Philosophieren II
Ich zeige dir etwas. Morgen zeige ich dir am Jesuitenplatz in Koblenz am Rhein mein altes Gymnasium. Wer tut was wem (für wen, gegen wen, mit wem …) wie wann und wo? Hier hast du die Gelenke und Wurzeln des Satzes, die ziemlich genau unsere allgemeine Situation, unser Leben in dieser Welt, abbilden.
Du wirst nicht sagen: „Ich zeige mir dies und das.“ Zeigen meint ja, jemand anderen durch die Geste des Zeigens auf etwas aufmerksam machen.
Zu den Singularformen „ich“ und „du“ gesellen sich die Pluralformen „wir“ und „ihr“, in der Mitte gleichsam zwischen „ich“ und „du“ stehen die Singularformen „er“, „sie“ und „es“, in der Mitte gleichsam zwischen „wir“ und „ihr“ steht die Pluralform „sie“. „Ich“ kann nicht willkürlich durch „du“ ersetzt werden, ebenso wenig wie „wir“ durch „ihr“. Dagegen können unter Umständen „ich“ und „wir“ die Plätze tauschen, genauso wie „du“ und „ihr“; dasselbe gilt für „er“ und „sie“.
Die Verwendung der Personalpronomina verweist auf unser Verständnis der Rollen, die wir im sozialen Leben mit den anderen spielen. Ich bin auf ein Gegenüber verwiesen, das mir wie du oder ihr nahestehen oder wie er und sie ferner stehen kann. Ich kann mit dir eine intime Gemeinschaft des Redens, Handelns und Lebens bilden. Wir können mit euch eine solidarische Gruppe des Kämpfens, gegenseitiger Hilfe und gemeinsamen Feierns bilden. Ich kann mit ihm oder ihr einen Vertrag schließen, eine Firma gründen, einen Arbeitsplatz teilen. Das können wir auch mit ihnen, ebenso er mit ihnen und sie mit ihnen.
Wer tut was wem (für wen, gegen wen, mit wem …) wie wann und wo? Die gebeugte Form des Verbs (wir gehen spazieren, wir gingen spazieren, wir sind spazieren gegangen) informiert über den Akteur und die Art des Tätigkeit sowie über die Zeitstufe (wann) oder die Modalität der Zeit (in einem Augenblick oder während einer längeren Zeitdauer): Wer tut was wann? Dabei kann die in der Verbform mitgegebene Zeitstufe durch eine adverbielle Bestimmung der Zeit (heute, morgen, gestern) genauer expliziert werden: Wir gingen gestern Morgen spazieren. Ebenso leicht und genau lassen sich die örtlichen Gegebenheiten, an denen ich, wir, du, ihr oder er und sie etwas tun, durch Verwendung passender Ortsbeschreibungen näher bestimmen: Wir gingen gestern Abend durch den Grüneburgpark in Frankfurt am Main spazieren.
Wir erfassen in den grammatischen Gelenken des Satzes die ontologische Struktur und Grundsituation, in der sich unser Dasein und unser soziales Leben abspielen: Wir sind als biologische Organismen auf ein zielgerichtetes soziales Tun und Handeln angewiesen, das wir in kleineren und größeren Gruppen und Gemeinschaften zur Erlangung und Durchsetzung überlebenswichtiger Ziele und Zwecke aufeinander abstimmen. Da unsere Kräfte bemessen sind, bedürfen wir der Regeneration und Erholung: körperlicher und seelischer Entspannung und Erfrischung, die wir im Schlaf, im Fußballstadion, im Schwimmbad, im Theater oder Konzertsaal finden.
Der Spielraum des Handelns ist zeitlich bestimmt und ausgedehnt: Wir benötigen für die Entwicklung eines neuen Medikaments von den ersten Laborversuchen bis zur Marktreife einige Jahre. In diesem Zeitraum bleibt die originäre Zwecksetzung unseres Handelns so lange bestehen, bis der Zweck erfüllt ist: Ein Medikament ist auf dem Markt, das eine therapeutische Wirkung aufweist, die es in Teilen, zum Beispiel aufgrund geringerer störender Nebenwirkungen, gegenüber seinen Mitbewerbern bevorteilt. Dabei mündet unsere einheitliche Zielsetzung in ein ganzes Delta von einzelnen aufeinander abgestimmten Handlungssträngen, die sich auf verschiedene Personengruppen wie Mediziner, Pharmazeuten oder Patienten verteilen.
Wir investieren zur Erlangung eines Zwecks und zur Erreichung eines Ziels mittels zielgerichteten Handelns Kraft, Ressourcen und Geld. Die Investitionen für die Entwicklung eines neuen Medikaments können durchaus hunderte von Millionen betragen. Sollte der Fall eintreten, dass der erhoffte therapeutische Mehrwert verfehlt oder ein Mitbewerber ein gleich wirkstarkes Produkt in kürzerer Zeit oder ein wirkstärkeres Medikament zur gleichen Zeit wie wir auf dem Markt positioniert, ist unser Projekt gescheitert, unser Absicht verwirkt, unsere Investitionen wurden in den Sand gesetzt.
Handlungen kann Erfolg beschieden sein oder Misserfolg, sie können gelingen oder scheitern. Absichten werden verwirklicht oder verwirkt. Absichten können aufgrund der Irrationalität ihres Inhalts (die Absicht, ein Perpetuum Mobile zu entwickeln) eo ipso zum Misserfolg verurteilt sein. Zwecke werden verfehlt aufgrund der verfehlten Wahl der Mittel (wegen der falschen Substanz wird das Medikament unwirksam).
Ist der Spielraum des Handelns von einer mehr oder weniger großen Gruppe ausgefüllt und werden die Ziele und Zwecke in längeren Zeitverläufen zu erlangen gesucht, zerfällt der Handlungsgang in viele Kaskaden synchronisierter Einzelhandlungen, wie bei den einzelnen zielgerichteten Armbewegungen des Arbeiters am Fließband, zu dessen Einzelhandlung das Spitzen des Bleistifts durch den Prokuristen ein Komplement bildet.
Zu fragen, ob wir frei sind zu tun, was wir tun, scheint angesichts der Feinstruktur der Handlungsvollzüge unangemessen und akademisch. In gewisser Weise sind wir nicht frei in der Bildung der Absicht, ein neues besseres Medikament zu entwickeln, sind wir als sterbliche Wesen bei dem gegebenen Zustand von Medizin und Pharmazie doch auf die Erfüllung von Absichten dieser Art angewiesen. Andererseits wäre es lächerlich anzunehmen, jede einzelne Handlungskaskade vom Schütteln des Reagenzglases durch die Laborassistentin bis hin zum Spitzen des Bleistifts durch den Prokuristen wäre vollständig determiniert, weil wir jeweils die den Muskelbewegungen entsprechenden vorausgehenden oder damit gleichzeitig verlaufenden neuronalen Zustände in bildgebenden Verfahren verorten können.
Wer tut was wem (für wen, gegen wen, mit wem …) wie wann und wo? Die Gegenstände, auf die sich das Tun und Handeln beziehen, werden grammatisch durch die Formen des direkten und indirekten Objekts (Akkusativ- und Dativobjekt) bezeichnet. Mit diesen Objekten erfassen wir ontologisch ebenso wie mit den Kategorien von Raum und Zeit die Struktur der Welt, in der wir leben, uns bewegen und handeln.
„Ich schlage den Nagel mit dem Hammer in die Wand.“ „Du leihst mir das Buch aus.“ „Der Bub hat seiner Schwester die Puppe gestohlen.“ „Die Pflegerin hat dem Demenzkranken den Mund abgewischt.“ Ein direktes Objekt scheint ein solches zu sein, das sich unseren Handlungsabsichten unmittelbar fügt und offensteht, das wir berühren und ergreifen, wahrnehmen und manipulieren können. Aber ich sehe dich nicht nur, sondern begrüße dich auch. Ich kann sagen: Ich gebe dir einen Begrüßungskuss. Oder auch: Ich küsse dich zur Begrüßung. Keiner wird sagen wollen, dies mache einen grundlegenden, einen kategorialen Unterschied der Bedeutung.
Mit der Verwendung des indirekten Objekts können wir eine Relation, ein Gefüge, ein Verhältnis zwischen Personen und Sachen näher erfassen. Statt des Satzes: „Die Pflegerin hat dem Demenzkranken den Mund abgewischt“ können wir ungelenk, aber ebenfalls genau auch sagen: „Die Pflegerin hat den Mund des Demenzkranken abgewischt.“ Das indirekte Objekt hat hier also die gleiche Funktion wie der Genitivus subjectivus, es weist uns darauf hin, um wessen Mund es sich handelt. Das wird auch sichtbar, wenn wir statt des Satzes: „Der Bub hat seiner Schwester die Puppe gestohlen“ den Satz gleichen Sinnes sagen: „Der Bub hat die Puppe seiner Schwester gestohlen.“ „Du leihst mir das Buch aus.“ Gerade rechtliche Bestimmungen und Verfügungen der Übereignung, Überweisung oder Testierung verfügen mit der Angabe des indirekten Objekts über das geeignete Mittel, das zugrundeliegende Rechtsverhältnis zwischen Personen in Bezug auf die Sache explizit darzustellen. „Ich schlage den Nagel mit dem Hammer in die Wand.“ Für die Darstellung unseres technisch-handwerklichen, künstlerischen und methodischen Weltumganges verfügen wir über eine Fülle von präpositionalen Ausdrücken und modalen Begriffen, mittels derer wir die zu manipulierende Sache ins Verhältnis zu den Instrumenten, Mitteln und Methoden setzen können, mit denen wir sie traktieren. „Der Künstler trägt die Farben auf die Leinwand auf.“ „Der Musiker spielt das Stück vom Blatt.“ „Der Schauspieler spricht den Part auswendig.“
Wer tut was wem (für wen, gegen wen, mit wem …) wie wann und wo? „Der Schauspieler spricht den Part auswendig.“ Die modalen Ausdrücke (Wie? Auswendig, leise, laut, schnell, langsam, hastig, schludrig) geben die Farbschattierungen oder die Obertöne an, die sich über der Melodie unseres Tuns und Handelns, Leidens und Erlebens bilden. Die Engländer sagen für „auswendig“ „by heart“, die Franzosen ähnlich „par coeur“, die Italiener „a memoria“. Die Angabe der Art und Weise, wie wir tun, was wir tun, beleuchtet unsere Fähigkeiten, Dispositionen und gefühlsmäßigen Stimmungen, die unser Handeln begleiten und beeinflussen. Du bist ein guter Schauspieler, wenn du den Text auswendig hersagen kannst. Du bist ein schlechter Schauspieler, wenn du deiner Neigung nachgibst und dich von unangemessenen Stimmungen hinreißen lässt: Dann sprichst du deinen Part zwar auswendig, doch zu leise, zu laut, zu schnell, zu langsam, hastig oder schludrig. In den modalen Ausdrücken sind wir dem Befinden des Agenten, also einem wichtigen Part unseres Lebens, auf der Spur: Wie ist dir zumute? Langweilig, müde, nervös, wohl, unwohl, erregt, schlapp … Der Gebrauch der modalen Ausdrücke, ihre Selbst- und Fremdzuschreibung, zeigen uns, dass die berüchtigten phänomenalen Bewusstseinszustände kein unzugängliches Mysterium sind, sondern am hellen Tag jedermann offen vor Augen liegen.