Poetik des Wassers
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Als wären die Wimpern gezählt.
Und die daran schwebt, die zögernde Träne, ist wie der Augenblick des Gedichts, bevor es den Glanz ins Dunkel niederrinnen läßt.
Vollkommenheit des Lebens zeigt sich am harmonisch gegliederten Leib.
Der Bau der Pflanzen und Tiere ist vollkommen.
Der Bau der Pflanzen und Tiere ist ein architektonisch-rhythmisches Modell des Gedichts.
Korrespondenz von Herz und Hand, Atem und Gefühl.
Korrespondenz von Metrum und Rhythmus, Herzschlag und Atem.
Maserung des Blatts, unentzifferte Inschrift des Lebens.
Gott langweilt sich nicht in seiner monotonen Ewigkeit, sondern erfährt und entziffert und vernimmt sich in den Körpern und Sprachen seiner Geschöpfe.
Verwischte Zeilen kann man freilich nicht lesen.
Die schwere Zunge des Epigonen, vom Fusel der Journale ins Stammeln geraten, gibt uns kein Maß für das Rauschen goldener Oden-Ranken.
Wohlgefügtheit und Wohllaut sind Apollos Gaben für das Glück des Gedichts.
Ein jeder Mißklang weist auf einen Sprung im Gefäß des Gedankens.
Die verstimmte Seele muß man ruhen lassen.
Wenn sie zu singen genötigt wird, kommt nur ein Krächzen aus verzerrtem Munde.
Das Wasser ist die keusche Muse des Sängers.
Das Wasser seufzt und flüstert, das Wasser gluckst und murmelt; manchmal stockt es wie erschrocken, dann wieder strömt es heiter zwischen Ufern von Eppich und Lilien dahin.
Der Tau des Blütenblatts ist wie der scheue Glanz des dichterischen Bilds.
Das Wasser, in dem der Staub des Unsäglichen hinweggespült wird, ist die Mikwe des Gedichts.
In der Jauche des Geredes gilbt der Fittich des Schwans.
Das Wasser glitzert, wenn es der Strahl der Höhe weckt.
Die Aggregatzustände des Wassers sind mythische Bilder für die Seele des Gedichts.
Der grüne Teich der Elegie, der unterm Mondlicht blaßt; der Gipfelschnee des Hymnus, der von Rosen des Abendlichtes blüht.
Der Rhythmus staut sich stäubend wie der Bergbach am Fels, er ründet und klärt sich wie das grüne Auge des Alpensees.
Das begradigte Flußbett wird unfruchtbar.
Das Metrum ist keine künstliche Uferbefestigung, auf daß der Fluß der Verse schneller ströme.
Die ruhig auf ihm schwimmt, die Blüte kann das Wasser nicht verneinen.
Die Sprache des Gedichts verknotet kein Nein, kein Nie und kein Obwohl.
Auch wenn wir am unaufhaltsamen Gang des Wassers die Neigung der Schwere verspüren.
Daher die Schwermut, die allem Schönen als Schatten des Vergehens eingewoben ist.
Die Zunge kann, die sie genährt, nicht verneinen, der Heimat köstliche Laute.
Die Brandung ist betäubend, die Welle klatscht an den Kai, der Tropfen klingt und zerspringt, die leise getaumelt, die Flocke schmilzt hin.
Die den reinen Quell mit Unsinnsmüll verschmutzen und dem Ausfluß siecher Seele, werden nicht verklagt, sondern – sic gloria transit maiorum – mit Preisen dekoriert.
Ausschlags fleckige Sonnen, Knospen verrotteter Sümpfe, bizarre Zeugnisse geistiger Zerrüttung und sprachlicher Verwilderung werden in Anthologien abgedruckt, aus denen – Gott sei Dank – die Gedichte eines Hofmannsthal oder George verbannt sind.
Wie Wasser, die Gras und Knospen nähren, sind des Wohllauts Wellen, die an den Ufern der Nacht den Schimmer sanfter Träume spiegeln.
Wie der Besessene den hohen Ruf der Glocken schmäht, verlacht der kranke Geist das Schluchzen der nächtlichen Quelle.
Wie das dürstende Reh den Tau der Moose leckt, erquickt die Sehnsucht sich am Lied.
Das Glück des Gedichts ist wie mit offenen Augen in grün leuchtende Wellen tauchen.
Dichten ist wie das Spiel der Knaben, die kleine Boote aus Papier auf sanfte Wogen setzen; und sie gleiten dahin, wer will sie halten, sie verschmelzen mit dem bunten Schaum und verblassen in der Dämmerung.
Dichten ist wie das schöne Tun der Frommen am Indus, die dem heiligen Wasser kleine Lichter auf Blumenschalen anheimgeben; und sie gleiten dahin, wer will sie halten, ihr Flackern verschmilzt mit dem Dunst der Dämmerung und verlischt in der Ferne.
Dichten ist wie das Blumenopfer der schönen Frauen auf Bali, die dem Bild des lächelnden Gott-Jünglings Blüten streuen, Kerzen und wohlduftende Körner entzünden und ihm mit dem transparenten Wallen ihrer Schleier huldigen.
Wenn die Zeile unlesbar ward durch ein Seelenwasser, magst du den Sinn, dem es geflossen, wohl noch erraten.
Das Gedicht ist wie das einsame Licht in einem schmalen Fenster an jenseitigem Ufer.
Treue ist wie der Gedanke daran, die Blumen wieder mit frischem Wasser zu erquicken.
Mit Mund und Zunge bilden wir den Laut, doch auch mit Speichel, und ob er nährend oder giftig ist, entscheidet, wie wirʼs meinen.
Wenn wir in der Dämmerung den Fluß entlang gehen, weht mit des Wassers Hauch das Geranke unsrer Seele.
Ein Tropfen Gnade in der Wüste des Geistes, und ein Grün keimt auf.
Ist der Himmel bleiern und rings die Erde wüst, erflehen wir den Tau der Nacht.
Den Sterbenden, der schon verstummte und dessen Lippen rissig sind, tränkst du zum Abschied noch mit klaren Lebenstropfen.
Das Wasser trägt die leichte Blüte, das schartige Messer versinkt.
Die moosgrünen Funken, die Tupfen Goldes, die auf den Mosaiken des Brunnens zittern, die rosigen Seufzer, die im Schlafe kleiner Veilchen Lippen öffnen, sind wie Schuppen eines Nymphenlieds.
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