns nicht selbst erzeugt.
Wir finden uns vor, das ist das Unheimliche, vom dem Heidegger spricht.
Wir werfen kein Licht auf die Dinge, sodaß wir sie an den Rändern ihrer Schatten ermessen könnten.
Wir können die Dinge zum Sprechen bringen – aber sie springen aus dem Netz der Sprache, wenn wir mit ihr auf Fang ausgehen.
Die Sprache ist nicht unser Werk.
Ebensowenig wie die Logik, sie ist kein Organon.
Auch die Grundbegriffe, mit denen wir die Welt aufschließen und ordnen, sind keine Tentakel, mit denen wir nach geistiger Nahrung greifen.
Wir haben die Grundbegriffe, die Worte des Denkens, nicht erfunden wie Maschinen oder Roboter, sie wuchsen uns zu, wie die Früchte im imaginären Garten der Dichtung.
In der Sprache ist Licht, aber seine Quelle ist dunkel.
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