Schnee IX
Damals, erinnerst du dich, die Mosel war zugefroren,
Halbstarke kurvten mit einem Porsche über das Eis,
wie schlitterten die Jungs auf der spiegelglatten Bahn,
dazu hattest du keine Traute. Vater lag im Sterben,
und starb doch nicht, hat es sich nochmals überlegt,
zu ihm pilgerten wir täglich, Mutter und ich, über den Fluß,
der unter uns Flüche murmelte oder von der Freiheit sang,
Oberdorf–Krankenhaus Kemperhof und zurück.
Dieser Winter war ewig und der Schnee schmutzig.
Kobaltblau aber waren die Winterhimmel der Eifel,
als die Sträucher weiße Masken trugen
und der Atem, ein Rokokozopf, in der Luft hing,
bis ihn der Wind unwirsch löste.
Die Tritte knirschten sich in den Altschnee,
Großvater hatte sich unter dem Hut
einen Ohrenwärmer umgebunden.
Hier, wo wir noch vor kurzem Kastanien aufgerafft
und in die harten Jutesäcke gesteckt hatten,
hier war die Erde unterm Firn entschlafen,
das Licht spielte mit sich selbst über den Kristallen.
Von der Heimat blieb die Erinnerung an den Schnee,
der vom Fenstersims sprühte, wenn ein Vogel aufflog,
oder der erste Blick am Morgen, wenn die Bäume
und Häuser unter dem magischen Staub weiterträumten.
Auch die Bilder der Erinnerung tauten,
wie der Schneemann, der eines Morgens
kein Gesicht mehr hatte, und der Besen,
den er hielt, stand dumm in der Luft.
Wenn der Schnee auftaute, blieben die Dinge
nüchtern und alt geworden zurück.
Die Straßenbahn fuhr wieder, doch ihr Bimmeln
klang hohl und abweisend wie die Glocke der Schule.
Auch der Schnee der Erinnerung taute,
die harten Furchen und Krumen treten zutage,
und das Medaillon, nach dem du lange gesucht hast,
aber jetzt brauchst du es nicht mehr.
Das liebe Bild ist verblaßt, und den Namen,
den du mit ihm an die Lippen gedrückt hast,
weißt du nicht mehr, weißt du nicht mehr.
Der Schnee der Erinnerung taute.
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