Satz und Gedanke
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
In dem Satz „Peter liebt Martha“ bestimmt der syntaktische Bau, nämlich die Tatsache, daß der Name Martha auf den Namen Peter folgt, seine Bedeutung. Die Semantik erweist sich hier als Funktion der Syntax.
Das Schriftbild des Satzes „Peter liebt Martha“ oder die räumlich geordnete Reihenfolge seiner Grapheme ist die Projektion seines Lautbilds oder der zeitlich geordneten Reihenfolge seiner Phoneme. Wesentlich für den Sinn des Ausdrucks ist die Tatsache, daß im Schriftbild der Name Peter links vom Prädikat, der Name Martha rechts vom Prädikat steht, beziehungsweise, daß in der Verlautbarung zuerst der Name Peter und nach dem Prädikat der Name Martha genannt werden.
Der Satz „Peter liebt Martha“ impliziert nicht die inverse Form, nämlich, daß Martha Peter liebt, aber die Negation der unwahren Behauptung, daß Peter Martha nicht liebt.
Lateinisch lautet der Satz: „Petrus Martham amat.“ Aber in dieser Sprache könnte er auch lauten: „Martham Petrus amat.“ Die semantische Funktion, die im Deutschen durch die Reihenfolge der Grapheme und Phoneme determiniert wird, ergibt sich im Lateinischen aufgrund der grammatischen Kasusendungen.
Wenn wir zugestehen, der Satz „Peter liebt Martha“ drücke den Gedanken aus, daß Peter Martha liebt, können wir den internen Zusammenhang von Sprache und Denken etwa folgendermaßen bestimmen: Wir sind nicht in der Lage, den Gedanken, daß Peter Martha liebt, zu erfassen und darzustellen, ohne daß wir uns irgendeiner artikulierten Form von Aussagen bedienen, in denen die gemeinten Personen (Peter, Martha) mittels Namen („Peter“, „Martha“) repräsentiert und ihr Verhältnis (lieben) zueinander durch einen entsprechendes Relationsbegriff („lieben“) bezeichnet wird.
Peter könnte gewiß meinen, die Tatsache, daß er Martha liebt, anders als durch sprachliche Zeichen wiedergeben zu können; wenn er ihr beispielsweise einen Blumenstrauß schickt. Aber wir können in der Geste, die an sich unterschiedliche Deutungen zuläßt (Geste der Entschuldigung, Geste der Kondolenz), die Geste der Liebe nur identifizieren, wenn wir sagen, sie symbolisiere die Tatsache, daß Peter Martha liebt.
Wir können komplexe Gegebenheiten wie die Tatsache, daß Peter Martha liebt, nicht denken, ohne über die Möglichkeit zu verfügen, sie mittels artikulierter und syntaktisch eindeutig gereihter Phoneme oder Grapheme auszudrücken und darzustellen.
Peter kann an Martha denken und dabei erotische oder Liebesempfindungen verspüren, ohne seinem Gedanken eine syntaktisch-phonetische Form zu verleihen; aber dies muß er, wenn er gefragt, woran er denke, offenherzig antwortet.
Wir können aufgrund von Verhaltensbeobachtung mit guten Gründen den Satz verlautbaren, daß Peter Martha liebt; aber Peter könnte Martha lieben und zugleich über den Satz, daß er Martha liebt, erstaunt sein.
Hier berühren wir einen wesentlichen Unterschied von Sätzen und Verlautbarungen aus der Perspektive der dritten und aus der Perspektive der ersten Person. Wir kommen aufgrund von Beobachtungen seines Verhaltens zu der Vermutung, daß Peter Martha liebt; aber wenn sich Peter zu dem Eingeständnis und Bekenntnis durchringt, daß er Martha liebt, dann nicht aufgrund der Beobachtung seines eigenen Verhaltens, die ihn zu eben jenem Schluß genötigt hätte.
Weil selbstbezügliche Aussagen in der Perspektive der ersten Person keine Schlußfolgerungen aus der Beobachtung des eigenen Verhaltens sind, stellen sie keine Vermutungen und Hypothesen dar, die immer nur einen bestimmten Grad von Wahrscheinlichkeit zulassen; dieser Umstand verleiht Selbstaussagen die Aura des Unbezweifelbaren und Gewissen.
Gedanken sind, was wir mit sprachlichen oder artikulierten Zeichen tun.
Die Erinnerung an den verstorbenen Freund kann Ausdruck der Trauer sein; aber der Gedanke, der sie zur Erinnerung macht, ist kein Ausdruck eines seelischen Zustandes, sondern die Möglichkeit, mit Zeichen zu operieren, die das Erinnerte in ein Vorher und Nachher einreihen.
Die Erwartung, den lange vermißten Freund wiederzusehen, kann mit freudiger oder banger Erregung vermischt sein; aber der Gedanke, der sie zur Erwartung macht, ist keine Vorstellung davon, wie die Erwartung aufgrund der Wiederbegegnung in einen emotionalen Zustand des Glücks oder der Enttäuschung umschlägt, sondern die Möglichkeit, auch wenn man kein bestimmtes Erlebnis wie Freude oder Enttäuschung bei der Wiederbegegnung antizipiert, zu sagen, daß man den lange vermißten Freund erwartet; oder daß man auf ihn wartet, ob nun in freudiger oder banger Erregung oder in relativer Gelassenheit. Der seelische Zustand kann, was wir mit Erwartung meinen, nicht erklären. Im Übrigen können wir die freudige und bange Erregung oder die relative Gelassenheit kausal ableiten, die Operation der Zeichen, mit denen wir den Gedanken an unsere Erwartung ausdrücken, nicht.
Gedanken sind keine seelischen Zustände oder mentalen Ereignisse; aber sie können von Gefühlen und Empfindungen und anderen mentalen Ereignissen begleitet werden, wie der Gedanke an den verstorbenen Freund vom Gefühl der Trauer und der Empfindung eines schmerzlichen Verlustes. Doch Gefühle und Empfindungen konstituieren nicht den Sinn des Gedankens, den sie begleiten. – Nach Jahren denke ich an den verstorbenen Freund zurück; aber mein ursprüngliches Gefühl der Trauer ist einem Gefühl der Dankbarkeit gewichen.
Durch syntaktische Umstellung gelangen wir im Deutschen von der Aussageform zur Frageform und erhalten den Satz: „Liebt Peter Martha?“ Andere Sprachen gewinnen den Ausdruck der Frage mittels anderer Zeichenoperationen; so kann ich im Französischen ohne syntaktische Umstellung sagen: „Est-ce que Pierre aime Marthe?“
Im Lateinischen ersehen wir den Unterschied zwischen Aussagesatz und Fragesatz am Gebrauch der Fragepartikeln -ne, num und nonne. „Petrusne amat Martham?“ (Frage, die sowohl eine positive als auch eine negative Beantwortung zuläßt.) „Num Petrus amat Martham?“ (Frage, die eine negative Beantwortung in Aussicht stellt.) „Nonne Petrus amat Martham?“ (Frage, die eine positive Antwort nahelegt.)
Der Gedanke, der sich in der Form der Frage ausdrückt, ist nicht bloß eine Umkehrung des Gedankens, der sich in der Form der Aussage ausdrückt, sondern etwas prinzipiell anderes. Denn eines ist es, aufgrund von Verhaltensbeobachtung der mehr oder weniger gut begründeten Vermutung Ausdruck zu verleihen, daß Peter Martha liebt, etwas anderes, danach zu fragen. Denn die Frage, ob Peter Martha liebt, kann entweder durch ähnliche Beobachtungen angeregt sein wie die Aussage, daß er es tut, oder durch Beobachtungen derart, daß wir eine solche Vermutung in Zweifel stellen werden.
Freilich könnte sich Peter unter außergewöhnlichen Umständen fragen, ob er Martha liebt; dagegen unter normalen Umständen nicht, ob die Ampel von Rot auf Grün gesprungen ist oder ob das, was er im rechten Knie empfindet, Schmerzen sind. Wir dagegen können fragen, ob Peters Schmerzverhalten auf tatsächliche Schmerzen im Knie verweist oder ob er sie nur vortäuscht, um den gemeinsamen Spaziergang mit uns nicht fortsetzen zu müssen.
Wir können fragen, ob Peters Verhalten gute Gründe für die Vermutung liefert, daß er Schmerzen hat; dagegen kann Peter sich unter normalen Bedingungen nicht fragen, ob das, was er im rechten Knie verspürt Schmerzen sind. Daher sind, wie Wittgenstein betont, selbstbezügliche Aussagen wie „Ich habe Schmerzen“ keine Mitteilungen dessen, was einer von sich weiß, denn wäre dem so, könnte es sich auch um ein Scheinwissen handeln.
Mittels Sprachbetrachtung gelangen wir zur Einsicht, daß jene Formen des Selbstseins, die sich in unmittelbaren selbstbezüglichen Äußerungen der ersten Person artikulieren, weder Formen des Wissens sind noch Reflexionen des Ich am Nicht-Ich, des Selbst am Anderen, wie es die Tradition der Bewußtseinsphilosophie von Fichte und Hegel bis zu Sartre annahm, weil sie in den internen Zusammenhang von Sprache und Gedanke nicht eingedrungen ist.
Metaphern wie die vom Strom des Bewußtseins, von der inneren Welt der Gedanken oder der Freiheit und Eigentlichkeit des Selbst sind ähnlich wie die Metaphern vom Fluß der Zeit, dem Strom der Erinnerung oder vom innerlichen Zeitbewußtsein verfänglich und irreführend.
Aus dem Satz, daß Peter Martha liebt, folgt nicht der Satz, daß Martha Peter liebt, aber der Gedanke, daß Peter Martha liebt, impliziert den Gedanken, daß er ihr freundlich gesonnen ist oder ihr hilft, wenn sie seiner Hilfe bedarf und er ihr helfen kann. Wir können allerdings im Normalfalle (wenn es sich nicht um logische Tautologien handelt) nicht alle Sätze überblicken, die aus einer bestimmten Annahme folgen; doch leisten wir uns gewöhnlich die sprachlogische Zuversicht, daß am Ende oder in einem uneinsehbaren Schlupfwinkel kein Folgesatz lauert, der zu unserer ersten Annahme im Widerspruch steht, freilich, über eine Garantie für Konsistenz verfügen wir nicht.
So sagen wir vor dem Abschied dem Freund, der mit uns zusammen einen Gutteil des Weges gegangen ist, er möge ihn auch ohne uns fortsetzen; aber ob er vielleicht um die nächste Ecke abbricht oder vor ein unübersteigliches Hindernis oder einen Abgrund führt, überblicken wir nicht.
Dagegen mißtrauen wir Pseudo-Theorien, die von einer grundsätzlichen Ambiguität, Ambivalenz und Zweideutigkeit der von uns verwendeten sprachlichen Zeichen und also unserer Gedanken ausgehen; sodaß wir beispielsweise mittels psychoanalytischer „Tiefenhermeneutik“ am Ende dem Ausdruck des Gedankens, daß Peter Martha liebt, den verborgenen Sinn entnehmen, daß Peter Martha eigentlich feindselig gesonnen ist oder sie haßt. – Wenn Peter in einem ambivalenten und zweideutigen Verhältnis zu Martha steht, können wir dies eindeutig und klar zum Ausdruck bringen.
Die Tatsache, daß sich der Lichtstrahl im Doppelspaltexperiment aufgrund der Bildung von Interferenzmustern sowohl als physikalisches Wellenphänomen als auch im Einspaltexperiment aufgrund der erwarteten Treffer von Photonen auf der lichtempfindlichen Platte als physikalisches Teilchen beschreiben läßt, führt zur Äquivalenz der Sätze, in denen wir vom Licht als Welle oder als Teilchen sprechen. Aber der Satz, in dem wir das Licht als Welle beschreiben, wird nicht negiert durch den Satz, in dem wir das Licht als Teilchen beschreiben, sondern auf dem Hintergrund einer anderen Interpretation komplementär ergänzt. Die beiden Sätze drücken demnach unterschiedliche Gedanken aus, die wir freilich nicht gleichzeitig denken und ausdrücken können.
Dagegen drücken wir mit dem Satz „Peter liebt Martha“ gleichzeitig den Gedanken „Martha wird von Peter geliebt“ aus, denn der eine läßt sich aufgrund regelhafter grammatischer Transformation in den anderen umformen.
Ein Kriterium für die Gültigkeit der Gedanken, die wir sowohl mittels Aussagesätzen als auch mittels Fragesätzen zum Ausdruck bringen, ist die Möglichkeit der isomorphen Projektion des Modells, das sich in ihrem deskriptiven Satzkern verbirgt; ob wir nun sagen, daß Peter Martha liebt, oder fragen, ob er sie liebt, in beiden Fällen gehen wir davon aus, daß wir die im Prädikat ausgedrückte Relation („lieben“) und die sie in Beziehung setzenden Eigennamen („Peter“, „Martha“) als Modell einer möglichen Welt betrachten können, in der wir Personen dieses Namens (Peter, Martha) in dem genannten Verhältnis (lieben) antreffen; oder eben nicht antreffen.
Ein weiteres Kriterium der Gültigkeit des sprachlich artikulierten Gedankens ist die grammatisch-logische Mannigfaltigkeit oder mehrgliedrige Struktur seines Ausdrucks; so bedarf es dreier grammatischer Elemente (der zwei Eigennamen und des relationalen Attributs), um den sinnvollen Gedanken zu äußern, daß Peter Martha liebt; und zweier kategorial verschiedener logischer Elemente (der Kategorie des Eigennamens und der Kategorie der Relation).
Freilich, verfügten wir nicht über die sprachliche Möglichkeit der Artikulation des Gedankens, die uns erlaubt, mittels der Zuordnung von Eigennamen Personen zu identifizieren und mittels Zuweisung von Relationsbegriffen zu den Namen Relationen zwischen den Personen darzustellen, hätten wir also keinen Begriff oder sprachlichen Ausdruck für das, was sich ereignet, oder einen möglichen Sachverhalt bildet, wäre es sinnlos, ja unmöglich, von Ereignissen und möglichen Sachverhalten zu reden.
Die Subjektivität des sprachlich artikulierten Gedankens steht in einem internen Zusammenhang mit dem Gedachten, dem, was wir Objektivität nennen.
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