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Philosophieren XXVII

12.08.2013

Was du tun willst, musst du tun können. Was zu tun du nicht in der Lage bist, kannst du vielleicht zu tun wünschen oder phantasieren, dass du es tätest, aber du kannst nicht wollen, es zu tun. Du kannst lernen zu tun, was zu tun du wünschest, wenn es lernbar ist. Was du nicht lernen kannst, ist dir von der Natur zu tun verwehrt. Einen konstitutionellen Mangel kannst du in etlichen Fällen durch medizinische Eingriffe oder Medikamente kompensieren, in vielen Fällen musst du dich mit dem Mangel und Manko abfinden und damit leben. Wenn du tun willst, was du weder erlernen noch durch kompensatorische Maßnahmen erlangen kannst, bist du unvernünftig und zu tadeln. Wenn aber dein Wollen eine verkehrte Richtung einnehmen kann, wenn dein Wollen insofern getadelt werden kann, musst du auch in der Lage sein, den Kurs deines Wollens zu korrigieren und dann das Richtige zu wollen lernen. Denn ich kann dich nicht für ein Tun und Wollen tadeln, das du nicht unterlassen kannst. Wenn du das Richtige tun willst und auch erlangst, ist dein Wollen und Tun nicht zu tadeln, sondern zu loben. Ein Tun und Wollen, das Lob und Tadel verdienen kann, ein Tun und Wollen, dessen Ausrichtung und Ausführung korrigierbar sind, nennen wir in gewisser Weise frei.

Als die Wespe dir empfindlich nah ans Auge flog, hast du reflexartig die Hand erhoben und heftig um dich geschlagen. Dabei hast du versehentlich und wider Willen die Vase auf dem Tisch heruntergestoßen, sodass sie zu Boden fiel und das Glas zersprang. Was du reflexartig, versehentlich und ohne Absicht tust, tust du wider Willen und bist dafür weder zu loben noch zu tadeln. Wenn du indes während einer heftigen Auseinandersetzung mit deiner Freundin, bei der die Fetzen fliegen, wütend die Vase mit einer vehementen Bewegung des Arms vom Tisch stößt und sie am Boden in tausend Scherben zerspringt, lag deinem Handeln eine Absicht zugrunde und du hast nicht widerwillig, sondern sogar böswillig gehandelt. Wenn du willentlich und in voller Absicht einen Fehlgriff tust, bist du dafür zu tadeln. Wenn wir dich wegen eines Fehlers tadeln, setzen wir voraus, dass du auch anders, nämlich richtig, hättest handeln können. So machen wir wieder die Voraussetzung, dass dein Wollen und Tun unter gewissen Bedingungen deiner bewussten Kontrolle unterliegen.

Er beobachtete, wie die Wespe um ihn kreiste und ihm jetzt empfindlich nahe ans Auge flog. Da schlug er scheinbar reflexartig um sich und erwischte scheinbar absichtslos und wider Willen die Vase auf dem Tisch seiner Gäste, sodass sie zu Boden fiel und das Glas zersprang. Unser kleiner Unhold hat simuliert und vorgetäuscht, dass seine Armbewegung reflexhaft und wider Willen erfolgte, sodass er wegen des erfolgten Schadens nicht zu tadeln wäre. In Wahrheit hat er die böse Absicht gehegt, seinen Gästen zu schaden, und diese Absicht geschickt hinter dem Vorhang einer absichtslosen Reflexbewegung kaschiert. Dafür ist er natürlich zu tadeln, denn seine böse Absicht unterlag unter diesen Bedingungen seiner Kontrolle und seinem Willen.

Du bist mal wieder aus rein gesellschaftlicher Verpflichtung bei diesen unmöglichen Leuten zu Gast, denen du schon lange einmal eins auswischen und ihre gehässigen Anspielungen und ihr arrogantes Betragen heimzahlen willst. Du betrachtest die Kristallvase auf dem Tisch, an dem sich die Runde eingefunden hat. Du weißt, die Gastgeberin schätzt das edle Teil ganz besonders, weil es ein Geschenk ihres Mannes zum Hochzeitstag ist. Dich überkommt die Phantasie, wie du die Vase packst und zu Boden schleuderst, aber du bist natürlich viel zu gut erzogen, so etwas in die Tat umzusetzen. Da schwebt angelockt vom Kuchen diese lästige Wespe heran und schwirrt dir plötzlich gefährlich nahe ans Auge. Während du noch mit heißem Wollen und Wünschen an die Absicht denkst, die Vase zu packen und auf den Boden zu schleudern, machst du eine reflexhafte Bewegung mit dem Arm, triffst die Vase und das kostbare Stück fällt wirklich zu Boden und das Glas zerspringt. Du hast in der Tat die Absicht zu einem Tun gehegt, das du auch ausgeführt hast. Doch werden wir dich nicht tadeln, denn die Verknüpfung deiner Absicht mit dem Ereignis, dass die Vase zu Bruch ging, war keine kausale Verknüpfung, sondern eine zufällige Verknüpfung, die das Ereignis nicht wirklich verursachte. Obwohl du die bösartige Absicht hegtest, die durch deine Armbewegung zur Realität wurde, wollen und können wir dich nicht tadeln, denn nicht deine bösartige Absicht stand am Nullpunkt der Kausalkette, an deren Endpunkt die zerbrochene Vase auf dem Boden lag, sondern die Reflexbewegung deines Arms.

Der Schüler steht an der Tafel und kann die Gleichung mit zwei unbekannten Variablen nicht lösen. Er stiert auf die Formel und zerbricht sich den Kopf. Vergebens. Wir wollen dem Schüler nicht unterstellen, dass er mutwillig oder böswillig handelt und die Lösung aus Trotz oder rebellischem Widerspruchsgeist nicht aufschreiben will. Der Schüler möchte die Lösung aufschreiben, er hegt gewiss die Absicht, sie endlich an die Tafel zu zaubern, er kann es aber nicht. Obwohl er wider Willen und ohne die Absicht, sie nicht an die Tafel zu schreiben, handelt, wird er dennoch dafür getadelt und erhält am Ende eine schlechte Note. Was wird aber in diesem Falle getadelt und ist zurecht tadelnswert?

Tadelnswert ist der fehlende oder geringe Wille des Schülers, sich zu Hause auf den Hosenboden zu setzen, den Stoff über die Lösungen von Gleichungen mit zwei unbekannten Variablen zu repetieren und sich auf diese Weise ordentlich für die Mathematikstunde zu präparieren. Die Absicht, sich auf den Unterricht vorzubereiten, unterlag der willentlichen Kontrolle des Schülers und war unter solchen Bedingungen frei, sie auszuführen verdiente Lob, sie erst gar nicht zu hegen Tadel. Ich kann dich nicht für etwas tadeln, das du jetzt zu tun nicht in der Lage bist. Ich kann dich aber dafür tadeln, dass du jetzt die Gleichung nicht lösen kannst, weil du verabsäumt hast, deine Schulaufgaben zu machen.

Wir unterscheiden Wollen, Beabsichtigen und Handeln oder Wille, Absicht und Tat, wobei die Tat die Verwirklichung der Absicht ist, der Wille aber die Instanz, die die Absicht gewichtet und gleichsam nach genehmigter Einlass- beziehungsweise Auslasskontrolle mit dem Anteil an Kraft und Energie ausstattet, der zur Umsetzung in die Tat nötig ist. Wenn du Hunger verspürst und die Absicht hegst, etwas zu essen, achtest du darauf, ob die Ausführung deiner Absicht hier und jetzt angemessen und vernünftig ist: Du hast zwar ein Pausenbrot, in Papier eingewickelt, in deiner Box in der Aktentasche bereitliegen, aber du hütest dich, es hier und jetzt während der Geschäftsbesprechung, der Präsentation beim Kunden, der Disputation oder der Gerichtsverhandlung auszupacken und beherzt hineinzubeißen. Das würde einen denkbar schlechten Eindruck hinterlassen und dir den Abschluss des Kaufvertrags, den Beifall des Kunden, den Zuspruch der Prüfungskommission und deine Rolle als glaubwürdiger Zeuge vor Gericht verderben und untergraben. So siehst du die Lage, bleibst vernünftig und verschiebst die Verwirklichung deiner Absicht, etwas zu essen, auf später.

Was wir leichthin Wille nennen ist der volitive Anteil an der Vernunft, deren rationaler Anteil der Verstand oder das Denkvermögen darstellt. Beide Anteile kommen im günstigsten Falle bei der Gewichtung und Beurteilung sowie der Ausführung der Absicht ins Spiel: Du beurteilst die Angemessenheit der Absicht und ihrer Verwirklichung hier und jetzt und du bekräftigst deinen positiven Entscheid zur Ausführung der Absicht mit der Aktualisierung der Energie, die für eben diese Ausführung nötig ist. Aber du bekräftigst auch deinen negativen Entscheid, insofern ein Energieaufwand nötig ist, um die Ausführung der Absicht zu hemmen, aufzuschieben oder zu unterdrücken, wie dies in unserem Beispiel mit dem Pausenbrot der Fall war.

Wir sagen: Es wäre unvernünftig von dir, deinem natürlichen Hungerimpuls durch die Verwirklichung der Absicht, etwas zu essen, hier und jetzt nachzugeben, weil du dir mit dieser Tat Nachteile einhandeln und dir selbst schaden würdest. Dein Verstand ist klar und wach und hat die Lage überschaut und wieder einmal mittels Anwendung des konditionalen Satzgefüges mit dem irrealen Konjunktiv auf die Wenn-Dann-Folge hin abgetastet: Wenn ich hier und jetzt meinem Hungerimpuls nachgäbe, würde ich mir Nachteile einhandeln und mir selbst schaden. Also, schlussfolgerst du im Indikativ des Präsens, gebe ich meinem Impuls nicht nach und packe das Pausenbrot erst nach Beendigung der Besprechung, der Präsentation, der Disputation oder der Gerichtssitzung aus.

Mit der Verwendung des konditionalen Satzgefüges im Irrealis machen wir die Vernunftprobe auf das Bedingungs- und Folgegefüge der Verwirklichung unserer Absichten. Sollte die Probe ergeben, dass die erwogenen Folgen unseres Handelns mit den übergeordneten Gründen, Zwecken und Werten unserer Lebensordnung und der Lebensordnung der Gemeinschaft, in der wir leben, harmonieren und kongruieren, nennen wir unsere Absichten angemessen und richtig und ihre Verwirklichung klug und vernünftig. Unklug und unvernünftig sind Absichten und Taten, die dazu beitragen, unser Leben und unsere Lebensgemeinschaft zu schädigen oder zu zerstören.

Sollte einer nicht in der Lage sein, seine Absichten zu handeln im Lichte der geteilten Werte seiner Gemeinschaft und der biologisch basierten Zwecke zur Erhaltung der Unversehrtheit, Gesundheit und Integrität der eigenen Person mittels vernünftiger Überlegungen zu beleuchten, zu gewichten und zu beurteilen, mit vernünftigen Gründen zu akzeptieren oder abzulehnen, ist sein Vernunft- und Urteilsvermögen eingeschränkt und wir nennen ihn mental behindert, wenn es sich dabei um einen überschaubaren Kreis von Absichten handelt, also die Einschränkung der Absicht, sich gesund zu ernähren, aufgrund von Magersucht oder Fresssucht, die Einschränkung der Absicht, sich mittels Anwendung bekömmlicher Genussmittel Wohlgefühle zu erwecken, aufgrund von Drogensucht. Sollte einer nicht in der Lage sein, irgendeine seiner Absichten zu handeln im Lichte vernünftiger Gründe zu gewichten, die zulässigen und zuträglichen zu akzeptieren und die unzulässigen und schädlichen zu verwerfen, nennen wir ihn geisteskrank und tun gut daran, ihn im eigenen Interesse zu entmündigen und die vernunftbezogenen sozialen Beziehungen wie Geld- und Bankgeschäfte, Einkäufe oder Eigentums- und Mietangelegenheiten einem Vormund zu übertragen.

Leute, die bestreiten, dass wir über ein willensbezogenes Vernunftvermögen verfügen, halten dich demgemäß für einen von neurochemischen Prozessen gesteuerten Automaten, der nicht wirklich weiß, was er tut, und der eigentlich entmündigt und einem Vormund unterstellt werden sollte. Aber nach dieser Annahme kann es ja keinen Vormund geben, denn wenigstens diesem müssten wir ja unterstellen, er verfüge über einen gesunden Menschenverstand. Dass diese Leute indes, sollte ihre Annahme stimmen, auch nicht wissen könnten, was sie tun, wenn sie die Wahrheit ihrer Annahme behaupten, sie nicht darüber befinden könnten, ob die Annahme wahr oder falsch ist, zeigt, dass sie schlicht nichts behaupten, wenn sie einen Unsinn dieses kolossalen Ausmaßes in die Welt setzen.

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