Preislieder auf das gewöhnliche Leben VI
Gepriesen sei der Napf,
aus Blech getrieben,
mit mattem silbrigen Besatz
und herzentsprossener Gravur,
den wir Großvater, ich auf dem Leiterwagen,
den lieben langen Sommer lang
zum Kartoffelacker brachten,
wenn die Sonne wieder sank,
zum glühenden Erdbeerfeld,
in den laubertrunkenen Garten,
wo sich Lurch und Kröte neckten
und die Unke rief im Schlaf.
Es zischte leise, wenn Großvater den Deckel
mit den beiden Gummizügen öffnete:
Kartoffelsuppe schwappte, Erbsen-,
Linsen-, Wirsingsuppe mit Würstchen,
Speck oder Schwartenmagen.
Und Opa löffelte und wischte sich den Schweiß
mit dem losen Unterärmel des Leinenhemds
von Stirn und Wangen.
Nach dem Bluten und dem Todesschuften bei Verdun
blieb der Napf als letzte Waffe
dem Entwaffneten im Überlebenskampf:
Mit allen Näpfen habt ihr, du und die zerlumpten Kameraden,
auf die harten Dielen und die schweren Eichentische
des Gefangenenlagers eingeschlagen –
der Lärm war eine ungeheure Brandungswelle,
auf der ein Schaum aus Schreien hat gespukt:
HUNGER! HUNGER! HUNGER!
(Nur einer war trotz Hungers eingebildet
auf die preußisch-hohe Bildung und schrie: FAIM!)
Gepriesen sei der Napf,
um Hungers und um Christi willen!
Von all dem Höllenkrach wurde der Wärter blass
und fuchtelte mit der Pistole über kahlen Köpfen:
Und schoss Panikschüsse in einen lilienbleichen Himmel,
bevor er sich in die Hose machte.
Dann befahl der Wachhabende,
aus den Schalen der Kartoffeln,
die sie nebst Schweinerippchen selbst verzehrt,
einen dünnen Sud zu brauen,
damit endlich Ruhe herrsche.
Gepriesen sei der Napf,
um Hungers und um Christi willen!
Hast duʼs recht beschaut,
was auf der Unterseite eingraviert?
„Für Kaiser, GOTT und Vaterland …
… und für dich, meine liebste Gertrud!
Verdun, Sommer 1916. Jesus steh uns bei!“
Gepriesen sei der Napf,
um Hungers und um Christi willen!