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Sinn und Sinneswahrnehmung

02.03.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Wenn wir dort etwas Blaues sehen, wissen wir, es haftet an einem räumlichen Ding; wir folgern aus der Farbwahrnehmung einen Begriff von Raum, ob wir dessen Geometrie nun als euklidisch oder nichteuklidisch definieren.

Wenn wir jetzt einen Klang hören, wissen wir, daß er bald verklingt; wir schließen von der Klangwahrnehmung auf einen Begriff der Zeit, ob deren physikalische Erklärung nun nichtrelativistisch oder relativistisch ist.

Wir gehen davon aus, daß der Klang, weil er verklingt, entstanden oder erzeugt sein muß, ob mittels eines Instruments, einer Stimme oder auf sonst natürliche Weise.

Mittels der Klangwahrnehmung schließen wir auf einen Begriff von Kausalität, ein Ursache-Wirkungs-Schema, in das wir seinen zeitlichen Verlauf einordnen.

Unser Gedächtnis versetzt uns in die Lage, die Dauer eines Klanges und die Gestalt einer Melodie intuitiv zu erfassen.

Die Farbe ist das, was wir sehend, der Klang, was wir hörend wahrnehmen. Ein farbloses Unding gibt es nicht in unserer Welt, ebensowenig einen zeitlosen Klang.

Zu sagen, die Dinge an sich seien farblos, ist ähnlich unsinnig, wie zu sagen, die Klänge an sich seien zeitlos.

Was wir Tag nennen und den Rhythmus des Jahres, die Tages- und Jahreszeiten, ist kausal erklärbar aus der Erdumdrehung und der Bewegung der Erde um die Sonne. Sollen wir aber aus der Tatsache, daß die Bewegung der Sonne am Horizont von Ost nach West eine Scheinbewegung im Lichte unserer Wahrnehmungsbedingungen auf der sich um sich selbst drehenden Erde darstellt, den Schluß ziehen, daß es „an sich“ weder Tag noch Nacht, weder Frühling, Sommer, Herbst noch Winter gibt?

Etwas ist ungereimt an der sogenannten „Kopernikanischen Wende“ in der Erkenntnistheorie.

Wenn wir die Farbe nur einem farbigen Etwas zusprechen „können“, sollten wir diesen seltsamen Zwang nicht auf einen metaphysischen oder ontologischen Grund, sondern auf die Norm der Beschreibung oder die Grammatik unserer deskriptiven Sätze zurückführen, die uns anweist, bestimmte Eigenschaften wie die Farbe einem Etwas zuzuschreiben.

Die Erklärung: „Die Erde hat sich einmal um sich selbst gedreht“ zerstört nicht den Sinn der Aussage: „Die Sonne ist untergegangen.“

Den Kosmonauten, der aus gehörigem Abstand beobachtet, daß sich die Erde einmal um sich selbst gedreht hat, unterscheiden andere Wahrnehmungsbedingungen, die keine irdischen Himmelsrichtungen implizieren, vom irdischen Beobachter, für den sie im Westen untergegangen ist.

Wir können die Relativ- und Scheinbewegung der Sonne, wie sie die Beobachtung auf der Erde ausdrückt, in die Beobachtung des Kosmonauten übersetzen.

Wir können nur beschreiben, was uns die Normen der Darstellung oder die Grammatik deskriptiver Sätze ermöglichen. Es ist nicht tiefsinnig, sondern trivial und tautologisch, festzustellen, daß wir gegen die Wand des Unsinns stoßen, wenn wir mehr versuchen.

Zu sagen, an sich sind die Dinge farblos, ist ähnlich sinnlos, wie zu sagen, an sich sind Aussagen nichts als verkettete Laute.

Wir können, was Zeit ist, nicht von einer zeitenthobenen Perspektive aus erkunden und bestimmen. – Zeitmesser und Chronometer zeichnen sich dadurch aus oder funktionieren nur aus dem Grund, weil sie das wesentliche Merkmal zeitlicher Abläufe, die Bewegung, verkörpern.

Ein der Zeit ins Ewige entrückter Gott könnte uns nicht verstehen.

Wir reden von Farbe nur auf dem Hintergrund einer Farbskala, von Klang nur auf dem Hintergrund einer Tonskala, von Farbwirkung nur auf dem Hintergrund von Kontrast- und Komplementärfarben, von Klangwirkung nur auf dem Hintergrund von Klangharmonien und Klangdisharmonien.

Was die Klangwahrnehmung von der Farbwahrnehmung unterscheidet, ist das Gedächtnis, das uns in die Lage versetzt, die Abfolge von Tönen als Zeit-Gestalt einer Melodie aufzufassen; wie umgekehrt die Farbwahrnehmung von der Klangwahrnehmung das synoptische Gesichtsfeld, in dem wir uns durch Angaben wie oben und unten, vorn und hinten, rechts und links orientieren. – Für Klänge ist es meist von sekundärer Bedeutung, aus welcher Richtung sie uns erreichen.

Das Gedächtnis oder die Erkenntnis des Wechsels in der Dauer und der Dauer im Wechsel versetzt uns in die Lage, Tag und Nacht oder die Jahreszeiten zu unterscheiden.

Sagen wir „Anwesenheit“ statt „Subjektivität“, können wir so formulieren: Etwas Farbiges kann nur in einem Gesichtsfeld auftauchen, ein Klang nur in einem Hörfeld; kein Gesichts- oder Hörfeld ohne die Anwesenheit dessen, der sieht oder hört.

Sagen wir „Anwesenheit“ statt „Subjektivität“, können wir des weiteren so formulieren: Ein Ding nennen wir die Gesamtheit der Prädikationen oder Beschreibungen, die auf etwas zutrifft oder zutreffen könnte. Keine Prädikation oder Beschreibung ohne die Anwesenheit dessen, der prädiziert oder beschreibt.

Nehmen wir die räumlichen Koordinaten und die Zeitpunkte, zwischen denen ein Ding als räumliches und zeitlich konstantes Etwas besteht, dann können wir den Nullpunkt eines Koordinatensystems als Subjektpol oder Pol der Anwesenheit festlegen, von dem aus wir beispielsweise die räumlichen Abstände und die zeitliche Dauer des dort vorbeifahrenden Fahrzeugs mit geeichten Meßgeräten vermessen.

Wenn ich um die Erdbewegung weiß und bei der Tag-und-Nacht-Gleiche die Zeitstrecke zwischen Sonnenauf- und untergang messe, weiß ich, daß sie mit der halben Dauer der Erdumdrehung identisch ist oder die Erdumdrehung das Doppelte der gemessenen Zeit beträgt.

Der Farbeindruck oder die Klangwahrnehmung sind nicht identisch mit dem kausalen Resultat der neuronalen Prozesse, die notwendig sind, um sie zu erzeugen; wenn ich farbig träume oder eine Melodie im Traum höre, fehlen die kausalen Vorgänge, die mittels Lichtstrahlen oder Luftwellen meine Sinnesorgane stimulieren.

Daß ich aufgrund der physikalischen Wirkung farbigen Lichts keine bunten Flecken, sondern einen blühenden Garten sehe, kann aus dem Begriff einer physikalischen Wirkung nicht verständlich gemacht werden.

Eine Farbe zu sehen heißt etwas Farbiges zu sehen, sodaß wir sagen können: „Dies ist rot.“ – Das Bezugssystem unserer Farbwahrnehmung ist eine Form der Beschreibung, mit der wir etwas als rot oder grün bezeichnen. Wir gewinnen die korrekte Beschreibung und Klassifikation unserer Sinneswahrnehmungen, indem wir beispielsweise an den farbigen Fleck eine Farbskala anlegen und den gehörten Ton anhand einer Tonskala bestimmen.

Wir können nicht etwas am selben Ort zur selben Zeit als rot und grün bezeichnen; dies ist keine Folge unserer neuronalen Organisation, denn wir könnten uns eine denken, bei der so etwas möglich wäre, sondern der Normen unserer deskriptiven Aussagen, die nur sinnvoll sind, wenn wir den Farbunterschied berücksichtigen.

Daß wir kein Ultraviolett und Infrarot sehen, beschränkt nicht sowohl unser Farbuniversum, als daß es anhand dieser Grenzen definiert wird; denn andere Grenzen machten ein anderes Universum.

Wir können nicht wissen, ob eine Malerei auf der Gegen-Erde, die ihren Museumsbesuchern Ultraviolett und Infrarot zumuten könnte, Kunst nach unseren Begriffen und Kriterien wäre.

Wir können nicht zur selben Zeit einen Klang als hoch und tief oder einen Zusammenklang als wohltönend und mißtönend bezeichnen, weil wir musikalische Klangwahrnehmungen auf Normen deskriptiver Aussagen beziehen, die ihren Sinn aus den traditionell zugrundegelegten Tonskalen und harmonischen Dur-Moll-Tonverhältnissen beziehen.

Wir können andere Tonskalen und harmonische Kombinationen ansetzen; dann würden wir einen Klang vielleicht als schwebend und einen Zusammenklang als harmonisch diffus oder indifferent bezeichnen; doch auch der Sinn dieser Beschreibungen bezieht sich auf die nunmehr zugrundegelegten alternativen Tonskalen und harmonischen Tonverhältnisse.

Wir hören musikalische Töne anders als Naturgeräusche, weil wir sie in den Sinnhorizont bestimmter Tonskalen wie die Oktave und Harmonieverhältnisse wie Dur und Moll rücken.

Die neuronale Reizung und Reizverarbeitung ist die Ursache unserer Farbwahrnehmung, aber nicht der Grund, weshalb wir etwas als Bild sehen und ein Bild schön oder häßlich finden.

Die neuronalen Vorgänge bei der visuellen Wahrnehmung sagen dir nicht, welchen Sinn diese Buchstabenfolge hat.

Die Biene, die an der Blüte hängt, die Drossel, die im Johannisbeerstrauch sitzt, der Hund, der einen Knochen im Tomatenbeet vergräbt, sie sehen nicht den Garten, wo du Unkraut jätest. Den Garten zu sehen ist nicht nur eine visuelle, sondern eine semantische Leistung.

Der Sinn einer Aussage liegt vor; der Sinn einer Handlung ergibt sich erst, wenn sie zustandegekommen ist, Erfolg oder Mißerfolg hatte.

Von Eindruck zu Eindruck springen ist ähnlich sinnlos wie in freier Assoziation Wort an Wort reihen.

Die sogenannte Methode der freien Assoziation ist nicht frei, sondern liefert meist nur die Klischees, die im Fliegennetz des allgemeinen Geredes hängen geblieben sind.

Manche drücken nicht Gedanken mittels Worten aus, sondern lassen die Worte miteinander reden. – Bei anderen sind sie Echos des Markts und der Straße vom Gewölbe des Schädels.

Wenn unsere Sinneswahrnehmungen jeweils in einen spezifischen Sinnhorizont integriert sind, müssen wir sie nicht, wie der Transzendentalphilosoph meint, nachträglich begrifflich aufpolieren oder sublimieren, damit sie unsere Orientierung in der Welt möglich machen.

Die originäre Bedeutsamkeit oder Sinnhaftigkeit unserer Sinneswahrnehmungen zeigt sich in einfachen Formen der Prädikation wie: Diese Farbe ist blaß, dieser Klang ist dumpf, es riecht angebrannt, der Wein schmeckt nach Korken.

Wir sehen auch deutlich, in welchem Maße die Sinneswahrnehmungen aufgrund ihrer prädikativen Erhellung am logisch-semantischen Raum teilhaben; impliziert doch die Bestimmung der Farbe als blaß, daß sie nicht grell ist, die Bestimmung des Klanges als dumpf, daß er nicht schrill ist, die Bestimmung des Geruchs als angebrannt, daß er nicht süßlich ist, und die Bestimmung des Geschmacks als faulig, daß er nicht fruchtig ist.

Wir teilen demnach die Sinneswahrnehmungen jeweils in sinnhafte Muster, Raster, Skalen oder Klassifikationsschemata ein, in denen wir ihnen eine spezifische Position oder Markierung wie „silbergrau“ oder „aschfahl“, „dumpf“ oder „Kammerton A“, „muffig oder beißend“, „fade oder bitter“ zuweisen. – Je nach Zweck und kultureller Reife sind solche Skalen mehr oder weniger differenziert, nuanciert und wissenschaftlich ausgetüftelt und subtil (wie die physikalischen Farbspektren oder die akustisch-physikalischen Klangbestimmungen).

Hier setzen wir auch einen empirisch belastbaren Begriff der Metapher an: Metaphern gewinnen wir, wenn wir die Muster und Raster der Sinneskategorien Farbe, Klang, Geruch, Geschmack und Getast gleichsam übereinanderlegen und mit Prädikaten ferner liegender, aber sinnfälliger Muster verkuppeln und verdichten. So sprechen wir von einem fahlen, weichen, zarten oder silberhellen Klang, einer schrillen oder warmen Farbe, einem schmeichelnden, betörenden und paradiesischen Duft oder einem ätzenden, beißenden und betäubenden Höllengestank.

Der Sinn der Negation ist ein anderer, wenn ich sage, einer habe den Passanten nicht gesehen, weil er abgelenkt war, als wenn ich sage, einer habe den Passanten nicht gesehen, weil er blind ist.

Der von Geburt Blinde weiß nicht, was Dunkelheit ist; der von Geburt Taube weiß nicht, was Schweigen ist.

 

 

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