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Philosophische Fragen und Antworten II

21.03.2014

Wenn ich zwei Zahlen addiere, muss ich das Verfahren oder die Regel der Addition schon kennen. Ist es mit dem Wissen oder Verstehen und dem Sprechen nicht ebenso?

Ja. Wenn du etwas verstehen willst, musst du schon etwas anderes verstanden haben. Wenn du etwas sagen willst, musst du schon etwas anderes gesagt haben.

Du erblickst den Mond und weißt, dass es sich bei diesem planetarischen Objekt um den Erdtrabanten handelt. Du weißt dies auf Grund der Tatsache, dass du bereits verstanden hast, dass es nur einen einzigen Erdtrabanten gibt und dass dieser Erdtrabant der Mond ist. Wüsstest du nicht, dass der Mond der einzige Erdtrabant ist, könntest du angesichts des Mondes auch glauben, es sei ein Planet namens Selene II.

Wenn das Kleinkind „Mama“ ruft, wohnt es gleichsam schon im logischen Raum von Sprache und Bewusstsein: „Mama!“ ist eine Satz-Ellipse und kann folgendermaßen umgeformt werden: „Da ist ja Mama!“ oder „Dieses Stück der Raum-Zeit hat all die wesentlichen Eigenschaften, die ich mit Mama verbinde.“ „Von allem, was es gibt, hat nur dieses Stück der Raum-Zeit die wesentlichen Eigenschaften von Mama.“  „Wenn es etwas gibt, das nicht die wesentlichen Eigenschaften von Mama hat, ist dieses Stück der Raum-Zeit nicht Mama.“

Die Satz-Ellipse „Mama!“ setzt demnach die logisch-semantische Struktur der Sprache voraus, wonach ein Ausdruck dann sinnvoll gebraucht wird, wenn er als Argument einer semantischen Funktion wie „… ist Mama“ eingesetzt werden kann. Wir sehen, dass die Sprache gleichsam ab ovo die Strukturelemente der Quantifikation, Identität, Prädikation und Negation enthält. Denn es gibt mindestens ein Stück der Raum-Zeit x, so dass x Mama ist, und wenn es ein y gibt, das Mama ist, dann ist es identisch mit x. Wenn dieses Stück der Raum-Zeit Mama ist, ist jenes Stück der Raum-Zeit nicht Mama.

Wenn wir etwas verstehen und wissen oder aussagen, setzen wir einen wesentlichen Verstehenshorizont und einen Hintergrund sprachlichen und anderen Wissens voraus, nämlich die Strukturen des Verstehens, des Wissens und der Sprache. Wir bewegen uns in diesen Strukturen gleichsam im Kreise. Daher ist der Ausdruck „hermeneutischer Zirkel“, wie ihn Heidegger in „Sein und Zeit“ entwickelt hat, mit gewissen einschränkenden Bedingungen gut geeignet, die eigentümliche Form menschlichen Wissens und Sprechens zu explizieren.

Gibt es denn keinen Anfang des Wissens, Verstehens und Sprechens? In den Anfängen der Menschheit war das Wissen doch gering, und jetzt ist es ins Unüberschaubare gewachsen. Irgendwann haben die Menschen doch begonnen zu sprechen.

Wir können nur sagen: Die Vermehrung des Wissens und die Differenzierung des Sprechens fanden und finden im logisch-semantischen Raum von Sprache und Bewusstsein statt. Mit dem ersten noch so rudimentären Wissen, zum Beispiel, dass dieser Ort derselbe ist, an dem wir bereits gestern gewesen sind, und mit dem ersten rudimentären Sprechen, wie zum Beispiel der Aufforderung, mit uns zu kommen, sind das Wissen und Verstehen als logisch-epistemische Struktur und das Sprechen und die Sprache als logisch-semantische Struktur gleichsam wie eine Schöpfung aus dem Nichts vorhanden.

Können wir Wissen, Verstehen und  Sprechen nicht als Verhalten oder als Dispositionen zu Verhalten betrachten, deren evolutionäre Ursprünge und deren evolutionäre Geschichte wissenschaftlich erfasst werden können?

Soweit und insofern wir Bewohner des logisch-semantischen Raums von Sprache und Bewusstsein sind, sind wir keine Mitglieder einer Spezies, sei diese metaphysisch, ontologisch oder biologisch konzipiert. Dies ist zugleich der Grund unserer Freiheit und der Verpflichtung, für unser Handeln, soweit es nicht irrationalen Antrieben entspringt, Verantwortung zu übernehmen.

Wir nehmen heute fälschlicherweise an, die Existenzform des Menschen lasse sich vollständig wissenschaftlich durchdringen und erklären, wenn wir Menschen als Mitglieder der tierischen Spezies Homo Sapiens definieren und die Einzelanalysen den Biologen, Neurowissenschaftlern, Kognitionspsychologen und Soziologen überlassen. Dabei übersehen wir zumindest, dass das Projekt der Wissenschaft eine Form der Weltaneignung innerhalb des logisch-semantischen Raums unserer Sprache und unseres Bewusstseins darstellt. Die Wissenschaft ist ein Teil dieses Raums und dieser logisch-semantischen Dimension, sie kann sie nicht umfassen oder begründen oder erklären.

Wissenschaftlich können in der Tat Verhalten und Verhaltensdispositionen beobachtet und aus allgemeinen Gesetzen abgeleitet werden. Wenn du deine Hand an der Flamme des Feuerzeugs verletzt hast, zurückzuckst und dabei „Aua!“ ausrufst, kann ich diese Verhaltensweise aus dem allgemeinen Gesetz ableiten, dass Organismen mit einem ausgebildeten sensomotorischen System dazu disponiert sind, bei der Überschreitung einer kritischen Empfindungsschwelle Schmerz zu empfinden und mit einer unwillkürlichen Bewegung zu reagieren, mit der sie vom Ort der Gefahrenquelle zurückweichen. Außerdem kann ihre sensomotorische Reaktion von einer verbalen Verlautbarung begleitet werden, deren Bedeutung als Ausdruck von Schmerzen verstanden werden kann.

Welche Bedeutung aber ist dies? Du würdest spontan dazu neigen, den Ausruf „Aua!“ mit dem Satz „Ich habe Schmerzen!“ wiederzugeben. Aber der Gebrauch von Indikatoren wie des Pronomens der ersten Person ist in der objektiven Sprache der Wissenschaft nicht zulässig und muss ausgeschlossen werden. Wir können dem Satz eine objektive und damit verifizierbare Bedeutung verleihen, indem wir ihn in den Satz umformen: „Individuum P hat zum Zeitpunkt t1 am Ort l1 Schmerzen“ oder kurz „Er hat Schmerzen.“

Wir müssen demnach für die Möglichkeit der wissenschaftlichen Analyse voraussetzen, dass wir die Bedeutung des Satzes „Ich habe Schmerzen“ durch sprachliche Umformungsregeln mit der Bedeutung des Satzes „Er hat Schmerzen“ gleichsetzen können. Offensichtlich ist uns diese Möglichkeit aber in diesem und ähnlichen Fällen benommen, in denen sich die sprachliche Bedeutung auf Inhalte des sogenannten phänomenalen Bewusstseins bezieht, denn die beiden Sätze haben verschiedene Bedeutungen. Das zeigt sich unter anderem daran, dass wir uns fragen oder vermuten oder glauben können, dass jener Schmerzen hat, der in dem Satz gemeint ist „Er hat Schmerzen“. Es ist aber Unsinn, wenn ich mich fragen oder vermuten oder glauben wollte, dass ich Schmerzen habe. Wenn ich mich fragte: „Habe ich Schmerzen?“, bewiese ich damit mein Nichtwissen von der logischen Form des Satzes „Ich habe Schmerzen“, fragte ich mich „Hat er Schmerzen?“, erfüllte sich der Sinn des Satzes mittels der Beobachtung des Verhaltens desjenigen, dem wir Schmerzen zu haben unterstellen.

Das Dasein und die logisch-semantische Funktion der ersten Person oder die Tatsache des Bewusstseins legt die feine, aber unaustilgbare Trennlinie zwischen den Eigenschaften, Mitglied einer tierischen Spezies oder Bewohner des logisch-semantischen Raums von Sprache und Bewusstsein zu sein.

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