Dana Gioia, The End
Last night I dreamed the end had come.
Silent, impotent, invisible as air,
I stood by in a hundred places:
a stranger’s house, a city street, an office and a garden–
and like a sleeper shaken from a dream
I witnessed what I could not understand.
A woman washing dishes at a sink
looked out her window calmly as she heard
something unexpected in the air.
Men on the sidewalk, drivers in the street
observed the weather in a cloudless sky
and kept going.
In an office clerks and secretaries glanced up
at the clock without remembering the time.
I saw the same cold profile everywhere at once–
a pale face looking up against the light,
then bending down again indifferently,
only this dull reflex of acceptance,
then nothing else, nothing ever again.
Das Ende
Letzte Nacht träumte ich, das Ende sei gekommen.
stumm, ohnmächtig, unsichtbar wie die Luft
hielt ich mich an hundert Orten bereit:
eines Fremden Haus, die Straße einer Stadt, ein Büro, ein Garten –
und wie ein Schläfer, aus dem Traum gerissen,
war ich Zeuge dessen, was ich nicht verstand.
Eine Frau, die Geschirr abwusch in der Spüle,
schaute ruhig aus dem Fenster, als sie etwas
Unerwartetes in der Luft vernahm.
Leute auf dem Bürgersteig, Fahrer auf der Straße
hielten Ausschau nach dem Wetter im wolkenlosen Himmel
und setzten ihren Weg dann fort.
In einem Büro blickten Angestellte und Chefs auf
zur Uhr, ohne an die Zeit zu denken.
Ich sah dasselbe kalte Profil sogleich an jedem Ort –
ein blasses Gesicht, das zum Licht aufschaute,
dann sich wieder gleichgültig abwärts beugte,
nur diesen dumpfen Reflex der Hinnahme,
sonst weiter nichts, etwas anderes nie.
Woher das schmerzliche Sehnen
Seele, sie ist wie von Öl eine Schliere,
schimmernd blind in der Pfütze der Nacht,
brüderlich wird vom Mond sie bewacht.
Daß sie sich nicht im Glutdunst verliere.
In den Hain von Kolonos gefallen,
Seele, sie ward vom Sturmwind zerpflückt.
Ödipus sei zu den Sternen entrückt,
tönen des Sophokles Nachtigallen.
Seele, woher dir das schmerzliche Sehnen,
ist es das Schwanken der Blüten im See,
ist es das Gurren der Tauben im Schnee,
daß du willst in das Dunkel dich lehnen?
Meine Seele, sie ist wie das Beben
dünner Halme im herbstlichen Wind,
doch sie fühlt, daß noch Schwestern ihr sind,
Rosen, die sie mit Tauglanz beleben.
Dana Gioia, Equations of the Light
Turning the corner, we discovered it
just as the old wrought-iron lamps went on—
a quiet, tree-lined street, only one block long
resting between the noisy avenues.
The streetlamps splashed the shadows of the leaves
across the whitewashed brick, and each tall window
glowing through the ivy-decked facade
promised lives as perfect as the light.
Walking beneath the trees, we counted all
the high black doors of houses bolted shut.
And yet we could have opened any door,
entered any room the evening offered.
Or were we deluded by the strange
equations of the light, the vagrant wind
searching the trees, that we believed this brie
conjunction of our separate lives was real?
It seemed that moment lingered like a ghost,
a flicker in the air, smaller than a moth,
a curl of smoke flaring from a match,
haunting a world it could not touch or hear.
There should have been a greeting or a sign,
the smile of a stranger, something beyond
the soft refusals of the summer air
and children trading secrets on the steps.
Traffic bellowed from the avenue.
Our shadows moved across the street’s long wall,
and at the end what else could I have done
but turn the corner back into my life?
Gleichungen des Lichts
Kaum bogen wir um die Ecke, entdeckten wir sie,
gerade gingen die schmiedeeisernen Lampen an –
eine stille, baumbestandene Straße, nur einen Häuserblock lang,
ruhig zwischen dem Lärm der Chausseen.
Die Lampen sprühten die Schatten der Blätter
über die weißgetünchten Ziegel, und jedes schmale Fenster,
das aus der efeubedachten Fassade glomm,
war die Verheißung eines Lebens, vollkommen wie das Licht.
Unter den Bäumen wandelnd, zählten wir all
die hohen dunklen Haustüren, die verschlossen waren.
Und doch hätten wir jede Tür öffnen können,
jeden Raum betreten, den uns der Abend gewährte.
Oder wurden wir getäuscht von den seltsamen
Gleichungen des Lichts, dem irrenden Wind
in den Bäumen, daß wir glaubten, unsre getrennten Leben
wären wie Käsefondue ineinander geschmolzen?
Es schien, dieser Augenblick weilte wie ein Geist,
ein Flimmern in der Luft, kleiner als eine Motte,
ein Rauchkringel, der von einem Zündholz wölkte,
eine Welt heimsuchend, die er nicht berühren, nicht hören konnte.
Ein Grüßen hätte dort geschehen sollen, ein Zeichen,
das Lächeln eines Fremden, etwas jenseits
der sanften Ablehnungen der Sommerluft,
Kinder, die ihre Geheimnisse auf den Treppenstufen tauschten.
Der Verkehr toste von der Chaussee.
Die Schatten glitten über die lange Mauer der Straße.
Was hätte ich am Ende anderes tun können,
als die Ecke in mein Leben zurückzubiegen?
Laß fahren dahin
Die Tage, die Wolken, die Jahre,
Meergischt wie wirbelnder Schnee,
der Geysir im dunkelnden Maare,
rufen: Laß fahren dahin, Mensch, und geh.
Das Untere kehrt sich nach oben,
Inschrift überwuchert von Moos.
Die Gräber sind ausgehoben,
kahl die Erde, unfruchtbarer Schoß.
Die Jahre, die Meere, Äonen,
Wellen, sie nagen am Land.
Auch die in Elysium wohnen,
sind in den Orkus verbannt.
Dana Gioia, Summer Storm
We stood on the rented patio
While the party went on inside.
You knew the groom from college.
I was a friend of the bride.
We hugged the brownstone wall behind us
To keep our dress clothes dry
And watched the sudden summer storm
Floodlit against the sky.
The rain was like a waterfall
Of brilliant beaded light,
Cool and silent as the stars
The storm hid from the night.
To my surprise, you took my arm–
A gesture you didn’t explain–
And we spoke in whispers, as if we two
Might imitate the rain.
Then suddenly the storm receded
As swiftly as it came.
The doors behind us opened up.
The hostess called your name.
I watched you merge into the group,
Aloof and yet polite.
We didn’t speak another word
Except to say goodnight.
Why does that evening’s memory
Return with this night’s storm–
A party twenty years ago,
Its disappointments warm?
There are so many might have beens,
What ifs that won’t stay buried,
Other cities, other jobs,
Strangers we might have married.
And memory insists on pining
For places it never went,
As if life would be happier
Just by being different.
Sommersturm
Wir standen im Hof der gemieteten Villa,
drinnen ging’s hoch her noch und laut.
Du kanntest den Bräutigam vom College,
ich war ein Freund der Braut.
Wir drückten uns gegen die Sandsteinmauer,
um unseren feinen Dress trocken zu halten,
und blickten auf den jähen Sommersturm,
lichte Fluten, die über uns wallten.
Ein Wasserfall war dieser Regen,
von Perlen durchfunkelte Pracht,
kalt und stumm wie die Sterne
verbarg sich der Sturm vor der Nacht.
Ich staunte, wie du mich am Arm hast gefaßt –
eine Geste, unklar weswegen –
und wir begannen zu flüstern, wir zwei,
als täten wir nach es dem Regen.
Dann flauten die Fluten jäh ab,
rasch, ganz so wie sie kamen.
Die Türen gingen hinter uns auf.
Die Gastgeberin rief dich beim Namen.
Ich sah, wie du ein in die Gruppe getaucht,
höflich, auf Abstand bedacht.
Wir sagten einander kein anderes Wort
nur das eine: gut Nacht.
Warum kehrt die Erinnerung an diesen Abend
zurück mit dieser Windsbraut im Arm –
eine Feier, zwanzig Jahre vorüber,
doch von Enttäuschung noch warm?
Es gibt so viel an Hätt-können-sein,
Was-wär-gewesen, das aus Gräbern erscheint.
An andern Orten, mit andern Berufen,
einander fremd, hätte vielleicht uns die Ehe vereint.
Erinnerung läßt das Schmachten nicht
nach Orten, wohin sie nie gekommen,
als wäre das Leben glücklicher,
wenn es den anderen Pfad genommen.
Rezitation durch den Autor:
https://www.youtube.com/watch?v=RqyOoQChuYI
Das Buchenblatt
Ein neuer Divan wird nicht mehr geschrieben,
auf Goethes sank ein gelbes Buchenblatt.
Und keine Liebe streicht die Falten glatt,
die auf der Stirn des Wissenden geblieben.
Die uns den Schmerz gedämpft mit Wohlgerüchen,
des Mundes Blume starb mit Hölderlin.
Der Duft des Lotus im Pariser Spleen
ging unter im Gestank der Armenküchen.
Die zitternd sich umranken, zarte Schatten,
wie Schleier wehend unter alten Weiden,
da es uns bannt, des Kuckucks fernes Rufen:
Chimären, die umsonst einander gatten,
gekreuzter Verse Kuß vertieft das Leiden.
O kehr das Blatt stumm von den hohen Stufen.
Dana Gioia, The Song
After Rilke
How shall I hold my soul that it
does not touch yours? How shall I lift
it over you to other things?
If it would only sink below
into the dark like some lost thing
or slumber in some quiet place
which did not echo your soft heart’s beat.
But all that ever touched us–you and me–
touched us together
like a bow
that from two strings could draw one voice.
On what instrument were we strung?
And to what player did we sing
our interrupted song?
Das Lied
Nach Rilke
Wie soll ich meine Seele halten,
daß sie deine nicht berührt? Wie sie heben
über dich hin zu anderen Dingen?
Würde sie doch nur versinken
ins Dunkel ganz wie ein verloren Ding
oder schlummern an einem ruhigen Ort,
wo deines sanften Herzens Schlag kein Echo hat.
Doch alles, was uns je berührte, dich und mich,
berührte uns
wie ein Bogen,
der aus zwei Saiten eine Stimme ziehen konnte.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welchem Spieler ließen wir ertönen
unser abgebrochenes Lied?
Rainer Maria Rilke, Liebes-Lied
Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiter schwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
Mehrheit ist Wahn
Gedenk, wie sie Pilatus zugerufen,
aus wilden Kehlen voller Hohn und Haß:
„Gib uns den Mörder frei, den Barrabas!“
Und Er stand fremd auf des Palastes Stufen.
Gedenk der Heiligen, der Karmeliten,
die unters Fallbeil schleppte gnadenlos,
gekrochen aus der Freiheit feilem Schoß,
Verrat an Gott und Maß und Vätersitten.
Es wandelt wüstenwärts des Wahren Schatten,
ein Pilger, den man stieß aus Babels Bau.
Daß er nicht einsam muß vor Durst ermatten,
geh, Dichter, ihm mit deinem Krug entgegen,
gefüllt mit süßer Verse klarem Tau.
Der Bruderkuß gereiche euch zum Segen.
Dana Gioia, The End oft the World
“We’re going,” they said, “to the end of the world.”
So they stopped the car where the river curled,
And we scrambled down beneath the bridge
On the gravel track of a narrow ridge.
We tramped for miles on a wooded walk
Where dog-hobble grew on its twisted stalk.
Then we stopped to rest on the pine-needle floor
While two ospreys watched from an oak by the shore.
We came to a bend, where the river grew wide
And green mountains rose on the opposite side.
My guides moved back. I stood alone,
As the current streaked over smooth flat stone.
Shelf by stone shelf the river fell.
The white water goosetailed with eddying swell.
Faster and louder the current dropped
Till it reached a cliff, and the trail stopped.
I stood at the edge where the mist ascended,
My journey done where the world ended.
I looked downstream. There was nothing but sky,
The sound of the water, and the water’s reply.
Das Ende der Welt
„Wir gehen“, sagten sie, „bis ans Ende der Welt.“
Sie parkten, wo sich kräuselnd der Strom gewellt.
Wir kletterten unter der Brücke entlang
bis zum Kiesweg auf einem steilen Hang.
Wir liefen Meilen auf Waldwegen ohne Ziel,
wo Traubenkraut wuchs auf verdrehtem Stiel.
Dann ruhten aus wir auf nadelbedecktem Sand,
zwei Fischadler äugten vom Eichbaum nahe beim Strand.
Wir kamen zu einer Biegung, der Fluß wurde breit,
die Berge gegenüber zeigten ihr grünliches Kleid.
Meine Begleiter zogen von dannen, nun war ich allein,
der Strom floß über glattes, flaches Gestein.
Die Strömung glitt hin zwischen schroffen Hügeln.
Weiß wogte Schaum wie unterm Flattern von Gänseflügeln.
Schneller und lauter ist der Flußlauf gesaust,
dann traf er auf ein Kliff, und hatte ausgebraust.
Ich stand am Rand, wo Nebel aufwärts klommen.
Bis zum Ende der Welt war ich nun gekommen.
Stromabwärts ging mein Blick. Nur Himmel überall,
der Klang des Wassers und des Wassers Widerhall.
Ohne Schuß gefallen
Man muß nicht warten auf die Nacht der Moose,
die Falten flecken, Flügel, Marmorschalen,
nicht, wenn verwelkt an gotischen Portalen,
die uns getaucht in Edens Licht, die Rose.
Nicht erst, wenn des Muezzins Schreie schallen,
Halbmonde statt der Kreuze herrisch prangen,
des Bacchus Sänger vor der Fatwa bangen,
ist ohne Schuß das Abendland gefallen.
Schon jetzt weht vor der hohen Andacht Schwelle,
gewebter Wahn der Hure Babylon,
die Fahne der Entarteten, die grelle.
Schon jetzt steigt nicht der Hymnen Duft und Wolke
empor zum dunklen Wort, zum lichten Thron –
ein Mannweib quäkt dem auserwählten Volke.
Dana Gioia, Sea Pebbles: An Elegy
My love, how time makes hardness shine.
They come in every color, pure or mixed
gray-green of basalt, blood-soaked jasper, quartz,
granite and feldspar, even bits of glass,
smoothed by the patient jeweller of the tides.
Volcano-born, earthquake-quarried,
shaven by glaciers, wind-carved, heat-cracked,
stratified, speckled, bright in the wet surf—
no two alike, all torn from the dry land
tossed up in millions on this empty shore.
How small death seems among the rocks. It drifts
light as a splintered bone the tide uncovers.
It glints among the shattered oyster shells,
gutted by gulls, bleached by salt and sun—
the broken crockery of living things.
Cormorants glide across the quiet bay.
A falcon watches from the ridge, indifferent
to the burdens I have carried here.
No point in walking farther, so I sit,
hollow as driftwood, dead as any stone.
Meeresgeröll: eine Elegie
Meine Liebe, wie Zeit läßt harte Dinge strahlen,
sie zeigen alle Farben, rein und vermischt,
Graugrün vpn Basalt, blutgetränkter Jaspis, Quarz,
Granit und Feldspat, selbst Splitter von Glas,
poliert vom geduldigen Juwelier der Gezeiten.
Vulkanische Schlacken, Erdbebenbrocken,
von Gletschern geglättet, vom Wind geschnitten, vor Hitze geplatzt,
geschichtet, gesprenkelt, hell im Brandungsschaum –
keins gleicht dem andern, alle der trocknen Erde entrissen,
geschleudert millionenfach an diese leere Küste.
Wie klein der Tod scheint unter Felsen. Er weht
Licht wie einen gesplitterten Knochen, den die Flut entblößt.
Er schimmert zwischen zertrümmerten Austernschalen,
ausgeweidet von Möwen, gebleicht vom Salz und der Sonne –
das zerschlagene Geschirr lebendiger Wesen.
Kormorane gleiten über die ruhige Bucht.
Ein Falcke späht vom Felsen, gleichgültig
gegen die Lasten, die ich hierhin getragen.
Sinnlos, weiterzuwandern, also setze ich mich,
dumpf wie Treibholz, tot wie irgendein Stein.
Sigismund
Ein Nachhall aus des Calderon de la Barca „Das Leben ein Traum“
Ist, wie die Pessimisten finster künden,
der Mensch ein Ungeheuer, wild im Grund,
muß in den Turm man ihn wie Sigismund
einsperren, seine Mörderhände binden.
Erziehung hieß, Dämonen auszutreiben,
und wie es Hobbes gewollt, den Eisenzwirn
des Staats eng winden ums Rebellenhirn,
den heißen Trieb mit keuschem Schnee einreiben.
Dann aber siehst du, Dichter, Blüten pflücken
die holden Mädchen der Koralleninseln
und singend sie dem Lächeln Buddhas weihen.
Du siehst die alte Frau sich ächzend bücken,
den Hund zu streicheln, es dauert sie sein Winseln –
siehst Sigismund dem Vater noch verzeihen.
Dana Gioia, Words
The world does not need words. It articulates itself
in sunlight, leaves, and shadows. The stones on the path
are no less real for lying uncatalogued and uncounted.
The fluent leaves speak only the dialect of pure being.
The kiss is still fully itself though no words were spoken.
And one word transforms it into something less or other—
illicit, chaste, perfunctory, conjugal, covert.
Even calling it a kiss betrays the fluster of hands
glancing the skin or gripping a shoulder, the slow
arching of neck or knee, the silent touching of tongues.
Yet the stones remain less real to those who cannot
name them, or read the mute syllables graven in silica.
To see a red stone is less than seeing it as jasper—
metamorphic quartz, cousin to the flint the Kiowa
carved as arrowheads. To name is to know and remember.
The sunlight needs no praise piercing the rainclouds,
painting the rocks and leaves with light, then dissolving
each lucent droplet back into the clouds that engendered it.
The daylight needs no praise, and so we praise it always—
greater than ourselves and all the airy words we summon.
Worte
Die Welt bedarf der Worte nicht. Sie spricht sich aus
im Sonnenlicht, in Blätten und in Schatten. Die Steine auf dem Pfad
sind weniger wirklich nicht, wenn keiner sie benannt, gezählt.
Das fließende Laub spricht nur den Dialekt des reinen Seins.
Der Kuß ist ganz er selbst, wird auch kein Wort gesprochen.
Das Wort verwandelt ihn in etwas, das geringer oder anders ist –
unerlaubt, keusch, flüchtig, ehelich, verstohlen.
Schon ihn Kuß zu nennen, verrät das Zittern unsrer Hände,
Blick auf die Haut, Griff um die Schulter, die langsame
Biegung des Nackens oder Knies, die stumme Berührung der Zungen.
Doch sind die Steine für jene weniger wirklich, die sie nicht benennen,
die im Kiesel eingravierten stummen Silben nicht lesen können.
Einen roten Stein zu sehen ist weniger als ihn als Jaspis zu sehen –
wandlungsreicher Quarz, Vetter des Flintsteins, den die Kiowa
zu Pfeilspitzen formen. Benennen heißt wissen und sich erinnern.
Das Sonnenlicht bedarf des Rühmens nicht, wenn es durch Regenwolken bricht,
die Felsen und die Blätter zum Leuchten bringt, den glänzenden
Tropfen wieder auflöst in die Wolken, die ihn erzeugten.
Das Tageslicht bedarf des Rühmens nicjht, so rühmen wir es stets –
größer ist es als wir selbst und aller Worte beschworener Hauch.
Der ermattete Flügel
Flügel, durchs goldene Laubwerk geschwirrt,
Flügel der Liebe, Flügel des Lieds.
In welchen Wüsten ermattet,
im Sandsturm des Dämons,
im Flirren des Wahns.
Lied, gesungen im Garten des Glücks,
Lied des Vaganten, Lied eines Kinds.
In welche Schreie zerrissen,
vom Glutdolch der Sonne,
vom Eisdorn des Monds.
Psalm, von flammenden Blüten umrankt,
Psalm für den König, Psalm seines Knechts.
In welche Flocken zerstoben,
vom Lallen des Chaos,
vom Ächzen der Angst.
Dana Gioia, Homage to Soren Kierkegaard
Work out your own salvation
with fear and trembling.
—St. Paul
I was already an old man when I was born.
Small with a curved back, he dragged his leg when walking
the streets of Copenhagen. “Little Kierkegaard,”
they called him. Some meant it kindly. The more one suffers
the more one acquires a sense of the comic.
His hair rose in waves six inches above his head.
Save me, O God, from ever becoming sure.
What good is faith if it is not irrational?
Christianity requires a conviction of sin.
As a boy tending sheep on the frozen heath,
his starving father cursed God for his cruelty.
His fortunes changed. He grew rich and married well.
His father knew these blessings were God’s punishment.
All would be stripped away. His beautiful wife died,
then five of his children. Crippled Soren survived.
The self-consuming sickness unto death is despair.
What the age needs is not a genius but a martyr.
Soren fell in love, proposed, then broke the engagement.
No one, he thought, could bear his presence daily.
My sorrow is my castle. His books were read
but ridiculed. Cartoons mocked his deformities.
His private journals fill seven thousand pages.
You could read them all, he claimed, and still not know him.
He who explains this riddle explains my life.
When everyone is Christian, Christianity
does not exist. The crowd is untruth. Remember
we stand alone before God in fear and trembling.
At forty-two he collapsed on his daily walk.
Dying he seemed radiant. His skin had become
almost transparent. He refused communion
from the established church. His grave has no headstone.
Now with God’s help I shall at last become myself.
Hommage auf Søren Kierkegaard
Vollendet das Werk eurer Rettung
in Furcht und Zittern. Paulus, Phil 2, 12
Ich war schon ein alter Mann, als ich geboren wurde.
Klein, mit einem krummen Rücken, zog er ein Bein nach, wenn er
durch die Straßen Kopenhagens ging. „Klein Kierkegaard“,
so nannten sie ihn. Einige meinten es freundlich. Je mehr man leidet,
umso mehr erwirbt man einen Sinn für das Komische.
Sein Haar stieg in Wellen sechs Zolle über seinem Kopf.
Rette mich, Gott, davor, mich jemals sicher zu wähnen.
Was für ein Gut ist der Glaube, der nicht unvernünftig ist?
Das Christentum erfordert die Gewißheit von der Sünde.
Als er als Knabe auf der gefrorenen Heide Schafe hütete,
verfluchte sein hungernder Vater Gott wegen seiner Grausamkeit.
Fortuna drehte ihr Rad, Er wurde reich, heiratete ein Vermögen.
Der Vater wußte, dieser Segen ist Gottes Strafgericht.
Alles sollte ihm entrissen werden. Seine schöne Frau starb,
dann fünf seiner Kinder. Der Krüppel Søren überlebte.
Die sich selbst verzehrende Krankheit zum Tode ist Verzweiflung.
Was das Jahrhundert braucht, ist kein Genie, sondern ein Märtyrer.
Søren verliebte sich, ging eine Verlobung ein und löste sie wieder.
Niemand, glaubte er, könnte seine Nähe Tag für Tag ertragen.
Mein Schmerz ist meine Burg. Man las seine Bücher,
doch machte sich über sie lustig. Karikaturen verhöhnten seine Mißgestalt.
Seine Tagebücher füllen siebentausend Seiten.
Man kann sie alle lesen, behauptete er, ohne um einen Deut ihm nahe zu kommen.
Wer dies Rätsel versteht, versteht mein Leben.
Wenn alle Christen geworden sind, ist das Christentum tot.
Die Mehrheit ist die Unwahrheit. Gedenke daran,
wir stehen einsam vor Gott in Furcht und Zittern.
Mit zweiundvierzig brach er auf seinem täglichen Weg zusammen.
Als er starb, schien er zu leuchten. Seine Haut war fast
durchsichtig geworden. Die Kommunion aus der Hand
der Staatskirche wies er zurück. Sein Grab hat keinen Grabstein.
Nun werde ich mit Gottes Hilfe endlich sein, der ich bin.
Ich spreche mit mir selbst
Ach, schweig, ich mag nur mit mir selbst noch reden,
es duften in mir nach die schönen Namen,
Phlox, Margeriten, Veilchen und Reseden,
wölkt mir am Ende auch nur Distelsamen.
Du sprichst mit mir, schon schweig ich mit den Toten,
preist Rosen du, kann ich nur töricht lallen:
o weißer Blüten Schnee, o Blut der roten,
ach, schweig und lasse mich mit ihnen fallen.
Red ich mit dir, muß ich mein selbst vergessen,
das Wort, wie fremd es schmeckt im eignen Munde,
ein kleiner Scherz, schon bläht er sich vermessen,
ein zarter Wink, schon öffnet sich die Wunde.
Ich spreche mit mir selbst und muß ich stocken,
gibt mir das Stichwort Sehnsucht, die Souffleuse.
Wird mir vom Sonnenstaub die Kehle trocken,
reicht Nacht den Trank, daß sich die Zunge löse.
Dana Gioia, Cuckoos
I heard them only once. Climbing in the mountains,
I stopped a moment to rest upon a ledge
and listen to the river distantly below–
when suddenly they began to call each other
back and forth from trees across the valley,
invisible in pinetops but bright and clear
like the ring of crystal against crystal.
I didn’t move but lay there wondering
what they were like, amazed that folklore
had made their cry the omen of betrayal.
So now, reading how the Chinese took their call
to mean Pu ju kuei, pu ju kuei–
come home again you must come home again–
I understand at last what they were telling me
not then, back in the high, green valley,
but here this evening in the memory of it
returned by these birds that I have never seen.
Kuckucksrufe
Nur einmal hab ich sie gehört. Beim Klettern im Gebirge,
da ich auf einem Felsvorsprung geruht,
dem Fluß zu lauschen, in der Tiefe fern –
da fingen sie plötzlich an, einander zu rufen,
hin und zurück aus Bäumen längs des Tals,
versteckt in Kiefernwipfeln, doch hell und klar,
wie kristalliner Ring tönt an Kristall.
Ich hab mich nicht gerührt, lag da, verwundert,
wie sie, was sie waren, ungläubig, daß die Sage
in ihrem Schrei ein Omen des Verrats erkannt.
Da ich nun lese, wie Chinesen deuten ihren Ruf,
sie übersetzen: Pu ju kuei, pu ju kuei –
komm wieder heim, nach Hause sollst du kommen –
versteh ich endlich, was sie mir sagen wollten,
nicht damals, fern im hohen, grünen Tal,
nein hier, an diesem Abend, wenn die Erinnerung
mir Vögel wiederbringen, die ich niemals sah.
Abgesang auf den Zeitgeist
Ich habe allen Moden abgeschworen,
mein armer Vers entbehrt des Hemds, des Schuhs,
ins Wasser tunkt er nackt den zarten Fuß,
als habe Melusine ihn geboren.
Ich will nicht geckenhaft den Zeitgeist preisen,
am Narrenkleide nicht mit Glöckchen schrill
feig übertönen, was die Seele will.
Ach, möchte sie doch in die Heimat reisen.
Ja, zu den Gräbern, zu bemoosten Malen,
da zieht mein Vers, ein schlichter Pilgrim, hin,
und aus des Angedenkens schwachen Strahlen
webt ihm des Dichters schwermutsüßer Sinn
ein Kleid – o seine Falten sind wie Wellen,
die dunkler schluchzen an den Marmorschwellen.
“Poetry must lead somewhere,” declared Breton.
He carried a rose inside his coat each day
to give a beautiful stranger—“Better to die of love
than love without regret.” And those who loved him
soon learned regret. “The simplest surreal act
is running through the street with a revolver
firing at random.” Old and famous, he seemed démodé
There is always a skeleton on the buffet.
Wounded Apollinaire wore a small steel plate
inserted in his skull. “I so loved art,” he smiled,
“I joined the artillery.” His friends were asked to wait
while his widow laid a crucifix across his chest.
Picasso hated death. The funeral left him so distressed
he painted a self-portrait. “It’s always other people,”
remarked Duchamp, “who do the dying.”
I came. I sat down. I went away.
Dali dreamed of Hitler as a white-skinned girl—
impossibly pale, luminous and lifeless as the moon.
Wealthy Roussel taught his poodle to smoke a pipe.
“When I write, I am surrounded by radiance.
My glory is like a great bomb waiting to explode.”
When his valet refused to slash his wrists,
the bankrupt writer took an overdose of pills.
There is always a skeleton on the buffet.
Breton considered suicide the truest art,
though life seemed hardly worth the trouble to discard.
The German colonels strolled the Île de la Cité—
some to the Louvre, some to the Place Pigalle.
“The loneliness of poets has been erased,” cried Éluard,
in praise of Stalin. “Burn all the books,” said dying Hugo Ball.
There is always a skeleton on the buffet.
I came. I sat down. I went away.
Elegie mit surrealistischen Sprichwörtern als Refrain
„Poesie, sie geht voran!“, verkündete Breton.
Flocht sich eine Rose in den Mantel Tag für Tag.
um einen schönen Fremden zu markieren. „Besser Liebestod
als Liebe ohne Reue.“ Und die ihn liebten,
mußten’s bald bereuen. „Die einfachste surrealistische Tat:
mit einem Revolver durch die Straßen laufen
und blindlings feuern.“ Alt und berühmt, schien er geschmolzener Schnee.
Da liegt stets ein Skelett auf dem Buffet.
Apollinaire mit der Wunde trug eine dünne Scheibe aus Stahl,
die man in seinen Schädel gepflanzt „Ich liebte so die Kunst“, sprach er lächelnd,
„ich meldete mich bei der Artillerie.“ Seine Freunde mußten warten,
während seine Witwe ihm ein Kreuz um die Brust noch band.
Picasso haßte den Tod. Das Begräbnis machte ihn ganz fertig,
da malte er ein Selbstportrait. „Es trifft immer die andern“,
bemerkte Duchamp, „die dran glauben müssen.“
Ich kam, ich saß herum, ich ging.
Dali träumte von Hitler als einer weißhäutigen Maid,
unfaßbar fahl, leuchtend und leblos wie der Mond.
Roussel, der reiche, brachte seinem Pudel bei, Pfeife zu rauchen.
„Wenn ich schreibe, umgibt mich ein Strahlenkranz.
Mein Ruhm ist wie eine Riesenbombe, kurz vor der Explosion.“
Als sein Diener sich weigerte, ihm die Adern aufzuschlitzen,
nahm der bankrotte Autor eine Überdosis Tabletten.
Da liegt stets ein Skelett auf dem Buffet.
Für Breton war der Selbstmord die höchste Kunst,
schien auch das Leben kaum der Mühe wert, es wegzuwerfen.
Die deutschen Offiziere flanierten über die Île de la Cité –
einige zum Louvre, andere zur Place Pigalle.
„Des Dichters Einsamkeit ist überwunden“, schrie Eluard
im Preisgesang auf Stalin. „Verbrennt alle Bücher!“, sprach sterbend Hugo Ball.
Da liegt stets ein Skelett auf dem Buffet.
Ich kam, ich saß herum, ich ging.
Die Täuschung
Sie ködert uns leicht, diese Täuschung,
als würden beäugt wir, belauscht,
als wären wir es, die gemeint.
Die Ahnen haben so sich geschmeichelt,
die Sterne wären wie Blicke
von Engeln, die um sie besorgt.
Was sollen vom Auge Gottes wir sagen?
Kann es sich spiegeln denn wohl
in Seen so trüb, in Maaren schwärzlichen Schaumes,
wie unsere Herzen es sind?
Die wilden Tiere, sie sehen uns nicht,
wie wir uns sehen
und ein Lächeln glänzt auf –
als Schatten sehen sie uns
im Dämmerlicht eines stygischen Schilfs,
wie jener ermüdete Blick
eines Orang-Utan
hinterm Panzerglas des Zoos,
der durch den unseren dringt und hinter uns
weitergeht in ein menschenfernes Gefild.
Der Blätter zartes Aderngeflecht
ist lesbar keinem Tagesverstand,
und was sie dunkel ihm rauschen,
darüber rätselt der nächtliche Wind.
Ob hellenische Anmut sie schrieb,
die holden Spuren im Sand,
ob ihn zerwühlte ein klumpiger Fuß,
die Meerflut achtet der Hoheit nicht
und nicht des gefallenen Geists,
sie wirft ihren Schleier,
die blendende Gischt,
und was sie seufzend verhüllt,
zergeht.
Was schert es den Mond,
ob ihm am Grabmale schimmern
Suren aus dem Koran,
ob deinen lichtvollen Spruch
bald ihm das Moos schon verdunkelt.
Dana Gioia, Veterans’ Cemetery
The ceremonies of the day have ceased,
Abandoned to the ragged crow’s parade.
The flags unravel in the caterpillar’s feast.
The wreaths collapse onto the stones they shade.
How quietly doves gather by the gate
Like souls who have no heaven and no hell.
The patient grass reclaims its lost estate
Where one stone angel stands as sentinel.
The voices whispering in the burning leaves,
Faint and inhuman, what can they desire
When every season feeds upon the past,
And summer’s green ignites the autumn’s fire?
The afternoon’s a single thread of light
Sewn through the tatters of a leafless willow,
As one by one the branches fade from sight,
And time curls up like paper turning yellow.
Veteranenfriedhof
Die Zeremonien des Tages sind zu Ende,
die Parade zerrupfter Krähen übernimmt.
Die Flaggen fransen, daß die Raupe ein Festmahl fände.
Die Kränze zerfallen, der Lettern Gold verglimmt.
Wie still sich Tauben sammeln am Eingangstor,
gleich Seelen, denen Himmel nichts noch Hölle sagt.
Das geduldige Gras nimmt sich wieder den Grund, den es verlor,
dort, wo als Wächter ein steinerner Engel ragt.
Der Chor, der aus dem brennenden Laubwerk singt,
matt und menschenfern, wonach mag er verlangen,
wenn jedes Jahr das gewesene hinunterschlingt
und Sommergrün im Herbst muß Feuer fangen?
Der Nachmittag ist nur ein dünner Faden Licht,
der einer kahlen Weide Fetzen zusammenhält,
Zweig um Zweig kommt blassend außer Sicht,
die Zeit ist wie Papier, das sich vergilbend wellt.
Traumverhüllt
Der Pfau spannt wieder auf sein Rad, es zittert,
wenn schreiend er auf weißen Kieseln schreitet.
Der königlich auf weichen Wellen gleitet,
der Schwan bleibt vom Getue unerschüttert.
Die Liebe eilt, daß sie die Veilchen finde,
die Verse, die vom Tau des Abends weinen,
doch kaum gepflückt, wie dürftig sie erscheinen.
Der Enzian wiegt sich im blauen Winde.
Nicht, was verblüfft, was, Dichter, schrillt und blendet,
was deine durstigen Zeilen schluchzend füllt,
kannst du vermessen preisen als vollendet.
Die unvermerkt ins offne Fenster schneien,
die Blüten eines Landes, traumverhüllt,
sie mögen Anmut deinem Vers verleihen.
Dana Gioia, Progress Report
It’s time to admit I’m irresponsible.
I lack ambition. I get nothing done.
I spend the morning walking up the fire road.
I know every tree along the ridge.
Reaching the end, I turn around. There’s no point
to my pilgrimage except the coming and the going.
Then I sit and listen to the woodpecker
tapping away. He works too hard.
Tonight I will go out to watch the moon rise.
If only I could move that slowly.
I have no plans. No one visits me.
No need to change my clothes.
What a blessing just to sit still–
a luxury only the lazy can afford.
Let the dusk settle on my desk.
No one needs to hear from me today.
Fortschrittsbericht
Ich geb es zu, mir fehlt’s an Pflichtgefühl
und Ehrgeiz. Ich bringe nichts zustande.
Morgens schlendre ich entlang der Feuerschneise,
da kenn ich jeden Baum und Strauch am Rand.
Ans End gelangt, dreh ich mich um. Kein Ziel
kennt meine Pilgerfahrt, nur Kommen, Gehen.
Dann sitz ich da und hör dem Waldspecht zu,
was er so wegklopft. Der schuftet allzu hart.
Heut Abend schau ich, wie der Mond aufgeht.
Wenn ich so langsam wandeln könnte.
Pläne? Nein. Kein Mensch kommt zu Besuch.
Wozu die Kleider wechseln.
Still zu sitzen bloß, was für ein Segen –
ein Luxus, Müßiggängern nur vergönnt.
Soll Dämmerung sich auf mein Schreibpult breiten,
keinen drängt’s, von mir heut noch zu hören.
Rezitation durch den Autor:
https://www.youtube.com/watch?v=axEUM0IQm7wklee
Aus verschollenen Kindheitstagen
Dämmerlicht flockte herab und dumpf betäubte
den dunklen Ruf der Glocken Schnee, ein Tuch,
gewunden weich um jeder Stimme Mund.
Doch in der Stille knirschte harsch dein Schritt,
Knabe mit der Mütze, als das weiche Blech,
den Eimer du geschwenkt hast auf und ab.
Die Magd, sie preßte ihn sich an die Knie,
und aus dem Euter, das sie seufzend molk,
wie sprühte Milch, ein zischend heller Laut.
Es drehte das Aug die Kuh, das glänzende, dir hin,
und feuchte Wärme dampfte aus dem Fell.
Der Heimweg schien dir grenzenlos, entlockte
dem weißen Staub ein Lächeln Silber-Mond.
Als du die Gasse gingst zum Dorfplatz hin, vom Summen
der Gaslaternen müd, was hast du, Knabe,
damals vor dich hin geträumt, gesungen,
als deine Hand die Kanne fühlte warm
von einem Leben, dunkel, groß und fremd?
Dann hat es rot im Schnee geglänzt, das Mal,
der runde Fleck, wie von Burgunderwein
auf dem Brokat des Feiertags, dem Flaum
entsickert, einer Taube weicher Brust,
die ihr ein Krähenschnabel aufgehackt.
Die Stube war erfüllt vom Duft der Zweige,
die auf dem alten Ofen hingebreitet,
Zimt, Koriander, Nelken, Pfefferkuchen,
die Nacht belebt vom Flackern kleiner Kerzen.
Als tönte fern Gesang wie einst der Hirten,
die durch das Dunkel hin zur Krippe gingen.
Das Strahlen eines Segens brach aus ihr,
der Mutter Antlitz aber lag im Schatten.
The tales we tell are either false or true,
But neither purpose is the point. We weave
The fabric of our own existence out of words,
And the right story tells us who we are.
Perhaps it is the words that summon us.
The tale is often wiser than the teller.
There is no naked truth but what we wear.
So let me bring this story to our bed.
The world, I say, depends upon a spell
Spoken each night by lovers unaware
Of their own sorcery. In innocence
Or agony the same words must be said,
Or the raging moon will darken in the sky.
The night grow still. The winds of dawn expire.
And if I’m wrong, it cannot be by much.
We know our own existence came from touch,
The new soul summoned into life by lust.
And love’s shy tongue awakens in such fire—
Flesh against flesh and midnight whispering—
As if the only purpose of desire
Were to express its infinite unfolding.
And so, my love, we are two lunatics,
Secretaries to the wordless moon,
Lying awake, together or apart,
Transcribing every touch or aching absence
Into our endless, intimate palaver,
Body to body, naked to the night,
Appareled only in our utterance.
Der Narr, der Liebhaber und der Dichter
Wahr ist, was wir uns sagen, oder falsch,
doch darauf kommt es hier nicht an. Wir weben
das Netz des eignen Seins aus Worten, Worten,
das dicht Gewebte sagt uns, wer wir sind.
Es sind die Worte wohl, die uns ins Dasein rufen.
Die Sprache ist oft klüger als der Sprecher.
Nicht nackte Wahrheit zählt, nur was uns kleidet.
Laßt diese Sage mich aufs Bett euch legen.
Die Welt, sag ich, hängt ab vom Zauberspruch,
den Liebe nächtens spricht, und weiß selbst nicht
von ihrer Zauberkraft. In voller Unschuld
oder Todesangst muß gesagt es sein,
wenn nicht, wird zürnend sich der Mond verfinstern.
Die Nacht verstummt. Der Morgenwind verhaucht.
Und lieg ich falsch, dann nur um eine Spur.
Klar ist, Umarmung macht lebendig nur,
die neue Seele lockt ins Leben Lust.
Der Liebe scheue Zunge weckt dies Feuer –
Fleisch an Fleisch, und Mitternachtsgeflüster –
als wäre dem Verlangen einzig teuer,
sein grenzenloses Fluten auszudrücken.
So sind wir beide, Liebe, Zwillingsnarren,
Minister eines Mondes ohne Land,
wach liegend, ob zusammen, ob allein,
beides: Berührung, Schmerz der Trennungszeit
verwandelnd in ein endlos-trautes Plaudern,
Leib an Leib, Entblößte vor der Nacht,
sind einzig Worte, Worte unser Kleid.
Rezitation durch den Autor:
https://www.youtube.com/watch?v=hibBJp1dduE
Dana Gioia, Litany
This is a litany of lost things,
a canon of possessions dispossessed,
a photograph, an old address, a key.
It is a list of words to memorize
or to forget–of amo, amas, amat,
the conjugations of a dead tongue
in which the final sentence has been spoken.
This is the liturgy of rain,
falling on mountain, field, and ocean–
indifferent, anonymous, complete–
of water infinitesimally slow,
sifting through rock, pooling in darkness,
gathering in springs, then rising without our agency,
only to dissolve in mist or cloud or dew.
This is a prayer to unbelief,
to candles guttering and darkness undivided,
to incense drifting into emptiness.
It is the smile of a stone Madonna
and the silent fury of the consecrated wine,
a benediction on the death of a young god,
brave and beautiful, rotting on a tree.
This is a litany to earth and ashes,
to the dust of roads and vacant rooms,
to the fine silt circling in a shaft of sun,
settling indifferently on books and beds.
This is a prayer to praise what we become,
‘Dust thou art, to dust thou shalt return.’
Savor its taste–the bitterness of earth and ashes.
This is a prayer, inchoate and unfinished,
for you, my love, my loss, my lesion,
a rosary of words to count out time’s
illusions, all the minutes, hours, days
the calendar compounds as if the past
existed somewhere–like an inheritance
still waiting to be claimed.
Until at last it is our litany, mon vieux,
my reader, my voyeur, as if the mist
steaming from the gorge, this pure paradox,
the shattered river rising as it falls–
splintering the light, swirling it skyward,
neither transparent nor opaque but luminous,
even as it vanishes–were not our life.
Litanei
Dies ist eine Litanei der verlorenen Dinge,
ein Kanon von enteigneten Gütern,
Fotographie, Adresse, Schlüssel anbei,
eine Liste von Wörtern, des Erinnerns wert
oder Vergessens – wie amo, amas, amat,
Konjugationen einer toten Sorache,
in welcher man den Schlußvers zu sprechen pflegte.
Dies ist die Liturgie des Regens,
der auf Berge, Felder Meere niedergeht –
unterschiedslos, namenlos, lückenlos –
Wasser, zeitlupenartig langsam,
vertröpfelnd in Fels, sich verdichtend zur Dunkelheit,
in Teichen mündend, aufsteigend ohne unser Zutun,
um sich in Dunst aufzulösen, Wolken oder Tau.
Dies ist ein Gebet für den Unglauben,
für Kerzen, die flackern, Dunkelheit, unzerteilt,
Weihrauch, der in die Leere weht.
Ist das Lächeln einer Madonna aus Stein
und die stumme Raserei konsekrierten Weins,
der Segensspruch auf den Tod eines jungen Gotts,
kühn und schön, der an einem Baumstamm fault.
Dies ist eine Litanei auf Erde und Aschen,
auf den Staub der Straßen und leeren Zimmer,
auf den feinen Schlick, in einem Sonnenschacht kreisend,
der sich wahllos niederläßt auf Bücher und Betten.
Dies ist ein Gebet zum Ruhm dessen, was wir werden:
„Staub bist du, und zum Staub kehrst du zurück.“
Koste den Geschmack – die Bitternis von Erde und Aschen.
Dies ist ein Gebet, angefangen, nicht vollendet,
für dich, meine Liebe, mein Verlust und meine Wunde,
ein Rosenkranz von Worten, um mit den Illusionen
der Zeit abzuschließen, all den Minuten, Stunden, Tagen,
die im Kalender stehen, als würde das Vergangene
irgendwo existieren – einer Erbschaft gleich,
die wir noch antreten könnten.
Schließlich ist es unsere Litanei, mon vieux,
mein Leser, mein Voyeur, als ob der Dunst,
aus dem Abgrund wölkend, dieser reine Widerspruch,
der zerschellte Fluß, steigend, wenn er fällt –
das Licht zersplitternd, es himmelwärts wirbelnd,
durchsichtig nicht und nicht getrübt, doch leuchtend,
auch wenn es schwindet – nicht unser Leben wär.
Mehr als nur Gebein
Ich kann, ich will nicht sagen nein,
denn was ich wurde, was ich bin,
hat sich gerankt wie alter Wein,
im irdenen Krug gibt er sich hin.
Das schlichte Wort ist wie das Brot,
das uns der gute Hirt gewährt,
doch fliegt es in das Abendrot,
ein Hunger, der sich selbst verzehrt.
Ich kann, ich will gern sagen ja,
seit ich die Sterne hoher Nacht
und deine Augen funkeln sah,
ihr Wunder, die kein Mensch erdacht.
Ein Wort begrünt den grauen Stein,
der auf begrabner Hoffnung liegt.
O Seele, mehr als nur Gebein,
Nacht, von der Nachtigall besiegt.
Das versunkene Logbuch
Die Wellen spielten um dein nacktes Sein,
und was sie blind gespiegelt, Rätselbilder,
grell unterm Feuerrad, im Mondschaum milder,
trugst du ins Logbuch deiner Leiden ein.
Wie sanfter Falter in die Flamme sank,
die Lerche stieg, Wurm aus dem Dung gekrochen,
was wortlos Kreatur zu dir gesprochen,
du machtest deine Kringel, Duftgerank.
Führst du das Buch noch, Dichter, mit den Flecken,
nicht nur von Tränen, auch vom jähen Schauer,
als du dich ducktest in die Weidenhecken?
Wie schade, denn es barg luzide Skizzen,
Vignetten einer meeresblauen Trauer,
Wundmale, wie sie Liebeskranke ritzen.
Dana Gioia, Thanks for Remembering Us
The flowers sent here by mistake,
signed with a name that no one knew,
are turning bad. What shall we do?
Our neighbor says they’re not for her,
and no one has a birthday near.
We should thank someone for the blunder.
Is one of us having an affair?
At first we laugh, and then we wonder.
The iris was the first to die,
enshrouded in its sickly-sweet
and lingering perfume. The roses
fell one petal at a time,
and now the ferns are turning dry.
The room smells like a funeral,
but there they sit, too much at home,
accusing us of some small crime,
like love forgotten, and we can’t
throw out a gift we’ve never owned.
Danke, daß man an uns gedacht
Die Blumen, versehentlich an uns gesandt,
dabei ein Name, der hier unbekannt,
sie welken vor sich hin. Was tun?
Die Nachbarin weist ihn ab, den Strauß,
ein Geburtstag steht nicht ins Haus.
Wir sollten Irgendwem für das Versehen danken.
Hat einer von uns eine Affäre?
Wir lachen erst, dann machen wir uns Gedanken.
Die Iris mußte als erste sterben,
gehüllt in ihren kränklich-süßen
nachwehenden Duft. Die Rosen,
sie verloren Blatt für Blatt,
der Farn fängt nun an sich braun zu färben.
Es riecht schon wie in einer Leichenhalle,
doch sie sitzen da, ganz wie daheim,
und beschuldigen uns einer Missetat,
wie vergessener Liebe, doch es scheint uns verwehrt,
ein Geschenk wegzuwerfen, das nie uns gehört.
Im Keller gelandet
Du hast den falschen Knopf gedrückt, auf geht
die Tür, du bist im Keller, Scheppern, Klirren,
die Küche, wo in weißen Kitteln schwirren
die Dunklen, die man oben nicht versteht.
Auch unter Hellen gibt es Dunkle: Pracht
des Lebens, Zwielicht wie am Efeublatt,
das oben grün und unterseitig matt.
Geschmeid, das funkelt, schnitt aus Nacht die Nacht.
Und Feen haben Schnee auf weichen Lenden,
wie schmilzt er unterm Hauch der Küsse hin.
Und Dichter Verse, die mit Reimen blenden,
doch weh: Streift Seufzen dran, was du empfindest,
zergeht der Traumkristall, Tau wird der Sinn.
Sieh zu, daß du den Ausgang wiederfindest.
I am the Angel with the Broken Wing,
The one large statue in this quiet room.
The staff finds me too fierce, and so they shut
Faith’s ardor in this air-conditioned tomb.
The docents praise my elegant design
Above the chatter of the gallery.
Perhaps I am a masterpiece of sorts –
The perfect emblem of futility.
Mendoza carved me for a country church.
(His name’s forgotten now except by me.)
I stood beside a gilded altar where
The hopeless offered God their misery.
I heard their women whispering at my feet –
Prayers for the lost, the dying, and the dead.
Their candles stretched my shadow up the wall,
And I became the hunger that they fed.
I broke my left wing in the Revolution
(Even a saint can savor irony)
When troops were sent to vandalize the chapel.
They hit me once—almost apologetically.
For even the godless feel something in a church,
A twinge of hope, fear? Who knows what it is?
A trembling unaccounted by their laws,
An ancient memory they can’t dismiss.
There are so many things I must tell God!
The howling of the damned can’t reach so high.
But I stand like a dead thing nailed to a perch,
A crippled saint against a painted sky.
Der Engel mit dem gebrochenen Flügel
Ich bin der Engel mit dem gebrochenen Flügel,
die große Statue, die man ins Museum gab.
Der Wärter findet mich zu heiß, so schlossen
sie die Glaubensglut ins klimatisierte Grab.
Die Gelehrten preisen meine Wohlgestalt
mehr als das Raunen auf den Korridoren.
Mag sein, ich bin ein wahres Meisterwerk –
ein hohes Sinnbild aller Dinge, die verloren.
Mendoza schuf mich für die Landkapelle
(den Namen kennt man nur, weil ich noch bin).
Ich stand an einem goldglänzenden Altar,
da legten Hoffnungslose Gott ihr Elend hin.
Ich hörte ihre Frauen flüstern mir zu Füßen –
Gebete für Verlorene, für Sieche und für Tote.
Ihre Kerzen warfen meinen Schatten an die Mauer,
ich war der Hunger, der ihnen ward zum Brote.
Mein linker Flügel knickte mir die Revolution
(auch Heilige finden Geschmack an Ironie),
als Truppen die Kirche zu verwüsten kamen.
Sie schlugen mich nur einmal – als wär’s ihre Apologie.
Denn selbst Gottlose fühlen etwas in der Kirche,
einen Stich der Hoffnung, Furcht? Wer mag es wissen.
Ein Bangen, das vor ihren Gesetzen nicht zählt,
eine alte Erinnerung, die sie nicht wollen missen.
Es gibt so vieles, was ich Gott erzählen muß!
Das Heulen der Verdammten kann so hoch nicht klettern.
Ich aber steh wie ein totes Ding, auf ein Brett genagelt,
ein verkrüppelter Heiliger vorm Himmel, dessen Farben blättern.
Törichte Bitten
Durch Schächte taumelnd, Brunnen traumestief,
durch Gänge kriechend, Höhlen, Kasematten –
dort war kein Blatt, kein Quell, der nach mir rief,
nur wirres Flüstern unerlöster Schatten.
Mit Flocken wirbelnd in das leere Blau,
gehackt von Schnäbeln zischender Dämonen –
dort trug kein Engel mich zur hohen Schau,
kein Flügel zu den kristallinen Thronen.
Weißt, Dichter, du noch ein Gefilde rein,
wo meinen Schlummer Halme sanft umzittern,
magst du nicht reichen mir den goldnen Wein
in deines Verses Krug, dem irden-schlichten?
Magst du mir nicht den grellen Tag vergittern
mit zartem Blattwerk, Dämmerlaub-Gedichten?
Robert Frost, Carpe diem
Age saw two quiet children
Go loving by at twilight,
He knew not whether homeward,
Or outward from the village,
Or (chimes were ringing) churchward,
He waited, (they were strangers)
Till they were out of hearing
To bid them both be happy.
“Be happy, happy, happy,
And seize the day of pleasure.”
The age-long theme is Age’s.
‘Twas Age imposed on poems
Their gather-roses burden
To warn against the danger
That overtaken lovers
From being overflooded
With happiness should have it.
And yet not know they have it.
But bid life seize the present?
It lives less in the present
Than in the future always,
And less in both together
Than in the past. The present
Is too much for the senses,
Too crowding, too confusing –
Too present to imagine.
Carpe diem
Ein Alter sah zwei stille Kinder
Hand in Hand im Zwielicht gehen,
er wußte nicht, ob heimwärts,
ob aus dem Dorf hinaus,
zur Kirche gar (es gab Geläut),
er wartete (sie waren sich ja fremd),
bis sie ihn nicht mehr hören konnten,
und wünschte beiden Glück.
„Seid glücklich, glücklich, glücklich,
ergreift den Freudentag.“
Das Alter ist ein Thema alterslos.
Alter war’s, auf das Gedicht gehäuft
hat es der Rosen Blütenlast,
vor der Gefahr zu warnen,
die Liebende schon hat ereilt,
die überflutet sind
vom Überfluß des Glücks,
und doch von ihr nichts wissen.
Soll Leben denn den Augenblick ergreifen?
Es lebt ja weniger im Augenblick
als in der Zukunft stets,
und weniger in beiden als
im Vergangenen. Der Augenblick,
er ist zu viel für unsre Sinne,
zu bedrängend, zu verwirrend –
zu nah, um sich ein Bild zu machen.
Das Klümpchen Glut
Als wär dein nacktes Ich umspült
von einem grünen Wind,
dein Blick, ein zitternd dünner Halm,
gebeugt von trübem Tau.
Ist es schon Nacht, ist es noch Tag,
du weißt es nicht,
Ein Singen steigt, ein heller Dunst,
ein Seufzen sinkt aus dunklem Mund.
Bist du’s, der singt, bist du’s, der seufzt,
du weißt es nicht.
Als läg dein Schmerz, ein Klümpchen Glut,
auf abgeschabter Schwelle.
Ob hier noch wohnt, auf den du hoffst,
du weißt es nicht.
Es tut die Türe sich nicht auf,
und keiner tritt die Glut dir aus.
Sie muß sich selbst verzehren,
bis ihre graue Asche weht.
Robert Frost, God’s Garden
God made a beatous garden
With lovely flowers strown,
But one straight, narrow pathway
That was not overgrown.
And to this beauteous garden
He brought mankind to live,
And said: “To you, my children,
These lovely flowers I give.
Prune ye my vines and fig trees,
With care my flowerets tend,
But keep the pathway open
Your home is at the end.”
Then came another master,
Who did not love mankind,
And planted on the pathway
Gold flowers for them to find.
And mankind saw the bright flowers,
That, glitt’ring in the sun,
Quite hid the thorns of av’rice
That poison blood and bone;
And far off many wandered,
And when life’s night came on,
They still were seeking gold flowers,
Lost, helpless and alone.
O, cease to heed the glamour
That blinds your foolish eyes,
Look upward to the glitter
Of stars in God’s clear skies.
Their ways are pure and harmless
And will not lead astray,
Bid aid your erring footsteps
To keep the narrow way.
And when the sun shines brightly
Tend flowers that God has given
And keep the pathway open
That leads you on to heaven.
Gottes Garten
Gott schuf einen schönen Garten,
mit lieblichen Blüten besät,
einen Pfad nur, gerade und schmal,
den er sorgsam gemäht.
Und in dem schönen Garten
wies er die Menschheit zu leben.
Und sprach: „Euch, meine Kinder,
sei diese Pracht übergeben.
Meine Reben stutzt, meine Feigen,
meinen Rosen sei Feuchte gespendet,
doch haltet mir offen den Pfad,
eure Heimat beginnt, wo er endet.“
Dann kam ein anderer Meister,
der war der Menschheit nicht hold,
und er pflanzte am Saum des Pfades
Blumen für sie von Gold.
Sie sahen die Blumen so licht,
ihr Glitzern im Sonnenschein,
die Dornen der Gier aber nicht,
die das Blut vergiften, das Sein.
Da wanderten viele entlang,
und holte die Nacht sie ein,
suchten sie das Gold noch der Blumen,
verloren, hilflos, allein.
O, lasset ab von dem Glanz,
der die törichten Augen euch blendet,
schaut auf zum Funkeln der Sterne,
die Gott hat herrlich vollendet.
Ihre Wege sind rein und gefahrlos,
verführen nicht, abseits zu eilen,
und leiten den irrenden Schritt
auf dem Pfad, dem schmalen, zu weilen.
Und leuchtet die Sonne hervor,
sorgt für die Blumen, die Gott euch geschenkt,
den Pfad aber haltet offen,
der euch zum Himmel hin lenkt.
Der Auftrag an den Dichter
Wir haben sie gelehnt, die Silberleiter,
an hoher Nächte dunkelblaue Wand,
knirscht unter ihr auch schon der mürbe Sand,
es wechseln noch die Töne, sternlichtheiter.
Noch flackern sie auf fernen Gräberfeldern,
die Kerzen, aus der Wehmut Wachs gedreht.
Noch mischt sich matter Rede, was geweht
die Nacht, das Seufzen aus verwunschnen Wäldern.
Du schreib sie auf, die schönen Harmonien,
sieh, Dichter, eh sie dunkeln und verhauchen,
der Rosen abendrötlich-wehe Strahlen.
Die Töne birg, die sternwärts schon entfliehen,
die Flammen birg, bevor die Aschen rauchen,
im lichten Klang von kristallinen Schalen.
Robert Frost, Spring Pools
These pools that, though in forests, still reflect
The total sky almost without defect,
And like the flowers beside them, chill and shiver,
Will like the flowers beside them soon be gone,
And yet not out by any brook or river,
But up by roots to bring dark foliage on.
The trees that have it in their pent-up buds
To darken nature and be summer woods –
Let them think twice before they use their powers
To blot out and drink up and sweep away
These flowery waters and these watery flowers
From snow that melted only yesterday.
Frühlingsteiche
Die Teiche spiegeln, obwohl sie Wald umgibt,
den ganzen Himmel beinah ungetrübt,
Wie rings die Blumen sind sie kühl und frieren,
wie rings die Blumen sind sie bald verschwunden,
nicht, daß der Bach, der Fluß sie mit sich führen,
von Wurzeln werden sie, Laubdunkel, überwunden.
Die Bäume, blätterstrotzend, werden bald
die Dämmerung bringen in den Sommerwald –
daß sie’s bedenken wohl, bevor sie herrisch wüten,
und tilgen, trinken aus und fegen kahl
die Blütenwasser und die Wasserblüten
vom Schnee, den Tau erst gestern färbte fahl.
Die schlafende Muschel
Die schmalen Uferwege, wir sind sie gegangen,
wo Schilfe zum Spiele der Wellen sich schwangen,
gedämpft unser Wort, gedämpft unser Schritt.
Verbrannt war die Haut dir von südlichen Sonnen,
das Haar matt seiden, von Goldgarn durchsponnen,
die Muschel, die tönende, brachtest du mit.
Hielt ich sie ans Ohr, erfüllte es Brausen,
als riefen mich, die in Meergrotten hausen,
die grüngeschwänzten Nymphen ins Glück.
Ich, bleicher Knabe der schwarzblauen Maare,
aus nächtlichem Brunnen schöpft ich das klare,
das rieselnde Lied gab ich dir zurück.
Dort lag sie im Dunst, bang schwankende Fähre,
und über dem Wasser das Dunkel, die Leere,
ich sah noch, wie jäh sich dein Mantel gebauscht.
Die Muschel, sie schläft auf vergilbenden Briefen,
doch ist mir noch oft, als ob Meergeister riefen,
wenn fern aus Traumes Schilfen es rauscht.
Robert Frost, Come in
As I came to the edge of the woods,
Thrush music — hark!
Now if it was dusk outside,
Inside it was dark.
Too dark in the woods for a bird
By sleight of wing
To better its perch for the night,
Though it still could sing.
The last of the light of the sun
That had died in the west
Still lived for one song more
In a thrush’s breast.
Far in the pillared dark
Thrush music went —
Almost like a call to come in
To the dark and lament.
But no, I was out for stars;
I would not come in.
I meant not even if asked;
And I hadn’t been.
Komm herein
Ich kam zum Saum des Walds:
da, Drosselgesang, so sacht!
Draußen noch Dämmerung,
drinnen schon Nacht.
Zu dunkel, daß ein Vogel im Wald
mit geübtem Flügelschlag
fänd einen bessern Ast für die Nacht,
doch singen war, was ihm lag.
Der letzte Sonnenstrahl,
der im Westen hinab gemußt,
lebte noch für ein Lied
in einer Drossel Brust.
Durch schwarzer Säulen Nacht
ging der Drosselgesang –
fast wie der Ruf: Komm herein,
der du bist dunkel und bang.
Nein, ich blieb unterm Sternenlicht,
wollte nicht kommen herein.
Kein Lockruf machte mich schwach.
Und so trat ich nicht ein.
Doxa
Was wir meinen, ist grau wie der Star,
der die blaue Iris der Wahrheit uns trübt.
Worte, Flocken, in die Leere gestiebt,
blinder Tau, der nicht weiß, was er war.
Meinung ist wie das Glänzen des Schnees,
blendend in einer Blendung, die weicht,
wenn ihn der Schatten des Abends erreicht,
Schaum wie der Schein des Parmenides.
Worte, gebunden zum prächtigen Strauß,
Duft, der betäubt und Eroten verlockt,
eisern Minerva, sie bleibet verstockt,
rupft den Schwärmern die Flügel schon aus.
Meinung, sie schält eine üppige Nuß,
doch ihre Schale, sie wölbt um das Nichts.
Stirn mit den Furchen verödeten Lichts,
Lippe, verrunzelt an Moiras Kuß.
Robert Frost, Stars
How countlessly they congregate
O’er our tumultuous snow,
Which flows in shapes as tall as trees
When wintry winds do blow! –
As if with keenness for our fate,
Our faltering few steps on
To white rest, and a place of rest
Invisible at dawn,—
And yet with neither love nor hate,
Those stars like some snow-white
Minerva’s snow-white marble eyes
Without the gift of sight.
Sterne
Wie zahllos sie sich scharen
über diesen Flockenblüten,
wirbelnd in baumhohen Formen,
wenn Winterwinde wüten!
Und wie um ihr Schicksal besorgt
wankt unsere kleine Schar
im weißen Glast zu einem Ort der Rast,
der am Morgen unsichtbar war –
und noch immer jenseits von Liebe und Haß
die Sterne, die wie die schneeweißen sind,
Minervas schneeweiße Marmoraugen,
doch in Wahrheit sind sie ja blind.
Wir gehen in die Nacht
So liegt es hinter uns, das Urstromtal,
die sich dem Monde zugesprochen, Wasser,
wir sehen blaß die Wogen noch und blasser
den Fels, den ihm zu blühn geküßt der Strahl.
Das Flackern auf den Gräbern, es erlischt.
Gedämpft wie unterm Wehen trüber Flocken
hat sich das Läuten heimatlicher Glocken
mit einem Schluchzen, sterbebang, vermischt.
So komme, Freund, laß, was dir eigen, fahren,
wir gehen, selbst schon grau, zum grauen Sand,
wir gehen in die Nacht, die sternenlose.
Nur eins nimm mit, was hold in Jugendjahren
der Blumenhauch der Liebe dir entband,
das Lied, umhüllt vom wehen Duft der Rose.
Robert Frost, Revelation
We make ourselves a place apart
Behind light words that tease and flout,
But oh, the agitated heart
Till someone find us really out.
‘Tis pity if the case require
(Or so we say) that in the end
We speak the literal to inspire
The understanding of a friend.
But so with all, from babes that play
At hide-and-seek to God afar,
So all who hide too well away
Must speak and tell us where they are.
Offenbarung
Wir bilden um uns eine Wehr
aus Redensarten, Spott und Necken,
doch o, wie klopft das Herz so sehr,
bis man uns wahrhaft kann entdecken.
Wie schade, wenn zu später Stund
(so sagt man wohl), wir erst am Ende
kein Blatt mehr nehmen vor den Mund,
damit ein Freund uns noch verstände.
So geht’s mit allem, von der Kinderschar,
die verstecken spielt, zu Gott, dem fernen,
so jeder, der sich machte unsichtbar,
sie müssen reden, daß wir sie zu finden lernen.
Veilchen auf dem Grabe
Um den Steinkrug, längst geleert,
ist das Tischtuch wirr zerknüllt.
War er manchen Trinkspruch wert,
hat die Seele sich enthüllt?
Durch den Vorhang geht ein Wehen,
Duft von Flieder, Duft von Schlehen.
Feinsten Schliffes ein Geschmeid
glänzte hohen Nächten nach,
unverblaßt an ihrem Leid,
nicht ein Fleck, der davon sprach.
Auch den Spiegel der Kommode
trübte nichts nach ihrem Tode.
Auf dem Boden liegt ein Blatt,
weiß wie das der Orchidee,
der es nicht beschrieben hat,
er versank im Wörterschnee.
Feuchte Veilchen auf dem Grabe,
sagt, ob er gelitten habe.
Robert Frost, A Patch of Old Snow
There’s a patch of old snow in a corner
That I should have guessed
Was a blow-away paper the rain
Had brought to rest.
It is speckled with grime as if
Small print overspread it,
The news of a day I’ve forgotten –
If I ever read it.
Ein Fleck von altem Schnee
In der Ecke liegt ein Fleck von altem Schnee,
so hatte ich zuerst gedacht,
es war verweht ein Blatt, vom Regen
zur Ruhe gebracht.
Es ist von Ruß übersprenkelt, wie
eine zarte Schrift im Schnee,
Nachrichten eines Tags, die ich vergaß –
hätt ich gelesen sie je.
Das Hüttenfest
Das Eigne kann sich uns aus Fremdem lichten,
wenn reine Gesten, jungfräuliche Worte
wie Knospen gleiten durch die Sonnenpforte,
wo sie sich Weiden für die Hütten richten.
Man zündet Kerzen an, die makellosen,
daß Flammenseelen in das Dunkel leuchten.
Sie auch, die noch vom Tau der Hymnen feuchten,
sie wollen glühen, auserlesne Rosen.
Doch jene haben Bänder schön gewunden
von Golde schimmernd um das grüne Laub.
Wir sehen sanfter Liebe Kinder winken,
daß ihre Gaben, Brot und Wein, uns munden.
O Wegzehr durch der Wüste grauen Staub,
o Wein des Worts, den wir in Hütten trinken.
Robert Frost, The Oven Bird
There is a singer everyone has heard,
Loud, a mid-summer and a mid-wood bird,
Who makes the solid tree trunks sound again.
He says that leaves are old and that for flowers
Mid-summer is to spring as one to ten.
He says the early petal-fall is past
When pear and cherry bloom went down in showers
On sunny days a moment overcast;
And comes that other fall we name the fall.
He says the highway dust is over all.
The bird would cease and be as other birds
But that he knows in singing not to sing.
The question that he frames in all but words
Is what to make of a diminished thing.
Der Pieperwaldsänger
Da singt ein Sänger, den ein jeder kennt,
laut, wenn ins dichte Laub die Sonne brennt,
aus knorrigen Stämmen tönet es erneut.
Er sagt, die Blätter sind alt, an Blumen dauert
dem Sommer eine, Frühling hat an zehn sich erfreut.
Er sagt, der frühe Fall der Blüten, er geschah,
da sie von Birnen- und Kirschenbäumen weggeschauert,
es trat der Sonne jäh die Wolke schon zu nah.
Dann kommt der andre Fall, Herbstzeit genannt.
Er sagt, der Straßenstaub hat alles übermannt.
Der Vogel würde schweigen, wie’s die andern tun,
doch er ist einer, der im Singen schweigt.
Die Frage, die er ohne Worte stellt, ist nun:
Wie weiter, hat das Dasein sich geneigt?
Was ich Pierrot gesagt
Ich tauschte gern sie gegen Blüten ein,
die grauen Worte und die alten Reime,
aus schmalen Furchen brächen frische Keime,
Maiglöckchen, Veilchen, Mohn und blauer Lein.
Doch tauscht ich nie dein banges Radebrechen
mit Wogen, die den Schaum Homers versprechen.
Ich würde gern das Talmigold versetzen,
der Träume dünngewalztes Schummerblatt,
im Pfandhaus, das die echten Perlen hat,
die unterm Monde sich mit Glanz benetzen.
Nie wöge mir der Strahl Auroras gleich
mit deiner Augen Nacht, der Wange bleich.
Ich liehe gern mir von Pierrot den Hut,
den runden, wie ihn hat gemalt Watteau,
und fächelte damit, er gähnt schon so,
dem müden Vers, ihm fehlt’s an Übermut.
Und gäb er dir dann sein Gewand aus Schnee,
sag ich: „Es schmilzt auf ihrer Haut, versteh!“
Robert Frost, The Road Not Taken
Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveler, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;
Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that, the passing there
Had worn them really about the same.
And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads to way,
I doubted if I should ever come back.
I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I –
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.
Der nicht eingeschlagene Weg
Zwei Wege zweigten ab im gelben Wald,
ich konnte leider nicht gehen beide zugleich,
ein Wanderer allein machte lange ich halt,
sah fern die Schneise des einen und bald,
wie er abbog ins schilfige Unterreich.
Da nahm ich den andern, auch er lud ein,
und ich tat womöglich die bessere Wahl,
denn sein Gras, es wollte zertreten sein,
doch war es wohl den beiden gemein,
Gras, von Schritten gebeugtes und fahl.
Auf beiden lag in der Frühe das Laub zuhauf,
von Tritten schwärzlich noch nicht zerdrückt,
Ich hob mir den ersten für ein andermal auf!
Doch wußt ich um der Wege Wechsellauf,
und zweifelte, ob Wiederkehr mir noch glückt.
Ich werde daher nach Tag und Jahr
nur seufzend erzählen, was ich tat, was mied:
Zwei Wege zweigten ab im Wald, es ist wahr,
ich nahm jenen, der weniger begangen war,
das machte den ganzen Unterschied.
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