Der scharfe Schaum der Bilder
Aspektblindheit wird verwandt sein mit dem Mangel des musikalischen Gehörs.
Ludwig Wittgenstein (MS 144)
Wir können stumme Gesten wohl verstehen,
die Haut der Stirne lesen, wie sie spannt,
die kaum bewußte Fahrigkeit der Hand,
die wie im Traume winkt, doch mitzugehen.
Wie hören Klänge in die Nacht entweichen,
und wissen, was es heißt, daß er nicht hält,
der abgerissene Faden mit der Welt,
der Gram, wenn keine Briefe uns erreichen.
Doch Augen, blind vom scharfen Schaum der Bilder,
und Ohren, taub von Blechen, blank geschlagen,
sie lassen leer die Seelen gleich Gespenstern.
Wir aber wollen spät an Sommertagen,
denn weiche Abendschatten stimmen milder,
die Stille atmen, Duft aus offnen Fenstern.
In der Fülle darben
Wie bist du sorglos durch das Schilf gestreift,
die Wellen drängten dich, ein Lied zu lallen.
Die Melodie der Frühe ist dir längst entfallen,
erstickt im Dunst, der auf dem Fluß geschweift.
Hast „amo, amas, amat“ arg verschwitzt
geleiert, bangend vor der Prüfungsstunde –
doch vor der Drohung nicht, der tiefen Wunde,
die nicht verheilt, hat Liebe sie geritzt.
Wenn als ein Schattenschilf der Vers entsprösse,
zum Ufer, Dichter, dir der Reim versteinte,
vielleicht, daß auch das Lied dir wieder flösse.
Die Wunde aber könnte nur vernarben,
wenn Unschuld sie bespräche, sie beweinte.
So mußt du in des Daseins Fülle darben.
Unergründlich
Der seelenvolle Ausdruck in der Musik. Er ist nicht nach Graden der Stärke und des Tempos zu beschreiben. Sowenig wie der seelenvolle Gesichtsausdruck durch räumliche Maße.
Ludwig Wittgenstein
Aufs Wasser fiel die Frucht. Die Wellenkreise
sind Versen gleich, die um die Mitte schwingen,
die dunkel bleibt, wenn sie das Licht besingen
und selber leuchten auf geheime Weise.
Ein Lächeln überglänzt des Müden Falten,
sie lösen sich, wenn sie ein Mund behauchte
mit jenem Wort, das ihn noch nicht verbrauchte,
den Duft, im Kelch der Liebe einbehalten.
Der Ton will dir schon aus dem Versmaß fließen,
hell schäumen auch im unbetretnen Dunkel.
Geh, Dichter, mutig noch die letzten Schritte,
bis über dir der hohen Nacht Gefunkel
den letzten Vers entsandt, den bitter-süßen:
Stumm, unergründlich bleibt des Daseins Mitte.
Der letzte Dank
Sie lag ins Dunkel hingestreckt.
Die Scheibe war so blau, so kalt.
War keiner, der sie zugedeckt.
War keiner, dem sie noch was galt.
Da griff um ihre Lenden fest
und hob sie hoch ein starker Arm.
„Mein Leben ist nur ein Gebrest,
tu mir, o Fremder, keinen Harm!“
Sie schwebte wie die Knospe leicht
auf einem windgewiegten Stiel,
der aus der Nacht zum Azur reicht,
ein Blütenblatt war sie, das fiel.
Es fing sie auf der Tänzer mild
und drehte wirbelnd sie im Kreis,
es flammten seine Blicke wild,
der bleichen Lippen Hauch war Eis.
Sie hörte noch die Melodie,
die ihr einst frühe Liebe sang,
der sie es niemals je verzieh,
daß ihr der hohe Ton zersprang.
Da löste er den Griff, sie sank
zurück, das Fenster glühte rot.
„Wem schulde ich den letzten Dank?“
„Dein Retter bin ich, bin der Tod.“
Gezeiten der Liebe
Liebe ist kein Gefühl. Liebe wird erprobt, Schmerzen nicht. Man sagt nicht: „Das war kein wahrer Schmerz, sonst hätte er nicht so schnell nachgelassen.“
Ludwig Wittgenstein (Zettel, Nr. 504)
Das Herz schlägt schneller, eilt sie dir entgegen,
du liebst, beglückt von trunkner Küsse Schauer.
Doch auch, das müde Haupt gesenkt in Trauer,
wenn leer das Laken fahlt, wo ihr gelegen.
Die Welle Glück schwillt an in den Gezeiten
bei vollem Mond und ebbt, wird er verschattet.
Es seufzt die Liebe lang, bis sie ermattet,
vor Blüten, die auf dunklen Wassern gleiten.
Gefühl ist alles, sprach aus Faust der Dämon,
doch zeigt ihr Opfer, es war Margarete,
die reiner fühlte als der Unrast Sohn.
Dein Vers sei, Dichter, eine zarte Ranke,
ihr Blattwerk spiegle noch wie Dankgebete
das hohe Licht, wenn schon der Boden schwanke.
Jäh angeschlagene Saiten
Das Aussprechen eines Wortes ist gleichsam ein Anschlagen einer Taste auf dem Vorstellungsklavier.
Ludwig Wittgenstein
Jäh angeschlagen, zittern bange Saiten.
Als würden Blitze durch das Dunkel zacken
und Schauern beugen sich der Anmut Nacken,
scheinst über Feuerknospen du zu gleiten.
Schon bettet dich ein Raunen schwanker Halme,
an Blütenlippen schimmern leise Reime,
und Worte sagst du vor dich hin, geheime,
sie windend dir zum Kranz, zum Dankespsalme.
Bleibt, Dichter, Rascheln dir von dürren Blättern,
gehst einsam du durch herbstliche Alleen,
tönt noch ein Echo zartgeschweifter Lettern,
als habe Sturm in deine Schrift geblasen.
O fühl, wie toter Blumen Seelen wehen,
die einst geprangt in schön bemalten Vasen.
Laut und Sinn
Der Satz ist kein bloßer Laut; er ist mehr.
Der Satz ist wie ein Schlüsselbart, dessen einzelne Zacken so angeordnet gewisse (bekannte) seelische Hebel in gewisser Weise bewegen. Der Satz spielt gleichsam auf dem Instrument der Seele ein Thema (einen Gedanken).
Ludwig Wittgenstein
Im selben Raum sind Auge und Objekt,
doch können wir uns selbst zugleich nicht sehen.
Die wie im Halbschlaf uns vom Munde wehen,
die Laute sind aus Luft, der Sinn verdeckt.
Und wir enthüllen ihn, er strahlt entblößt.
Was an die harten Stirnen schien zu klopfen,
erglänzt am Blatt des Verses, gleich den Tropfen,
die sich vom Saum des Schweigens abgelöst.
Die Tropfen feuchten nicht die trocknen Lippen,
doch lindern sie den Schmerz verborgner Wunden.
Der Vers, er dringt in das Verlies der Rippen.
Nur der sublime, strömend wie das Wasser,
dem voller Mond ein Seufzen hat entbunden,
macht leiser unsern Puls, die Wange blasser.
Das wüste Feld
Gedichte scheinen aus dem Schoß zu sprießen,
den vor uns viele pfügten schon, besamten.
Wenn aber Geist und Schöpferkraft erlahmten,
sind schal die Früchte, kaum mehr zu genießen.
Das Feld verödet, Lattich prangt und Disteln,
und was an Körnern übrig zwischen Wicken,
sieht Krähen man und Sperlingsvögel picken,
in kahler Dichtung Wipfel strotzen Misteln.
Wer wird auf wüstem Feld den Mißwuchs roden,
das Astwerk, das verkrüppelte, beschneiden
und frische Keime pflanzen in den Boden?
Kommt aus dem Volk er, das den Reim verachtet,
ist fremd er wie der Pilger unter Heiden,
der nicht umsonst vorm Schrein des Heils geschmachtet?
Fernes Winken
Vergiß nicht, daß ein Gedicht, wenn auch in der Sprache der Mitteilung abgefaßt, nicht im Sprachspiel der Mitteilung verwendet wird.
In der Wortsprache ist ein starkes musikalisches Element. (Ein Seufzer, der Tonfall der Frage, der Verkündigung, der Sehnsucht, alle die unzähligen Gesten des Tonfalls.)
Ludwig Wittgenstein
Das Lied sei wie ein fernes, vages Winken
vom Bord des Schiffs, die Züge des Gesichtes
sind schon verwischt im Dunst des Gegenlichtes,
die Rührung währt, wenn auch die Hände sinken.
Wie unterm Kuß magst du die Augen schließen,
wenn Düfte dich der Gegenwart entreißen.
Du siehst noch in der Nacht die Blüten gleißen,
auf des Erinnerns Strom die Verse fließen.
Stopf weichen Mull in des Gesanges Trichter,
daß nur gedämpft die dunkle Klage bebt.
Verhüll der Liebe Antlitz mit dem Schleier,
den du aus matter Schwermut Taft gewebt.
Sei leiser Zeichen, die fern schimmern, Dichter,
wie Schwäne aus dem Schilf im Abendweiher.
Im Schatten wandeln
Mein Ideal ist eine gewisse Kühle. Ein Tempel, der den Leidenschaften als Umgebung dient, ohne in sie hineinzureden.
Ludwig Wittgenstein
Der Kreuzgang spendet Wandelnden den Schatten,
wenn in der Mitte Wasser glitzernd kühlen.
Im Herd des Leidens ist noch Glut zu fühlen,
die dunkel seufzt, wenn Beter schon ermatten.
Die Fliesen zieren Knospen, Feuertiegel,
kalt klären sie die Sinne, die im Flirren
dem Meer entstiegner Lüfte sich verwirren,
doch brennt die Stirne unterm Aschensiegel.
Form dein Gedicht uns wie die Säulenhalle,
wo wir erhitzt vom Tag im Schatten wandeln.
Dein Reim sag, Dichter, was die Quelle lalle,
die du aus harter Erde ausgegraben.
Mag kein Geschwätz die Stille uns verschandeln,
die golden tropft wie Honig aus den Waben.
König ohne Land
Das Reich der Dichtung war ein Königtum,
der König aber trug statt einer Krone
von Eppich einen Kranz und rotem Mohne,
der Veilchen holdes Neigen war sein Ruhm.
Der Dichter war ein König ohne Land,
er ging durch der Erinnerung lichte Auen
und sah an Blumenwimpern Flocken tauen.
O Lied, versickernd wie der Tau im Sand.
Wie weiße Blüten still auf Teichen fließen,
schwamm seiner Insel schneegefüllte Schale,
die leise Verse langsam kreisen ließen.
Der Dämon tauchte in den Staub das Bild
der Hoheit, daß es grau wie Asche fahle,
die aus urinbespritzten Gluten quillt.
Die Gleichnisrede
Was ich erfinde, sind neue Gleichnisse.
Ludwig Wittgenstein
Das Gleichnis von der Leiter, die uns führt
empor auf streng verfugten Sinnes Sprossen.
Doch macht der Gegensinn uns nicht verdrossen,
daß einer schwebend nicht den Halt verliert.
Das Gleichnis von der Fliege, das uns meint,
gefangen wie in transparenten Wänden,
daß wir des Sinnes Lichtung eher fänden,
den Weg betretend, der uns dunkel scheint.
Am Ende auch das Gleichnis von den Flüssen,
die ihre Ufer formen und verbreitern,
zeigt uns, daß wir vom dunklen Grund nichts wissen.
Ob wir im Ozean des Schweigens münden,
im dürren Karste des Geredes scheitern,
kann keine Gleichnisrede uns ergründen.
Das wilde Brausen
Um wüst nicht auf den Plätzen loszubrüllen,
preßt du den Atem in den engen Trichter,
der zum Sonett sich wölbt, o Unzeit-Dichter.
Es kann der Muschelklang den Schmerz nicht stillen.
Um ihm ein wenig Schmelz und Glut zu leihen,
läßt deine spröden Lippen du vibrieren.
Wie bald die Töne in der Nacht gefrieren,
wie fahle Reime auf die Brache schneien.
Mag dich der Gischt am Katarakt belehren,
sein wildes Brausen, das gestaltlos bleibt,
es kennt kein Maß des Sinns, kein Wiederkehren
in einem rhythmisch zart gedehnten Bogen.
So rasch auf grauser Flut die Blüte treibt,
wird jäh der Grazie Anblick uns entzogen.
Wenn Schatten wehen
Wie wesenlos sie über alles wehen,
den Schmelz der Knospen, die im Frührot schauern,
den grauen Efeu an den Friedhofsmauern,
wie willig sie mit ihren Menschen gehen.
Doch manchmal scheinen sie, von allen Dingen
gelöst, wie zwischen Tag und Traum zu zittern,
ein goldnes Licht erblüht an Schattengittern,
und unser Herz will mit den Blüten schwingen.
So wehen aus den dämmerfahlen Schneisen
die Schatten längst entrückter Traumgestalten,
und unser Gram kann sie nicht von sich weisen.
Wie Schatten sind die Verse, blütenlose,
die um das Sinnbild flackern und erkalten,
den Schnee der Lilie und die Glut der Rose.
Löcher im Netz
Ist es also so, daß ich gewisse Autoritäten anerkennen muß, um überhaupt urteilen zu können?
Man könnte Einem, der gegen die zweifellosen Sätze Einwände machen wollte, einfach sagen „Ach, Unsinn!“. Also nicht ihm antworten, sondern ihn zurechtweisen.
Worauf kann ich mich verlassen?
Ich will eigentlich nur sagen, daß ein Sprachspiel nur möglich ist, wenn man sich auf etwas verläßt. (Ich habe nicht gesagt „auf etwas verlassen kann“.)
Ludwig Wittgenstein (Über Gewißheit, Nr. 493, 495, 508, 509)
Nimm an, der Spiegel sei konvex verbogen,
worin man einzig sich zu sehen pflegt –
nie würde der Verdacht in dir erregt,
dein wahres Bild blieb ewig dir entzogen.
Wär es an wenig Stellen leicht gerissen,
das Netz der Sprache, welches dir gespannt –
die Spinne Sinn hat flugs sie überrannt,
was durchgeschlüpft, sie wird es nicht vermissen.
Der Zweifel, der behaucht ihn lang genug,
macht, daß der klare Spiegel dir erblinde.
Und keine Spinne wird es neu dir weben,
hast du zerfetzt das Netz als eitlen Trug.
Schält Irrwitz von der Sprache Stamm die Rinde,
wird Blatt um Blatt der Sinn ins Dunkel schweben.
Im Wachen geträumt, im Traum erwacht
Wenn man aber mit dem Bedenken kommt: Wie, wenn ich plötzlich sozusagen aufwachte und sagte „Jetzt hab ich mir eingebildet, ich heiße L. W.!“ – wer sagt denn, daß ich nicht noch einmal aufwache und nun dies als sonderbare Einbildung erkläre, usf.
Ludwig Wittgenstein (Über Gewißheit, Nr. 642)
Der Schnee verhüllt mit feinem Tuch das Feld,
von Wolken, die wie Kissen auf sich bauschen,
dringt dir ins Ohr ein angenehmes Rauschen.
Dich dünkt, du wärst allein auf dieser Welt.
Nun zieht es jählings ab, das Tuch ein Wind,
und überwirklich blaut er nun, türkisen,
der Himmel, wie Marokkos blaue Fliesen.
Dir scheint, du warst zuvor vom Traumschnee blind.
Hat dich das Rauschen in den Schlaf gewiegt,
und hast im Traum die Welt im Schnee gesehen,
Schnee, der so weich auf weichen Lidern liegt?
Blies fort der Wind ihn und du bist erwacht?
So schließ die Augen wieder, fühl, es wehen
die Flocken hell in deiner hellen Nacht.
Aufs Wasser geschrieben
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Dummheit läßt sich nicht belehren, bestenfalls unschädlich machen.
Mitleid ist ein zu diffuses, zu gemischtes Gefühl, als daß man daraus eine klare Weltanschauung destillieren könnte.
Der Entwurzelte kann nicht blühen, nicht Früchte treiben.
Nur das mit Blut und Geist getaufte Wort wird wiedergeboren.
Die von bunter Vielfalt schwadronieren, tragen die graue Einheitsuniform der öffentlichen Meinung.
Die Unfruchtbaren bieten Zukunftsphantasien zu Ramschpreisen feil.
Ob die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne kreist, ist für das Heil der Seele ohne Belang.
Der undurchdringliche Nebel des Geschwätzes. – Man muß aus der Niederung, wo er sich verbreitet, auf dem alten Pilgerpfad des Schweigens emporklimmen, um ins Lichte und Weite blicken zu können.
Fäden des Sinns, die sich verknäuelt haben, einfach abzuschneiden ist keine hellsichtige Form der Hermeneutik.
Leben und Tod, Sinn und Unsinn, Ja und Nein sind absolute Unterschiede; deshalb können wir beispielsweise unser Leben nicht von außen betrachten und dem Unsinn mittels sophistischer Dialektik kein Quentchen Sinn abtrotzen; deshalb sollten wir jenen, dem unser halbherziges Ja galt, unsere Unentschlossenheit nicht mittels Zweideutigkeiten und Hinterhalte büßen lassen.
Die Faulen und die Lauen fliehen vor der Entscheidung. Oder warten ab, bis der Zufall oder die Laune des Schicksals sie ihnen abnimmt.
Die Einebnung der Polarität der Geschlechter kastriert den Mann und sterilisiert die Frau.
Der Zion von Jerusalem, die Akropolis von Athen, die Sieben Hügel Roms – diese spirituellen und kulturellen Gipfel wurden, welche Paradoxie, von den verweichlicht-zarten Händen geistiger Perversion und sittlicher Niedertracht eingeebnet.
Ihre Knie sind versteift, sie können sich vor keinem Höheren mehr beugen.
Autorität gilt für Anmaßung, Schönheit für eine Form von Beleidigung, Genie für eine raffiniert kaschierte Neurose.
Wer den Knoten des Gedankens aufgelöst hat, zieht sich hinter die Anonymität der Alltagsrede zurück; oder schweigt.
Die Blüte des dichterischen Worts – soll sie etwa auf dem brackigen Abwasserkanal dahintreiben?
Der ungeheure Druck, der den dunklen Kohlenstoff in leuchtende Diamanten verwandelt hat.
Der Druck auf der Seele des Dichters.
„Die Studierenden schliefen in einem großen Saal.“ – „Im Orchestergraben fand man nach der Premiere einen toten Musizierenden.“ Die Genderkretins wissen buchstäblich nicht mehr, was sie sagen.
Der Kult ist entleert, die Kirche zu einem Jahrmarkt des sozialen Ablaßhandels verkommen.
Strenggläubige können sich nicht um einen runden Tisch versammeln, auf dem das Wort in Krümel von Geschwätz zerbrochen wird.
Wir sprechen von Sitte und Unsitte, gelungener und mißlungener Form (der Rede, der Dichtung, der Kunst), von edel und gemein, von Mann und Frau – und warum? Weil es unsere Ahnen schon so zu tun pflegten; das genügt als Begründung.
Sie sind müde, erschöpft, von Erinnerungen zerquält oder dumpf und erinnerungslos; sie wollen keine eigentümliche Sprache und Kultur mehr haben, sie wollen nicht länger ein Volk, eine Nation sein. – Herder bezeichnete Völker und Nationen als Gedanken Gottes.
Mens sana in corpore sano. – Mens sana in corpore aegro. – Mens aegra in corpore sano.
Wir kennen den hellen, scharfsinnigen, geistvollen, witzigen Kopf auf einem schwachen, kränkelnden, verkrüppelten Leib (Pascal, Kierkegaard, Lichtenberg). – Gehört nicht selbst Nietzsche, der Sokrates um seiner Häßlichkeit willen verachtete, aufgrund seiner ewigen Migräne, seiner Gynophobie, ja seiner schließlichen Umnachtung in diese heroische Linie?
Wir sprechen von grausamen, blutrünstigen, barbarischen Taten; und doch ist das moralische Urteil nicht immer evident: Das Kulturvolk der Römer brachte den feinsinnigen Dichter der Bucolica hervor und ergötzte sich an den blutigen Spielen der Gladiatoren, der abertausend Kreuzigungen nicht zu gedenken, geschweige denn derjenigen, die zum Inbild des christlichen Abendlandes bestimmt war.
Der Geist kann nicht als Gefäß oder Apparat vorgestellt werden, in dem die Wahrnehmungen, Eindrücke, Empfindungen aufgefangen und verarbeitet werden, die wir haben. Wer sind dann wir, die in diesem Gefäß nicht vorkommen?
Der Naturalist, der Nihilist, der Zyniker, der über den Engel des Herrn, der den Hirten erschien, oder den Engel Rilkes die Nase rümpft, versteht den Geist nicht, der jene Schriften beseelt.
Der Ernüchterte ändert seine Meinung nicht, sondern gibt sie auf.
Jemandem vertrauen, der eine bessere Welt verspricht, heißt dem eigenen Verstand zu mißtrauen.
Ich sagen, ohne zu wissen, wer man ist.
Drei Propheten, Nietzsche, Wagner, George, die einen neuen Glauben verkünden wollten; doch die Flamme rußte, der Gral fand keinen Altar, das Neue Reich ging im Dritten unter.
Die Dummheit der neuen Chiliasten, die den Weltuntergang beschwören, aber nicht wahrhaben wollen, daß ihr Sein und Tun und Schwadronieren ihn allererst ausmacht, ja verkörpert.
Welch ein kultureller Niedergang bekundet sich in dem Umstand, daß die Urfassung der „Zauberflöte“ auf Geheiß der Sittenpolizei nicht mehr aufgeführt wird, weil darin ein gewisser Neger namens Monostatos seine Liebessehnsucht nach einer Schönen besingt, die er schön nennt, weil sie weiß ist, wie sich selbst häßlich, weil er schwarz ist.
Das fatale Erbe der Geschichtsphilosophie, die den Kairos, den erfüllten Augenblick, der die historische Kontinuität sprengt, durch den Glauben an den moralischen und technischen Fortschritt ersetzt. – „Fortschritt“ von der Guillotine zur Gaskammer.
„Gott ist tot!“ – „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt!“ – Ausdruck hysterischer Gedanken. Auch wenn er nicht die Bohne an Gott glaubt, erlaubt sich der gute Sportler kein Foul, nicht einmal, wenn es unbemerkt bliebe. Die treue Seele hält ihr Versprechen, auch wenn sie nicht glaubt, sie werde von höherer Warte aus beobachtet und ihre Missetat ins Sündenregister eingetragen.
Würden all unsere Wünsche auf magische Weise unmittelbar erfüllt, lebten die meisten nicht mehr.
Unerfüllbare Wünsche, wie daß die durch den Tod getrennten Liebenden im Schattenreich einander wiederfinden, sind die Quellen der höheren Dichtung; magische Objekte – der unversiegliche Kelch, die unverwelkliche Rose, der Kristall gewordene Schmerz – ihre semantischen Idole.
Mit dem Hammer kann man einen Schädel zertrümmern, nicht aber den subtilen Innervationen und Verästelungen des Gedankens nachfühlen.
Von jenem, der mit dem Hammer philosophierte, blieben nichts als weithin verstreute Scherben, die bisweilen im Dunkel zu schimmern beginnen.
Unverdorbene Kinder jubeln, wenn in Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ die Hexe in den glühenden Ofen gestoßen und verbrannt wird und die beiden Gefangenen endlich frei und wieder vereint sind; moralin-verdorbene Zeitgeistpädagogen erheben Einspruch gegen diese unerträgliche Zumutung an Grausamkeit.
Der jäh angeschlagene Gong
Worte eines Dichters können uns durch und durch gehen.
Ludwig Wittgenstein (Zettel, Nr. 155)
Es trifft der Ton, der milde oder schroffe –
ein Gong wird das Bewußtsein angeschlagen.
Erschüttert kann es nur von Schmerzen sagen,
dem feinen Riß im traumgewebten Stoffe.
Wie eine Scheibe, die des Nachts gefroren,
von kristallinem Flor ward überblendet,
hat das Gedicht den hellen Kelch gespendet,
aus einem zarten Keim der Nacht geboren.
Und keiner weiß, wozu sie uns geschenkt,
die Keime, die zu lichtem Nichts erblühen.
Doch scheint erwacht, dem sie sich eingesenkt,
wenn Stengel durch die Haut des Schlafes dringen
und rings die surrealen Knospen glühen.
Laß, Dichter, sie im Hauch des Liedes schwingen!
Zuflucht im Verlies
Der Himmel floß wie Dotter weich herab,
er hing noch zitternd auf der Kirchturmspitze,
die Krähe kam, daß sie’s zerhacke, ritze,
des Ungesagten nährend zartes Lab.
Das man zerkocht zu Phrasenbrei, das Wort
trat schäumend vor die gleisnerischen Lippen.
Die Engel flatterten, den Tau zu nippen,
doch riß der Sturm den Kelch des Liedes fort.
Such dir im Schlafe, Dichter, ein Verlies,
dort grabe Korridore, tiefe Gänge,
zu münden in ein dunkles Paradies.
Hier findest du kein Wort, das nicht versehrt,
doch drunten schenken noch die Nachtgesänge,
was grellen Tages Wirrwarr dir verwehrt.
Der Pfad der Liebenden
So wollen, Liebe, wir wie Schatten gleiten
still über weiche Gräser, taubenetzte,
vergessen, was das scheue Herz verletzte,
wenn unterm Mond sich bleiche Blüten breiten.
Wir lassen von den Worten, die uns blieben,
den Duft nur gelten, trunkner Lippen Beben,
von Strahlen, die aus Dämmerlauben schweben,
die Male, die sie auf die Stirn uns schrieben.
Willst, Dichter, du nach Liebenden noch sehen,
in ihren Atem deinen Vers zu tauchen,
mußt weit du, weiter als ein Pilger gehen,
der seinen Born voll Schaum des Lichtes findet.
Sie träumen, wo Violen Dunkles hauchen
und seufzend Seele sich um Seele windet.
Verfehltes Treffen
Wo sich wirklich zwei Prinzipien treffen, die sich nicht miteinander aussöhnen, da erklärt jeder den Andern für einen Narren und Ketzer.
Ludwig Wittgenstein (Über Gewißheit, Nr. 611)
Herr Niemand geht auf asphaltiertem Grund,
von kalten Strömen wird sein Herz gesteuert,
daß es kein Übermaß an Sinn befeuert,
der graue Knebel Angst stopft ihm den Mund.
Der Dichter streunt am Uferschilf entlang,
zu schauen, ob im Wasser Blüten glimmen,
er wünscht sich, bis sie dunkeln, mitzuschwimmen,
das wunde Herz betäube Vogelsang.
Was könnten diese beiden sich denn sagen?
Der eine hört Gefasel eines Narren,
nur Töne, die das Glas des Sinns beschlagen.
Der andre hält die Blume Lied vergebens
vor Augen, die ins Blütenlose starren.
Sie fliehen sich, die Linien des Lebens.
Mäandern
Wenn ich für mich denke ohne ein Buch schreiben zu wollen, so springe ich um das Thema herum; das ist die einzige mir natürliche Denkweise. In einer Reihe gezwungen fortzudenken ist mir eine Qual. Soll ich es nun überhaupt probieren? Ich verschwende unsägliche Mühe auf ein Anordnen der Gedanken, das vielleicht gar keinen Wert hat.
Ludwig Wittgenstein
Der Faden war zu dünn, zu heikel: Ich,
die Bilder, Zeichen, Träume aufzureihen.
Wir hatten auch kein Sieb, den Mix zu seihen,
bis alles Trübe vom Geklärten wich.
Und lockte uns erblühter Worte Feld,
trug Flattern blind von einem Duft zum andern.
Wie Ströme, die sich teilen und mäandern,
war uns zu sagen, was ins Offne quellt.
Bevor wir in die Nacht, den Ursprung, münden,
mag sich Gestirn in unserm Liede spiegeln.
Würd es sich auch zum goldnen Ringe ründen,
wir müßten ihn am End vom Finger streifen.
Wir wollen nicht im Schrein des Buchs versiegeln,
was nur in blauer Luft zum Lied kann reifen.
Überm Abgrund schweben
Du mußt bedenken, daß das Sprachspiel sozusagen etwas Unvorhersehbares ist. Ich meine: Es ist nicht begründet. Nicht vernünftig (oder unvernünftig).
Es steht da – wie unser Leben.
Ludwig Wittgenstein (Über Gewißheit, Nr. 559)
Wie Kinder, die den glatten Kieselstein
auf Wellen schleudern, daß er schimmernd springe,
sehn wir erregt, ob uns das Spiel gelinge,
das Wort erglänzt im dunklen, stummen Sein.
Wie eine Knospe auf dem Wasser schwebt,
die Sonne weckt sie, Nacht wird sie verschließen,
woher sie kommt, wohin die Wasser fließen,
sie weiß es nicht, weiß nicht, wozu sie lebt.
So schweben überm Abgrund wir dahin.
Was zarte Wurzeln aus dem Dunkel saugen,
nährt heller Blüten ephemeren Sinn.
Nur Rauschen bleibt, was wir von ferne hören,
trübt Mondes Milch das zarte Glas der Augen.
Mag es wie einer Muschel Klang betören.
Das inkarnierte Wort
Die Philosophen, die glauben, daß man im Denken die Erfahrung gleichsam ausdehnen kann, sollten daran denken, daß man durchs Telefon die Rede, aber nicht die Masern übertragen kann.
Ich kann doch nicht in den Gedanken, durch Worte, eine Voraussicht erschleichen von etwas, was ich nicht kenne.
(Nihil est in intellectu …)
Als könnte ich in den Gedanken gleichsam von hinten herum kommen und einen Blick von etwas erhaschen, was von vorn zu sehen unmöglich ist.
Ludwig Wittgenstein (Zettel, Nr. 256, 262)
Im Feingefühl der Hand, der wachen Haut,
wird uns erhellt, was sonst im Dunkel bliebe.
Taub wär der Geist, wenn er sich wund nicht riebe
am Rätselwort, wie Schnee, der niemals taut.
Wahr wird das Wort, wenn es sich inkarniert.
So muß es auch den Leidensweg beschreiten.
Es kann dem Geiste Nahrung nur bereiten,
wenn es befruchtet wird und Frucht gebiert.
Mit einer Krücke kann ein Greis wohl gehen,
nicht weit, daß er am Abend kehre heim.
Doch lernt das blinde Wort nicht wieder sehen,
ward einmal ihm die Netzhaut abgezogen.
Der Ring des Liedes ist aus Gold, ein Reim,
den heißer Sinn zum Kreise sich gebogen.
Das verstoßene Wort
Den Kindern hält die arge Welt im Lot
das Singen, Klatschen, Tanzen, Ringelreihen.
Mich schleudert hin und her der Woge Schreien.
ich bin die Gischt, der Schaum, das lecke Boot.
Ins Gruppenphoto hab ich nicht gepaßt,
schief stand ich da wie gegen Sturmes Rasen.
Und reckten keck empor sie ihre Nasen,
hab ich mir ratlos an die Stirn gefaßt.
Wenn sie auf weicher Seufzer Welle gleiten,
die sich in fernem Uferschilf versprüht,
weckt mich aus dumpfem Schlaf ein leises Wimmern.
Es ist das Wort, das ich verstieß vor Zeiten,
da es zu hell im dunklen Vers geblüht.
Das welke nehm ich auf, das blasse Schimmern.
Löcher im Netz
Ist es also so, daß ich gewisse Autoritäten anerkennen muß, um überhaupt urteilen zu können?
Man könnte Einem, der gegen die zweifellosen Sätze Einwände machen wollte, einfach sagen „Ach, Unsinn!“. Also nicht ihm antworten, sondern ihn zurechtweisen.
Worauf kann ich mich verlassen?
Ich will eigentlich nur sagen, daß ein Sprachspiel nur möglich ist, wenn man sich auf etwas verläßt. (Ich habe nicht gesagt „auf etwas verlassen kann“.)
Ludwig Wittgenstein (Über Gewißheit, Nr. 493, 495, 508, 509)
Nimm an, der Spiegel sei konvex verbogen,
worin man einzig sich zu sehen pflegt –
nie würde der Verdacht in dir erregt,
dein wahres Bild blieb ewig dir entzogen.
Wär es an wenig Stellen leicht gerissen,
das Netz der Sprache, welches dir gespannt –
die Spinne Sinn hat flugs sie überrannt,
was durchgeschlüpft, sie wird es nicht vermissen.
Der Zweifel, der behaucht ihn lang genug,
macht, daß der klare Spiegel dir erblinde.
Und keine Spinne wird es neu dir weben,
hast du zerfetzt das Netz als eitlen Trug.
Schält Irrwitz von der Sprache Stamm die Rinde,
wird Blatt um Blatt der Sinn ins Dunkel schweben.
Sieh nicht nach vorn
Blickst du zurück, verliert sich deine Spur.
Die Halme, die dein banger Schritt gebogen,
hat hoher Strahl zu sich emporgezogen.
Du bist ein Windstrich, schmal, auf weiter Flur.
Und gehst du nicht allein, ergreif das Glück,
wenn warme Hände sich in deine schmiegen,
dich Worte, zart gehaucht, in Träume wiegen.
Einmal verscheucht, kehrt Anmut nicht zurück.
Sieh nicht nach vorn, denn dort erschauern schon
vorm Abendrot die müd geweinten Blüten.
Häuf, wenn es dunkelt, Sonnenmoos zum Bette.
Verblaßt der Mond, die weiße Knospe Mohn,
schau trunkner Liebe Stern, den bald verglühten.
Kein Fittich schwingt, der uns vorm Abgrund rette.
Gewundene Pfade
What’s ragged should be left ragged.
(Was zerzaust ist, soll man nicht glätten.)
Ludwig Wittgenstein
Man rutscht auf allzu glatt gewachsten Dielen,
und ohne Reibung haften keine Worte.
Ins Offne gehen wir aus enger Pforte,
wo Knospen zittern über zarten Stielen.
Die Rätselsätze schlängeln sich wie Pfade
um Monolithen, die im Frühlicht blauen,
im Dämmer scheinen sie wie Schnee zu tauen.
Gewundene Pfade werden nicht mehr grade.
Den Sinn, zerzaust wie ungepflegte Haare,
kann glatt kein goldner Kamm uns striegeln.
Wir bringen ihn, ein Inbild unsres Seins,
nicht unverkürzt ins transparente Wahre,
womit Gewitzte ihren Gang besiegeln.
Auch Wandrer Hermes ist ein Gott des Scheins.
Der Weg des Denkens
Ich will den Menschen hier als Tier betrachten; als ein primitives Wesen. Dem man zwar Instinkt, aber nicht Raisonnement zutraut. Als ein Wesen in einem primitiven Zustande. Denn welche Logik für ein primitives Verständigungsmittel genügt, deren brauchen wir uns auch nicht zu schämen. Die Sprache ist nicht aus einem Raisonnement hervorgegangen.
„So muß man also wissen, daß die Gegenstände existieren, deren Namen man durch eine hinweisende Erklärung einem Kind beibringt?“ – Warum muß man’s wissen? Ist es nicht genug, daß Erfahrung später nicht das Gegenteil erweise?
Warum soll denn das Sprachspiel auf Wissen beruhen?
Ludwig Wittgenstein (Über Gewißheit, Nr. 475, 477)
Uns führt der Weg des Denkens nicht ins Licht,
worin die Wesen klar umrissen scheinen.
Kein innres Auge strahlt, sie wahr zu meinen,
und Schatten wandern über ihr Gesicht.
Wir haben uns das Wort nicht ausgedacht,
ein Stab ward es zu regem Gang empfangen.
Doch die mit ihm zum Gipfelschnee gelangen,
verstummen angesichts der hohen Pracht.
Der Weg des Denkens führt zu keinem Ende.
Wie Atemholen, flach manchmal, dann tief,
hat er kein Ziel, wo man die Lösung fände.
Kann Platons Sonne auch nicht mehr erhellen,
was aus dem Abgrund uns ins Dasein rief,
noch schimmern in der Nacht Gesanges Quellen.
Wesen ohne Halt
Die Blätter, Blüten zittern, lassen los,
sie mochten länger in der Sonne bleiben,
nun taumeln sie, im Dunst des Herbsts zu treiben.
Wie ist die Hoffnung leicht, die Schwermut groß.
Sie haben sich, wie Wesen ohne Halt,
dem rauhen Spiel des Herbstwinds rasch ergeben,
die ausgerauscht, verhaucht ein stilles Leben,
verloren, was sie hielt, die Wohlgestalt.
Gehst einsam, Dichter, du durch dürre Auen,
wie suchst umsonst die Blicke du, die feuchten,
von Veilchen, die wie Reime nächtlich blauen.
Erloschen sind die Quellen, sind verstummt,
die unter Dämmerlauben silbern leuchten.
Ein Seufzen dunkelt, wo das Licht gesummt.
Die große Jahrmarktslotterie
Wie, wenn etwas wirklich Unerhörtes geschähe? Wenn ich etwa sähe, wie Häuser sich nach und nach und ohne offenbare Ursache in Dampf verwandelten; wenn das Vieh auf der Wiese auf den Köpfen stünde, lachte und verständliche Worte redete; wenn Bäume sich nach und nach in Menschen und Menschen in Bäume verwandelten. Hatte ich nun recht, als ich vor allen diesen Geschehnissen sagte ›Ich weiß, daß das ein Haus ist‹ etc., oder einfach ›Das ist ein Haus‹ etc.?
Ludwig Wittgenstein (Über Gewißheit, Nr. 513)
Die Ros ist ohn warum; sie blühet, weil sie blühet,
Sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.
Angelus Silesius
Bei dieser großen Jahrmarktslotterie
sind alle angepriesenen Lose Nieten.
Als wären Gaukler, die sie an uns bieten,
wir aber Opfer einer Sinnmanie.
Wer „Heureka!“ hier plötzlich schreit,
hat sich nur selber oder uns betrogen.
Ins Nichts zerrinnt nach kurzem Schein der Bogen,
wir bleiben, was wir sind, dem Tod geweiht.
Betrogen sind, die Sinn im Ursprung suchen,
Betrüger, die ihn aus dem Ärmel ziehen,
er bröckelt schon, wenn sie den Preis verbuchen.
Steh ungerührt am Rand, bezeug es Dichter,
was du geschaut: Vorm eignen Schatten fliehen,
die selbst sich Leuchten dünken, kleine Lichter.
Der Grund hat keinen Grund
Die Schwierigkeit ist, die Grundlosigkeit unseres Glaubens einzusehen.
Am Grunde des begründeten Glaubens liegt der unbegründete Glaube.
Wenn ich will, daß die Türe sich drehe, müssen die Angeln feststehen.
Ludwig Wittgenstein (Über Gewißheit, Nr. 166, 253, 343)
Der Grund, worauf wir stehn, hat keinen Grund,
doch trägt er uns, wenn wir ihn nicht befragen.
Daß nicht das Mark der Sprache sie zernagen,
verstopft das Rätsel bald der Schwätzer Mund.
Uns trägt ein Strom, wir wissen nicht woher,
nicht, ob er bald versickert oder mündet,
ob sich des Lebens Linie einmal ründet,
das Boot voll goldner Fracht ist oder leer.
Du kannst die Blüte Vers nur sachte betten
auf weicher Wasser unentwegtes Fließen,
sie, Dichter, nicht vor dem Verblassen retten.
Du hoffst, an fernen Ufern blieben stehen,
die ihren süßen Schimmer noch genießen
und mit dem Bild der Anmut heimwärts gehen.
Das dunkle Haus
Die Wände haben alles aufgesogen,
Gebete, Flüche, Seufzer, die erstarben,
die feinen Risse sind wie alte Narben,
vom Wehen- und vom Todeskrampf gezogen.
Und nachts wirst du von Träumen überfallen,
in denen Kinder ängstlich vor dir flehen,
mit ihnen aus dem dunklen Haus zu gehen
ins süße Licht, das Lied der Nachtigallen.
Es fehlt dem Haus, das du bewohnst, der Segen,
und was vor Zeiten hier gedacht, erlitten,
dringt wie ein Moderduft dir noch entgegen
aus jeder Ritze, jeder Vorhangfalte –
vergebens, Rosenwasser auszuschütten.
Der Schrei nach Liebe war’s, der hier verhallte.
Die eigne Stimme fremd
Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen.
Ludwig Wittgenstein
Er wittert schon, der Hund, was wir kaum fühlen,
er spitzt die Ohren, pocht das Herz zu laut.
Die junger Sehnsucht Blattgerank zerwühlen,
mit solchen Stürmen ist er nicht vertraut.
Die Worte mit den sanft geschwungnen Schleifen,
die einst halb offnen Munds dir Liebe schrieb,
nun kannst du ihren Sinn nicht mehr begreifen,
als ob die Blüten Wüstenwind zerrieb.
Bisweilen klingt die eigne Stimme fremd
wie Rufe, die aus Brunnen widerhallen,
wird klarer Sinn von Rätseln überschwemmt.
Wenn Worte, nachts gehaucht von Lippen, weichen,
bei Tag dich ritzen wie mit scharfen Krallen,
scheint, die du liebst, Mänaden fast zu gleichen.
Was bleibt
Ich gehe durch die herbstliche Allee
und höre, wie im Sturm die Zweige stöhnen.
Ich konnte mich des Sommers kaum entwöhnen,
doch liegt auf meinem Herzen schon der Schnee.
Ich sitze auf dem moosbedeckten Stein
und sehe, wie im Tal die Wellen grauen.
Und denke jäh ich an den Blick, den blauen,
erlischt er schon, ein gleisnerischer Schein.
Ich liege wach in einem dunklen Zimmer
und fühle, wie die Nacht das Bild zerstückt,
das Spiegelbild, in tausend blinde Schimmer.
Von all den Reimen, leuchtend schönen Blumen,
die ich auf heimatlicher Au gepflückt,
bleibt nur ein schwarzes Häuflein stummer Krumen.
Vom grauen Star der Theorie genesen
Ich verstehe sie nicht, aber ihr Ton beglückt mich.
Ludwig Wittgenstein (über die Gedichte von Georg Trakl)
Was uns beglückt, wir müssen’s nicht verstehen.
Reißt Bruckner uns auch hoch, in welch ein Blau,
weiß niemand, und es wird uns wunders flau,
als würden wir auf schroffen Graten gehen.
Sie fliehen hin, die Linien des Lebens,
sagt uns der Seher, der am Fenster stand,
doch sind sie nicht wie Falten einer Hand –
die Rätselschrift, wir deuten sie vergebens.
Der Denker hat die Richtung umgekehrt,
hat kreuz und quer, von rechts nach links gelesen,
bis sich der Sinn der Worte so vermehrt,
daß sie in zarte Büschel ihm zerfielen.
Vom grauen Star der Theorie genesen,
kannst, Dichter, du frei mit den Zeichen spielen.
Der Verse milde Sonnen
Gleichgültig, wer um wen mag kreisen,
doch nicht, wer wem die Sonne ist, die wärmt,
wer, wenn sie untergeht, sich sehnt und härmt,
ihr, bis sie wieder scheine, nach will reisen.
Daß auch der Strahl, dem sich erwachte Rosen
entgegenrecken, herrlich aufgetan,
sich daran freue, scheint ein frommer Wahn,
er, Sohn der Weltennacht, der blütenlosen.
Daß, Dichter, deiner Verse milde Sonnen,
wenn unsre Herzen sie aus Träumen, grauen,
und sanft erwecken uns aus stummen Qualen,
sich selber fühlen wie an Edens Bronnen
verzückte Augen, feucht vom Glanz, dem blauen,
und wenn wir blühen, inniger noch strahlen.
Schatten, die vorüberziehen
Wir lassen sie vorüberziehen, Schatten,
und die sie werfen, Wolken – fragen nicht,
wie lang es währt, das trügerische Licht,
bis es im Laub des Dämmers mag ermatten.
Wir wollen nicht mehr nach der Quelle sehen,
die heiß entquillt ins dichterische Wort,
uns reißt der Strom, ein kaltes Rauschen, fort
in Meere, wo die Bilder untergehen.
Laß, Dichter, laß die blassen Blüten treiben,
auf des Erinnerns weichen Wellen schwanken,
sie können wie die Liebe ja nicht bleiben.
Wie sich die Knospen unterm Mond verschließen,
die an der Verse zartem Gitter ranken.
Wie jäh die Tropfen in das Dunkel fließen.
Das entschlafene Wort
Es hat das Wort, dem Aug der Liebe gleich,
im Schnee des Monds die Lider bang geschlossen.
Der Glanz der Träne ist im Schlaf geflossen,
da ihm geträumt von Südens Gartenreich.
Schlaf, schlafe, Flocken taumeln blind herab,
schon schimmern hell aus dunklen Laubes Beben
die Flügel eines Engels, der ergeben
die Stille hütet am vergessnen Grab.
Es taut der Schnee, der auf das Grab gefallen,
das Abendrot durchglüht ein junges Laub.
Im Lied zerfließt das Herz der Nachtigallen,
doch nicht, daß sie das Dichterwort erweckten,
als wär entschlafen es im Silberstaub,
aus dem sich kahler Stoppeln Finger reckten.
Die Heimkehr des Worts
Das Bewußtsein in des Andern Gesicht. Schau ins Gesicht des Andern, und sieh das Bewußtsein in ihm und einen bestimmten Bewußtseinston. Du siehst auf ihm, in ihm, Freude, Gleichgültigkeit, Interesse, Rührung, Dumpfheit u.s.f. Das Licht im Gesicht des Andern.
Schaust du in dich, um den Grimm in seinem Gesicht zu erkennen? Er ist dort so deutlich wie in deiner eigenen Brust.
(Und was will man nun sagen? Daß das Gesicht des Andern mich zur Nachahmung anregt, und daß ich also kleine Bewegungen und Muskelspannungen im eigenen empfinde und die Summe dieser meine? Unsinn. Unsinn, – denn du machst Annahmen statt bloß zu beschreiben. Wem hier Erklärungen im Kopf spuken, der vernachlässigt es, sich auf die wichtigsten Tatsachen zu besinnen.)
Das Bewußtsein ist so deutlich in seinem Gesicht und Benehmen, wie in mir selbst.
Ludwig Wittgenstein (Zettel, Nr. 220, 221)
Bewußtsein sehen wir – nicht im Gehirne,
es leuchtet auf in jemandes Gesicht,
des Lächelns sanftes, Staunens jähes Licht,
es glimmt um eine geistbehauchte Stirne.
Daß einer trauert, kannst du nicht erschließen,
vielleicht trägt er aus Pflichtgefühl das Band,
du siehst es aber, zittert seine Hand,
hält er das Bild, und stille Tränen fließen.
Den Abgrund zwischen Leib und Geist vermeiden,
die im Gesicht den Seelenausdruck lesen,
den Kern nicht von der äußern Hülle scheiden.
Es kehrt das Wort, das dichterische, heim,
das deutungslos im Schattenland gewesen.
Im Laub des Sinnes glüht die Frucht, der Reim.
Erloschen sind die Flammen
Am unorganischen Maschinentakt
verkrüppeln Rhythmen, stocken Melodien,
die Flüssen gleich zu fernen Meeren ziehen.
Wie ward der Anmut holder Vers zerhackt.
Begradigt ist der Pfad und asphaltiert,
der sich elegisch durch das Ried geschwungen,
wo du einst, Liebe, vor dich hin gesungen.
Wie öd der Mond auf tote Bleche stiert.
Erloschen sind die Flammen in dem Herde,
die uns die Wärme dunklen Fühlens gaben.
O Blick der Güte, lächelnde Gebärde,
da, Dichter, du das Brot des Worts, das reine,
uns ausgeteilt, daß Müde sich erlaben.
Wie unterm Aschenruß es ward zum Steine.
Der Götze der Vulgären
Des Demos Macht, o Götze der Vulgären,
im Wahn, sie seien gleichen Rangs geboren,
ging aller Sinn für Höheres verloren.
Wie sie nach warmem Urschleim sich verzehren.
Sie frösteln schon, wenn ihnen kühle Lüfte
die Botschaft von den Lichtkristallen bringen,
die um den Grat der Einsamkeiten schwingen.
Sie würgen unterm Odem reiner Düfte.
Ihr Geist vom Grau unschöpferischer Massen
schminkt grell sich mit der Welterrettungslüge
vom Heil des Volkes im Gemisch der Rassen,
vom Gras, das sprießt, wenn sie die Lilien knicken.
Damit das Wort sich ihrem Wahne füge,
sollst, Dichter, du den Kot mit Blüten schmücken.
Ratlos vor der Kröte
Ein Quaken gluckst aus Bäuchen, lüstern-fetten,
der volle Mond droht, feucht und angeschwollen,
demnächst zu platzen, rosa Wölkchen rollen
heran, ihn vor dem Suizid zu retten.
Doch unten bläht sich der Gesang noch breiter,
bis endlich sie ins Wasser klatscht, die Kröte,
ihr nach, daß man die Kühnheit überböte,
die zweite, dritte, vierte und so weiter.
Da siehst du endlich eins am andern schleimen,
stets hockt der Schmalhans auf der Dick-Madame.
„Mußt, Dichter, du es denn auf Liebe reimen,
wenn sommernachts aufs Silberkleid der Weiden
am Teichrand spritzt des braunen Triebes Schlamm?“
„Wie sie in diesem Zwielicht unterscheiden?“
Mit fremden Stimmen
Wenn Einer sagt „Ich habe einen Körper“, so kann man ihn fragen „Und wer spricht hier mit diesem Munde?“
Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit (Nr. 244)
Daß eine Seele spricht, die fern geweilt
bei Göttern, und dies nun vergessen habe,
im Menschenleib zu hausen wie im Grabe,
hat Orpheus ichblind Platon mitgeteilt.
Doch ist, wer spricht, nicht eine Puppe nur,
die zappelt an gereizten Nervenbahnen,
kein Wiedergänger der verblichnen Ahnen,
schlafwandelnd an der Gene langer Schnur.
Und manchmal, Dichter, brennt auf deiner Zunge
ein Feuer, das mit fremden Stimmen singt,
es fließt der Atem aus azurner Lunge,
der Verse in das Dunkel sprüht, Kometen,
daß wir nicht wissen, wer die Botschaft bringt,
der Mund der Muse oder des Poeten.
Edler Wein und fader Fusel
Daß zwischen Wort und Wort ein Rätsel gärt,
der Dichter, zwielichtbang, er darf es sagen.
Die es mit Lärm und grellem Strahl verjagen,
verstümmeln sich die Wurzel, die sie nährt.
Die Rebe grünt, wo graue Öde war,
im Laubendämmer glühen Traubensonnen.
Gold ist in einen irdnen Krug geronnen,
das Erdennacht und Himmelslicht gebar.
Der Sinn der Worte ward von uns empfangen,
ein edler Wein, gekeltert von den Vätern,
der ihre Zunge löste und sie sangen.
Gepantschter Fusel schmeckt nur fad und seicht.
Dionysos rächt sich an den Verrätern,
die Zungen lallen und der Rhythmus schleicht.
Das Fenster Sprache
Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide.
Die Sätze, die dies Weltbild beschreiben, könnten zu einer Art Mythologie gehören. Und ihre Rolle ist ähnlich der von Spielregeln, und das Spiel kann man auch rein praktisch, ohne ausgesprochene Regeln, lernen.
Die Mythologie kann wieder in Fluß geraten, das Flußbett der Gedanken sich verschieben. Aber ich unterscheide zwischen der Bewegung des Wassers im Flußbett und der Verschiebung dieses; obwohl es eine scharfe Trennung der beiden nicht gibt.
Wer keiner Tatsache gewiß ist, der kann auch des Sinnes seiner Worte nicht gewiß sein.
Wer an allem zweifeln wollte, der würde auch nicht bis zum Zweifel kommen. Das Spiel des Zweifelns selbst setzt schon die Gewißheit voraus.
Wenn mich ein Blinder fragte „Hast du zwei Hände?“, so würde ich mich nicht durch Hinschauen davon vergewissern. Ja, ich weiß nicht, ob ich meinen Augen trauen sollte, wenn ich überhaupt dran zweifelte. Ja, warum soll ich nicht meine Augen damit prüfen, daß ich schaue, ob ich beide Hände sehe? Was ist wodurch zu prüfen?! (Wer entscheidet darüber, was feststeht?)
Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit (Nr. 94, 95, 97, 114, 115, 125)
Der Tag bricht an, ich sag, die Blumen sind
viel farbenreicher als beim Kerzenscheine.
Doch fragst du mich, was ich mit Farbe meine,
vermute ich, du seist bedeutungsblind.
Du magst wohl schreien, dies sei deine Hand,
hab ich sie eingequetscht dir aus Versehen.
„Reich mir die Hand!“ heißt nicht, erst nachzusehen,
ob sie vorhanden, ist man bei Verstand.
Du kannst zugleich nicht beides überprüfen,
den Maßstab und was du dran mißt, die Dinge,
sonst taumelst du im Zwielicht leerer Tiefen.
Wir müssen mit Bedacht die Angeln eichen,
damit das alte Fenster auf sich schwinge
und uns die milden Strahlen noch erreichen.
Grille in der Herbstnacht
Es scheint wie Schluchzen nur, halb schon im Schlaf,
steigt flehend an und bricht in sich zusammen.
So züngeln eines kurzen Lebens Flammen
und flackern, wenn ein feuchter Hauch sie traf.
Wie anders war es in der Sommernacht,
da ihre Flügel aneinanderschlugen,
des Daseins hellen Ruf ins Dunkel trugen,
als rühme sie der Schöpfung hohe Pracht.
Wie bang im Nachttau kleine Kerzen zittern,
die Angedenken vor das Mal gerückt,
wo unterm Moos die Namen schon verwittern.
Auch dir scheint, Dichter, Schluchzen nur geblieben.
Ward Mundes Blume, die uns einst entzückt,
vom Ächzen schwarzen Windes denn zerrieben?
Die ausgerissenen Fäden
Tradition ist nichts, was Einer lernen kann, ist nicht ein Faden, den einer aufnehmen kann, wenn es ihm gefällt; so wenig, wie es möglich ist, sich die eigenen Ahnen auszusuchen.
Wer eine Tradition nicht hat und sie haben möchte, der ist wie ein unglücklich Verliebter.
Ludwig Wittgenstein
Du kannst die eigne Sprache nicht erfinden,
die mütterlich im Wiegenliede floß.
Sie ist der Erde und des Himmels Sproß,
der sich am Stab des Geists empor muß winden.
Die Quelle, halb verschüttet, schluchzt vergebens
nach ihrem Bruder, dem berühmten Strom.
Der Schmerz im Glied, das fehlt, scheint ein Phantom,
doch er bezeugt das volle Maß des Lebens.
Verwirrte wähnen sich der Sprache Herren
und reißen Fäden aus dem edlen Teppich,
bis sich die schönen Muster wild verzerren.
Flicht scheu nur, Dichter, Purpur von Exoten
zum heimatlichen Kranz von Lauch und Eppich,
beschäme blasse Wangen nicht mit roten.
Das helle Lied
Dem Kinde gleich, verirrt im dunklen Wald,
den eignen Namen hat es schon vergessen,
ist unser Geist von einem Schaum zerfressen,
gequollen aus der Tiefe, schwarz und kalt.
Wie eine Maus, die aus dem Dickicht kroch,
schon fiept sie leise in der Eule Krallen,
ward unser Herz vom Dämon überfallen,
der sich verbarg in einer Wunde Loch.
Daß uns doch, Dichter, orphisch-rettend töne
dein helles Lied, wenn wir im Finstern gehen,
das kranke Herz sich mit dem Geist versöhne,
die Kreatur sich berge noch, die bange,
dem stummen Schmerze süße Namen wehen.
Daß sich der Dämon füge dem Gesange.
Sonett des Unglücklichen
Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.
Ludwig Wittgenstein
Im hellen Licht verfolgen mich die Schatten,
und in der Nacht bohrt sich der Mond ein Loch
durch all die Decken, wo ich mich verkroch.
Mein Tag ist Nacht, mein Schlaf im Traum ermatten.
Die Worte, die mir gelten, sind wie Mücken,
sie zittern schon im Netz, das sich gewebt
die Spinne Angst, sie eilt, wenn es erbebt,
das warme Herz des Sinnes zu zerstücken.
Kannst, Dichter, du nicht einen Trank mir spenden,
den aus dem Gold der Trauben du gepreßt,
gepflückt von deiner Muse holden Händen,
den Wein, der mir die Flammen löscht, die dunkeln,
im Rausch mich Liebesblicke fühlen läßt,
wo Sterne aus dem kalten Abgrund funkeln?
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