Santoka Taneda
Gedichte eines wandernden Bettelmönchs – eine Blütenlese
Meine drei Grundsätze:
Vergeude nichts.
Ärgere dich nicht.
Beklage dich nicht.
Meine drei Vorsätze:
Übernimm dich nicht am Unmöglichen.
Bedaure nichts von dem, was du erlebt hast.
Beschimpfe dich nicht selbst.
Meine drei Freuden:
Studium.
Betrachtung.
Haiku.
*
Kein andrer Weg als dieser –
ich geh allein.
*
Der Wind in den Kiefern,
am Morgen, am Abend
trägt er den Klang der Tempelglocken.
*
Der Bottich ist voll vom Regen:
Für heute istʼs genug.
*
Feucht vom Morgentau,
ich geh, wohin ich will.
*
Dunkelheit,
feucht
vom Rauschen der Wogen.
*
Einsam seh ich den Mond
hinter den Bergen versinken.
*
Schnurgerade der Pfad,
voll von Einsamkeit.
*
Ich strecke meine Füße aus;
ein wenig Licht vom Tag ist übrig.
*
Ohne Ziel
wandere ich durchs verdorrte Gras.
*
Meine Bettlerschale
füllt sich mit fallenden Blättern.
*
Auch Hagelkörner
finden sich in meiner Bettlerschale.
*
Immer tiefer
und tiefer
gehe ich in die grünen Hügel.
*
Beschwipst;
die Blätter fallen
eins ums andere.
*
Kein Wölkchen rings;
ich nehme meinen Strohhut ab.
*
Libellen
sitzen auf meinem Hut,
während ich weiterziehe.
*
Liegt Frieden auf den Bergen,
nehme ich meinen Strohhut ab.
*
O, eine Kamelienblüte
hüpft von meinem Hut.
*
Ist dies Häufchen Asche
alles, was mir blieb
von meinem Tagebuch?
*
Heimatlos;
Herbst, tief und tiefer.
*
Täglich mehr eingerissen,
am Ende nur Flicken:
mein Reisegewand.
*
Mit dem Wasser strömend
ging ich in das Dorf hinab.
*
Mitten im Leben, im Tod,
unaufhörlich fällt Schnee.
*
Ich wandere im Glanz und
der Dunkelheit des Winds.
*
Am Fuß des Berges stehen
einige Grabsteine beieinander
im warmen Sonnenlicht.
*
Die Schwalben ziehen –
von nun an kommen mehr Fahrten;
ich schnüre mir die Sandalen.
*
Ich streckte meinen fiebernden Körper
auf der gefrorenen Erde aus.
*
So mag ich wohl mal sterben:
auf der kalten Erde liegend.
*
Aussaat im Frühjahr:
Bauern und Rinder,
beide schweißgebadet.
*
Scheint die Sonne, blökt sie;
ist der Himmel bedeckt, sie blökt –
die einsame Ziege.
*
Jetzt stehe ich hier,
wo das Blau des Ozeans
keine Grenzen hat.
*
Schöner Pfad,
er führt zu einem schönen Haus.
Es ist ein Krematorium.
*
Nur noch die lange Brücke
und ich bin in meinem Heimatdorf.
*
Nichts blieb von dem Haus
meiner Geburt –
Glühwürmchen.
*
Mein Heimatort – Hundehitze,
nichts blieb, nur Grabsteine.
*
Ich hocke mitten
in meinen Heimatdialekt.
*
Das Rauschen der Wogen hebt an –
mein Heimatdorf
entfernt sich mehr und mehr.
*
Sie blühte ergeben,
weiße Blume steht sie da.
*
O, die Laus,
die ich fing,
wie warm sie ist!
*
Die paar Fliegen, die noch da sind,
scheinen sich an mich zu erinnern.
*
Sonnenuntergang – der Schatten
des Pflügers wächst.
*
Den ganzen Tag im Gebirge,
auch die Ameisen wandern.
*
Gepäck, ich kann es nicht abwerfen,
so schwer vorne und hinten.
*
Die Disteln –
glänzend und frisch
gleich nach dem morgendlichen Regen.
*
Frieden für das Herz:
Leben in den Bergen.
*
Den ganzen Tag über schwieg ich –
das Rauschen der Wellen.
*
Spät in der Nacht:
der rauhe Ton des Kartenspiels.
*
Täglich treffen wir auf beide:
Dämonen und Buddhas.
*
Ich schütte Weihrauch
auf die Gedenktafel der Taneda –
alles was von meiner Familie blieb.
*
Ja, so ist es –
es regnet, ich werde naß und wandere.
*
Kirschblüten, wie sie schimmern,
Kirschblüten, wie sie wehen,
es tanzen die Menschen, tanzen.
*
Ich sitze in der verdorrten Schönheit
des wilden Grases.
*
Im Grunde ist es traurig,
allein zu sein –
die verdorrten Gräser.
*
Im Grunde ist es gut,
allein zu sein –
die wilden Gräser.
*
Wenn ich gehe, Samen von Kräutern;
wenn ich sitze, Samen von Kräutern.
*
Tau und
welke Blätter,
zusammen aufgekehrt.
*
Warum bläst Wind
mit Klagen?
*
Morgen mache ich mich auf;
Kirschblüten,
sie fallen, fallen.
*
Am Abend Einsamkeit,
wieder pflügt sie das Feld.
*
Im Frühlingsschnee
sind Frauen so schön.
*
Die wandernden Wolken
und der Glanz des Tempels
spiegeln das Wasser.
*
Ich bin weit gekommen;
ich trinke das reine Wasser und gehe.
*
Im dichten Gras
Pfützen rings um
die Ruinen des Tempels.
*
Endlich! Der Mond und ich,
wir sind in Tokio angelangt.
*
Nach langem Fortsein
fege ich den Garten aus;
die Heckenblumen blühen.
*
Während die Schalen meines Hutes bröckeln,
wachsen Reben und Gras.
*
Schwänze und Muschis,
sie kochen dicht an dicht
im überfüllten Bad.
*
In der ewigen Musik
des Wassers,
Buddha ist darin.
*
Ich rutschte aus und fiel –
die Berge bleiben ruhig.
*
Es ist genug;
ich kehre die welken Blätter auf.
*
Einen Stein als Kopfkissen
schwebe ich den Wolken zu.
*
Die Nacht ist frostig –
wo werde ich schlafen?
*
Den steilen Berg herabfließend:
das helle Wasser.
*
Die krächzenden Krähen,
die flatternden Krähen,
sie finden keinen Ort, sich zu sammeln.
*
Ich stürze mich
in die regenfeuchten Berge.
*
Ich bahne mir einen Weg durch das welke Laub
und scheiße gut in den Feldern.
*
Unter der glühenden Sonne:
Eisenbahngleise,
schnurgerade.
*
Keine Herberge für die Nacht –
der Mond weist den Weg.
*
Die trockenen, gerösteten Steine
rollen und rollen.
*
Eine Handvoll Reis,
empfangen und gegessen,
meine Tagesreise.
*
Die Tage sind kurz,
Abend kommt rasch;
mein Rucksack ist so schwer.
*
Es schimmert hell
im Sonnenlicht,
gekochter Reis, mein Essen.
*
Die Tropfen rinnen –
ich kann die Buchstaben
auf dem Wegweiser nicht entziffern.
*
Heute, noch am Leben;
ich strecke meine Füße aus.
*
Von der Stille der Berge
wird der Regen still.
*
Der Himmel im Abendrot –
ein Becher Sake,
das wär jetzt gut!
*
Müde kehre ich zum meiner Hütte,
der Mond füllt den Himmel ganz.
*
Felsen und hohe Klippen,
bedeckt von Purpurblättern.
*
Die Schönheit des Abendrots
trauert ums hohe Alter nicht.
*
Da sitze ich allein,
still, unterm Moskitonetz,
und esse meinen Reis.
*
Wenn nur einer das Feld pflügt,
hörst du bald ein Lied.
*
Allein am Neujahrstag –
sie haben Reiskuchen und Sake
und …
*
So glücklich, da zu sein,
öffnet das Kleine die Hände
und schließt sie wieder.
*
Der kalte Klang des Groschens,
den man mir zuwarf.
*
Gute Nachrichten,
schlechte Nachrichten;
Frühlingsschnee, er fällt.
*
Nur dieser eine Pfad;
Frühlingsschnee fällt.
*
Unter der Milchstraße tanzt
der Trunkenbold jede Nacht.
*
Der tiefe, kalte Mond
taucht zwischen den Häusern auf.
*
Mond! Berge!
Auf dieser Reise
wurde ich krank.
*
Welkes Laub –
tief im Wald
erblicke ich einen Buddha.
*
Winterhimmel –
ferne Träume,
zerrissen und verweht.
*
Frühling ist da –
sogar meine Küche
wird gut gefüllt sein.
*
Endlich hat es aufgeklart;
heute will auch ich die Wäsche machen.
*
Meine endlose Reise –
Schweißgeruch.
*
Ich eile auf dem Weg,
zurückblicken kann ich nicht.
*
Morgenrot, Abendrot;
nichts zu essen.
*
Im Sprung:
ein roter Frosch.
*
Nach und nach übernehme ich die Laster
meines toten Vaters.
*
Der Berg dunkelt,
ich lausche seiner Stimme.
*
Sommerhitze
durchfeuchtet
jedes Lebewesen.
*
Schweiß sammelt sich
in meinem Bauchnabel.
*
All das namenlose Gras
blüht auf einen Schlag – purpurne Röte.
*
Mittagessen heute:
nur Wasser.
*
Ich kann vom Sake nicht lassen:
die blühenden Bäume,
die blühenden Gräser.
*
Eine Libelle auf dem Fels,
Mittagsträume.
*
Frühling – mit leerem Magen
gehe ich meines Wegs.
*
Mein neues Gewand:
voll von Sonnenlicht und Wärme.
*
Auberginen, Gurken;
Gurken, Auberginen:
das ist alles, was ich esse – die Kühle.
*
Mittagsstunde – im tiefen Gras
der Schrei eines Froschs,
der von einer Schlange verschluckt wird.
*
Ich pflücke die namenlose Blume
und bringe sie Buddha dar.
*
Die Kakerlaken haben
auch nichts zu beißen;
haben sie meine Bücher verspeist?
*
Mein Geist ist klar;
ich pflücke den überfrorenen Rettich.
*
Ich habe gelogen;
ein einsamer Mond taucht auf.
*
Abendrot füllt mein Gesicht;
ich habe mir Geld geliehen
und kehre zum Wind des Flusses zurück.
*
Froh, am Leben zu sein,
schöpfe ich Wasser.
*
Das Leuchten des Schnees
erfüllt das Haus mit Stille.
*
Gibt es etwas, das ich vermisse?
Die Blätter fallen.
*
Das grüne Gras!
Ich gehe barfuß heim.
*
Rauschen, Sinken,
Rauschen, Sinken,
später Herbst.
*
Ich kann gar nichts tun;
lauter Widersprüche,
aufgewirbelt vom Wind.
*
Ein wenig zu essen,
ein wenig für einen Rausch;
Regen auf den Wiesen.
*
Die toten Zweige knickend
an nichts denken.
*
Bettelarm – tauender Schnee
tropft langsam vom Dach.
*
Aus dem Dickicht
gleich in den Topf:
ein einziges Bambusrohr.
*
Aus dem mit Regenwasser gefüllten Eimer
schwappt das herrliche Wasser.
*
Es gibt immer noch etwas zu essen:
das kühle Wasser.
*
Die Blätter fallen;
von nun an
wird selbst das Wasser besser schmecken.
*
Betrunken schlief ich
bei den Grillen.
*
Was für eine herrliche Herberge!
Berge hüben und drüben
und gleich gegenüber ein Sake-Laden.
*
Ich halte eine Tomate hoch als Opfergabe
und lege sie für Buddha hin,
für meine Mutter und meinen Vater.
*
Grabsteine in einer Linie –
durchdringende Stille.
*
Aus der gefüllten Hand des Kindes
empfange ich jedes Reiskorn,
eins nach dem anderen.
*
Oben der Himmel,
der Reiskuchen in meiner Hand,
überall Sonnenlicht,
das helle Leuchten des Reises.
*
Weiter und weiter gehen
unter den grenzenlos
blühenden Amaryllen.
*
Durst nach einem Schluck Wasser –
das Rauschen eines Wasserfalls.
*
Manchmal halte ich inne mit Betteln
und schaue auf zu den Bergen.
*
In weiter, weiter Ferne
fliegt ein Vogel
über die schneebedeckten Berge.
*
Die fernen schneebedeckten Berge –
ganz abgeschnitten von der Welt der Menschen.
*
Menschen versammeln sich um den Toten;
keine Wolken am Himmel.
*
Der Einsiedler ist nicht da;
in seiner Abwesenheit
schlage ich seine Gebetstrommel.
*
Wenn ich meine Lumpen verkaufe
und dafür Sake kaufe,
wird immer noch Einsamkeit sein?
*
(Die Erkennungsmelodie meines Barts:)
Ein ungleiches Leben,
stehend und fallend.
*
In des Tages Hitze,
weinen oder lachen,
eines nur.
*
Ich habe Reis,
Bücher
und Tabak.
*
Ich will nur wandern,
und wandere mit vollem Rucksack –
Abendmond.
*
Zwielicht – der Klang
des traurigen Briefs,
der in den Kasten fällt.
*
Den ganzen Tag kein Wort geredet;
schlaflos –
mondhelle Nacht.
*
Fisch grillen,
manchmal auch die eigene Hand –
einsames Leben.
*
Im Sonnenlicht auf meinem Pult
schreibe ich einen langen, langen Brief.
*
Ganz ziellos
gehe ich zwischen den Grabsteinen umher.
*
Das tiefe, klare, blaue Waser
glänzt hell –
mein trauriger Schatten.
*
Aus den Bergen:
weiße Wildblumen
auf dem Tisch.
*
In den Lücken zwischen den Häusern –
schau auf das Grün der Berge!
*
Kalte
Wolken
eilen dahin.
*
Die Widerspiegelung im Wasser:
ein Wanderer.
*
Der Frühling brach an,
nahe beim Friedhof.
*
Der kalte, sternklare Himmel –
die nackten Bergasketen schlagen ihre Trommeln.
*
Der Mond geht auf –
ich warte auf nichts.
*
Herbst –
ich sitze im wilden Gras.
*
Pilger,
Pilger
strömen zuhauf, teilen.
*
Den Magen voll Wasser
schlafe ich gut.
*
(Begegnung mit einem alten Freund:)
Zwei alte Gesichter –
Schweigen.
*
Ich säe den Samen aus
im Morgenlicht,
bevor ich meine Reise beginne.
*
Schnee fällt
still
auf den Schnee.
*
Alle erzählen Lügen;
Frühling hat man davongejagt.
*
Nie wieder gehe ich
über diese Brücke;
weit und heftig weht der Wind.
*
Wahrhaftig ein gebirgiges Land!
Berge und noch mehr Berge,
und der helle Mond.
*
(Heimgekehrt:)
In der tiefen Stille –
der Staub auf dem Tisch.
*
Die Wunde heilt nicht,
sie wird kalt und schrundig.
Gefängnis Winter.
*
Die hungrige Katze schreit;
ich habe nichts zu essen für sie.
*
An nichts denkend
gehe ich durch einen Wald
von verdorrten Bäumen.
*
Wonach suchen?
Ich wandere im Wind.
*
Sogar der Klang der Regentropfen
ist älter geworden.
*
Mir ist nicht zu helfen;
mein altes Gewand
vermodert.
*
Verborgen
in einer zusammengestürzten Hütte
mein zusammengestürztes Leben.
*
Die Brise aus den Bergen
in den Windglöckchen
erweckt mir den Wunsch zu leben.
*
Heute gehe ich wieder, pudelnaß,
auf unbekannter Straße.
*
Roter Harn –
wie lange geht die Reise noch?
*
Dauerhusten –
keiner da, der mir auf den Rücken schlüge.
*
Kein Geld, keine Sachen,
keine Zähne –
ganz allein.
*
Mein Herz ist müde –
die Berge, das Meer,
sie sind zu schön.
*
Wann werde ich sterben?
Ich pflanze die Setzlinge ein.
*
Mir bleibt nichts als zu sterben;
die Berge verloren im Dunst.
*
Heimkehren um zu sterben –
dürre Gräser.
*
Heimkehren um zu sterben –
sprießende Gräser.
*
Ich klammere mich an den Tod;
der Pfeffer ist hellrot.
*
Die Ruhe des Todes:
ein klarer Himmel, Bäume ohne Laub.
*
Wenn ich sterbe:
Kräuter, Regen.
(übersetzt nach der englischen Vorlage von John Stevens, Mountain Tasting, New York, 1980)
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