Philosophie und Grammatik IX
Aus der Lehre vom Satz
Guten Abend!
Es ist Abend.
Dort geht Peter.
Wer ist Peter? – Peter ist Lehrer.
Wer ist Hans? – Hans ist Peters Freund.
Rosen sind Blumen.
Diese Rosen sind rot.
Rot ist eine Farbe.
Die Zahl 7 ist eine Primzahl.
Wasser ist H2O.
Was er sagte, war ein Versprechen.
Peter ist froh, daß Hans ihm das Versprechen gemacht hat.
Der Satz „Es regnet“ ist ein Aussagesatz, der Satz „Regnet es?“ ist ein Fragesatz.
Es gibt keine einheitliche grammatische Form des Satzes; wir finden alle möglichen Satzarten wie Aussagesätze, Aufforderungssätze, Fragesätze, Definitionen, einfache und komplexe Sätze.
Aussagesätze wiederum zeigen keinen einheitlichen grammatischen Bau; wir finden anhand unserer Beispielsätze:
– unpersönliche Ausdrücke wie „Es ist Abend“, „Es regnet“
– Ergänzung eines Namens durch ein Prädikatsnomen wie „Peter ist Lehrer“
– Ergänzung eines Begriffs durch ein Prädikativum wie „Rosen sind Blumen“
– Ergänzung eines Begriffs durch ein hinweisendes Pronomen und ein Prädikativum wie „Diese Rosen sind rot“
– Relationen wie „Hans ist Peters Freund“
– Erläuterung eines Begriffs durch seinen Artbegriff wie „Rosen sind Blumen“ oder „Rot ist eine Farbe“
– Definitionen durch Gleichsetzung von Begriffen wie „Wasser ist H2O“
– Ergänzung eines Nebensatzes durch ein Prädikationsnomen wie „Was er sagte, war ein Versprechen“
– Satzgefüge aus Haupt- und innerlich abhängigem Nebensatz wie „Peter ist froh, daß Hans ihm das Versprechen gemacht hat“
– Erläuterung eines Satzes durch einen Satz wie „Der Satz ‚Es regnet‘ ist ein Aussagesatz, der Satz ‚Regnet es?‘ ist ein Fragesatz“
Sätze sind bedeutungsvoll, insofern wir sie als Werkzeuge und Organe unserer Lebensbewältigung verwenden und ihren Sinn als Spuren und Manifestationen gelungener oder auch mißlungener Lebensvollzüge interpretieren.
Aussagesätze sind nicht insofern sinnvoll, als sie wahr oder falsch sein können, weil sie einen Gedanken ausdrücken, der wahr oder falsch ist; denn den Gedanken gibt es nicht ohne den Satz, der ihn ausdrückt.
Wir können, wie bekannt, Bitten, Aufforderungen und Befehle in Aussagesätze umformen, indem wir einen Aussagesatz bilden, in dem wir die jeweilige Art der Sprachhandlung explizit macht, wenn wir also sagen: „Ich wünsche dir einen guten Abend.“ – Die Syntax dieses Satzes ist aber ähnlich wie die Syntax der Aussage: „Ich schenke dir einen guten Wein.“ Was wir mit „wünschen“ meinen, wird verschleiert, wenn wir es mit der Grammatik von transitiven Verben vergleichen, die ein Objekt mit sich führen können.
Jemandem „Guten Abend!“ zu sagen ist dann sinnvoll, wenn es Abend wird; wir müssen meist nicht groß Ausschau nach dem Sonnenstand und dem sinkenden Licht halten, um uns bei der Angabe der Tageszeit „Abend“ nicht zu vertun.
Wir sagen nicht ohne weiteres „Es ist Abend“, vielmehr erhält der Satz Sinn, wenn sich beispielsweise jemand aus der fröhlichen Runde mit den Worten verabschiedet: „Es ist Abend; morgen muß ich bei Zeiten wieder raus.“ Pseudo-Sätze wie „Es ist Abend“ stehen in Lehrbüchern der Grammatik und Semantik oder an der Tafel im langweiligen Deutschunterricht.
„Dort geht Peter“ mag einer sagen, um seinen Freund auf die Person namens Peter hinzuweisen, die dort über die Straße geht; und „Peter ist Lehrer, ich habe dir schon von ihm erzählt“ mag er zur Antwort auf dessen Frage geben: „Wer ist Peter?“ – Wir sehen, solche Sätze funktionieren, wenn sie zueinanderpassen und wie Legosteine ineinandergesteckt werden können.
Wir müssen nicht darüber belehrt werden, daß es eine Sache ist zu sagen: „Die Jacke ist ein Zweireiher“ oder „Hans ist ein Rheinländer“, eine andere zu sagen „Peter ist Lehrer“; denn Zweireiher sind Objekte und Rheinländer Leute einer bestimmten regionalen Herkunft, während Lehrer weder Objekte noch Menschen mit einer bestimmten Herkunft, sondern Ausübende eines traditionellen Berufs und Träger einer sozialen Rolle sind. – Es gibt keine allgemeine Regel, nach der wir Leute wie Peter Lehrer nennen, so wie wir etwa die Zahlen 2, 3, 5 und 7 Primzahlen nennen; wir verwenden die meisten sprachlichen Ausdrücke nach den Gepflogenheiten des Common Sense, der uns mit einer Unzahl von konventionellen Bezeichnungen vertraut macht, die wir in gängige Muster, aber nicht nach abstrakten Regeln, einsetzen.
Die mittlerweile altbacken anmutende philosophische Theorie, wonach wir als sogenanntes Für-sich (Sartre) oder als interpretierendes und intentionales Bewußtsein dem bedeutungslosen An-sich der Welt mittels sinnkonstituierender Akte (Husserl) oder gewisser intentionaler Sprachhandlungen (Searle) allererst Sinn verleihen, erweist sich angesichts der Tatsache, daß wir uns schon immer in der Welt des Common Sense vorfinden und Peter nur Peter nennen können, wenn er Peter heißt, und Peter nur als Lehrer bezeichnen können, wenn er Lehrer ist, als inadäquat.
Daß wir nicht „Guten Morgen“ sagen sollten, wenn es Abend ist, Peter nicht Hans nennen und ihm nicht den Beruf und die Biographie von Karl andichten können, beschränkt nicht unsere Ausdrucksmöglichkeiten – es sei denn wir verstünden darunter nichts als eine infantile Allmachtsphantasie; es ermöglicht vielmehr unsere Teilhabe an dem Bedeutungsreichtum, der vor unserer Haustür liegt.
Daß Hans Peters Freund ist, sagen wir beispielsweise, um jemandem zu erklären, warum Peter mit Hans so vertraulich tut oder ihm ohne mit der Wimper zu zucken sein Fahrrad oder sein Auto leiht; und daß Freundschaft kein Kapital ist, das von selber Zinsen abwirft, bemerken wir, wenn sie allmählich einschläft, weil die Freunde immer weniger miteinander unternehmen, ja auseinanderbricht, wenn einer den anderen im Stich läßt oder verrät. – Ähnlich wie die grünen Blätter, die im Herbst ihre Farbe wechseln und rot und gelb werden, mag die Freundschaft zwischen Peter und Hans verblassen und an Intensität abnehmen, bis sie in Gleichgültigkeit übergeht.
Daß wir Freundschaft sprachlich als eine Relation darstellen, bedeutet einfach, daß Peter mit Hans nur befreundet sein kann, wenn Hans mit Peter befreundet ist, und Peter nicht mit Hans befreundet sein könnte, wenn Hans nicht mit ihm befreundet wäre. Oder daß die Freundschaft endet, wenn einer der beiden oder beide aufhören den anderen einen Freund zu nennen.
Wenn uns die Soziobiologie und die Evolutionspsychologie erklären, Freundschaft finde sich auch unter Tieren und ihre nützliche und lebensdienliche Funktion zeige sich darin, in welchem Ausmaß die befreundeten Partner sich im Lebenskampf vor allerlei Unbill und Gefahren gegenseitig beistehen und bei der Verteidigung ihres sozialen Status unterstützen können, ist das für unsere Verwendung des Begriffs Freundschaft ohne Relevanz. Denn Freunde müssen sich nicht helfen, sondern wollen es; sie können den Freundschaftsvertrag aufkündigen, dies sogar im Falle, wenn der eine dem anderen einen Vorteil in Aussicht stellt, doch der Begünstigte die unmoralischen Mittel, die der andere dazu aufwendet, verwirft. – Der echte Freund steht dem in Not geratenen Partner auch dann zur Seite, wenn dies für ihn keine Vorteile bringt, ja sogar, wenn ihm aus seinem Freundschaftsdienst Nachteile erwachsen.
Sätze wie „Rosen sind Blumen“, „Diese Rosen sind rot“ und „Rot ist eine Farbe“ haben für sich genommen keine Bedeutung, und einen Verwendungskontext auszumachen, der ihnen Bedeutung verleiht, ist nicht leicht. Sie sind vielmehr typische blutleere Exemplare, aufgespießt in einem Lehrbuch der Grammatik oder der philosophischen Semantik, wo man sie nur mit Fingerspitzen anrühren sollte, denn sonst zerfallen sie gleich wie exotische Schmetterlinge im Schaukasten; denn solche Sätze suggerieren, was wir gerade infragestellen, eine „Theorie des Geistes und der Sprache“, wonach der menschliche Geist die Welt der Objekte und Ereignisse mittels Verwendung geeigneter sprachlicher Symbole widerspiegelt und repräsentiert.
Einer mag zur Blumenverkäuferin sagen: „Ich nehme diese Rosen“, wenn er auf einen Strauß in der Auslage zeigt; würde die Verkäuferin sagen: „Diese Rose sind rot“, könnte dies vielleicht bedeuten: „Wollten sie nicht weiße Rosen?“ – Und dies könnte die aufmerksame Verkäuferin, noch bevor der Kunde einen solchen Wunsch verlautbart hätte, am Gebaren und der Kleidung des Kunden abgelesen haben, denn offenkundig trägt er Trauerkleidung und scheint auf dem Weg zu einer Beerdigung zu sein; rote Rosen aber passen eher zu einem Rendezvous als zu einer Trauerfeier.
So gewinnen unsere Aussagen Bedeutung, wenn sie gleichsam zwischen die Fugen und Falten unserer Handlungen und die Muster der mit ihnen verknüpften Erwartungen, Einstellungen und Konventionen passen.
Wenn wir handeln und sprechen, ist unser Kopf nicht angefüllt mit verbalen Bildern und sprachlichen Symbolen, die wir nach erlernten oder angeborenen Regeln zum Ausdruck unserer Absichten, Erwartungen und Vorstellungen kombinieren; in unserem Inneren läuft kein mentaler Mechanismus ab, der gemäß den Stimuli der Außenweltwahrnehmung ins Laufen gebracht und von der regulierenden und kontrollierenden Meta-Instanz logischer Deduktionen und Implikationen angehalten wird, wenn wir uns etwa sagen würden: „Die Farbe dieser Rosen ist Rot; Rot ist eine Symbol von Leidenschaft und Liebe; folglich schenke ich rote Rosen meiner Liebsten, doch wenn ich zur Beerdigung gehe, nehme ich keine rote Rosen mit.“ – Sondern wir sagen uns: „Meiner Freundin schenke ich rote Rosen, weiße nehme ich auf die Trauerfeier mit.“
Wir benötigen keine Definition der sprachlichen Ausdrücke, die wir in unseren Sätzen verwenden, um sie korrekt verwenden zu können; die Definition, die dem Botaniker zur Klassifikation seiner Objekte dient, wie daß Rosen Blumen mit diesen bestimmten Eigenschaften sind, aber Nelken Blumen mit jenen bestimmten Eigenschaften, müssen wir nicht kennen, ohne daß uns diese Unkenntnis zum Hindernis dafür würde, Rosen von Nelken unterscheiden zu können.
Uns erfrischt das klare Wasser, auch wenn wir nicht wissen, daß Wasser H2O ist, und wir sagen der Verkäuferin, daß wir gerne sieben Rosen hätten, oder bekommen von ihr 7 Euro heraus, ohne wissen zu müssen, daß sieben eine Primzahl ist. – Ja, wir sagen, daß es 7 Uhr ist, ohne eine Definition der Zeit angeben zu können oder uns zu der Frage verleiten zu lassen, was Zeit eigentlich sei.
Wir unterscheiden ohne weiteres, ob uns einer nach der Zeit gefragt hat oder uns darauf hingewiesen hat, daß es erst 7 Uhr in der Früh ist und das Geschäft noch nicht geöffnet hat. – Doch nur im Lehrbuch der Grammatik findet sich der Satz, der Ausdruck „Es regnet“ sei ein Aussagesatz und der Ausdruck „Regnet es?“ sei ein Fragesatz. Nur ein Lehrbuch der philosophischen Semantik führt uns mit der Frage in die Irre, ob wir Sätze über Sätze bilden können, ohne eine unendliche Stufenleiter von Sätzen über Sätzen an unsere trivialen Feststellungen über bestimmte Satzarten anlegen zu müssen. – Wir sehen und hören ja, was ein Fragesatz ist. Wenn wir im Unklaren über seine Sprecherabsicht sind, können wir den Freund fragen, ob er uns eine Frage gestellt hat; und er kann antworten: „Ja!“
Wir benötigen keine Erklärung für unser Leben; wir sind froh über das Versprechen, uns zu helfen, das uns der Freund gegeben hat; wir sind traurig, wenn er es gebrochen hat. Doch darüber zu grübeln, warum er uns das Versprechen gegeben oder warum er es nicht eingehalten hat, führt uns in eine Labyrinth von Erklärungsversuchen und Vermutungen, aus dem es wie aus dem Labyrinth der Verdächtigungen des eifersüchtigen Swann im Romanwerk von Proust kein Entrinnen gibt.
Das exotische Verlangen, unser Leben als Ganzes überblicken und erklären zu wollen oder dem Grund der Gründe für unser Tun und Reden auf die Schliche zu kommen, verleitet uns zur Vorstellung, uns mit einem fernen, fremden, „objektiven“ Blick aus dem Jenseits unserer heimatlichen Grenzen, der Grenzen unserer Sprache, beobachten und betrachten zu können. Doch wir können uns kein fremdes Auge einsetzen und erwarten, einen Panoramablick auf unsere Situation zu erhaschen; und könnten wir es, so würde es zu unserem eigenen Auge, und wir sähen, was wir immer sehen. – Auch würden wir in einem alles umfassenden Panorama uns selbst aus den Augen verlieren.
Die scheinbar bedingungslos und kontextfrei gültigen Sätze wie „Wasser ist H2O“oder „7 ist eine Primzahl“ haben ihre eigenen Kontexte, in denen sie funktionieren und Bedeutung erhalten, nämlich die jeweils relevanten physikalischen und mathematischen Grundannahmen. – Gewiß sehen wir das Wasser, über dessen molekulare Struktur uns die Physik aufklärt, aber wir sehen es auf die Dächer tropfen und nennen es Regen, doch die Physik weiß nichts vom Regen, wir sehen es in Bächen, Flüssen und Seen, doch die Physik weiß nichts von dem, was wir Bäche, Flüsse und Seen nennen.
Der Mythos vom exotischen Blick ist der Mythos von der objektiven Theorie des Geistes und der Sprache; doch wir können die Sätze, die wir verwenden, nicht von außen betrachten, als wären sie Sätze eines universell gültigen Lehrbuchs der Grammatik und der philosophischen Semantik. Doch diese Lehrbuchsätze haben, wie gezeigt, keine eigentliche Bedeutung; Bedeutung gewinnen sie allererst in den Kontexten ihrer Verwendung, wie der Satz „Es regnet“, wenn du aus dem Fenster schaust und mir sagen willst, aus unserem Spaziergang wird leider nichts.
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