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Sep 14 24

Sonett des Unglücklichen

Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.

Ludwig Wittgenstein

 

Im hellen Licht verfolgen mich die Schatten,
und in der Nacht bohrt sich der Mond ein Loch
durch all die Decken, wo ich mich verkroch.
Mein Tag ist Nacht, mein Schlaf im Traum ermatten.

Die Worte, die mir gelten, sind wie Mücken,
sie zittern schon im Netz, das sich gewebt
die Spinne Angst, sie eilt, wenn es erbebt,
das warme Herz des Sinnes zu zerstücken.

Kannst, Dichter, du nicht einen Trank mir spenden,
den aus dem Gold der Trauben du gepreßt,
gepflückt von deiner Muse holden Händen,

den Wein, der mir die Flammen löscht, die dunkeln,
im Rausch mich Liebesblicke fühlen läßt,
wo Sterne aus dem kalten Abgrund funkeln?

 

Sep 13 24

Verbirg dich

Gemeine Seele, freigelassen, rast,
ist’s eine Meute, hörst du voll Entsetzen
sie heulend bald ein scheues Leben hetzen,
das demutstumm auf Gottes Au gegrast.

Hat Schlauheit sich dem niedern Trieb geweiht,
wird sie mit Öl und Gas ihn stimulieren,
im leeren Rausch der Kraft sich zu verlieren,
wenn unter ihm der heiße Motor schreit.

Verbirg dich, Dichter, gut in Laubes Schatten,
die klaren Versen, nährt sie Tau, entsprießen.
Die Rasenden, sie werden bald ermatten,

in Wüsten stottern tot sich die Maschinen,
wenn deine weichen Wasser weiterfließen
und deine Reime summen, goldne Bienen.

 

Sep 12 24

Daß nie der Schmerz erwacht

Wir sahen fern den Strom im Abend blassen.
Wie Wolkenkissen auf sich bauschten, weiche,
war uns, als ob der junge Mond erbleiche
vorm Kreuz des Wingerts, der längst aufgelassen.

Wir hörten bang die Süße späten Sanges
in Efeudämmerung herniedertropfen.
Uns war, als würden müde Pilger klopfen
ans Tor des schon verfallnen Wandelganges.

Und als der kalte Schwamm der Finsternis
die Bilder ausgewischt, die uns erwärmten,
quoll nur noch Seufzen aus dem tiefen Riß,

der durch das mürbe Mark der Sprache lief.
Daß wir mit Liedern nicht um Blüten schwärmten,
daß nie der Schmerz erwacht, weil Liebe rief.

 

Sep 11 24

Die Haut der Sprache juckt

Die Philosophie hat keinen Fortschritt gemacht? – Wenn Einer kratzt, wo es ihn juckt, muß ein Fortschritt zu sehen sein? Ist es sonst kein echtes Kratzen, oder kein echtes Jucken? Und kann nicht diese Reaktion auf die Reizung lange Zeit so weitergehen, ehe ein Mittel gegen das Jucken gefunden wird?

Ludwig Wittgenstein

 

Es ist die Haut der Sprache, was da juckt,
als würde ihre Poren Talg verstopfen,
und Wort um Wort gerinnt zu trüben Pfropfen,
bis lichter Sinn vom Unsinn ward verschluckt.

Es gibt kein Mittel, das die Reizung hemmt,
und wenn wir kratzen, wird es nur noch schlimmer.
Der Seele bleibt nur kindliches Gewimmer,
fühlt sie im Leib, dem eigenen, sich fremd.

Die vielgerühmten Therapien trogen,
man machte unser Selbstempfinden taub
und hat die kranke Haut dann abgezogen.

Kannst, Dichter, du noch einen Ausweg zeigen?
„Gib hin dich wie dem Wind das weiche Laub
dem Rauschen über abgrundtiefem Schweigen.“

 

Sep 11 24

Der Kleingeist

Eine Zeit mißversteht die andere; und eine kleine Zeit mißversteht alle andern in ihrer eigenen häßlichen Weise.

Ludwig Wittgenstein

 

Den Argwohn wurmt am Stolz der Indigenen,
die lächelt und im Haar gar Blüten trägt,
wie kleines Dasein große Seelen prägt,
die sich im Zweifelsfall an Rosen lehnen.

Den Kleingeist muß ein blonder Held empören,
der um ein kurzes, hohes Leben bat.
Der Siechende spuckt auf das Inkarnat
der Götter, die mit feuchtem Glanz betören.

Den Haß auf Größe wirst du immer finden
bei Gnomen. Abscheu vor dem Schöpferlicht
wird Monstren zeugen unter geistig Blinden.

Die Parasiten, die am Erbe nagen,
bereiten sich ihr eigenes Gericht.
Kein Epos wird den Untergang beklagen.

 

Sep 10 24

Der gelöste Knoten

Je genauer wir die tatsächliche Sprache betrachten, desto stärker wird der Widerstreit zwischen ihr und unsrer Forderung. (Die Kristallreinheit der Logik hatte sich mir ja nicht ergeben; sondern sie war eine Forderung.) Der Widerstreit wird unerträglich; die Forderung droht nun zu etwas Leerem zu werden. – Wir sind aufs Glatteis geraten, wo die Reibung fehlt, also die Bedingungen in gewissem Sinne ideal sind, aber wir eben deshalb auch nicht gehen können. Wir wollen gehen; dann brauchen wir die Reibung. Zurück auf den rauhen Boden!

Das Vorurteil der Kristallreinheit kann nur so beseitigt werden, daß wir unsere ganze Betrachtung drehen.

Warum ist die Philosophie so kompliziert? Sie sollte doch ganz einfach sein. – Die Philosophie löst die Knoten in unserem Denken auf, die wir unsinnigerweise hineingemacht haben; dazu muss sie aber ebenso komplizierte Bewegungen machen, wie diese Knoten sind. Obwohl also das Resultat der Philosophie einfach ist, kann es nicht ihre Methode sein, dazu zu gelangen. 

Die Komplexität der Philosophie ist nicht die ihrer Materie, sondern die unseres verknoteten Verstandes.

Ludwig Wittgenstein

 

Das Licht hat sich an Säulen aufgestaut.
Die Schatten, die sie werfen, aber wandern.
Des Lebens grüne Lieder, sie mäandern,
wenn kristalliner Sinn in Reimen taut.

Behutsam hat den Knoten aufgelöst,
worin des Lichtes Fäden sich verschlungen,
ein leiser Sang, im Abendrot gesungen,
vom dunklen Duft der Rosen eingeflößt.

Die sich an Krücken des Begriffes schleppen,
vernehmen einen Ruf: „Laßt sie nur fahren!“
Sie schreiten barfuß auf bemoosten Treppen

zur freien Aussicht von den Rebenhängen.
Sie sagen, was sie sehn, mit Worten, klaren,
und keins verirrt sich noch in Rätselgängen.

 

Sep 10 24

Die Saat des Abendlandes

Wenn das Christentum die Wahrheit ist, dann ist alle Philosophie darüber falsch.

Kultur ist eine Ordensregel. Oder setzt doch eine Ordensregel voraus.

Ludwig Wittgenstein

 

Das Kloster war die Saat des Abendlandes,
die Heiligung des Tages im Gebet,
damit des Herzens Unruh werde stet,
des Lebens Uhr sei Rieseln goldnen Sandes.

Die gleichen Hände sollen Unkraut rupfen,
damit die Saat der Hoffnung neu ergrünt,
daß Demut einem hohen Lichte dient,
die Chiffren auf die keuschen Blätter tupfen.

Doch jene Stille, trunkner Seele Krug,
hat wilden Schreis Barbarenfaust zertrümmert.
Wo der Gesang gab süßen Tranks genug,

hat man die Quelle mit Asphalt gefüllt.
Die jungfräulichen Lilien sind verkümmert,
brach liegt der Garten, fernen Edens Bild.

 

Sep 9 24

Der große Strom

Dieses Buch ist für solche geschrieben, die seinem Geist freundlich gegenüberstehen. Dieser Geist ist ein anderer als der des großen Stromes der europäischen und amerikanischen Zivilisation, in dem wir alle stehen. Dieser äußert sich in einem Fortschritt, in einem Bauen immer größerer und komplizierterer Strukturen, jener andere in einem Streben nach Klarheit und Durchsichtigkeit welcher Strukturen immer. Dieser will die Welt durch ihre Peripherie – in ihrer Mannigfaltigkeit – erfassen, jener in ihrem Zentrum – ihrem Wesen. Daher reiht dieser ein Gebilde an das andere, steigt quasi von Stufe zu Stufe immer weiter, während jener dort bleibt, wo er ist, und immer dasselbe erfassen will. (Philosophische Bemerkungen, Vorwort)

Ludwig Wittgenstein

 

Unruhe strebt vom Zentrum in die Weite.
Es nimmt am Grenzenlosen blindlings Maß,
wer eigner Herkunft Bild und Grund vergaß,
als ob zum Katarakt die Argo gleite.

Sie reißen Wurzeln aus gleich den Titanen,
errichten Türme bis zum Himmelszelt,
und dem Zement, auf daß er ewig hält,
vermengen sie die Knochen ihrer Ahnen.

Du aber sitzt am großen Strom, zu schauen,
wie trübe wird, voll Schlamm die träge Flut,
daß Sonnentages Bilder rasch ergrauen.

Auch Goethes Mond kann dich nicht mehr erweichen,
im Lied zu sagen, hier zu sein war gut,
siehst, Dichter, du im Strom sie treiben: Leichen.

 

Sep 8 24

Sprachspiel

In einer Konversation: Einer wirft einen Ball; der Andre weiß nicht: soll er ihn zurückwerfen, oder einem Dritten zuwerfen, oder liegenlassen, oder aufheben und in die Tasche stecken, etc.

Wie ist es, wenn Leute nicht den gleichen Sinn für Humor haben? Sie reagieren nicht richtig auf einander. Es ist, als wäre es unter gewissen Menschen Sitte, einem Andern einen Ball zuzuwerfen, welcher ihn auffangen und zurückwerfen soll; aber gewisse Leute würfen ihn nicht zurück, sondern steckten ihn in die Tasche.

Ludwig Wittgenstein

 

Das Wort, den Ball gilt’s nicht zu apportieren,
wie es der Hund, treu und beflissen, tut.
Das Spiel der Sprache sprüht, verlischt wie Glut.
Den Ball, den einer warf, wird er verlieren,

wenn ihn der andre nicht zurück mag geben:
Der wirft ihn einer holden Schönen zu.
Der Erste geht, läßt Liebende in Ruh,
die Wurf um Wurf einander höher heben.

Du kannst nicht jedem Spieler gleich vertrauen.
Die Arglist wirft den Ball, den sie gefangen,
ins Dickicht, wo ihn niemand wiederfindet.

Von dem am Helikon die Musen sangen,
den Ball mag dreist ein Epigone klauen,
daß er aus mattem Vers ein Truglicht schindet.

 

Sep 8 24

Gedämpften Tons

Für den Menschen ist das Ewige, Wichtige, oft durch einen undurchdringlichen Schleier verdeckt. Er weiß: da drunten ist etwas, aber er sieht es nicht. Der Schleier reflektiert das Tageslicht.

Ludwig Wittgenstein

 

Das Pathos edler Phrasen wirkte hohl,
als würde plötzlich eine Wunde nässen,
die unter dem Verband man fast vergessen,
und alles, was nicht heilt, wär nun frivol.

Des Lichtes Fäden scheinen blind verstrickt
in einen Knäuel, der nicht zu entwirren,
und, wie Insekten in ein Spinnweb, schwirren
die Worte in den Schleier, der erstickt.

So dämpfe, wenn es dämmert, deinen Ton,
damit die tiefen Seufzer aufwärts quillen,
die, Dichter, dir vertraut, des Orpheus Sohn.

An Reimen, die wie blaue Falter glommen,
mag ihren Durst die alte Spinne stillen,
freu dich des kleinen Käfers, der entkommen.

 

Sep 7 24

Letzte Auskünfte

Ich schreibe beinahe immer Selbstgespräche …

Mein eigenes Denken über Kunst und Werte ist weit desillusionierter, als das der Menschen vor hundert Jahren sein konnte. Und doch heißt das nicht, daß es deswegen richtiger ist. Es heißt nur, daß im Vordergrund meines Geistes Untergänge sind, die nicht im Vordergrund jener waren.

Ludwig Wittgenstein

 

„Sag: Welche Freuden sind es, die dir blieben?“
„Die Körner auszustreuen, wenn es tagt,
daß mir ein schönes Turteltäubchen sagt,
auch wunde Seelen sind geneigt zu lieben.“

„Und welchen Kummer hast du zu verwinden?“
„Daß allzu früh die Blume mir verblich,
die Iris meines traumverlornen Ich
mußt allzu früh am Schnee des Schlafs erblinden.“

„Sind Worte noch, dich Taumelnden zu halten?“
„Nicht Worte sind’s, nur abschiedssanftes Schauern
von Blättern, die sich keusch um Strahlen falten,

wenn sie vom bleichen Mond des Abgrunds fließen,
des Efeus Flüstern an den hohen Mauern,
die sich um meiner Kindheit Garten schließen.“

 

Sep 6 24

Der schmale Grat

Der ehrliche religiöse Denker ist wie ein Seiltänzer. Er geht, dem Anscheine nach, beinahe nur auf der Luft.
Sein Boden ist der schmalste, der sich denken läßt. Und doch läßt sich auf ihm wirklich gehen.

Ludwig Wittgenstein

 

Der Pfad der dürren Gräser, plattgetreten,
hat uns zum stillen Haine nicht gebracht,
daß dort, von Gottes hohem Strahl entfacht,
wie Flammen wir mit ganzem Leibe beten.

Auf Märkten, wo gepeitschte Puppen schreien
um Paradiese ohne Not und Tod,
sehnt sich das Herz, von Nacht und Wahn bedroht,
nach Stimmen, die ihm Licht ins Dunkel schneien.

Der Weg hat dich dem Lärm des Tals entrückt
zum schmalen Grat, dem Abgrund leiser Schauer,
wo, Dichter, dich der Enzian entzückt.

Bring uns den Duft in unser Krankenzimmer,
daß wir des Tags gedenken ohne Trauer,
leg auf das Kissen uns den blauen Schimmer.

 

Sep 5 24

Die abschüssige Bahn

„Die Tücke des Objekts.“ – Ein unnötiger Anthropomorphismus. Man könnte von einer Tücke der Welt reden; sich leicht vorstellen, der Teufel habe die Welt geschaffen, oder einen Teil von ihr. Und es ist nicht nötig, ein Eingreifen des Dämons von Fall zu Fall sich vorzustellen; es kann alles „den Naturgesetzen entsprechend“ vor sich gehen; es ist dann eben der ganze Plan von vornherein aufs Schlimme angelegt. Der Mensch aber befindet sich in dieser Welt, in der die Dinge zerbrechen, rutschen, alles mögliche Unheil anstiften. Und er ist natürlich eins von den Dingen. – Die „Tücke des Objekts“ ist ein dummer Anthropomorphismus. Denn die Wahrheit ist viel ernster als diese Fiktion.

Ludwig Wittgenstein

 

Gott scheint nur eine schwache Gegenmacht,
wie jenes Sternbild über schwarzen Hängen,
das sie eratmen ließ in süßen Sängen,
die Hirten in der einen Wundernacht.

Dann ragte schon das Kreuz auf Golgotha,
und der gesegnet hatte, war verlassen.
Wie deine Lilien, Schmerzensmutter, blassen,
wie der Verneiner überschreit dein Ja.

Nach holden Händen greifen wir vergebens,
denn keines kann am anderen sich halten,
abschüssig ist die Bahn des dunklen Lebens.

Gesanges Rosen, dämmerfeuchte Gluten,
verlöschen unterm Aug der Angst, dem kalten.
O Dorn der Liebe, daß wir still verbluten.

 

Sep 4 24

Birg dich im Abseits

Wo Andre weitergehn, dort bleib ich stehn.

Ludwig Wittgenstein

 

Mit dunklem Schwirren scheucht er auf die Herde,
zum Abgrund stößt der Schatten eines Aars.
Wir baumeln, Puppen einer schrillen Farce,
im Bodenlosen über Gottes Erde.

Schlafwandler sind, die über Schädel schreiten,
fern lockt ein Girren, lockt Sirenensang,
zu lösen sie von harter Strahlen Zwang,
wach erst, da sich im Sturz die Augen weiten.

Birg, Dichter, dich im Abseits zwischen Halmen,
wo in der fremden Nacht das Heimchen zirpt.
Die Sonne übertönt die Angst mit Psalmen,

wenn aus den Gärten heiße Rufe steigen
und kleines Dasein um das große wirbt.
Die stille Mitte sei im trunknen Reigen.

 

Sep 3 24

Die Falten des Herzens

Die Falten meines Herzens wollen immer zusammenkleben, und um es zu öffnen, müßte ich sie immer wieder auseinanderreißen.

Ludwig Wittgenstein

 

Die in der Sommernacht am Fenster stehen,
als habe aufgestoßen es ein Strahl
des Mondes, fühlen aus dem Heimattal,
dem fernen, frühe Melodien wehen.

Die einsam wandeln in Gesanges Hainen,
und von den Dämmerlauben tropft noch Licht
auf müder Anemonen Angesicht,
sie halten jählings inne, um zu weinen.

Mag die verklebten uns, des Herzens Falten,
aus Versen quillend transparente Feuchte
sanft lösen, die vom Schnee des Schlafes kalten,

die Lider, uns dein Atem, Dichter, wecken,
daß aus dem Dunkel hell die Rose leuchte
und wir das Dasein schauen ohne Schrecken.

 

Sep 3 24

Emily Dickinson, We outgrow love

We outgrow love like other things
And put it in the drawer,
Till it an antique fashion shows
Like costumes grandsires wore.

 

Wir wachsen aus der Liebe wie aus Kleidern
und legen sie in einen Schrank zurück,
bis sie ein Rock, der aus der Mode kam,
uns dünkt, wie einmal ihn die Ahnen trugen.

 

Sep 2 24

Die Einsamkeit der Monaden

Ich kann nicht niederknien, zu beten, weil gleichsam meine Knie steif sind. Ich fürchte mich vor der Auflösung (vor meiner Auflösung), wenn ich weich würde.

Ludwig Wittgenstein

 

Wie unsre Haut ist auch die Seele nackt.
So lauschten wir der Nacht mit offnen Poren,
so fühlten wir uns an den Strom verloren,
den dunklen Glanz, des Staunens Katarakt.

Da ließen wir gewundner Muschel gleich
den zarten Schmelz mit Schalen überkleiden,
einander in Monaden uns zu scheiden.
Hart ward der Sinn, das Herz der Angst blieb weich.

Wohl tönen Muscheln, an ein Ohr gehalten,
wie Meere rauschen, die vor Zeiten blauten.
Wir haben Worte bloß, die schon erkalten,

bevor sie noch in fremde Herzen dringen.
An hohen Dämmen, die wir um uns bauten,
prallt schäumend, Dichter, ab dein Singen.

 

Sep 1 24

Ohne Hoffnung

Esperanto. Das Gefühl des Ekels, wenn wir ein erfundenes Wort mit erfundenen Ableitungssilben aussprechen. Das Wort ist kalt, hat keine Assoziationen und spielt doch „Sprache“.

Ludwig Wittgenstein

 

Als griffest eines Fremden Hand du blind,
und was du fühlst ist nur ein Stumpf, ein glatter.
Des Lebens Stimmen werden dumpfer, matter,
als riefen, die vom Schnee verschüttet sind.

Das Aug der Liebe war nur buntes Glas.
Wie zarte Haut, von Strahlen aufgeschnitten,
sind Seelen, die den Sonnenpfad durchschritten,
verwehte Schuppen, fetter Maden Fraß.

Das nicht vom Schmerz beseelte Wort ist kalt,
es torkelt wie an wirren Silberdrähten
die Puppe, strohgefüllt und grell bemalt.

Sie spielen Sprache, doch die Worte gleichen
gepreßtem Hauch von Lippen, zugenähten.
Die Frucht des Sinns ist faul, die sie uns reichen.

 

Aug 31 24

Geisterhaft

Wenn die Formen dir verschwimmen,
fühle nach dem sanften Glimmen,
wie’s aus Veilchen drang.

Fahlen geisterhaft Gestalten,
beug dich über den uralten
quellendunklen Sang.

Stimmen, Schwestern, sie verklingen,
Herz, kannst höher du nicht springen,
taumle vor dich hin.

Träne, Tochter, heimatlose,
glänzender als Tau der Rose,
blasse und verrinn.

Purpurknospe will sich schließen,
wenn die Abendnebel fließen,
Schmerz, auch du schläfst ein.

Nur die Asphodelen leuchten,
wenn die Augen sich dir feuchten
an dem süßen Schein.

Gnädig machen Sternenbilder
auch die harten Wasser milder,
wo dein Schatten geht.

Nach Elysium magst kommen,
wo das hohe Lied der Frommen
sanft im Efeu weht.

 

Aug 30 24

Die Rückkehr der Knuffeltiere

Für kleine und für große Kinder

Sie wohnen jetzt im Gartenhäuschen,
die Knuffeltiere, wo ein Mäuschen
nachts tränenselig flötet.

Die Tür umranken wilde Reben,
wie still und träumerisch sie leben,
wenn sich das Blattwerk rötet.

Carlinchen gibt der Suppe Würze,
das Kühlein in der Blumenschürze,
schon hört man Löffel klirren.

Durch Fensterchen, die offen stehen,
Klein Wilmas Lammfellflusen wehen,
die flinkem Kamm entschwirren.

Gern kreuzt die Pfoten auf der Schwelle
der Hütehund im Fleckerl-Felle,
auf dessen Schutz sie bauen.

Sein Brüderchen ist Wuff, der zarte,
die Fensterbank nahm er zur Warte,
wie’s Täubchen pickt, zu schauen.

Schnuff heißt ein helles Flockenhäschen,
und immer schnieft sein holdes Näschen
von scheuer Seele Beben.

Im Garten treibt auf grünem Weiher
ein rotgetupfter Blütenschleier,
wie ihn sich Nixen weben.

Doch wütet hinterm Zaun ein Grunzen,
streut Schalen man und scharfe Blunzen,
die Stachelschweine schlingen.

Es weitet sich das Aug den Rehen,
wenn die Veganer Körner sehen,
die sie in Körbchen bringen.

Wenn weiche Nebel es umkränzen,
verlockt im Laube süßes Glänzen
von Beeren, Kirschen, Pflaumen.

Da machen Mus sie und bedecken
mit rotem Samt die guten Wecken
und lutschen an den Daumen.

Ertönt die Nacht von Lichtkristallen,
vermeiden sie des Frostes Krallen,
geschmiegt an Wärmeflaschen.

Sie lauschen nach den lichten Tönen,
die mit der Dunkelheit versöhnen,
dem Seufzen weißer Aschen.

Doch hauchen gern sie an die Scheiben,
bis wunderliche Blüten treiben
und seltsam irisieren.

Da wandern sie durch Zauberauen,
bis Eises Halme Strahlen tauen,
und fürchten nicht zu frieren.

Willkommen sind die Nachbarskinder,
die Ausgewachsenen nicht minder,
soweit sie Kind geblieben,

wenn sie das Weihnachtsbäumchen schmücken,
mit Engeln, Sternen, Tand beglücken,
die Knuffeltiere lieben.

Sie sind zurückgekehrt, die Guten,
die sanft sich stupsen ihre Schnuten,
statt müde sich zu schwätzen.

Doch manchmal sitzen sie im Kreise
und singen eine süße Weise,
bis sich die Augen netzen.

 

Aug 29 24

Hellas ewig unsre Liebe

Dem Andenken an Stefan George

Als hätte dunkle Krusten es durchbrochen,
gedrängt von süßem Selbstgefühl ans Licht,
glomm Sapphos keusche Knospe, das Gedicht,
das halb im Schlaf sie vor sich hin gesprochen.

Dann blühten rings in Hellas offnen Auen,
wo goldner Wein auf die Altäre floß,
die Rosenoden des Dionysos,
des Eros Sänge, die wie Veilchen blauen.

Magst du im Staub des Hinterhofs, in Ritzen
nur Dolden finden, die gleich Monden bleichen,
sieh, wie auch deiner Nächte Sterne blitzen.

Es rauscht dir, Dichter, Efeu noch an Mauern,
und in den Blättern der uralten Eichen
fühlst manchmal du ein orphisches Erschauern.

 

Aug 28 24

Die neue Prüderie der Schamlosen

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Erst sahst du ihn mit dem Fahrrad, dann zu Fuß mit der Tüte von REWE, schließlich sich an die Hauswände drückend nach Hause schleichen. Jetzt siehst du ihn nicht mehr.

Es ist ein Unterschied ums Ganze, sich unterwegs zu fragen: „Gehe ich noch kurz in den Park und danach einkaufen?“ oder auf der Schwelle zaudernd: „Soll ich nach draußen gehen oder noch eine Weile die Sicherheit der Behausung vorziehen?“

Der Tor weiß das Ziel nicht zu finden; der Verlorene hat keins.

Der Tor weiß nicht zu erlangen, was er will; der Verlorene weiß nicht, was er will.

Die Grazie hob sich tänzerisch von der Plumpheit ab; in den Ausdünstungen der Vulgarität ward sie allmählich unsichtbar. Oder sie liegt an ihnen erstickt zu Füßen der Zechenden.

Die reinsten Begriffe beginnen im Mund der Journaille zu faulen und zu stinken.

Wenn der Teufel von Engeln spricht, und das tut er gern, schnalzt er mit der Zunge.

Scheinpropheten wie Nietzsche hüllen ihre mageren Visionen in das knisternd-halbseidene Kleid eines atemlos zusammengenähten dichterisch-religiösen Idioms. Im Gegensatz zu echten gründen sie keine Riten, Sakramente, Liturgien, die dauerhafte Traditionen ausbilden. Wir singen noch die Hymnen des Ambrosius, jene des angemaßten Zarathustra sind verstummt.

Die dialektisch verknoteten Begriffsgirlanden eines Hegel wehten noch als grelle Fetzen ihrer revolutionären Umkehrungen über den Gräben und Barrikaden der Bürgerkriege; nun wickelt der saturierte Philosophieprofessor mit den ganz verblaßten Resten nostalgisch die Schatulle ein, worin er neben den Urkunden seiner Berufungen die alten Geheimbundsiegel, die Mao- oder Sowjetsterne, all die Sektendiplome und Parteiabzeichen heimlich verwahrt. Auch der kleine Revolver liegt zuunterst, wenn auch ungeladen. Es ist eben jener, von dem Breton forderte, man muß ihn laden und damit in den Straßen wahllos auf Passanten schießen, dies sei die herausragende surrealistische Tat.

In Blut getränkte Parolen wie die der Französischen Revolution haben ihr Faszinosum bewahrt; sie kitzeln noch immer die dumpfen Neuronen des Politikers und des Zeitungssklaven.

Der Lorbeerkranz hellster geistiger Entrückung und das blutverschmierte Messer dunkelster sittlicher Entartung liegen beide im Wandschrank des Mannes.

Der Machthaber, der das Gemetzel an den Ohnmächtigen zu verantworten hat, erscheint in der Trauerkleidung verbrämter Hypokrisie am Grab und überreicht den Hinterbliebenen weiße Rosen, die sie mit Tränen in den Augen gerührt entgegennehmen.

Die Moralwächter des Sprachgebrauchs reden selbst ein verkommenes Kauderwelsch.

Die neue Prüderie der Schamlosen.

Eine Frau, die geboren hat, wird nicht mehr Mutter, sondern Person mit Uterus und Eierstöcken genannt. – Biologistische Brutalismen, die der Entstellung und Herabwürdigung der Mutterschaft dienen.

Eine Mutter, die sich hingebungsvoll der Aufzucht ihrer Nachkommen widmet, wird hinter dem Wandschirm des Tabus verborgen, ein Mann, der vorgibt, eine Frau zu sein, ins Rampenlicht der Lüge gestellt.

Die neue Prüderie der Schamlosen läßt der Sprache gleichsam ein Geschlechtsteil implantieren und anschwellen, als ein Kriterium, womit sie die abtrünnigen Puristen von den obszönen Gesinnungsgenossen zu diskriminieren willens und in der Lage ist. Die Diskriminierten werden über kurz oder lang aus der als herrschaftsfrei gelobhudelten Diskursgemeinschaft ausgeschlossen.

Die metaphorische Verhüllung der alten Prüderie wird durch den semantischen Dildo der neuen ersetzt.

Der Gebrauch obszöner Begriffe gilt als Ausweis des avantgardistischen Rangs eines Schriftstellers; die Verwendung von Blumennamen und metaphorischen Ranken aus den Auen und Gärten stillen Wachstums als Symptom von Rückständigkeit und neurotischer Hemmung.

Liebe, die sich opfert, Hingabe, die verzichtet, gilt der Prüderie der Schamlosen als Vergehen an der ungehemmten Selbstverwirklichung dumpfen Lebens.

Das erigierte Wort verdunkelt das stille Licht der Gnade.

Gesang die Woge, Stille das Land.

Der aufgeblähte Sinn zerplatzt am Dorn der Wahrheit.

Mit dem Namen des Vaters wird auch der von ihm erhöhte Sohn verworfen (Philipperhymnus).

Theseus hat Ariadne erniedrigt, Dionysos wird sie erhöhen.

Der Cosima schrieb „Ich bin dein Labyrinth“, hat sie wohl in Ariadne verwandelt, doch den Faden ihr abgeschnitten.

Erektionen des Worts im Geschrei der Mänaden, der mythischen, die Tiere zerrissen, der zeitgenössischen, die Embryonen zerstückeln.

δόξα θεού, Hoheit, vor der sich die rachitischen Knie des Zeitgeistes nicht mehr beugen.

Hölderlin kehrt, als das Rattern und Surren der Ego-Maschinen von fern schon vernehmbar war, zur hochherzigen Demut hymnischen Singens zurück.

Imago Dei – wird sie unterm dämonischen Grinsen ein Engel des Gerichts freilegen?

Volk, dem man die Zunge des heimatlichen Idioms abgeschnitten hat.

Ideologische Wirrköpfe feiern den rationalen Diskurs, Besessene die Herrschaft der Vernunft.

Der Reim ist verpönt, weil er den Eros der Sprache offenbart.

Aus mancher Sackgasse, wie der atonalen Musik, kann man nur gelangen, indem man den Rückwärtsgang einlegt.

Die Messer, die hier blitzen und schlitzen, tragen das Gütesiegel „Made in Germany“.

Das Licht des dichterischen Samens keimt nur in der Dunkelheit.

Am offenen Fenster der Sommernacht gelehnt vernahm er im dunklen Flüstern des Blattwerks das Seufzen einer unerlösten Seele.

Die Augen, dunkel glänzend vom Wasser der Schwermut, die Seele: nulla lux.

Die Alten nannten symbolisch das Zusammenfügen zerbrochener Ringe; wir legten die Ringe auf den Amboß der Selbstauslöschung.

Getünchte Gräber, die noch lange vor sich hin siechen, wenn die Seele längst erloschen ist.

Glück des Lieds, als Welle einer unendlichen Melodie in den Schilfen Thules zu verebben.

Phallus des Sonnengesangs, verlöschend im Schoß der Nacht.

Der freie Geist flieht nicht vor dem Gott, der sich aus den Fragmenten seiner Selbstzerreißung neu zusammensetzt.

Die Zeilen der Handschrift – aufgefädelte Perlen kostbarer Chiffren, die Züge des Gesichts – Ruinen und verschüttete Gräben einer eschatologischen Schlacht.

Wittgenstein: Je präziser die Begriffe, umso rätselhafter der Sinn.

Stufen des Verstehens, ähnlich den klimatischen Zonen – in den unteren zittert das heimatliche Veilchen, auf den verschneiten Gipfellagen blaut der wunderliche Fremdling Enzian.

Für den Platoniker sind die mythischen Götter fliehende Wolken vor der unendlichen Bläue.

Die Vorlieben dichterischer Landschaftsbilder konvergieren mit den Altersstufen – die tropischen Wucherungen der Jugend, die beschnittenen Reben der Reifezeit, die Wolken spiegelnden Wattlandschaften des Alters.

„Zieh deine Schuhe aus!“ – Jüdisch ist die Furcht vor der Nähe der unsichtbaren Gottheit, die sich im brennenden Dornbusch offenbart. – Aber bei Hölderlin finden wir sie wieder, transponiert in mythisch-elegisches Moll.

Hölderlin rettet sich aus der pietistischen Selbstzerknirschung, indem er mit Diotima durch die Dämmerung der Rosenhaine wandelt, mit Empedokles sich in die Flammen der Wiedergeburt stürzt.

In Blei, in Kalk, in Asche verwandelt sich jeder Gegenstand, den die taube Hand des Gottverlassenen antastet.

Ich bin mir auf dem schmalen Pfad begegnet, der aus dem Buchenwald hinaufführt zu den Rebenhügeln; wir haben uns schweigend zugelächelt; ich ging dort auf die Höhe, um den heimatlichen Strom einmal noch unter mir glänzen zu sehen; du gingst den Weg zurück in die Dämmerung des leise rauschenden Blattwerks.

 

Aug 27 24

Wenn wir uns Abfall dünken

Wenn wir uns Abfall dünken und verschleimt
nur Trübes künden flackernde Pupillen,
wenn Stimmen, fremde, unsre überschrillen,
und Unrat in den Labyrinthen keimt,

die in uns gräbt und wühlt ein Zwitter-Gott,
ein Name, den wir liebten, würgt die Kehle,
wenn sie verkrustet juckt, die Haut der Seele,
und wir dumpf kratzen, hoher Schöpfung Spott,

führ, Dichter, uns zum Wasser hin, dem reinen,
das unentweihter Erde Schoß entfließt,
laß süßen Melodien nach uns weinen,

die Seelen baden im Gewog von Psalmen,
bis ihre Wunden Liebeskühlung schließt.
Dann schenkt uns Schlummer Duft von sanften Halmen.

 

Aug 27 24

Emily Dickinson, I’m nobody

I’m nobody! Who are you?
Are you nobody too?
Then there’s a pair of us — don’t tell!
They’d banish us; you know!

How dreary to be somebody!
How public like a frog
To tell one’s name the livelong day
To an admiring bog!

 

Ich bin niemand. Wer bist du?
Niemand auch du?
Dann sind wir schon zu zweit – doch still!
Wir würden sonst verbannt, du weißt!

Wie öde, jemand zu sein!
Gleich einem Frosch im Chor
seinen Namen rufen immerzu
in das bewundernde Moor!

 

Aug 26 24

Herabgetaumelte Knospen

Zwei Knospen, die an hohen Stielen glommen,
sind schon getaumelt auf das weiße Tuch.
Der Wind durchblättert müd ein Liederbuch.
Schaum dämmert, der in Schalen hell geschwommen.

Die Becher liegen leergetrunken. Tiegel
und holder Schatten Flackern an der Wand
sind wie in süßem Schlaf herabgebrannt.
Blind steht vom Hauch erglühten Monds der Spiegel.

Die sich zum Abschiedsfest hier eingefunden,
sie haben taubeglänzter Verse Ranken
um ihrer dunklen Sehnsucht Herz gewunden.

Ist nun erloschen auch, was sie bewogen,
der Muse stillem Abendlicht zu danken,
fern schimmert noch des Gottes Silberbogen.

 

Aug 26 24

Emily Dickinson, Too happy Time dissolves

Too happy Time dissolves
And leaves no remnant by-
‘Tis Anguish not a Feather hath
or to much weight to fly-

 

Das Glück fliegt gleich davon,
läßt keinen Flaum im Nest.
Qual, schwer und flügellahm,
krallt bang sich an uns fest.

 

Aug 25 24

Die freie Sicht

Die elegant und flink auf Stelzen gehen,
betören jene, die an Krücken schleichen.
Ihr starres Lächeln deuten sie als Zeichen,
sie könnten in die ferne Heimat sehen.

Bewundrung heimsen ein bucklichte Zwerge,
die feixend aufgestiegen und groß künden,
daß alle Ströme in die Meere münden,
doch ihre Gipfel sind nur Abfallberge.

Die Stufen, die empor im Turm sich winden,
der, Dichter, dir den weiten Blick verspricht,
sie wachsen um die Nacht wie Schmerzensrinden,

du kannst sie nicht aus losem Tone bauen.
Es gönnt die Muse Duldern freie Sicht,
die harren, bis die dunklen Tiefen blauen.

 

Aug 25 24

Emily Dickinson, If I can stop one Heart from breaking

If I can stop one Heart from breaking,
I shall not live in vain
If I can ease one Life the Aching,
Or cool one Pain,

Or help one fainting Robin
Unto his Nest again,
I shall not live in vain.

 

Könnt ich ein Herz nur am Zerbrechen hindern,
mein Dasein wär nicht schal.
Könnt einem Leben ich die Schmerzen lindern,
nur kühlen eine Qual,

bloß helfen einem matten Kehlchen,
heim in sein Nest zu schweben,
wär nicht umsonst mein Leben.

 

Aug 24 24

Wenn Pulse resonieren

Was du geträumt, erwacht, ein lichter Leib,
gleich neben dir, und schon geht ihr spazieren.
Die Pulse ferner Herzen resonieren,
und willst du sterben, seufzt es zärtlich: „Bleib!“

Wenn eine Glocke läßt im Turmgestühl
der Kuß des süßen Frühlichts bang ertönen,
hebt schon die große Schwester an zu dröhnen,
als taumle sie vor dunklem Mitgefühl.

Die Wirbel ächzen, da die schlaffen Saiten
dir, Dichter, wieder spannt der hohe Mut.
Laß traumverloren deine Hände gleiten,

und was du fühlst, tauch in Gesanges Wellen
wie heißes Sehnen ein in kühle Flut,
daß Schaumes Seufzer uns die Nacht erhellen.

 

Aug 23 24

Das Geschwätz im Rücken

Wer schweigend vor dem offnen Fenster steht
und sieht, wie Zweige immer dunkler schwanken,
den tragen sternumsäumte Nachtgedanken
zum Wald der Frühe, worin Farn geweht.

Wer sich vor hoher Woge Gischt entblößt,
vor blauen Abgrunds aufgepeitschtem Gleißen,
fühlt, wie die Schalen dürrer Worte reißen,
wie sich die Haut des Ungesagten löst.

Steh, Dichter, das Geschwätz des Tags im Rücken,
auf blanker Schwelle, wenn sie Nacht betaut,
zeig uns, wie Ranken losen Sinns entzücken,

das Spiel der Schatten, zarter Chiffren Zittern,
die süßem Abendlicht du anvertraut,
daß wir der Worte müde nicht verbittern.

 

Aug 22 24

Sagen, was ist

Nicht eine Wolke hättest du erfunden,
geahnt nie, wie sie Glitzerfäden spinnt.
Kein Grashalm, wie ihn dunkler Grund ersinnt,
hat je sich deinem fahlen Traum entwunden.

Wie kleine Käfer in der Dämmerung funkeln,
auf schwarzen Wassern schwebt der Blüten Licht,
siehst du in trüber Seele Spiegel nicht,
konnt der Sibylle herber Mund nicht munkeln.

An dieses Weltgedicht bist du verwiesen,
pflück, Dichter, Verse nur wie reife Beeren,
raff Blüten auf, die von den Zweigen bliesen

die Frühlingslüfte aus azurnen Höhen.
Erkühne dich, den Lebensgeist zu ehren,
das Wort, von ihm behaucht, es kann bestehen.

 

Aug 21 24

Die Fremde mit dem Hündlein

Ein Niemand wohnte er im Niemandsland,
der Name an der Klingel war verblichen,
die Namen im Adressbuch durchgestrichen.
Nur eine Fremde war es, die ihn fand.

Da stand sie in der Tür, ein Hündlein weich
auf ihrem Arm, das sich verletzt die Pfote.
Er nahm sie auf, als wäre sie ein Bote,
der Duft gebracht vom fernen Inselreich.

Wie sprang das Hündchen freudig um die beiden,
wenn Hand in Hand sie durch die Schilfe glitten,
den Uferpfad entlang bis zu den Weiden.

Er war erwacht, Schnee ließ die Nacht erblassen,
und sah im Hof die Spur von scheuen Schritten.
Das Hündlein aber hat sie dagelassen.

 

Aug 21 24

Dana Gioia, Entrance

after Rilke)

Whoever you are: step out of doors tonight,
Out of the room that lets you feel secure.
Infinity is open to your sight.
Whoever you are.
With eyes that have forgotten how to see
From viewing things already too well-known,
Lift up into the dark a huge, black tree
And put it in the heavens: tall, alone.
And you have made the world and all you see.
It ripens like the words still in your mouth.
And when at last you comprehend its truth,
Then close your eyes and gently set it free.

 

Eingang

Wer immer du auch bist: Diese Nacht tritt vor das Tor,
geh aus dem Zimmer, wo du scheinbar nichts vermißt.
Unendlichkeit steht dir bevor.
Wer immer du auch bist
Mit Augen, die zu sehen schon vergessen hatten,
weil sie an Dingen nur erblickt, was allgemein,
heb einen hohen, schwarzen Baum aus Schatten
und pflanz ihn in den Himmel: groß, allein.
Du hast die Welt und alles, was du siehst, gemacht.
Sie reift still wie das Wort in deinem Mund.
Begreifst du endlich: Sie ist wahr und rund,
so schließ die Augen und laß los sie sacht.

 

Rainer Maria Rilke, Eingang
(aus: Buch der Bilder)

Wer du auch seist: am Abend tritt hinaus
aus deiner Stube, drin du alles weißt;
als letztes vor der Ferne liegt dein Haus:
wer du auch seist.
Mit deinen Augen, welche müde kaum
von der verbrauchten Schwelle sich befrein,
hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum
und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein.
Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß
und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift.
Und wie dein Wille ihren Sinn begreift,
lassen sie deine Augen zärtlich los.

 

Aug 20 24

Der dunkle Gott

„Du hast genug gehört hier und gesehen,
wie Geifer speiend sich die Zungen bogen,
wie triste Augen, leere, Fülle logen.
Laß uns in Dichters Land, das stille, gehen.

Dort glimmen Blüten auf schilfgrünen Teichen,
die aus dem Schoß der Nacht herabgesunken,
dort macht der süße Glanz der Schwermut trunken,
der niedertropft wie Tau an blinden Zeichen.“

„Dies Land ist auf der Welt, die ausgemessen,
zu finden nur in einem tiefen Schlaf,
wenn wir den Mohn, den dunklen Gott, gegessen.

Kein Mund ist, der nicht schief von Mißklang wäre,
kein Herz, das nicht der Blitz des Abgrunds traf,
kein Sang, zu schwingen uns in jene Sphäre.“

 

Aug 19 24

Wendungen

Die Wege scheinen in die Nacht zu münden,
und der sie ging, ward fremd sich selbst zuletzt.
Wie eine Note um ein Kreuz versetzt,
mag blasses Wort von Farbenpracht noch künden.

Wir fühlen, wie die Grenzen sich verschieben,
den Ufern gleich, woran die Welle nagt.
Der Strunk des Worts, der aus dem Dickicht ragt,
in Blitzes Funken wird er bald zerstieben.

Träufst Reime du auf Brachlands trockne Schollen,
scheint es dir, Dichter, sie versickern blind,
als wären sie umsonst hervorgequollen.

Doch mögen übers Jahr hier Gräser wehen
und Veilchen zittern scheu im Sommerwind,
kannst du es, ferngerückt, auch nicht mehr sehen.

 

Aug 18 24

Entblößten Herzens

Der Urangst Hüllen schwanden nach und nach.
Die erste, mütterliche, hängt noch lose,
sahst duftbetört ihn nicht, am Dorn der Rose,
stumm ward das Blatt, das dir von Sanftmut sprach.

Die zweite, väterliche, hat der Strahl verzehrt,
als durch der Liebe Wüsten du gegangen,
der Mund ein trockner Brunnen, Salz die Wangen,
da du den hohen Schatten hast entbehrt.

Dir bleibt nur eine Hülle noch, die letzte,
der weiche Hauch, des Wortes Dämmerlaub.
Wenn diese auch der Wintersturm zerfetzte,

leg in den Schnee dich, Dichter, und erfühle,
entblößten Herzens, Himmels lichten Staub,
wie er das töricht glühende dir kühle.

 

Aug 17 24

Kiesel und Blatt

Der Kiesel hat es längst dir offenbart,
befeuchtet schimmern Adern aus der Tiefe,
im Staub der Ödnis ist es dir, als schliefe
die Schönheit, die gesprochen innig-zart.

Du dachtest, daß Frau Venus mit dir geht,
doch hüllen dich nun Mondes kühle Linnen.
Du sahst den Glanz von Blütenblättern rinnen,
was dir gesagt ihr Duft, es ist verweht.

Den Kiesel mußt mit Augentau du feuchten,
den Staub des Schlafs wasch ab vom Wort, dem alten,
daß die geheimen Adern wieder leuchten.

Als Blüten sind dir Reime nur geblieben,
streu, Dichter, sie in dunkler Verse Falten,
es sind noch Herzen einsam, die sie lieben.

 

Aug 16 24

Schneisen im Dickicht

Dem Andenken an Rudolf Otto, den Deuter des Heiligen

 

Des Satyrs plumper Huf, er scheint nicht mehr
als zügelloser Trieb, der Horn geworden.
Der schreienden Mänaden heiße Horden
nichts als der Tierheit grause Wiederkehr.

Und doch sind sie um einen Gott geschart,
der nicht nur Trunkenheit gebracht mit Reben,
erleuchtet hat er auch das dunkle Leben
und wilde Schwermut sanftem Strahl gepaart.

Die Engel aber, wie sie der Prophet
geflügelt sah den ewig Hohen preisen,
sind mehr, als was in uns um Fülle fleht.

Sie rissen in das Dickicht unsrer Bilder,
daß schwarzes Rauschen in sie strömte, Schneisen.
O rauschet, Flügel, wenn wir sterben, milder.

 

Aug 15 24

Das Wort des Heils

Dem Andenken an Reinhold Schneider

 

Zwischen Schründen weich emporgeschäumt,
tränkst du, Wasser, stilles Leben.
Wort, du hast dich hingegeben,
daß ein heller Kranz das Dunkel säumt.

Efeu hat geschauert in der Nacht,
als vom Himmel wehend Wellen
trugen Blüten auf die Schwellen,
und aus bangem Traum wir sind erwacht.

Was der Liebe Aug uns anvertraut,
floß dahin ins Grenzenlose,
auch der Dorn der weichen Rose,
o er schmolz, vom Wort des Heils betaut.

Wird das leise Wort uns überschrillt
roh vom Wahngeschrei der Heiden,
pilgern wir zum Berg der Leiden,
wo es licht aus dunklen Tiefen quillt.

 

Aug 14 24

Das Gestaltenlose

Es kommt mir manchmal vor, als philosophierte ich bereits mit einem zahnlosen Mund und als schiene mir das Sprechen mit einem zahnlosen Mund als das eigentliche, wertvollere … Statt daß ich es als Verfall erkennte.
Ludwig Wittgenstein

 

Die Sonne sagt uns nicht mehr, ich bin oben.
Der Geist irrt durch die Sternenlabyrinthe.
Als wär geschmolzen ihre Marmorplinthe,
sind hoher Säulen Ordnungen verschoben.

Ein Rauschen überschwemmt, was wir gerufen.
Vom Wind gerupft fällt Blatt für Blatt der Rose,
ein matter Schein, heim ins Gestaltenlose.
Ein schwarzes Wasser schluchzt um letzte Stufen.

Wie Stapfen eines banges Tiers im Schnee,
die neuer Schnee wird über Nacht bedecken,
sind, Dichter, deine flüchtig-zarten Spuren.

Das Bild der Schwäne auf dem grünen See
verdunkelt Wildwuchs schon von Dornenhecken.
Ein Rinnsal murmelt durch Euterpes Fluren.

 

Aug 14 24

Robert Frost, A Minor Bird

I have wished a bird would fly away,
And not sing by my house all day;

Have clapped my hands at him from the door
When it seemed as if I could bear no more.

The fault must partly have been in me.
The bird was not to blame for his key.

And of course there must be something wrong
In wanting to silence any song.

 

Ein kleiner Vogel

Ich wünschte mir, der Vogel vor dem Hause
flög endlich weg und säng nicht ohne Pause.

Hab auf der Schwelle Hand auf Hand geschlagen,
mir war, ich könnt es länger nicht ertragen.

Ein Teil der Schuld ist wohl bei mir zu suchen,
wenn Vögel singen, sollte man nicht fluchen.

Ein Makel ist gewiß dem Wunsch zueigen,
daß ein Gesang doch endlich solle schweigen.

 

Aug 13 24

Alle Tage wie ein Tag

Was früh geblüht, versinkt im Schattenhag.
Die Sonne küßte Tau von weichen Wangen,
nun haben frischen sie vom Mond empfangen.
Und alle Tage waren wie ein Tag.

Was Himmels Hieroglyphenschrift vermacht,
von dunklen Mächten sternenhell geschrieben,
ist deinem Herzen rätselhaft geblieben.
Und alle Nächte waren eine Nacht.

Auch deine Verse drehen sich im Kreise
um eine Mitte, die sie scheu umrunden
wie eines Somnambulen vager Gang.

Du hast, wie Trauernde es lieben, leise
des Wortes Blüten in den Kranz gewunden.
Und alle Sänge waren ein Gesang.

 

Aug 13 24

Robert Frost, Blue-Butterfly Day

It is a blue-butterfly day here in spring,
And with these sky-flakes down in flurry on flurry
There is more unmixed color on the wing
Than flowers will show for days unless they hurry.

But these are flowers that fly and all but sing:
And now from having ridden out desire
They lie closed over in the wind and cling
Where wheels have freshly sliced the April mire.

 

Tag der blauen Schmetterlinge

Heut ist der Frühlingstag der blauen Schmetterlinge,
bei dieser Himmels-Flocken wirbelnd-losem Chor
liegt mehr an unvermischter Farbe auf der Schwinge
als Blumen lange zeigen, schießen sie nicht rasch empor.

Doch dies sind Blumen, die in Sängen beinah schweben:
Und haben ihre Wollust sie durchlitten,
so liegen ganz verschlossen sie im Wind und kleben
im April-Matsch, der von Rädern frisch zerschnitten.

 

Aug 12 24

Beim Lesen antiker Fluchtafeln

Auch du riefst, Bruder, nach den Hetzdämonen
der Unterwelt, die untreu ward zu binden,
daß ihr der Schmelz des Munds, die Sinne schwinden,
bei deinen Rosen keine Fremden wohnen.

Auch du hast, Schwester, Hekate gerufen,
sie solle tückisch ihm am Dreiweg lauern,
den du beschenkt, den Schönen, hast mit Schauern,
zu stoßen ihn hinab die dunklen Stufen.

Die eins im anderen verkrallten Seelen,
sie bluten, hat die Schneide sie zerschnitten,
die Nemesis gehämmert und gewetzt.

Gib, Dichter, denen Gott gewürgt die Kehlen,
den Atem, kundzutun, was sie gelitten,
mit Efeu hüll den Dolch, der sie zerfetzt.

 

Aug 11 24

Dunkle Hoffnung Kalifat

Geschwänzte Nymphen führen nun den Pinsel
und klecksen aufs Papier ihr Blutgekröse.
Aus roten Rosenknospen grinst die Möse,
an kalten Lippen glüht ein Lustgerinnsel.

Das Unwort tropft von erigierten Zungen,
das Chaos schäumt, ein metrenloses Zischen.
Wenn Fäulnislüfte Sinn und Form verwischen,
wie blähen sich die abgastrunknen Lungen.

„Wer wird den Pinsel ihnen barsch zerbrechen,
wer unzart die obszönen Zungen kürzen,
weißt, Dichter, du Verstörten einen Rat?“

„Sie sind schon da, das Ungemach zu rächen,
die Perversion ins Surenmeer zu stürzen.
O Heimat, dunkle Hoffnung Kalifat.“

 

Aug 10 24

Die Flucht der Muse

Gesang hat sie verlockt, hinabzusteigen
von ihres Vaters goldumwölbten Hallen,
Gesang war’s, süß, von Nachtigallen,
ins Dickicht dunkler Erde sich zu neigen.

Betört schloß ihre Augen Melpomene,
sie träumte noch, als kalter Mond sie weckte
und ihr den öden Asphalthof entdeckte,
im Staubgestrüpp erstarb die Kantilene.

Sie rief den Sängern: „Laßt uns, Schwestern, fliehen
zum heiligen Hain, den Wahn und Wut nicht finden,
wo über eure Nester Sterne ziehen.

Das Herz der Musen wird noch höher schlagen,
wollt in den Kranz des Lieds ihr lieblich winden
Adonis’ Seufzen, Philomelas Klagen.“

 

Aug 9 24

Der Besuch der Charis

Strophe: Sapphicus minor

‚Daß den Fuß wir bleiern nicht schleppen, müde
bald schon wieder lehnen an stummen Mauern,
laden Charis ein wir, zur Musenfeier
uns zu geleiten.

Ist sie jung auch, flattern die goldnen Locken,
ihre Brüste hüpfen wie Meeresbojen,
übersieht sie gütig doch, wie so kahl uns
glänzen die Schläfen.

Wie an Fäden Marionetten zappelnd
zucken auf wir, treffen sich unsre Blicke.
Weht uns aber an ihres Wortes Duft, schon
sinken wir nieder.

Und die Tür, gesprengt wie vom Faustschlag Amors,
tut sich auf, zum Schöneren geht die Schöne.
Kniend auf den Fliesen der Nacht, wie starren
wir in die Leere.

 

Aug 8 24

Namen, Dornen, Lilien

Die Namen, die wie Strudel sind in Fluten,
Jerusalem, Messias, Schädelstätte,
kein Engel kommt herab, daß er sie glätte,
die Namen, die wie Dornenkronen bluten.

Die Namen, die wie weiße Lilien scheinen,
Maria, Benedicta, Stern der Meere,
sie nehmen uns mit süßem Duft die Schwere,
sie machen Brunnen in der Wüste weinen.

Streif, Dichter, durch den Garten, der verwildert.
Hat auch der Dorn die Schläfe dir geritzt,
dem Zwitschern lausch, das deine Schmerzen mildert.

Geh einsam durch das Schilf der dunklen Zeiten.
Sieh, wie es auf den Wassern schäumt und blitzt,
laß deiner Verse Blatt auf ihnen gleiten.

 

Aug 7 24

Tiefer sinkend

Wo aus dem Abgrund lichter Schaum entquillt,
bist eine Muschel du, die wunders leuchtet,
an einem Felsen klebend, traumumfeuchtet,
ein dunkler Mund, von hellem Schmelz umhüllt.

Die Nacht hat dich geformt aus Trunkenheit,
den Perlmuttglanz umwindend in Spiralen,
daß du ihr tönest Meeres blaue Qualen,
dein Herz, ersterbend, pulse Ewigkeit.

Und hat der Sturm dich jäh vom Riff gespült,
sinkst du im Schlaf zu wogenden Korallen,
und tiefer zu der Kore Marmorschein,

die ihre Brüste in den Sand gewühlt,
als sie vom Bug der Argo einst gefallen –
bleib haften still an ihrem weißen Bein.

 

Aug 7 24

Dana Gioia, Psalm Of The Heights

I.

You don’t fall in love with Los Angeles
Until you’ve seen it from a distance after dark.
Up in the heights of the Hollywood Hills
You can mute the sounds and find perspective.
The pulsing anger of the traffic dissipates,
And our swank unmanageable metropolis
Dissolves with all its signage and its sewage—
Until only the radiance remains.
That’s when the City of Angels appears,
Silent and weightless as a dancer’s dream.
The boulevards unfold in brilliant lines.
The freeways flow like shining rivers.
The moving lights stretch into vast
And secret shapes, invisible at street level.
At the horizon, the city rises into sky,
Our demi-galaxy brighter than the zodiac.

 

II.

Surely our destinies are written in this zodiac,
Whose courses and conjunctions govern us.
Look down and name our starry constellations—
Wilshire, Olympic, Santa Monica.
In speeding Comets or sleek Thunderbirds,
We traveled the twelve Houses of the Heavens
Ascending Crenshaw, Sunset, or Imperial,
Locked in our private worlds of lust or laughter.
Who will cast the charts of our radiant sorrow,
Or trace the secret transits of our joy?
The traffic shimmers in its fixed trajectories,
Dense and indifferent as nebulae.
Though you resist the gaudy spectacle,
You can’t escape the city’s sortilege.

 

III.

Move away, if you wish, to the white Sierras,
Or huddle in the smoky canyons of Manhattan.
You’ll miss the juvenescent rapture of LA
Where ecstasy cohabits with despair,
Lascivious and fitful as a pair of lovers.
Let someone else play grown-up.
Here the soul sings like a car radio, and no one
Asks your age because we’re all immortal.
Inhale the spices of the midnight air
Drifting from Thai Town and Little Armenia.
Here on the hilltop, the city whispers to you,
“Come down and play in the traffic.
Merge into the moving lights, our myriad,
The luminous multitudes that surround you.
Join their fiery orbit. Shine with us tonight.
Where else can you become a star?”

 

Psalm von den Höhen

I.

Du verliebst dich nicht in Los Angeles,
bis du es von fern in der Nacht gesehen.
Dort auf den Höhen der Hollywood Hills
kannst du das Rauschen dämpfen und Ausblicke finden.
Die pochende Wut des Verkehrs läßt nach,
und unsere protzig-unbeherrschbare Metropole
zerfließt mit all ihrer Schminke, all ihrem Schmutz –
einzig der Strahlenkranz bleibt.
Das ist der Augenblick, da die Stadt der Engel erscheint,
still und schwerelos wie der Traum eines Tänzers.
Die Boulevards entfalten ihre glänzenden Zeilen.
Die Autobahnen fließen wie leuchtende Flüsse.
Die flackernden Lichter dehnen sich zu riesigen
und geheimnisvollen Figuren, unsichtbar von unten.
Am Horizont reckt sich die Stadt in den Himmel,
unsre irdische Milchstraße, heller als der Tierkreis.

 

II.

Gewiß, unsere Schicksale sind in diesem Tierkreis eingeschrieben,
seine Drehungen und Konjunktionen beherrschen uns ganz.
Blick hinab und zähl sie auf, unsre Sternkonstellationen –
Wilshire, Olympic, Santa Monica.
Mit rasenden Kometen und wendigen Donnervögeln
reisten wir durch die zwölf Häuser der Himmel,
den Aszendenten Crenshaw, Sunset oder Imperial,
eingeschlossen in unsere eignen Welten von Lust oder Gelächter.
Wer will die Karten unseres strahlenden Kummers entwerfen,
wer die heimlichen Übergänge unserer Freude verzeichnen?
Der Verkehr schimmert in seinen festen Bahnen,
dicht und gleichgültig wie Nebelflecke.
Auch wenn du dem grellen Schauspiel widerstehst,
dem Zauberbann der Stadt kannst du nicht entrinnen.

 

III.

Geh nur, wenn du magst, zu den weißen Sierras,
oder dräng dich in die qualmenden Canyons von Manhattan.
Du wirst den jugendlichen Taumel von LA vermissen,
wo die Ekstase mit der Verzweiflung zusammenwohnt,
lasziv und launenhaft wie ein Liebespaar.
Laß einen anderen den Erwachsenen mimen.
Hier tönt die Seele wie ein Autoradio, und kein Mensch
fragt, wie alt du bist, denn hier sind wir alle unsterblich.
Atme sie ein, die Gewürze der Mitternacht,
die herüberwehen von Thai Town und Little Armenia.
Hier auf dem Hügel flüstert die Stadt dir zu:
„Komm herab und spiel im Straßenverkehr.
Tauch ein in die flackernden Lichter, unsere Unzahl,
die leuchtenden Mengen, die dich umfangen.
Dreh dich mit ihrem glühenden Orbit. Strahle mit uns heut Nacht.
Wo sonst könntest du werden zum Stern?“

 

Rezitation durch den Autor:
https://www.youtube.com/watch?v=-xPiy6ozeSE

 



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