Sätze über Kunst und Dichtung
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Dem Andenken an Martin Heidegger
Ästhetik ist die Verschleierung des Kunstwerks.
Die Wahrheit der Kunst verstummt vor dem Geschwätz des Kunstbetriebs.
Die Inspiration, die blieb: der Exhibitionismus der Ausstellung.
Der Verkaufswert verdunkelt den Kunstwert.
Das Kunstwerk ist ein Ort des Gesprächs zwischen Erde und Himmel.
Das Verschwiegene ist das Wesen des Gesprächs.
Die von der ennervierten Hand gefurchten Linien: Spuren des Ungesagten.
Die Linie, die Furche, der Pfad: Öffnungen für das Licht, das ins Dunkel der Erde versickert.
Skulpturen im Museum: geblendete Augen.
Die Plastik sieht nur im Freien: mit dem ganzen Körper, der ganzen Haut des Steins, des Marmors, der Bronze, die Licht trinkt und Schatten.
Licht, in dem das Wasser zittert, Schatten, vom Beben der Büsche, vom Gezwitscher der Vögel erregt.
Die von der Leidenschaft des Mäzens genährte Kunst bleibt schlank und athletisch, die von den Gesinnungswächtern des Staats gefütterte degeneriert zum fetten krakeelenden Schmarotzer.
Händler: Zuhälter, Künstler: Huren, das Publikum: der für den ästhetischen Kitzel zahlende Voyeur.
Einer sieht einen wuchtigen Steinbrocken mit seltsamen Buchten, Falten und Verwerfungen, mit runenhaften Mustern, mit einem schimmernden Belag von Moos und Flechten; so räumt er das Umfeld um den Stein frei, er rodet eine Sichtschneise, er gibt dem Ding einen Ort. Das Ding wird zum Kunstding, auch wenn es die urtümliche Manifestation der Natur ist. Doch der primitive Künstler umfriedet die Natur mit dem Entwurf einer Landschaft, er birgt die Natur im Garten der Kunst.
Die Natur oder die stumme Erde kommt im Kunstwerk zur Sprache – doch der Ursprung zeigt sich an ihm bleibend: an den Rändern, den Leerstellen, den Ausbuchtungen, die erfüllt sind von Schatten, von Schweigen.
Wie kann der Stein sprechen? Nicht unähnlich dem Vorgang, wenn er sich spaltet und Quellwasser hervortritt.
Das ungeheure Geschehen, in das wir eingelassen sind, der Widerstreit von Licht und Dunkelheit, Zeugen und Vernichten, Sagen und Versagen, im Kunstding ist es vor uns verdichtet, blickt es uns an.
Im Perlmutt der aufgebrochenen Muschel spielt der Himmel, singt das Licht.
Das Kunstwerk stellt keine Fragen, gibt keine Antworten, es ist nur da, wie ein rätselhaftes Zeichen, das auf das Dasein einer unbekannten alten Sprache verweist.
Der Mäzen, der Freund des Künstlers, erwirbt den Skulpturengarten und gewährt nur den gemeinsamen Freunden, den Erwählten, den Zugang: zum Fest und zur Schau – nicht der gemeinen Neugier der Menge.
Erst wenn der demo-totalitäre Gesinnungs- und Erziehungsstaat zerschlagen und die globalistischen Eliten abgelöst worden wären, könnte die Kunst wie ehedem an den Höfen des Alten Reiches in den zerstreuten Domänen einer neuen vornehm-mäzenatischen Herrscherkaste – den Sälen, den Gärten, den Pavillons – ihre Wiedergeburt feiern.
Das Werk kommt aus dem unzugänglichen Grund der Dinge, den wir mit den Dichtern Natur nennen können. Der Künstler lauscht in diesen Grund wie in einen Brunnen: Nicht immer ertönt ihm in der Tiefe ein Rauschen. Doch niemals ersetzt er den Mangel der Wahrheit durch eine Idee oder ein Ideal, das er dem ungefügen Material aufzwängt.
Hohe Kunst ist reines Hervorgehen, wie das Wasser aus dem Stein, die Flamme aus dem Holz, die Stimme aus der Kehle. Sie kennt nicht das Stocken und Stochern der Kritik, nicht die Trübung einer Gesinnung, die nur das Hecheln nach Atem ist, den ihr der Wind des Aufbruchs und des Frühlings vorenthält.
Jener, der den urtümlichen Stein freigelegt und zur Mitte eines sichtbaren Orts, des Ortes oder des Gartens der Kunst, erwählt hat, könnte derselbe Mann sein, der als erster eine Schale mit reinem Quellwasser gefüllt und indem er rhythmisch Laute, Rufe, Schreie ausstieß, den Stein damit begossen haben. So wäre er zum Vates und Priester geworden, zum Dichter.
Sein Blick richtete sich, während das Wasser niedertroff, gen Himmel, den eigentlich Handelnden, da er die Harmonie zwischen Lied und Weihe, Gesang und Geste stiftete, als seine Strahlen das feuchte Schimmern und Glänzen auf der Gesteinsoberfläche zugleich erzeugten und tranken.
Das Glänzen ist eine sublime Manifestation der Großen Natur und eine Offenbarung des Göttlichen, das an der Haut der Skulptur niederrinnt; doch auch ihr Verblassen und Dunkeln unter verhangenem Himmel ist Offenbarung, nämlich des immerwährenden Entzugs des Göttlichen.
Die im freien Raum des Gartens ragende Figur ist die Inkarnation des Gesprächs zwischen Licht und Schatten, ja die Zusammenballung der Wahrheit der Zeiten des Jahrs, der Jahreszeiten der Seele.
Der Winter ist nicht die Verneinung des Sommers, sondern unter Dürre und Schnee die Bewahrung des Keims.
Im Glanz des schweren Steins, der weich oder hart umgrenzt ist, spiegelt sich das leichte Fluidum im grenzenlosen Blau der Luft.
Immer anders glänzt, leuchtet oder verdunkelt sich der Stein, anders im Tau des Morgens, in der Glut des Mittags, im Schatten der Dämmerung, anders bei Regen, Dürre oder Schnee, doch es ist derselbe Stein, dasselbe Glänzen, derselbe Himmel.
Die Figur oder Plastik im Garten der Kunst versammelt und verdichtet die Mannigfaltigkeit der Manifestationen des Himmels an ihrem Ort. Die Zeiten des Jahrs und die Jahreszeiten der Seele spielen dort ineinander und spiegeln sich aneinander.
Das Urbild ist also die Natur, doch nicht als bloß ideales Vorbild oder Gegenstand der Vorstellung, sondern als Geschehen, das von sich aus vor uns stellt, was uns angeht und anspricht, es aber auch zugleich entrückt, sodaß wir es nur mehr schweigend, als eben diese Stille, erfahren.
Das Lied oder das Abendlicht, das im Winter oder der Dämmerung der Seele im purpurn leuchtenden Schnee die Rosen des Frühlings besingt.
An einem transparenten Morgen im Winter sieht man den Stein oder die Figur vom Schnee wie von Wülsten und Polstern einer fast immateriellen Zärtlichkeit bedeckt.
Die Birnen, Quitten, Mirabellen, die wie mythische Gaben des Himmels aus den Schatten der Dämmerung glänzen, geben uns den goldenen Vorschein eines hymnischen Worts.
Abschied von der Ästhetik oder ästhetischen Philosophie: der Kunst einen Ort geben jenseits von Subjekt und Gegenstand, Produktion und Rezeption, Idee und technischer Umsetzung, Entwurf und Verwirklichung, Schaustellung und Publikum, Handel und Ausstellung.
Wenn es keinen Wesens- oder Allgemeinbegriff von Kunst gibt, folgt daraus genausowenig, daß Kunst schlicht das sei, was wir dafür halten oder als solche etikettieren und deklarieren, wie aus dem Fehlen des Wesens- oder Allgemeinbegriffs des Spiels und des Heiligen, daß wir beliebige Verhaltensweisen von Leuten als Spiel deklarieren oder jeden beliebigen Fetisch des Geld- und Geltungsdranges als göttlich bezeichnen sollten.
Das Kunstwerk ist das Aufgehen oder die Lichtung eines Bedeutungsfelds, dessen Intermediär und Dolmetscher der Künstler ist, ohne indes sein Urheber oder Kreator oder selbstherrlicher Autor zu sein.
Der Stein, den er nicht einmal behauen und nach eigenem Gusto verformen wird, war vor dem primitiven Künstler da; er hat sich ihm unter dem Aspekt einer möglichen Sicht- und Sageweise gezeigt. Doch er tritt als Kraftzentrum in das Bedeutungsfeld der Kunst erst, wenn er ihm durch Schaffung und Rodung von Sichtschneisen die Lichtung bereitet, die ihn als solchen Pol oder Nabel der Innigkeit hervorscheinen läßt.
Die Meisterschaft des Künstlers bezieht sich demnach nicht originär und primär auf die meisterhafte Beherrschung der Technik zur Hervorbringung des Kunstwerks, sondern auf den Feinsinn, die Geschicklichkeit und die Sensibilität, die er aufwendet, um ein Ding als Manifestation des Grunds der Natur, um mit Hölderlin zu sprechen, sichtbar zu machen.
Der sakramentale Akt der Besprengung des Steins diente dazu, eine höhere, sublimere, intensivierte Form der Manifestation des Grunds ins Werk zu setzen. Denn im Verlauf dieser Weihehandlung manifestiert sich das Licht als tauiges Glänzen und als schimmerndes Scheinen. Dieses Ins-Werk-Setzen ist reine Darbietung oder Darreichung – Offerte oder Evokation – und bedarf keiner subjektiven Manipulation und Verformung herbeigetragener Materialien.
Nicht der Künstler spricht, sondern mit der Geschicklichkeit der Sichtbarmachung des Verborgenen bringt er das Ding zur Sprache und damit zur Welt der Kunst.
Der schwebende Schleier an Worten, den er mühsam genug gewebt hat, an ihn preßt sich das Antlitz des Erwarteten, des Unerwarteten, und es wird ahnbar, fast kenntlich.
Das Lied, das den Glanz der ursprünglichen Manifestation des Grunds der Natur besingt, ist selbst ein Reflex dieses Glanzes, seines Erscheinens und seines Verblassens.
Mit der Philosophie des Subjekts, des Bewußtseins und der Repräsentation, die das Kunstwerk entweder als Versinnlichung und Konkretion der Ideen eines wie immer begabten, genialen und technisch versierten Künstlers oder als Gegenstand der ästhetischen Betrachtung und des ästhetischen Erlebens genießender oder sich belehrender Art eines wie immer gebildeten Kunstrezipienten zu erfassen glaubte, geben wir auch die mit dieser Auffassung innig verknüpfte humanistische Ideologie preis, insofern sie die Produktion und Rezeption des Kunstwerks an moralisch-gesellige Absichten wie die Aufklärung und pädagogische Belehrung oder die bourgeoise Unterhaltung gefesselt hat.
Indes, wenn wir den Ort der Kunst jenseits des begrifflichen Rahmens von Subjekt und Gegenstand, Werk und Wirkung, Transzendentalismus und Humanismus, Pädagogik und Aufklärung suchen, geraten wir dann nicht auf ein Brachfeld des Trivialen oder in einen Abgrund des Nihilismus?
Leicht könnten wir in die Falle eines solchen Mißverständnisses geraten. Doch sollten wir das Triviale als das von der getriebenen oder triebhaften Sinnstiftung des Menschen entleerte und befreite einfache Ding, das Ding in seiner Einfalt, ansehen und das Nichts als das Nichts des Grunds der Natur, der sich nicht unmittelbar im Dasein der Dinge offenbart, sondern wie im Glänzen des mit Wasser übergossenen Steins an ihnen allererst zeigt und zugleich verbirgt.
Jenseits von Sinnstiftung und Leere, jenseits von Humanismus und Nihilismus findet das dichterische Wort Erfüllung im Hören und Erlauschen dessen, was aus dem Grund der Natur sich ihm zuspricht. Der Dichter ist nicht mehr das bedürftige oder von eigenen Bildern und Phantasmen gequälte oder überfüllte Subjekt, das vom schwanken Boot auf dem unruhigen Meer die Netze seiner Metaphern auswirft, um sich am Fang exotischer Fische und schimmernder Empfindungseindrücke gütlich zu tun. Er steht ruhig und absichtslos am offenen Fenster, der Betrachtung des immer wechselnden, immer gleichbleibenden Lichts hingegeben und hört auf das Gespräch zwischen Erde und Himmel, das seinen Ort nicht in der eigenen Innerlichkeit, sondern in dem hat, was Hölderlin die „Innerheit der Welt“ nennt.
Friedrich Hölderlin, Aussicht
Der offne Tag ist Menschen hell mit Bildern,
Wenn sich das Grün aus ebner Ferne zeiget,
Noch eh des Abends Licht zur Dämmerung sich neiget,
Und Schimmer sanft den Klang des Tages mildern.
Oft scheint die Innerheit der Welt umwölkt, verschlossen,
Des Menschen Sinn von Zweifeln voll, verdrossen,
Die prächtige Natur erheitert seine Tage
Und ferne steht des Zweifels dunkle Frage.
In seinem Gedicht Aussicht nennt Hölderlin den Tag offen; die Offenbarkeit des Tages kommt aus dem Abgrund des Nichts, doch sie erhellt das Leben der Menschen und zwar mit Bildern, die nicht die Bilder des schöpferischen Subjekts sind, sondern sich wie das Grün der Ebene von sich aus zeigen. Der Tag geht hier vom Morgen zum Abend, doch kann er, der Weltentag, wie in vielen späten Gedichten Hölderlins auch, die Summe der Jahreszeiten sein. Was sich im hellen Grün gezeigt hat, das – weltinnerlicher Reim – neigt am Abend sich zur Dämmerung. Das wandernde und sich wandelnde Licht des Tages hatte seinen eigenen Klang, und der Klang des dichterischen Gesangs ist sein Echo, er ist nicht sein Erzeugnis; das Lied des Weltentags wird leiser, sanft gemildert und gedämpft von Schimmern, die vielleicht schon wie fahle weiße Blüten des Traums auf dem Wasser schwimmen.
Die Innerheit der Welt, die sich im Tag geöffnet hat und in der Dämmerung des Abends wieder verschließt, ist nicht die Innenwelt des Subjekts, so wie ihre Bilder nicht von ihm erfundene Bilder sind. Verschließt und umwölkt sich der Tag, spiegelt seine Dämmerung sich im Verdruß und Zweifel der Menschen, die auf der Schwelle von Schlaf und Tod stehen. Mit einem ihm gemäßen und gern gebrauchten Wort nennt aber der Dichter die Natur prächtig; sie ist von einer Pracht, die über die Verschlossenheit, die sich in der Dämmerung und dem Zweifel manifestiert, hinausragt, nämlich, dürfen wir ergänzen, im Sternenschimmer der Nacht.
Die gnomische Sentenz, vom Glanz und der Wucht eines Pindar oder der biblischen Weisheit, die den Beschluß des Gedichtes bildet, reimt „Tage“ auf „Frage“: Sie hebt nicht tröstend das Dunkel der Frage auf, sondern stellt es an den Rand der Tage und ihrer Heiterkeit. Das Dunkel der Frage ist jetzt fern, doch kommt es im Umschwung der Zeiten wieder in die Nähe. Die Heiterkeit, die sich in der Öffnung des Tages manifestiert, ist nicht die Gemütsstimmung des ästhetischen Erlebens, sondern gleich dem Glanz des Wassers unter dem Blau des Himmels eine Offenbarung des dunklen Grunds der Natur.
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