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Schneisen der Vernunft

06.01.2025

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Die Logik und Struktur der Sprache überschreitet die Grenzen ihrer psychologisch oder evolutionspsychologisch erklärbaren Natur.

Torheit identifiziert das grammatische mit dem natürlichen Geschlecht. Doch wieso schurigelt uns die Struktur der altgriechischen, der lateinischen, der deutschen Grammatik nicht nur mit der Dualität des maskulinen und femininen Genus, sondern narrt uns darüber hinaus mit dem Neutrum?

Das Kind, das Huhn, das Rind – was die Begriffe meinen, entbehrt ja nicht eines natürlichen Geschlechts; während wir uns bei dem Mädchen, dem Knäblein, dem Hühnchen mit dem gleichsam ungeschlechtlichen Leichtsinn der Verkleinerungs- und Verniedlichungsform zufriedengeben mögen.

Die grammatischen Genera und ihr Beitrag zur semantischen Ordnung der Sprache sind ein philosophisch bedeutsames, indes kaum beachtetes sprachliches Phänomen.

Die Logik der Sprache manifestiert sich im Gebrauch von Sätzen zur Identifizierung bestimmter Sachverhalte, die nur im Lichte ihrer sprachlichen Darstellung für uns greifbar werden. „Es regnet“ bedeutet, daß der Sprecher den möglichen Sachverhalt, daß es regnet, als wirklich annimmt oder seine Behauptung als wahre Aussage verstanden wissen will.

Die Tropfen, die da fallen, sind naß oder bestehen aus einer spezifischen chemischen Substanz, nicht aber die Tatsache, daß es regnet.

Die logische Möglichkeit der Wahrheit oder Unwahrheit von Sätzen und die Objektivität von Gedanken kann nicht psychologisch erklärt oder naturalisiert werden.

Zu sagen „Es regnet nicht“ ist eine triviale, aber wahre Annahme angesichts der Beobachtung, daß die Straßen und Dächer trocken sind. Wir können träumen, daß es regnet, aber nicht von dem negativen Sachverhalt, daß es nicht regnet.

Unsere Fähigkeit, von negativen Sachverhalten zu sprechen, deutet auf einen sprachlichen Ursprung dessen, was wir Vernunft nennen.

Unsere mentalen Zustände und Befindlichkeiten sind gleichgültig oder gleichsam neutral gegenüber der Wahrheit oder Unwahrheit von Sätzen, die wir unter ihrem Einfluß äußern.

Man kann die logische Funktion nicht auf die kommunikative zurückführen. Da hilft weder Psychologie noch Soziologie. Der Begriff einer kommunikativen Vernunft gehört zum schillernden Begriffsplunder, der die akademische Jugend seit Dezennien in ein weltanschauliches Wolkenkuckucksheim locken soll.

Ein Satz ist unabhängig von der Tatsache wahr oder falsch, daß er mitgeteilt oder verschwiegen wird.

Die Logik ist nichts, was der Mitteilung bedürfte, denn sie sorgt, wie Wittgenstein sagte, gleichsam für sich selbst.

Die Mitteilung „Frau Müller sagt, sie habe drei Geschwister und ihre Eltern somit vier leibliche Kinder“ ist nicht gleichen logischen Ranges mit der Aussage „Die Anzahl der großen Jupitermonde ist gleich der Anzahl der Evangelisten.“ – Frau Müller könnte, ohne davon zu wissen, ein uneheliches Kind als leiblichen Sproß ihrer Eltern ansehen.

Ich muß die Anzahl der großen Jupitermonde nicht kennen, um zu wissen, daß sie dieselbe ist wie die Anzahl der Evangelisten, wenn ich sie einander eins zu eins zuordnen kann.

Die natürlichen Zahlen können keine mentalen Inhalte sein, wie beispielsweise Farbbegriffe, deren Definition und Umfang von Kultur zu Kultur schwanken mögen.

Wir können, wie Wittgenstein nachwies, nicht an allem zugleich zweifeln; könnten wir es, entzögen wir auch diesem Satz, daß wir an allem zweifeln, die semantische Basis des Wissens von der Bedeutung der in ihm verwendeten Worte.

Zu behaupten, die in der adäquaten Situation geäußerte Aussage „Da geht ein Mensch“ habe kein fundamentum in re und stelle keine Wahrheit an sich dar, sondern sei nur die Beschreibung eines visuellen Phänomens, ist Unsinn; denn wir wissen, was wir meinen, das heißt, verfügen über hinreichende Bedingungen der korrekten Anwendung unseres sprachlichen Ausdrucks, wenn wir in der entsprechenden Situation von einem Menschen reden, der an uns vorübergeht.

Die Aussage „Die Welt ist eine aus phänomenalen Daten konstruierte (wissenschaftliche) Fiktion“ oder „Die Welt ist meine Vorstellung“ ist Unsinn, denn wir wissen, was wir meinen, wenn wir von der Welt der physikalischen Dinge oder der Welt, in der Blumen sprießen, Löwen brüllen und Delphine schwimmen, im Gegensatz zu der fiktionalen Welt reden, in der Tiere sprechen oder sich Bäume vor der magischen Gewalt orphischer Gesänge beugen.

Die Aussage, daß es die Welt der von uns benennbaren Tatsachen gibt, ist eine synthetische Aussage a priori, die aus der Einsicht in die Falschheit der gegenteiligen Annahme folgt, daß die Welt nichts als ein Konstrukt unserer sinnlich gefütterten Einbildungskraft sei; sie folgt aus der Erkenntnis der Falschheit der Annahme, wir könnten an allem, also auch der Existenz der Welt, zweifeln.

Aus den Axiomen eines aus ihnen analytisch ableitbaren formalen Systems wie des Systems der natürlichen Zahlen können wir nach Gödel Sätze ableiten, die in diesem formalen System nicht beweisbar sind und demnach als synthetisch gekennzeichnet werden müssen.

Daraus folgt, daß die Alternative zwischen analytisch beweisbaren, aber inhaltsleeren, weil tautologischen Aussagen formaler Systeme und synthetischen, aber rein empirischen Annahmen, die auf Wahrnehmungssätzen fußen, unhaltbar ist, denn sie ist zumindest unvollständig, wenn wir die Geltung von synthetischen Sätzen a priori wie „Die Welt der von uns benennbaren Tatsachen existiert“ nicht zu leugnen imstande sind.

Wäre die Welt meine Vorstellung, eine bloße Fiktion oder ein theoretisches Konstrukt, könnten wir es nicht sagen.

Im Traum von dem Gedanken gestreift und überrascht zu werden, daß man träume, setzt ein implizites Wissen darüber voraus, wie es wäre, nicht zu träumen.

Wäre ich, wie Putnam erwies, ein Gehirn in der Nährflüssigkeit eines medizinischen Labors, könnte ich es nicht sagen; kann ich es sagen, ist die Annahme des Gegenteils evident.

Denke ich an meinen verstorbenen Freund Hans, so ist evident, daß sich der Name nicht auf seinen wahrnehmbaren Träger bezieht (denn Hansens Körper ist schon zerfallen), sondern auf die Person, deren Identifikation mir aufgrund von Bedingungen möglich ist, die sich meiner Willkür oder der Willkür rein sprachlicher Konventionen entziehen.

Der Unterschied meiner Erinnerung an Hans Castorp, den Protagonisten aus Thomas Manns Romanwerk „Der Zauberberg“, und meiner Erinnerung an meinen Freund Hans erhellt aus der kategorialen Differenz jener epistemischen Quellen, aus denen ich die Bedingungen ihrer jeweiligen Identifikation schöpfe – fiktionalen des Romans und realen von Dokumenten oder den von unabhängigen Zeugen mitgeteilten Berichten.

Daß die Faktoren der Multiplikation vertauscht werden können, ist ein triviales Wissen auf Basis analytischer Axiomatik; daß Goldbachs Vermutung über die Summe aller ganzen Zahlen aus Primzahlen gilt, ist ebensowenig trivial wie die Annahme, daß die Summe der Winkel im rechtwinkligen Dreieck stets 180 Grad ergibt; denn wir können nichteuklidische Geometrien entwickeln, bei denen diese Annahme nicht zutrifft.

Nicht alles, was wir wissen, ist kausal bedingt. Ich kenne die Wurzel aus 9 und weiß, ich wäre nicht da, hätten sich mein Vater und meine Mutter nie getroffen. – Abstrakte Formen und Hypothesen über irreale Bedingungen, die jeweils keinerlei kausalen Einfluß auf unsere Denkvorgänge haben, können unser Wissen vermehren.

Wahrnehmbare Dinge, die uns vor Augen liegen, sind weder das Muster für unsere epistemischen noch für unsere sprachlichen Fähigkeiten. – Ich zeige nach seiner Aufforderung auf eine Tanne, worauf mein botanisch versierter Freund sagt: „Gut gesehen, denn dies ist keine Fichte!“

Auf die Tatsache, daß es regnet, kann ich nicht zeigen; nur auf die fallenden Regentropfen. Auf die Tatsache, daß es nicht regnet, kann ich nur sprachlich Bezug nehmen.

Die Existenz von Schwarzen Löcher kann, da sie bekanntlich die kausal auf unsere Rezeptivität wirkenden Lichtwellen zurückhalten, wohl theoretisch erschlossen, aber nur indirekt empirisch belegt werden.

Wir wissen intuitiv um das, was wir unvernünftig nennen, eher als um eine positive Bestimmung von Vernunft. Wir halten es für unvernünftig, alles gleichzeitig in Frage zu stellen und zu bezweifeln, bevor wir mit Wahrheiten aufwarten können, die wir für unbezweifelbar halten.

Das Auftauchen logischer Inkonsistenzen, die unseren Alltagsverstand ruinieren, ist ein guter Hinweis darauf, daß der Weg, der zu ihnen geführt hat, nicht von der Vernunft empfohlen worden sein kann.

Zu fragen, wie es wohl sein oder sich anfühlen mag, eine Fledermaus zu sein, ist von nicht geringerem Unsinn als zu fragen, wie es denn ist oder sich anfühlt, ein Mensch zu sein.

Zu fragen, wie es wäre, wenn nichts existierte, ist von nicht geringerem Unsinn als zu fragen, wie es ist oder sich anfühlt, zu existieren.

Es ist unvernünftig, den Tod als Schatten über dem Leben anzusehen oder als einen Grund, es prinzipiell in Frage zu stellen.

Es ist unvernünftig, aus der Tatsache, daß ich hier und da einer Täuschung erlegen bin, zu folgern, die Welt sei ein Lügennetz, gewebt von der Spinne namens Verstellung, Trug oder Wahn.

Es ist unvernünftig, das Gegebensein des Zeichens für Identität oder Gleichheit im Modus des Indikativ Präsens zu lesen: 2 und 2 ist 4 heißt nicht, daß die Addition jetzt oder in einem zeitlosen Sinn gültig ist, sondern schlicht, daß sie gilt. Daher ist es unsinnig zu fragen, ob 2 und 2 auch 4 gewesen wäre, als es kein menschliches Wesen gab, das diese Gleichung hätte aufstellen können.

Es ist unvernünftig, uns vorzustellen, wie es wäre, wenn wir wesentlicher Dimensionen der menschlichen Existenz, wie der Fähigkeit, zu sprechen oder etwas zu beabsichtigen, entbehren würden.

Die Sprache kann keine Fähigkeit sein, die wir zufällig erworben haben, denn wäre dem so, könnten wir uns vorstellen, wie es wäre, ein Mensch zu sein ohne diese Fähigkeit.

Ähnlich wie die Intelligenz streut die musische Begabung nach dem Muster der Gaußschen Kurve der Normalverteilung.

Je stärker das Interesse an Macht und Politik, umso schwächer die Neigung zu den musischen Fächern.

Der Politiker Carlo Schmid hat noch Baudelaire übersetzt; die meisten der heutigen Politiker, gleichgültig, welcher Parteidoktrin sie folgen, wüßten nicht einmal mehr, was es mit den Fleurs du Mal für eine außerordentliche dichterische Bewandtnis hat.

Es ist unvernünftig, für alle Wege, auf denen wir zu Gewißheiten und mehr oder weniger gesicherten Überzeugungen gelangen, dieselbe Methode ihrer Überprüfung und Begründung festlegen zu wollen; unvernünftig, wie Platon anzunehmen, es gebe nur eine alleinseligmachende Methode, nämlich den argumentativen und deduktiven Beweis.

Unsere stärksten Intuitionen, wie sie beispielsweise ästhetische Präferenzen betreffen, können wir nicht mittels rationaler Gründe rechtfertigen.

Daß wir von dem, was bisher regelmäßig stattgefunden hat, induktiv auf das schließen, was morgen stattfindet, gibt uns bekanntermaßen kein absolutes Kriterium der Gewißheit an die Hand; aber in vielen Fällen lassen wir es rechtens dabei bewenden; sonst würden wir uns nicht mit der Wendung verabschieden: „Bis morgen“ oder erwarten, daß die Sonne auch am nächsten Tag aufgehen wird.

Es ist unvernünftig, aus der symmetrisch-polaren Struktur unserer leiblichen und psychischen Existenz eine metaphysische Grenzlinie zwischen hüben und drüben, hinten und vorn, unten und oben, rechts und links, gut und schlecht konstruieren zu wollen.

Je allgemeiner und unbestimmter die sprachliche Wendung, umso facettenreicher und nuancierter oft der semantische Gehalt ihrer kontextsensitiven Anwendung; so können wir naiv oder gehässig fragen, neugierig oder ironisch, schonend oder bohrend, als besorgte Mutter oder kaltherziger Kommissar, als Arzt oder Inquisitor, als frisch Verliebter oder eifersüchtiger Liebhaber.

Nuancenreich, vieldeutig, schillernd und opulent ist die Palette der venezianischen Maler; aber man kann auch Grau in Grau malend höchst geistreiche Mitteilungen machen.

Goethe verfügte vielleicht über den reichsten deutschen Wortschatz; doch konnte Trakl mit einem Bruchteil davon nicht geringere lyrische Wirkungen erzielen.

Es ist vernünftig, wenn derjenige, der sich den Magen aufgrund zu üppiger Kost verdorben hat, eine strenge Diät einhält; aber unvernünftig, wenn derjenige, der lange Zeit eine einseitig frugale oder vegane geistige Kost zu sich genommen hat, über Gott und die Welt philosophiert.

Nicht Gedanken oder Sätze, in denen wir sie mitteilen, nennen wir vernünftig, sondern die Überlegung und die Entscheidung, worüber wir uns welche machen sollten oder nicht.

 

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