Schreie und Schluchzen
Café Ypsilon, Berger Straße, Frankfurt am Main
Mit den verkrümmten, dürren Haxen schiebend,
unterm Rollstuhl drängend, scharrend,
bewegt er sich das letzte Stück voran.
Kahle gelbe Stellen im Bart,
schielend, den Kopf schief gegen die Welt,
die Pupillen mit dem Weißen sperrend,
eine Kippe zwischen den Fingern
spastisch zitternd.
Kinderlähmung? Kretinismus? Aids?
Wahrscheinlich aus dem Hospiz im Sandweg.
Aber dürfen die noch raus –
die sollen sich doch wohl stekum-leise
aus dem Staub machen,
ohne die Umgebung mit Schreien, Schluchzen,
Röcheln, Stinken, Furzen oder toderbrechendem Radebrechen
von dem Ausgang allen Fleisches
in Kenntnis zu setzen?
An der Litfaßsäule kurzes Innehalten:
Was erblickt er da?
Den Aufruf zur Europawahl?
Den stramm gewachsenen Schönling,
voll im Safte stehend, vom FSV Frankfurt?
Ich weiß es nicht.
Ich hörte ihn nur krächzen:
„Diebe! Diebe! Diebe!“
Wen klagte er wohl an?
Die Mächte, die ihm das schöne Leben geraubt haben?
Ihn verkrüppelten, misshandelten,
missachteten, die Seele fraßen?
Die Götter, das Schicksal, die Ärzte,
die Frauen, die Schwulen, die Bonzen,
die Neger, die Banker, die Priester?
Oder habe ich mich schlicht verhört –
schluchzte er vielmehr,
flehte er vielleicht:
„Liebe! Liebe! Liebe!“?
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