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Feb 3 25

Der Aussatz auf dem Asphalt

Die unter Dornen fielen, blindlings, Samen,
das fahle Licht wird sie nicht auferwecken.
Gleich Händen, übersät von Altersflecken,
kein Hauch, kein Kuß rührt auf ertaubte Namen.

Du sahst, wie Disteln aus Metopen drangen
und bittrer Lattich wuchs auf Tempelstufen.
Den Kuckuck hörtest du im Haine rufen,
wo Ödipus einst Nachtigallen sangen.

Preß, Dichter, nicht dein Ohr aufs gelbe Moos,
es ist ein Aussatz nur auf dem Asphalte.
Die Ader hat ein Eisenzahn zerbissen,

verklungen ist der Quell in Gaias Schoß.
Was tief im Schlaf dir Melusine lallte,
erstickt in deinem angstzerdrückten Kissen.

 

Feb 2 25

Die Inschrift auf dem Grabe

Wie Schnee auf Gipfeln glänzt und Abgrund funkelt,
bezeugt das Diadem, Wort von Propheten.
So blendete das Licht von Hochgebeten,
das uns obszönes Wortgespinst verdunkelt.

Als unter grüner Wipfel Schatten schliefen,
die einen weiten Pilgerweg gegangen,
war ihnen, als ob Edens Wasser sangen.
Wir treiben schlaflos über stummen Tiefen.

Nimm, Dichter, einen Strahl von dem Geschmeide,
laß küssen ihn die Inschrift auf dem Grabe,
damit sie unsre Dunkelheit erleuchte:

„Es füllten Engel ihm des Herzens Wabe,
die Süße gab er hin dem bittern Leide.“
Daß uns Erinnerung das Auge feuchte!

 

Feb 1 25

Das schlichte Leben sagen

Die Ros’ ist ohn warum.
Sie blühet, weil sie blühet.
Sie acht nicht ihrer selbst,
fragt nicht, ob man sie siehet.

Angelus Silesius

 

Das schlichte Leben lebt sich ohne Frage.
Es fragt die Rose nicht nach Sinn und Gründen,
warum so hold sich ihre Knospen ründen.
Es öffnet sich ihr Schoß dem Sonnentage,
sie streut den Wassern, die ins Dunkel münden,
die Blüten, opfert hin sich ohne Klage.

Vollkommen ist die Webkunst einer Spinne,
sie grübelt nicht, ob auch die Fäden halten.
Voll Anmut sind die zarten Klanggestalten,
als bebe eines Vogels Herz vor Minne.
Die Stirn des Tigers legt sich nicht in Falten,
kein Zweifel hindert, daß die Lefze rinne.

Du auch, o Dichter, laß vom Grübeln, Zagen,
mag dich der Schnee der leeren Seite blenden,
schon taut er unter deinen heißen Händen,
schon siehst du Gras und Zeichen zitternd ragen
und hörst, wie Tropfen leise Reime spenden.
Kein Grübeln, Dichter, lehrt das Wahre sagen.

 

Jan 31 25

Blindes Fluten

Wie stumm sie wandern, Wolken, weiße, graue,
so sanft, so wild sind ihre Traumgestalten.
Kaum daß sie sich zu Schneegebirgen ballten,
zerfasern sie, aus Schlieren quillt das Blaue.
Was unter ihnen wir im Schlafe lallten,
war wie ihr Schatten auf der Sonnenaue.
Wie stumm sie wandern, Wolken, weiße, graue.

Wie still sie sitzen, Tauben hoch auf Dächern,
und drunten Hupen, Bellen, Scheibenklirren.
Streust Körner du, mag eine abwärts schwirren.
Ihr Antlitz birgt die Muse hinter Fächern.
Sie ließe wohl ihr süßes Lächeln flirren,
säß still dein Geist gleich Tauben auf den Dächern.

Was unterm Mond uns trägt, ist blindes Fluten.
Die Seele wogt wie Schaum und Gischt der Meere,
es zerrt an ihr Gestirn und Erdenschwere.
Stich sanft, o Vers, laß träumend uns verbluten.
Der Tropfen Reim, er fällt anheim der Leere.
Was unterm Mond uns trägt, ist blindes Fluten.

 

Jan 30 25

Spät, zu spät

Jung tatst du mit, auf daß du nichts versäumtest,
und dein nicht achtend lagst du auf der Lauer.
Was du erjagt: Chimären ohne Dauer.
Es wurde still. Dir ward, als ob du träumtest,
die Silberlocke weht im Abendschauer,
hoch stand der Mond, wo du am Ufer säumtest.

Früh galt dir, Vers um Vers hinabzuschlingen,
als wäre Lesen rohe Kost verdauen,
Verstehen Ungeschmecktes achtlos kauen.
Und spät, zu spät, hörst du, wie Vögel singen,
die ihre Brut zu nähren Nester bauen
und hegen sie mit des Gesanges Schwingen.

Es ist zu spät, wenn sich die Schatten längen,
noch einmal auf den Sonnenfirst zu steigen.
Wenn Wasser seufzen unter Weidenzweigen
und Seufzer tropfen in den Laubengängen,
gebiete deinem heißen Weh zu schweigen.
O birg es in den Schatten, die sich längen.

 

Jan 29 25

Fromme Mythen

Träume dünken uns die Paradiese,
goldner Tropfen Dunst der Erdenhölle,
Lied, Gemurmel einer blauen Quelle
unterm dunklen Stöhnen im Verliese,
die erweckt aus ödestem Gerölle
eines Dichters Traum vom Paradiese.

Sollen wir sie fromme Lügen heißen,
Schleier, die vorm bleichen Antlitz wehen
den Verlornen, die am Abgrund stehen,
daß entrückt von ihrem milden Gleißen
sie gestirnt die Nacht des Todes sehen?
Fromme Mythen mögen sie uns heißen.

Sollen eitlen Wahns wir Dichter zeihen,
die den Atemschwund in Metren messen
und uns geben Schaum des Reims zu essen,
wenn wir nach der letzten Wegzehr schreien?
Nur wer unsre Ohnmacht hätt vergessen,
dürften eitlen Wahns wir rechtens zeihen.

 

Jan 28 25

Verkarstete Landschaft

Verkarstet ist die Landschaft, wo wir einst
durch süßer Düfte Wehen heimgegangen.
Dort war es, daß uns weiche Wasser sangen.
Nun hüll ich meine Augen und du weinst.

So wandeln wir den alten Kindheitspfad,
wo Halme unter grauen Winden zittern.
Die frühen Bilder blassen und verwittern,
die Veilchen wälzte hin ein eisern Rad.

Geschwollen ist die Haut des Lieds, zerstochen
von einer Wespe, die nur einmal sticht.
Gott leiht sie nicht, die Salbe, die sie heilte.

Erstarb das Melos, ward die Blum gebrochen,
gehn stumme Schatten wir im Dämmerlicht.
Kein Sänger ist, der uns entgegeneilte.

 

Jan 27 25

Die Heimkehr vom Gebirge

Goldenen Blühens
Dämmerlicht
ist erloschen schon.

Ich gehe auf dem steilen Weg,
abwärts,
vorbei an schroffem Urgestein,
am Wehen bärtig alter Farne,
betropft von Tropfen matten Lichts,
Moos, älter als das Menschenwort,
grüner als sein schwacher Sinn.

O zu gehen, einsam, und nicht wissend,
ob einer abgeirrt
oder ihm bestimmt ein Ziel.

Vorbei an jähen Schluchten,
wo geschmolzene Wasser
in kristallinen Schalen,
dem kalten Kuß des Mondes hingereckte,
sich verschäumen.

Und immer steigen, sinken
Stimmen,
deren Sinn mir fremd,
doch schmerzlich-süß,
wie eines Traums,
der seine Fenster hoher Landschaft weit geöffnet,
und fernhin knirschen
im weichen Schnee des Schlafs die Schritte
saumselig-froher Schatten.

Mir ist, ich sollte eine Gabe,
die Wahrheit meines Leids,
von diesem knöchernen Gebirge
hinab in Täler bringen,
dem Wandrer gleich den Enzian,
den er im harschen Firn gepflückt,
daß Trost noch Augen mögen schauen,
die vom Warten in der kargen Heimat
und bleicher Sehnsucht
beinah blind.

Reicht aber jener, was er fand,
und ist am Rand des Abgrunds aufgeblüht
das Schöne,
Blüte, ausgesetzt und kühn sich abgetrotzt
dem scharfen Strahl,
sind meine Hände schrundig, leer,
und grau das Herz
vom Grauen,
dem Schweigen jener grenzenlosen Räume.

Mir ist, als läg ich vor der Schwelle,
es neigt die Mutter,
neigt die Schwester
das Ohr an meinen Mund,
doch hab ich nichts als Lallen,
das von den Worten übrigblieb,
wie warme Milch,
die von den Lippen eines Kindes,
ungetrunkne Liebe,
erdwärts rinnt.

Daß sie mich gnädig bergen,
wenn noch Milde das Gedächtnis schönt,
den allzu Müden
gütig betten,
wo eine Kerze flackert vor dem Bild,
das schlichten Sinnes einst der Ahn gemalt:

Kreuz auf fernem Gipfel,
wo sanft der Schnee
erglüht
im Untergang der Sonne.

 

Jan 26 25

Schöne fromme Mythe

Wie auf Stegen, drunten raunt die Leere:
„Dämmer bin ich, jäh vom Blitz gespalten,
Knospen, die sich träumerisch entfalten,
und sie sinken, bleich wie Schaum der Meere.“
Könnten Hand in Hand wir uns nur halten,
auf den Stegen, unter uns die Leere.

Einsam gehen wir, bevor wir fallen,
wie die Blüten, barsch vom Sturm gepflückte.
Und von dem, was unser Aug entzückte,
können wir nur wie die Narren lallen,
Worte, Hauch der Seele, wahnentrückte.
Einsam gehen wir, bevor wir fallen.

Kindlich wähnten wir, daß uns behüte
jener Engel, der die Flügel breitet,
auf dem Steg, dem schwanken, uns geleitet.
Keiner hebt empor uns voller Güte,
wenn der Fuß in dunkle Leere gleitet.
Kindlich war sie, schön die fromme Mythe.

 

Jan 25 25

Magnolien drängen schon

Σκιᾶς ὄναρ
ἄνθρωπος

Eines Schattens Traum
der Mensch

Pindar

 

Magnolien drängen schon an hellen Säumen,
sind noch vom Rauhreif überstäubt die Bänke.
Mir glänzt das Aug, wenn deiner ich gedenke,
seh ich die Knospen von der Bläue träumen.
Daß ich die volle Blüte dir noch schenke,
kommst du den Pfad, den die Magnolien säumen.

Ein Schluchzen steigt aus Büschen, die es hüllen,
das kleine Nest von flaumig-weichem Leben.
Ein leises Zwitschern will uns Kunde geben,
daß scheue Herzen süßer pochend füllen
der Wehmut Waben, die ins Helle schweben,
steigt Schluchzen aus den Büschen, die es hüllen.

Magnolien drängen schon, wenn wir noch träumen,
den Schatten gleich, die Pindaros beschworen.
Ist aber Glanz den Hohen auserkoren,
ein Schimmer will, ein Lächeln nicht mehr säumen,
küßt Charis die in Lust und Gram verloren.
Magnolien drängen schon, wenn wir noch träumen.

 

Jan 24 25

Daß wir uns bergen

Ruht still der See, kann sich das Sternlicht spiegeln,
der Hauch des Monds läßt zittern es, verschwimmen.
Um Lichter, die wie zarte Blüten glimmen,
hörst du der Motten feiste Schatten flügeln.
O dämpfen wir, verhalten wir die Stimmen,
wenn sich auf stillem See die Sterne spiegeln.

Wo weiße Wolken übers Wasser gleiten,
weckt Wind in Nestern, die im Schilfe schwanken,
ein Zwitschern, Rufe, die empor sich ranken.
Und die wir stumm ins Ungewisse schreiten,
schließt auf das bange Herz ein leises Danken,
wenn weiße Wolken übers Wasser gleiten.

Daß wir uns bergen unter grünen Lauben,
vom heißen Strahl nur Tropfen Lichtes bleiben,
die langsam rinnen, Milch auf Honigscheiben.
Es mildern dunkles Weh die Turteltauben,
wenn dunkler gurrend sie die Schnäbel reiben,
wo sie sich bargen unter grünen Lauben.

 

Jan 23 25

Fäden des Abendlichts

Das Wahre, Ganze können wir nicht sagen,
wir haben nur die Splitter, nur die Funken,
die bald in schwarzer Meerflut sind versunken.
Und wandeln wir beherzt an hellen Tagen,
ist jeder von der hohen Nacht schon trunken,
von der kein Wort, kein Traum, kein Stern kann sagen.

Mag auch der Hymne Sang zum Azur steigen,
und höher flügeln wie mit Adlerschwingen,
der blaue Abgrund wird ihn jäh verschlingen.
Im Laub der Dämmerung wiegt sich das Schweigen.
Zart sind die Schatten, die uns niederringen,
mag auch der hohe Sang zum Azur steigen.

Das schlichte Brot des Worts soll uns genügen,
der klare Wein aus heimatlichen Reben,
Lied, das aus Fäden Abendlichts wir weben.
Daß uns nicht reiße Angst aus Sinngefügen,
ergreift sie auch des Ungrunds dunkles Beben.
Das süße Licht des Lieds soll uns genügen.

 

Jan 22 25

Blatt, Schrift, Hauch

Blatt, gelöst wie der Träumer im Traum,
surrt es ins Dunkel, taumelt es blind.
Ariel gleitet im nächtigen Raum,
sichtbar macht er, singbar den Wind.

Schrift, geritzt in den Schlaf, in den Stein,
Name, von Efeu umrankt, von Tropfen geküßt.
Glanz einer goldenen Schale voll Wein
schäumt unsrer Schwermut, was sie vermißt.

Hauch, den Schleier lüftend vom Angesicht,
was die Herznacht verschwieg, zeigt uns der knospende Keim.
Eos, sanft erglühendes Rosengedicht,
sag es, lieblicher Mund, geründet zum Reim.

 

Jan 21 25

Abgeklärtes Denken

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Freie Radikale müssen durch konservierende Moleküle gebunden werden, sonst stiften sie nichts als Schaden.

Der abgeklärte Denker kann mit jedem beliebigen Ding beginnen und muß mit keinem enden.

Abgeklärt denken heißt die moralischen Scheuklappen ablegen, ohne auf das basale Ethos zu verzichten, das in einfachen Handlungen wie dem Grüßen oder dem Einhalten einer Verabredung zutage liegt.

Das an die Fütterung gewohnte Tier wartet nicht auf mich, wie ich es tue, wenn ich auf denjenigen warte, mit dem ich verabredet bin.

Das Tier ist durch die Erwartung gleichsam benommen, während ich, auf den Besuch eines Freundes wartend, in Ruhe ein Buch lesen, ja herumtrödeln kann, ohne auch nur an ihn zu denken.

Mit einem gummiweichen Faden läßt sich keine präzise Längenmessung durchführen; mit dehnbaren Begriffen nur Vages sagen.

Wer mit der Sprache schludert, wohnt in einem begrifflichen Kartenhaus, das der nächstbeste geschichtliche Sturm davonfegt.

Hans Guck-in-die-Luft, der spekulative Philosoph, wird über einen Alltagsgegenstand wie einen vergessenen Putzeimer stolpern.

Der abgeklärte Denker stolpert, doch nicht in den Abgrund: Er macht einen Fund. So entdeckt Wittgenstein am Brocken des unnachgiebigen definitorischen Allgemeinbegriffs den Spielraum der Familienähnlichkeit im stets impliziten Netz zusammenhängender Begriffe.

Der Clown stolpert über seine zu langen Schuhe, und alle lachen. Der Zelebrant stolpert über den Altarstein, und alle sind peinlich berührt.

Der Bruch in der kontinuierlichen Linie habitualisierten Verhaltens wirkt einmal komisch, ein andermal peinlich.

Sich verhaspeln, sich versprechen: Manchmal kommt eine verschwiegene Wahrheit ans Licht.

Das widerspenstige Werkzeug bringt den Werkwelt- und Bewandtniszusammenhang des Heideggerschen Daseins zur Erscheinung.

Die ausgefallene Lampe weist auf den unterbrochenen Stromkreislauf; der untaugliche Begriff („Repräsentation von Sachverhalten“) auf den unterbrochenen Strom der lebendigen Sprache („die Mannigfaltigkeit der Sprachverwendungen“).

Das schiefe sprachliche Bild gleicht dem Blick in einen Zerrspiegel.

Übereinandergelegte Muster lassen nur das begrifflich Triviale hervortreten.

Auch der Kriminelle ist mehr als das kriminalpsychologische Profil, aufgrund dessen man ihn identifiziert hat. So war Caravaggio nicht nur ein Mörder, sondern auch ein bedeutender Maler.

Betrachten ist nicht beobachten, plaudern nicht Mitteilungen machen, dichten nicht verklausuliert sagen, was sich umstandslos sagen ließe.

Hölderlin vermochte nicht der deutsche Pindar zu werden, weil die Feste, auf denen seine Chorlyrik hätte erklingen können, im Land der Dichter und Denker keinen Stifter, keine Stätte, keine Gemeinde fanden.

Auf knapp bemessenem Raum einen Gehalt verdichten, der bisweilen ins Unermeßliche reicht: Prinzip und Verfahrensweise der antiken Lyrik (Pindar, Horaz).

Der geistvolle Einfall entspringt im Gedränge.

Mögen sie nur Stroh dreschen – ein Funkenflug genügt.

Man kann nicht fragen, wie es wäre, nicht zu existieren.

Das Leben kann sich selbst nicht in Frage stellen.

Sein ganzes Leben damit vertun, die eine Rätselnuß zu knacken – und post mortem wird offenbar, sie ist hohl.

Die Wissenschaft gibt uns keine Antwort auf die Frage nach dem Wozu. – Der Sinn haust nicht als marginaler Gast oder zufälliger Mieter im sinnlosen Gehäuse der Natur.

Überspannte Wissenschaftler verfangen sich in Pseudo-Erklärungen (wie „Denken ist ein Hirnvorgang“ – „Liebe ist die Ausschüttung bestimmter Hormone“).

Daß es vergeht, ist kein Einwand gegen das, was da ist.

Überspannte Philosophen zwängen das Denken unter das Joch eines Systems („Alles ist Geist: Idealismus“ – „Alles kann auf physikalische Gesetze zurückgeführt werden: Naturalismus“) oder eines Projekts („das Projekt der Aufklärung“ – „das Projekt der Moderne“).

Er tat wie ein Seiltänzer, der auf einem dünnen Seil über einen schwindelerregenden Abgrund balanciert; doch schleppte er sich in Wirklichkeit mit plumpen Schritten über den Asphalt der Plattheiten und Trivialitäten dahin.

Die Bilder nicht von Menschen bewohnter Landstriche und Gegenden, der Wüsten und Steppen, der Weiten und Tiefen der Ozeane trösten uns noch über das parasitäre Gewimmel unserer Gattung auf dem schwärenden Leib der alten Gaia.

Begriffsschranzen und Theoriesnobs, die auf rhetorischen Stelzen über die Köpfe der Minderbemittelten hinweg Dunkles künden, um mittels änigmatischen Geschwätzes Eindruck zu schinden.

Die wurmstichigen Früchte am Baum der politischen Moral wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit, Inklusion und Vielfalt nimmt der auf bekömmliche geistige Diät eingeschworene abgeklärte Denker nicht in den Mund – es sei denn, um sie coram publico angeekelt auszuspeien.

Torheit oder unverzeihliche Naivität verlangt bedingungslose Freiheit der Meinungsäußerung; doch sie der hemmungslosen Meute zu gewähren, heißt, in Kauf zu nehmen, daß man sie da und dort und immer wieder, in den Worten aller Sprachen, doch verwandten Sinnes, brüllen hört: „Gib den Barabbas frei, den da schlag ans Kreuz!“

Der aufgrund zur Massenhysterie gesteigerter sexueller Freizügigkeit traumatisierte Priester fühlt mit den vor den Kopf gestoßenen orthodoxen Rabbinern und hält sich einiges zugute, wenn er die Vorteile der Separation gegenüber der Koedukation von Knaben und Mädchen herausstreicht. – Das Motiv für die Äußerung seines Arguments, daß die beiden Geschlechter ab einer bestimmten Altersstufe zu ihrem eigenen Vorteil getrennt erzogen werden sollten, mag zwielichtig sein; doch ist es deshalb unwahr?

Der frühe Existentialist marschierte nach vorn gebeugt wie gegen einen Sturm anrennend, der altgewordene wandelt auf den überwachsenen Pfaden der Gelassenheit in windstillem Kreis.

Der abgeklärte Denker billigt sich einen Spielraum bei der Wahl der überlieferten geistigen Speisen zu, insofern sie seinem empfindlichen Magen zuträglich sind und seinen verfeinerten Geschmack nicht beleidigen. – Dies gilt – horribile dictu – auch für die Bewirtung durch politische Köche; denn er ist souverän genug, die erlesene Kost monarchisch-höfischer und aristokratisch-elitistischer Provenienz dem Mischmasch plebejisch-demokratischer Vulgarität vorzuziehen.

Der Spätling ist kein Gargantua geistiger Völlerei.

Der Abgeklärte hat einen Degout vor allem, was zu dick aufgetragen, mit geblähten Backen ins grelle Scheinwerferlicht hinausposaunt oder ohne gnädige metaphorische Verhüllung an poetischen Erektionen feilgeboten wird.

Die Sensationsgier, also die Journaille, führt zur Verrohung des Fühlens und Sagens.

Wenn kein Blut von der Leinwand rinnt, die sie für Kunst, kein Leichengeruch aus den Furchen dessen dringt, was sie für Dichtung halten, wendet sich der barbarische Zeitgeist gähnend und gelangweilt ab.

Zu großen Werken inspiriert der Glaube an die eigene Größe, so der Glaube göttlicher Erwählung den biblischen Juden, der Glaube an die kulturelle Vormachtstellung den Erbauer der Akropolis, der Glaube an die weltpolitische Führungsrolle Roms den Schöpfer der Äneis.

Wer sich seines Daseins oder zumindest seiner nationalen Identität schämt wie der moralisch gedrückte Deutsche, verachtet auch die großen Werke seiner Vergangenheit.

Stufen des Sinns, Grade der Verständlichkeit. Wir können unterschiedliche Schichten oder Stufen des Sinns eines physiognomischen, gestischen und sprachlichen Ausdrucks anhand der unterschiedlichen Grade seiner Verständlichkeit identifizieren. Die bejahende Antwort der alten, gebrechlichen Dame auf die Frage, ob wir sie über die verkehrsreiche Straße geleiten sollen, und der Nachvollzug der pythagoreischen Gleichungen am rechtwinkligen Dreieck sind von höherer Transparenz und Verständlichkeit als die Zweideutigkeit eines Delphischen Orakels und einer nur scheinbar trivialen oder absurd anmutenden Formulierung des späten Wittgenstein (wie derjenigen vom unverständlich sprechenden Löwen oder dem auf dem Kopf stehenden Haus der Sprache); dagegen nimmt der Grad der Unverständlichkeit und Rätselhaftigkeit in dem Maße zu, wie wir in die änigmatischen Gedichte eines Paul Valéry oder die scheinbar oder wirklich widersinnigen Verlautbarungen der Geisteskranken vordringen. Wer uns mit dem Anspruch kommt, er sei ein Bote Gottes, ist uns immerhin noch verständlicher als der Schamane oder Verrückte, der mit den Armen flattert und ein Vogel der Geisterwelt zu sein vorgibt. – Wir sollten solche Fälle exemplarisch studieren, um den echt änigmatischen vom pseudoänigmatischen dichterischen Ausdruck unterscheiden zu lernen, denn letzterer ist ein nicht selten mißbräuchlich verwendetes Mittel, auf unsere Kosten Aufmerksamkeit zu provozieren, die sich im günstigen Fall endlich in ein leichtes Kopfweh auflöst.

Genialität anzuerkennen verlangt Demut vor der Kontingenz ihrer Entstehungsbedingungen.

Fruchtbarkeit des kulturellen Bodens, ein gedeihliches seelisches Klima und die sensorische Eigenart der indogermanischen Völker bildeten schicksalshafte Lebenslinien in der Physiognomie der griechischen Genialität.

Göttliche Samen, die unter die Disteln des Unglaubens und die Schatten des Zweifels fallen, können nicht sprießen.

Wesentliche dichterische Metaphern sind wie Blitze in der Nacht.

Woran er auch streift, ob Stein oder Halm, Tau oder Blatt, stumme Kreatur oder Engelsflügel, der wache dichterische Geist findet stets die Öffnung zur Fülle des Seins.

Man kann die herrliche Windung der Muschel und den in ihrem Innern schimmernden Perlmutt ebensowenig aus natürlichen Entwicklungsgesetzen ableiten wie die sublime Gestalt der Pindarischen Ode und ihren an jähen Stellen aufgehenden inneren Glanz aus literarhistorischen.

Geheimnisvolle Klänge, überwirklich, übersinnlich, als wäre der Geist des Dichters eine himmlischen Lüften ausgesetzte Äolsharfe.

 

Jan 20 25

Keime und Samen

Wohl sind Keime heimlich eingesunken,
doch das Herz der Erde war schon grau.
Wehen Frühlingslüfte wieder lau,
wanken an den Ufern Schilfe trunken,
sind verkümmert, unerweckt vom Tau,
Keime, in die Herznacht dir gesunken.

Hast es nachgesungen, noch ein Knabe,
Lied, das von Ioniens Inseln flog,
flügelnd Schatten übers Schulheft zog.
Blieb ein Goldglanz in der Sonnenwabe,
wo dein müdes Herz sich Süße sog,
war’s, was du gesungen, noch ein Knabe.

Blumensamen, der im Schnee gefroren,
Schlaf umfing ihn, traumlos-weiße Nacht.
Seufzen stieg zu Mondes kalter Pracht
über Blüten, an die Nacht verloren.
Daß im Strahl des Liedes uns erwacht
Blumensamen, der im Schnee gefroren.

 

Jan 19 25

Nächtiges Wasser

Ist süß es, ist es bitter,
das nächtige Wasser,
wenn es säumend zwischen Uferschilfen fließt?

Was unbegrenzt in sich zerrinnt,
Schaumlider über Nächtigem verschließt,
es ist bitter-süß.

Scheint einsam nicht die hohe Nacht,
wenn stumme Nester in den Schilfen schwanken,
schluchzend Wasser um die Wurzeln quillt?

Funken streut der helle Schlaf,
lichte Rätsel in die dunkle Stille,
aufglimmend und verlöschend, unser Ebenbild.

Wird es nicht still, unheimlich still,
wenn vor dem Morgenrot die Sterne blassen
und Mondes Knospe in den Abgrund sinkt?

Nest um Nest erwacht im Strahl,
kein Dichter kann in Worte fassen,
wie zarte Bläue Gold aus Vogelrufen trinkt.

 

Jan 18 25

Vom Schrecken der Freiheit

Du willst der Meute nicht das Maul verbieten?
„Den Barabbas gib frei“, hörst du sie brüllen,
„den schlag ans Kreuz!“ Laß ihren Drang sie stillen,
den Geist ersticken sie, Wahnparasiten.

Frag nicht, weshalb die Anmut sie wohl hassen.
Ihr Klumpfuß hindert sie, gleich ihr zu schreiten,
der graue Star, den Blick ins Blau zu weiten,
ihr Geifer, Reines unversehrt zu lassen.

Birg, Dichter, dich im Turm aus Elfenbein –
umsonst! Rauch steigt empor, Krakeelen,
wenn geil sie von des Henkers trübem Wein

zur keuschen Nonne unterm Fallbeil stieren.
Durch Albtraumritzen fühlst du Dünste schwelen,
die deinen Vers mit Widersinn beschmieren.

 

Jan 17 25

Die letzte Symphonie

Anton Bruckner, 9. Symphonie

Trost gewährt die letzte Symphonie,
die der Meister uns noch hat gewunden
aus den Ranken stiller Dämmerstunden.
Wie geheimnisvoll löst ihre Harmonie
Fesseln, die den kranken Geist gebunden.
Trost gibt uns die letzte Symphonie.

Wie aus dumpfem Schlaf sind wir erwacht
im Gefild, das Taubheit nicht zertreten,
und wir staunen, Halm und Seele beten,
zitternd unter lichter Wogen Pracht.
Übersprüht von jähen Klangkometen
sind aus dumpfem Schlafe wir erwacht.

Reißt auch Brausen uns vom Stamme los,
reife Frucht muß in das Dunkel fallen,
eitel, sich an Schatten festzukrallen.
Was da weht, ist weihevoll, ist groß.
Im Unendlichen nur mag verhallen
Brausen, das uns reißt vom Stamme los.

 

Unter dem Dirigat von Günter Wand:
https://www.youtube.com/watch?v=PkiIR1XLgnk

 

Jan 16 25

Die stille Lampe

Die stille Lampe gönnt uns ein Besinnen.
Wie unterm Mond geht hin der Strom der Zeichen.
Obskure Rätselschäume, sie verbleichen,
verstreute Blüten, die entzücken, rinnen.

In lauer Sommernacht wölkt auf Gefunkel,
Leuchtkäfer, die, was lichtlos harrt, betören,
und Grillenzirpen wogt in wilden Chören.
Glanz orphischen Gesangs fließt aus dem Dunkel.

Wühlt heller Geist zu tief in Gaias Schoß,
Gestalt dem Ungestalten zu entlocken,
weckt er Erinnyen auf, Gezisch von Schlangen.

Glüht des Erkennens Sonne gnadenlos,
fällt bald der grüne Strom der Zeichen trocken.
Zu Karst wird Schilf, wo Somnambule sangen.

 

Jan 15 25

Monolog des Winds

Zarte Halme hab ich zart gestrichen,
und sie neigten sich, und schimmernd sanken
weiche Tropfen. Moos und Veilchen tranken.
Schatten sind vor meinem Hauch gewichen,
aufgeschauert aus dem Schlaf die Ranken.
Zarte Halme hab ich zart gestrichen.

Süße Düfte hab ich fortgetragen,
die um Knospen, seufzende, bang schwebten,
und die sie empfingen, Falter bebten,
sich in Purpurdämmerung zu wagen.
Rauschend starb ich, daß die Stillen lebten.
Süße Düfte hab ich fortgetragen.

Liebe, die am offnen Fenster harrte,
ob ein Lied aus märchenfernen Gärten
ihr noch künde vom Gelall der Zärten,
war ich Herold, der sie gnädig narrte,
gleich den Lippen flüsternd, den entbehrten,
daß sie lange noch am Fenster harrte.

 

Jan 14 25

Der Aufstand der Gnome

Könnt je ein Hottentott ein Arier sein,
ein Hodenschwinger je ein Kind gebären,
flieht zum Pazifik hin das Volk der Schären,
fließt unterm Pont des Arts der alte Rhein.

Gilt Kot für Kunst, in Dosen weich gepreßt,
der Kehle Würgen für Gesang der Musen,
fegt Frau von Milo weg ein Plastikbusen,
singt eine Nachtigall im Kuckucksnest.

Die alles mischen, Farben, Sprachen, Rassen,
was überragt, die edlen Knospen köpfen,
sind Gnome, die sich selbst und jeden hassen,

dem Sterne hohen Sinns im Auge blitzen.
Sie werden auch des Dichters Waben schröpfen,
den Honig schmieren um der Lüge Zitzen.

 

Jan 13 25

Bei zugezogenem Vorhang

Das hohe Wort mag unzugänglich blauen,
wie Enzian auf tief verschneiten Matten.
Dir weckt Erinnerung nur stumme Schatten,
erstickte Seufzer nur das Abendgrauen.

Du weißt es noch, es waren Tropfen, lichte,
im Tauwind süßen Blüten hingeronnen,
doch dorrte dir das Wort im Preis der Sonnen,
es flirrten im Asphalt die Wahngesichte.

Zu kraftlos, Dichter, für den Gipfelgang,
liegst du, den Vorhang zugezogen, blöde,
das Herz betäubt von nächtlich dumpfem Pochen.

Kein Bote bringt das Blau dir in die Öde.
Nur düstrer Flammen Zischen hörst du bang,
die dir das mürbe Mark des Lieds zerkochen.

 

Jan 12 25

Amor und Psyche im Schnee

Blaß schwebt hin der Mond,
eine Bitterfrucht,
die kein Lied mehr pflückt.

Zwillingsschatten gehen
durch den hohen Schnee,
und der Schnee ist Schlaf.

Eins ins andre träumend,
wogt es auf und ab,
wehes Herz der Nacht.

Atemnebel steigen
weich von Mund zu Mund
und zerflattern zart.

Was ein Herz dem andern
in sein Dunkel sagt,
licht wird es, Kristall.

Amors Schatten ist es,
Psyches, die verirrt
suchten sich so lang.

Ach, im Schnee sich fanden,
in Hesperiens Schnee,
Zwillingsschatten spät.

Glüht der Mond nicht schon,
Schmelz von goldner Frucht,
die das Lied entzückt?

 

Jan 11 25

Not lehrt dichten

Flimmernd in der Wüstenluft, Oase.
Rote Frucht, Nomade Mond der Nacht.
Hoher Dichtung würdig Sonnenpracht,
Orchideen in der blauen Vase.
Duft, dem Schlaf der Anmut dargebracht.
Eden, Chiffre ohne Ort, Oase.

Heimat, süßes Echo Heimatlosen.
„Dämmre, Tag!“, ruft, der vom Schneelicht blind,
halb erfroren ruft er: „Taue, Wind!“,
und der sie vermißt: „Haucht Liebe, Rosen!“
Not lehrt Verse, die wie Rauschen sind,
ferner Heimat Quellen Heimatlosen.

Ewig sind dem Antlitz wir verpflichtet
auf dem Schweißtuch jener reinen Magd,
Schönheit, die aus dunklem Abgrund ragt.
Rein Empfundenes hat wohl gedichtet,
wem das lang Entbehrte noch getagt.
Schweigen, dem die Blume Wort sich lichtet.

 

Jan 10 25

Verwitterte Ikone

Das Gold und Blau des Himmels sind zersprungen.
Der Lippen Purpur, die den Saum umfaßt,
den Kelch des hohen Geistes, ist verblaßt.
Das Brot zerbröckelt, Asche tauben Zungen,
verwischt vom Tau der Nacht der Wunderglast.
Das Gold und Blau des Himmels sind zersprungen.

Das Lächeln ist vom Angesicht geschwunden,
und hatte sich zum Kuß des Blicks gesehnt,
da sich des Jüngers Herz ihm angelehnt.
Blaß rosa schimmern noch des Heiles Wunden,
auch wenn der Segen sich ins Leere dehnt.
Das Lächeln ist vom Angesicht geschwunden.

Welk sehen wir, voll Schwermut, unsre Seele
in der Ikone, die verwittert fahlt,
als hätten träumend wir sie selbst gemalt.
Uns schmerzt, daß ihr das Licht der Gnade fehle,
das einst vom Schmelz des Inkarnats gestrahlt.
Welk sehen wir, voll Schwermut, unsre Seele.

 

Jan 9 25

Traurige Trochäen

Laß am Abend uns zum Ufer gehen,
dort, wo einst in ferner Kindheit Tagen
uns gerauscht aus Schaum und Muscheln Sagen,
schweigend auf die öde Meerflut sehen,
wo sich schreiend junge Möwen jagen,
abends Hand in Hand am Ufer stehen.

Briefe, die ich einst dir hab geschrieben,
Bündel, mit dem Seidenband umwunden,
eitle Stigmen trunkner Marterstunden,
wär’s auf dunklen Wassern hingetrieben,
Blume, der kein Strahl den Duft entbunden,
Duft, der meinen Briefen wär geblieben.

Glocken, die uns sanft geweckt, zu wandern
durch die Schneenacht unterm Stern der Gnade,
Schneenacht schimmerte, ein Lichtgestade,
wie sie stumm im Dunkel nun mäandern.
Überwuchert sind die frühen Pfade,
keine Glocke ruft, nur Schatten wandern.

 

Jan 8 25

Geleit von sanften Geistern

Sanfte Geister mögen dich geleiten,
hold dir wie versehrten Seelen Feen.
Sinnend magst, gedämpften Schritts, du gehen,
auf verschlungnen Pfaden, überschneiten,
wo die blassen Blüten niederwehen.
Mögen sanfte Geister dich geleiten.

Daß du nicht erschrickst vorm jähen Knistern,
Schatten, raschelnd im Gesträuch. Es regen
sich die kleinen Sänger deinetwegen,
zählen dich zu ihren Mitgeschwistern,
und sie singen süß den Abschiedssegen.
Schrick nicht auf, es war nur Flaum und Flüstern.

Kommst zum Schilf du, lausch der weichen Welle.
Trunken seufzt der Kahn, begrünt vom Moose.
Wie im Traum treibst du, die schwerelose,
an des Jenseitsufers sanfte Schwelle.
Nacht blaut hell, die hohe Herbstzeitlose.
Und im Schilf weint noch die weiche Welle.

 

Jan 7 25

Schnee, o sanfter Anmut Taumel

Als angehaucht du die vereiste Scheibe
und deine Nase daran plattgedrückt,
wie hat dich, Knabe, Schneelicht sanft entrückt.
Du hofftest, daß die Flockenhülle bleibe,
die wie ein Tuch den Tisch der Erde schmückt,
als angehaucht du die vereiste Scheibe.

Du hast die Verse leise nachgestammelt.
War’s Sapphos Mond, war’s Trakls dunkler Quell?
Ein Schlaks, die Wimpern schattend, Stimme hell,
hast Muscheln du, Fossilien gesammelt.
Wie blichen aus im Staub der Schulangst schnell
die Verse, die du vor dich hin gestammelt.

Beinah erstickt wie Veilchen unter Nesseln,
hat kaum ihr süßer Hauch dich mehr erreicht,
als Philologenqualm sie ausgebleicht.
Der Rhythmus stockte in gelehrten Fesseln.
Was von Magisterlippen troff, war seicht,
wie trüber Schaum von Lippen feister Nesseln.

Nun schneien sie erneut, die süßen Flocken,
sie singen in die Herznacht ohne Laut,
gleich Boten einer fernen Himmelsbraut,
in sanfter Anmut Taumel dich zu locken.
Daß dir nicht vor dem dunklen Tode graut,
schneit Herthas Wolke helle, süße Flocken.

 

Jan 6 25

Schneisen der Vernunft

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Die Logik und Struktur der Sprache überschreitet die Grenzen ihrer psychologisch oder evolutionspsychologisch erklärbaren Natur.

Torheit identifiziert das grammatische mit dem natürlichen Geschlecht. Doch wieso schurigelt uns die Struktur der altgriechischen, der lateinischen, der deutschen Grammatik nicht nur mit der Dualität des maskulinen und femininen Genus, sondern narrt uns darüber hinaus mit dem Neutrum?

Das Kind, das Huhn, das Rind – was die Begriffe meinen, entbehrt ja nicht eines natürlichen Geschlechts; während wir uns bei dem Mädchen, dem Knäblein, dem Hühnchen mit dem gleichsam ungeschlechtlichen Leichtsinn der Verkleinerungs- und Verniedlichungsform zufriedengeben mögen.

Die grammatischen Genera und ihr Beitrag zur semantischen Ordnung der Sprache sind ein philosophisch bedeutsames, indes kaum beachtetes sprachliches Phänomen.

Die Logik der Sprache manifestiert sich im Gebrauch von Sätzen zur Identifizierung bestimmter Sachverhalte, die nur im Lichte ihrer sprachlichen Darstellung für uns greifbar werden. „Es regnet“ bedeutet, daß der Sprecher den möglichen Sachverhalt, daß es regnet, als wirklich annimmt oder seine Behauptung als wahre Aussage verstanden wissen will.

Die Tropfen, die da fallen, sind naß oder bestehen aus einer spezifischen chemischen Substanz, nicht aber die Tatsache, daß es regnet.

Die logische Möglichkeit der Wahrheit oder Unwahrheit von Sätzen und die Objektivität von Gedanken kann nicht psychologisch erklärt oder naturalisiert werden.

Zu sagen „Es regnet nicht“ ist eine triviale, aber wahre Annahme angesichts der Beobachtung, daß die Straßen und Dächer trocken sind. Wir können träumen, daß es regnet, aber nicht von dem negativen Sachverhalt, daß es nicht regnet.

Unsere Fähigkeit, von negativen Sachverhalten zu sprechen, deutet auf einen sprachlichen Ursprung dessen, was wir Vernunft nennen.

Unsere mentalen Zustände und Befindlichkeiten sind gleichgültig oder gleichsam neutral gegenüber der Wahrheit oder Unwahrheit von Sätzen, die wir unter ihrem Einfluß äußern.

Man kann die logische Funktion nicht auf die kommunikative zurückführen. Da hilft weder Psychologie noch Soziologie. Der Begriff einer kommunikativen Vernunft gehört zum schillernden Begriffsplunder, der die akademische Jugend seit Dezennien in ein weltanschauliches Wolkenkuckucksheim locken soll.

Ein Satz ist unabhängig von der Tatsache wahr oder falsch, daß er mitgeteilt oder verschwiegen wird.

Die Logik ist nichts, was der Mitteilung bedürfte, denn sie sorgt, wie Wittgenstein sagte, gleichsam für sich selbst.

Die Mitteilung „Frau Müller sagt, sie habe drei Geschwister und ihre Eltern somit vier leibliche Kinder“ ist nicht gleichen logischen Ranges mit der Aussage „Die Anzahl der großen Jupitermonde ist gleich der Anzahl der Evangelisten.“ – Frau Müller könnte, ohne davon zu wissen, ein uneheliches Kind als leiblichen Sproß ihrer Eltern ansehen.

Ich muß die Anzahl der großen Jupitermonde nicht kennen, um zu wissen, daß sie dieselbe ist wie die Anzahl der Evangelisten, wenn ich sie einander eins zu eins zuordnen kann.

Die natürlichen Zahlen können keine mentalen Inhalte sein, wie beispielsweise Farbbegriffe, deren Definition und Umfang von Kultur zu Kultur schwanken mögen.

Wir können, wie Wittgenstein nachwies, nicht an allem zugleich zweifeln; könnten wir es, entzögen wir auch diesem Satz, daß wir an allem zweifeln, die semantische Basis des Wissens von der Bedeutung der in ihm verwendeten Worte.

Zu behaupten, die in der adäquaten Situation geäußerte Aussage „Da geht ein Mensch“ habe kein fundamentum in re und stelle keine Wahrheit an sich dar, sondern sei nur die Beschreibung eines visuellen Phänomens, ist Unsinn; denn wir wissen, was wir meinen, das heißt, verfügen über hinreichende Bedingungen der korrekten Anwendung unseres sprachlichen Ausdrucks, wenn wir in der entsprechenden Situation von einem Menschen reden, der an uns vorübergeht.

Die Aussage „Die Welt ist eine aus phänomenalen Daten konstruierte (wissenschaftliche) Fiktion“ oder „Die Welt ist meine Vorstellung“ ist Unsinn, denn wir wissen, was wir meinen, wenn wir von der Welt der physikalischen Dinge oder der Welt, in der Blumen sprießen, Löwen brüllen und Delphine schwimmen, im Gegensatz zu der fiktionalen Welt reden, in der Tiere sprechen oder sich Bäume vor der magischen Gewalt orphischer Gesänge beugen.

Die Aussage, daß es die Welt der von uns benennbaren Tatsachen gibt, ist eine synthetische Aussage a priori, die aus der Einsicht in die Falschheit der gegenteiligen Annahme folgt, daß die Welt nichts als ein Konstrukt unserer sinnlich gefütterten Einbildungskraft sei; sie folgt aus der Erkenntnis der Falschheit der Annahme, wir könnten an allem, also auch der Existenz der Welt, zweifeln.

Aus den Axiomen eines aus ihnen analytisch ableitbaren formalen Systems wie des Systems der natürlichen Zahlen können wir nach Gödel Sätze ableiten, die in diesem formalen System nicht beweisbar sind und demnach als synthetisch gekennzeichnet werden müssen.

Daraus folgt, daß die Alternative zwischen analytisch beweisbaren, aber inhaltsleeren, weil tautologischen Aussagen formaler Systeme und synthetischen, aber rein empirischen Annahmen, die auf Wahrnehmungssätzen fußen, unhaltbar ist, denn sie ist zumindest unvollständig, wenn wir die Geltung von synthetischen Sätzen a priori wie „Die Welt der von uns benennbaren Tatsachen existiert“ nicht zu leugnen imstande sind.

Wäre die Welt meine Vorstellung, eine bloße Fiktion oder ein theoretisches Konstrukt, könnten wir es nicht sagen.

Im Traum von dem Gedanken gestreift und überrascht zu werden, daß man träume, setzt ein implizites Wissen darüber voraus, wie es wäre, nicht zu träumen.

Wäre ich, wie Putnam erwies, ein Gehirn in der Nährflüssigkeit eines medizinischen Labors, könnte ich es nicht sagen; kann ich es sagen, ist die Annahme des Gegenteils evident.

Denke ich an meinen verstorbenen Freund Hans, so ist evident, daß sich der Name nicht auf seinen wahrnehmbaren Träger bezieht (denn Hansens Körper ist schon zerfallen), sondern auf die Person, deren Identifikation mir aufgrund von Bedingungen möglich ist, die sich meiner Willkür oder der Willkür rein sprachlicher Konventionen entziehen.

Der Unterschied meiner Erinnerung an Hans Castorp, den Protagonisten aus Thomas Manns Romanwerk „Der Zauberberg“, und meiner Erinnerung an meinen Freund Hans erhellt aus der kategorialen Differenz jener epistemischen Quellen, aus denen ich die Bedingungen ihrer jeweiligen Identifikation schöpfe – fiktionalen des Romans und realen von Dokumenten oder den von unabhängigen Zeugen mitgeteilten Berichten.

Daß die Faktoren der Multiplikation vertauscht werden können, ist ein triviales Wissen auf Basis analytischer Axiomatik; daß Goldbachs Vermutung über die Summe aller ganzen Zahlen aus Primzahlen gilt, ist ebensowenig trivial wie die Annahme, daß die Summe der Winkel im rechtwinkligen Dreieck stets 180 Grad ergibt; denn wir können nichteuklidische Geometrien entwickeln, bei denen diese Annahme nicht zutrifft.

Nicht alles, was wir wissen, ist kausal bedingt. Ich kenne die Wurzel aus 9 und weiß, ich wäre nicht da, hätten sich mein Vater und meine Mutter nie getroffen. – Abstrakte Formen und Hypothesen über irreale Bedingungen, die jeweils keinerlei kausalen Einfluß auf unsere Denkvorgänge haben, können unser Wissen vermehren.

Wahrnehmbare Dinge, die uns vor Augen liegen, sind weder das Muster für unsere epistemischen noch für unsere sprachlichen Fähigkeiten. – Ich zeige nach seiner Aufforderung auf eine Tanne, worauf mein botanisch versierter Freund sagt: „Gut gesehen, denn dies ist keine Fichte!“

Auf die Tatsache, daß es regnet, kann ich nicht zeigen; nur auf die fallenden Regentropfen. Auf die Tatsache, daß es nicht regnet, kann ich nur sprachlich Bezug nehmen.

Die Existenz von Schwarzen Löcher kann, da sie bekanntlich die kausal auf unsere Rezeptivität wirkenden Lichtwellen zurückhalten, wohl theoretisch erschlossen, aber nur indirekt empirisch belegt werden.

Wir wissen intuitiv um das, was wir unvernünftig nennen, eher als um eine positive Bestimmung von Vernunft. Wir halten es für unvernünftig, alles gleichzeitig in Frage zu stellen und zu bezweifeln, bevor wir mit Wahrheiten aufwarten können, die wir für unbezweifelbar halten.

Das Auftauchen logischer Inkonsistenzen, die unseren Alltagsverstand ruinieren, ist ein guter Hinweis darauf, daß der Weg, der zu ihnen geführt hat, nicht von der Vernunft empfohlen worden sein kann.

Zu fragen, wie es wohl sein oder sich anfühlen mag, eine Fledermaus zu sein, ist von nicht geringerem Unsinn als zu fragen, wie es denn ist oder sich anfühlt, ein Mensch zu sein.

Zu fragen, wie es wäre, wenn nichts existierte, ist von nicht geringerem Unsinn als zu fragen, wie es ist oder sich anfühlt, zu existieren.

Es ist unvernünftig, den Tod als Schatten über dem Leben anzusehen oder als einen Grund, es prinzipiell in Frage zu stellen.

Es ist unvernünftig, aus der Tatsache, daß ich hier und da einer Täuschung erlegen bin, zu folgern, die Welt sei ein Lügennetz, gewebt von der Spinne namens Verstellung, Trug oder Wahn.

Es ist unvernünftig, das Gegebensein des Zeichens für Identität oder Gleichheit im Modus des Indikativ Präsens zu lesen: 2 und 2 ist 4 heißt nicht, daß die Addition jetzt oder in einem zeitlosen Sinn gültig ist, sondern schlicht, daß sie gilt. Daher ist es unsinnig zu fragen, ob 2 und 2 auch 4 gewesen wäre, als es kein menschliches Wesen gab, das diese Gleichung hätte aufstellen können.

Es ist unvernünftig, uns vorzustellen, wie es wäre, wenn wir wesentlicher Dimensionen der menschlichen Existenz, wie der Fähigkeit, zu sprechen oder etwas zu beabsichtigen, entbehren würden.

Die Sprache kann keine Fähigkeit sein, die wir zufällig erworben haben, denn wäre dem so, könnten wir uns vorstellen, wie es wäre, ein Mensch zu sein ohne diese Fähigkeit.

Ähnlich wie die Intelligenz streut die musische Begabung nach dem Muster der Gaußschen Kurve der Normalverteilung.

Je stärker das Interesse an Macht und Politik, umso schwächer die Neigung zu den musischen Fächern.

Der Politiker Carlo Schmid hat noch Baudelaire übersetzt; die meisten der heutigen Politiker, gleichgültig, welcher Parteidoktrin sie folgen, wüßten nicht einmal mehr, was es mit den Fleurs du Mal für eine außerordentliche dichterische Bewandtnis hat.

Es ist unvernünftig, für alle Wege, auf denen wir zu Gewißheiten und mehr oder weniger gesicherten Überzeugungen gelangen, dieselbe Methode ihrer Überprüfung und Begründung festlegen zu wollen; unvernünftig, wie Platon anzunehmen, es gebe nur eine alleinseligmachende Methode, nämlich den argumentativen und deduktiven Beweis.

Unsere stärksten Intuitionen, wie sie beispielsweise ästhetische Präferenzen betreffen, können wir nicht mittels rationaler Gründe rechtfertigen.

Daß wir von dem, was bisher regelmäßig stattgefunden hat, induktiv auf das schließen, was morgen stattfindet, gibt uns bekanntermaßen kein absolutes Kriterium der Gewißheit an die Hand; aber in vielen Fällen lassen wir es rechtens dabei bewenden; sonst würden wir uns nicht mit der Wendung verabschieden: „Bis morgen“ oder erwarten, daß die Sonne auch am nächsten Tag aufgehen wird.

Es ist unvernünftig, aus der symmetrisch-polaren Struktur unserer leiblichen und psychischen Existenz eine metaphysische Grenzlinie zwischen hüben und drüben, hinten und vorn, unten und oben, rechts und links, gut und schlecht konstruieren zu wollen.

Je allgemeiner und unbestimmter die sprachliche Wendung, umso facettenreicher und nuancierter oft der semantische Gehalt ihrer kontextsensitiven Anwendung; so können wir naiv oder gehässig fragen, neugierig oder ironisch, schonend oder bohrend, als besorgte Mutter oder kaltherziger Kommissar, als Arzt oder Inquisitor, als frisch Verliebter oder eifersüchtiger Liebhaber.

Nuancenreich, vieldeutig, schillernd und opulent ist die Palette der venezianischen Maler; aber man kann auch Grau in Grau malend höchst geistreiche Mitteilungen machen.

Goethe verfügte vielleicht über den reichsten deutschen Wortschatz; doch konnte Trakl mit einem Bruchteil davon nicht geringere lyrische Wirkungen erzielen.

Es ist vernünftig, wenn derjenige, der sich den Magen aufgrund zu üppiger Kost verdorben hat, eine strenge Diät einhält; aber unvernünftig, wenn derjenige, der lange Zeit eine einseitig frugale oder vegane geistige Kost zu sich genommen hat, über Gott und die Welt philosophiert.

Nicht Gedanken oder Sätze, in denen wir sie mitteilen, nennen wir vernünftig, sondern die Überlegung und die Entscheidung, worüber wir uns welche machen sollten oder nicht.

 

Jan 5 25

Wo wir einst im Abendmond gegangen

Wo wir einst im Abendmond gegangen,
schimmerte die Frucht noch gelb und rot.
Worte zu verlieren tat nicht not,
denn da waren Vögel, die uns sangen,
wo wir einst im Abendmond gegangen.

Wo das weiche Moos gedämpft die Schritte,
hat betört den Blick ein Bild des Glücks,
zwei noch junge Rehe, sanften Blicks,
standen in der Lichtung grüner Mitte,
wo das weiche Moos gedämpft die Schritte.

Deine Wange streifte sacht die meine,
und die Feuchte, die ich da empfand,
schien aus einem tiefen Quell gesandt.
Als ob Gaia dunklen Wehes weine,
näßte deine Wange sacht die meine.

Nun hat sich mein Pfad im Schnee verloren.
Schnee bedeckt das sommerblaue Kraut,
Schnee, der nie mehr, nie mehr auf wohl taut.
Quell und Lied und Erde sind gefroren,
da ich meinen Pfad im Schnee verloren.

 

Jan 4 25

Gedämpfte Gluten

Ihr habt der Erdnacht Rinde blind durchbrochen.
Es ward die Knospe Aug euch aufgetan,
den Stern zu schauen auf der Schicksalsbahn,
die Feuer, die Gebein und Mark zerkochen.

Das Herz ward eingepflanzt, sich zu verzehren
nach einem Herzen, daß es zweisam brennt.
Und Mund an Mund, träumt ewig ihr getrennt.
Es heischt der Geist der Höhe das Entbehren.

Daß wild die Flammen nicht zusammenschlagen,
dämpft eure Gluten tränenmilde Feuchte.
Nur zarte Dochte, die ins Dunkel ragen,

entfacht Selenes Kuß zu stiller Leuchte.
Wie Blüten, die auf schwarzen Wassern schwimmen,
mögt umeinander kreisend ihr verglimmen.

 

Jan 3 25

Es wandeln sich die Bilder

Da sich ihr feuchteten die bleichen Wangen,
starb auf dem Teich die Blüte Mond, verglomm.
Ihr war, als ob im Schlaf die Vögel sangen
und bange Herzen klopften: „Sonne, komm!“

Die einsam gehen unter Schattenlauben,
auf öden Pfaden, wo das Gras verdorrt,
ergreift ein Gurren ferner Turteltauben,
ein Duft, geweht aus der Erinnerung Hort.

Zu weichen Tropfen werden Schneekristalle,
sie steigen unterm Strahl in Wolkendunst.
Der Weise raunte, daß sich Wasser balle.

Aus Nebeln blitze auf, o Stern der Kunst.
Es wandeln sich die Bilder. Wie im Regen
der matte Kiesel glänzt auf dunklen Wegen!

 

Jan 3 25

Francis Jammes, Dans le Verger

Aus: De l’Angélus de l’aube à l’Angélus du soir

Dans le Verger où sont les arbres de lumière,
La pulpe des fruits lourds pleure ses larmes d’or,
Et l’immense Bagdad s’alanguit et s’endort
Sous le ciel étouffant qui bleuit la rivière.

Il est deux heures. Les palais silencieux
Ont des repas au fond des grandes salles froides
Et Sindbad le marin, sous les tentures roides,
Passe l’alcarazas d’un air sentencieux.

Mangeant l’agneau rôti, puis les pâtes d’amandes,
Tous laissent fuir la vie en écoutant pleuvoir
Les seaux d’eau qu’au seuil blanc jette un esclave noir.
Les passants curieux lui posent des demandes.

C’est Sindbad le marin qui donne un grand repas !
C’est Sindbad, l’avisé marin dont l’opulence
Est renommée et que l’on écoute en silence.
Sa galère était belle et s’en allait là-bas !

Il sent bon, le camphre et les rares arômes.
Sa tête est parfumée et son nez aquilin
Tombe railleusement sur sa barbe de lin :
Il a la connaissance et le savoir des hommes.

Il parle, et le soleil oblique sur Bagdad
Jette une braise immense où s’endorment les palmes,
Et les convives, tous judicieux et calmes,
Écoutent gravement ce que leur dit Sindbad.

 

In dem Garten

In dem Garten, wo Bäume sind, die leuchten,
trieft voller Früchte Fleisch von goldnem Wein.
Das weite Bagdad döst ermattet ein,
und schwüle Himmel spiegeln blaue Feuchten.

Es ist zwei Uhr. Im schweigsamen Palast
nimmt man das Mahl in hohen kühlen Gängen,
Sindbad, der Seemann, reicht vor steifen Wandbehängen
den Krug, den tönernen, die Miene streng gefaßt.

Lamm vom Rost schmaust man, Kuchen dann mit Mandeln,
läßt hin das Leben fliehen, lauscht, wie Wasser fließt,
das ein Sklave, schwarz auf weißem Kies, in Eimer gießt.
Da fragen manches ihn, die da vorüberwandeln.

Ja, Sindbad ist’s, gibt hier ein großes Mahl!
Ja, Sindbad, der weise Seemann, der hat Gold in Fülle,
rühmt man ihm nach, ihm lauschen sie in Stille.
Seine Galeere war schön, sie kurvt, wie er’s befahl.

Er duftet gut, nach Kampfer, seltenen Aromen.
Vom Haupt tropft Balsam, die Nase, adlergleich,
fällt spöttisch auf den Bart, wie Flachs so bleich:
Er hat das Wissen, flicht’s in holde Gnomen.

Er spricht, schräg gießt die Sonne auf Bagdad
maßlose Glut, daß in den Schlaf die Palmen sinken.
Die Gäste, die sich rechten Sinnes Ruhe winken,
sie hören ihm in hohem Ernste zu, ihm, Sindbad.

 

Jan 2 25

Poetologisches Sonett

Hast unbedacht du faule Frucht gegriffen,
warf süßlich sie ins Schattenlaub doch Licht,
nach trübem Glanz von Versen, ungeschliffen,
üb deinen Geist in redlichem Verzicht.

Wenn dunkel raunend Worte dich verlocken,
bleib nüchtern, Dichter, schau tief in den Grund,
ob im Morast nicht ihre Quellen stocken,
verschon, die längst von Phrasenstacheln wund.

Stinkt jedes Wort schon faul, beleckt von Zungen,
die unterm Schaum der Lüge sind geeitert,
ist jeder Quell vom Fäulnisgeist durchdrungen,

träum dich zur goldnen Frucht in Sapphos Gärten,
auf daß ihr Schimmer deinen Vers erheitert,
und bring sie, die verschmachten, den Gefährten.

 

Jan 1 25

Tropfen und Flocken

Ein Tropfen will das milde Wort uns scheinen,
da es den heißen Schaum der Zunge kühlt.
Als wären Himmel, vor sich hin zu weinen,
daß sich ein dunkler Mund am Perlglanz fühlt.

Kristallen gleich, die blind herniederschneien,
bis alles Trübe Silberschimmer hüllt,
sind weiche Linnen, die uns Verse leihen,
bis leise zuckend sie der Schlaf zerknüllt.

Wir hören wie im Traum das süße Glucksen,
schmilzt hin der Schnee des Lieds im Frühlingswind.
Wir wachen auf und durch geklärte Scheiben

erblicken wir’s: Still pflückt ein schönes Kind
sich Veilchen, die aus feuchter Erde wuchsen.
Uns lockt das Bild, den leisen Reim zu schreiben.

 

Dez 31 24

Zwiesprache mit dem Licht

Das Licht sprach mir im Schlaf: „Die Blumenspur
hab ich gelegt, damit dein Vers bisweilen
Duft strömt aus rosenrot durchglühten Zeilen,
doch bin ich Medium, nicht Herrin der Natur.

Bring Fülle ich der Frucht, nährt sie den Wurm,
kann sich an meinem Glanz der Geist erheitern,
muß er am Riff der Schmerzkristalle scheitern,
und sein Gebet verweht im Sonnensturm.“

Ich rief, der Sohn der Sonne und der Nacht:
„Ich will die Lichtspur tief ins Dunkel krümmen,
entzünden Blüten auf den Jenseitsflüssen,

daß sie zu hoher Liebe Schatten schwimmen.
Sind lächelnd sie aus ihrem Traum erwacht,
verflackern mag das Licht an trunknen Küssen.“

 

Dez 30 24

Zu den Schatten gehen

Phantasmen eines nuklearen Feuers,
Chimären einer mondbehauchten Nacht.
Das Endzeitbrüllen eines Ungeheuers
und feenhafter Singsang, schluchzend, sacht.

So sind der Sonne wir anheimgegeben,
die aus dem Erdschlaf Blatt und Faser weckt.
So läßt der Mond uns Traumgedichte weben,
ein Schnee, den tags der heiße Strahl aufleckt.

Wir rasen durch das All, die Erdbahn zackert,
und der Trabant peitscht Schäume aus dem Meer.
Die Iris weitet sich, die Nacht zu sehen,

von Tropfen Lichts besamten schwarzen Teer.
Und wenn im Geist des Dämons Flamme flackert,
willst du, Versehrter, zu den Schatten gehen.

 

Dez 29 24

Sonett von der Wiederkehr

Kehrst du dir wieder in dem wehen Ton,
wenn sich vorm Abendwind die Gräser biegen,
fühlst du die ausgesparte Leere schon,
wo sich im Blütenkelch dein Schmerz kann wiegen?

Des heimatlichen Dufts beraubt, was bleibt
uns Dürftigen als kargen Wortes Krumen,
wie Samen, die der Wind ins Fremdland treibt,
daß einmal Keime sprießen, zarte Blumen?

O wären ihnen Kerne beigemischt,
aus denen Reben wüchsen, Frucht zu tragen,
die golden aus dem Blattwerk dürfte leuchten.

Und können wir die Fernen auch nicht fragen,
ob sich an ihrem Glanz die Augen feuchten,
wir hoffen, daß er nicht im Mund erlischt.

 

Dez 29 24

Francis Jammes, La Prière

Par le petit garçon qui meurt près de sa mère
Tandis que des enfants s’amusent au parterre
Et par l’oiseau blessé qui ne sait pas comment
Son aile tout à coup s’ensanglante et descend
Par la soif et la faim et le délire ardent
Je vous salue, Marie.

Par les gosses battus par l’ivrogne qui rentre
Par l’âne qui reçoit des coups de pied au ventre
Et par l’humiliation de l’innocent châtié
Par la vierge vendue qu’on a déshabillée
Par le fils dont la mère a été insultée
Je vous salue, Marie.

Par la vieille qui, trébuchant sous trop de poids
S’écrie: ” Mon Dieu ! ” par le malheureux dont les bras
Ne purent s’appuyer sur une amour humaine
Comme la Croix du Fils sur Simon de Cyrène
Par le cheval tombé sous le chariot qu’il traîne
Je vous salue, Marie.

Par les quatre horizons qui crucifient le monde
Par tous ceux dont la chair se déchire ou succombe
Par ceux qui sont sans pieds, par ceux qui sont sans mains
Par le malade que l’on opère et qui geint
Et par le juste mis au rang des assassins
Je vous salue, Marie.

Par la mère apprenant que son fils est guéri
Par l’oiseau rappelant l’oiseau tombé du nid
Par l’herbe qui a soif et recueille l’ondée
Par le baiser perdu par l’amour redonné
Et par le mendiant retrouvant sa monnaie
Je vous salue, Marie.

 

Das Gebet

Durch den Jungen, er stirbt in seiner Mutter Arm,
während auf dem Boden tollt der Kinderschwarm,
durch den verletzten Vogel, er ist so bedrängt,
weil ihm der Flügel jählings blutet und herunterhängt,
durch Durst und Hunger, den Wahnsinn, der versengt,
sei mir gegrüßt, Maria.

Durch die Kinder, vom betrunkenen Vater, der heimkehrt, geschlagen,
durch den Esel, den man mit Füßen tritt in den Magen,
durch die Erniedrigung der Unschuld, die man stößt,
durch die verkaufte Jungfrau, die schamlos ward entblößt,
durch den Sohn, dessen Bild man seiner Mutter abgelöst,
sei mir gegrüßt, Maria.

Durch die Greisin, die strauchelnd unterm Weltgewicht
aufschreit. „Mein Gott“, durch den Unglücklichen, dessen Ohnmacht nicht
mehr finden konnte starker Liebe Lehne
wie das Kreuz des Sohns bei Simon von Kyrene,
durch das Pferd, das stürzte und das Rad zerrt ihm die Mähne,
sei mir gegrüßt, Maria.

Durch die vier Himmelsstriche, das große Kreuz der Welten,
durch all jene, deren Fleisch aufreißt und die zerschellten,
durch jene, die ihren Fuß verloren, ihre Hand,
durch den Kranken, der frisch operiert sich winselnd wand,
durch den Gerechten, den man bei den Mördern band,
sei mir gegrüßt, Maria.

Durch die Mutter, die erfährt, es sei ihr Sohn genesen,
durch den Vogel, der den aus dem Nest gefallenen aufgelesen,
durch das Gras, das Durst hat und die Wolke regnet,
durch den verlorenen Kuß, dem erwärmte Liebe noch begegnet,
durch den Bettler, der den Fund im Mantelfutter segnet,
sei mir gegrüßt, Maria.

 

Liedinterpretation durch Georges Brassens:
https://www.youtube.com/watch?v=x73xFzp7Xws

 

Dez 28 24

Im alten Rokokogarten mit Verlaine

O, Triton seufzt der Woge hinterher,
als hätte sie wer weiß wen fortgetragen.
Die Nymphe aber nimmt’s nicht allzu schwer,
sie taucht hinab, Schaum heitrer Griechensagen.

Schwitzt Herakles denn so, der Muskelprotz,
glänzt er vom Schweiß der Mühen noch, dem sauren?
O nein, das Glühen fühlt der edle Klotz,
der Gattin Schoß im Hemde des Kentauren.

Und wer liegt da im hohen Gras besoffen
und lallt den Mond an? Solch ein trunknes Melos
steigt aus dem Herzen nur, vom Pfeil getroffen,

den Eros nicht, den schoß der Gott von Delos.
Dir schluchzte manchen Reim bei Nacht die Seine,
dein Name weht, ein Wehmuthauch, Verlaine.

 

Dez 27 24

Anton Bruckner, 9. Sinfonie

Wilhelm Furtwängler, Berlin 1944

Und es verzweigen sich die hohen Strahlen
und fügen uns in Himmelssphären ein.
Herniedersinken kristalline Schalen,
aus denen quillt das Licht, ein goldner Wein.

Es kommen, ihn zu kosten, die noch leben.
Das Herz ward Wandlungswundern aufgetan,
die knospenhold auf Edens Seen schweben.
Die Schwermut neigt ihr Haupt, ein trunkner Schwan.

Daß, Liebe, dir die Seele nicht ertaubte,
die Schmach der Worte, die aus Trümmern wehen,
dir nicht den süßen Blütenkelch bestaubte –

daß du im Dunkel meine Hand erfühltest,
den bangen führtest auf Gesanges Höhen –
du über unsrer Herznacht lang noch glühtest.

 

Berliner Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler:
https://www.youtube.com/watch?v=DgaH14WiHfc

 

Dez 26 24

Dialektik der Liebe

Die Naht ist zart, die Narbe siehst du kaum,
als hätt ein Dorn beim Wandern aufgerissen
die blasse Haut. Doch wirst du es vermissen,
brennt sie des Nachts nicht mehr wie bittrer Schaum.

So ist das Wort, das jählings dich gestreift,
es stach hervor, ein Stachel aus dem Grunde
der Nacht. Denn Liebe saugt am Glanz der Wunde.
O Dorn und Rose, still emporgereift.

Sie lächelt, wenn du ihren Becher leerst,
der prickelnd überschwappt von Todeslust,
du lallst, da sie, was heilig-nüchtern, sagt.

Sie kann nur blühen, wenn du dich verzehrst,
im Dunkel glüht ihr Aug auf deiner Brust,
wo dir das Herz ein blinder Wurm zernagt.

 

Dez 25 24

Duft von fernem Hort

Als wäre wunders jäh im Schnee,
in einer Mulde süßer Feuchte,
gesprossen rot und weißer Klee.
Das Dunkel weicht, daß Gnade leuchte.
Woher ist kommen solch ein Licht?
Von sanfter Liebe Angesicht.

Als weckte milder Geister Hauch
die Vögel, die in Nestern schliefen,
und süße Stimmen wachten auf,
die uns zum Kuß des Lichtes riefen.
Woher ist kommen der Gesang?
Er floß wie Tau von Traumes Hang.

Als hätt gelöst die Zunge Wein,
das Herz, als Zwillingsherz zu schlagen,
gehn wir den späten Pfad zu zwein,
vom Glück uns Blühendes zu sagen.
Woher ist kommen uns das Wort?
Duft ist’s, geweht von fernem Hort.

 

Dez 24 24

Ist dies die hohe Nacht?

Ist dies der Augenblick,
da Ewigkeit die Zeit verschlingt,
die Helle sich ins Dunkel singt,
der eine hohe Herzschlag Glück?

Als wäre sanft herabgesunken,
vom Geist der Tröstungen gewebt,
ein Schleier eingehauchter Funken,
daß lichter Traum die Nacht belebt
von Edens süß durchseufzten Hainen,
wo reine Quellen trunkner weinen.

Ist dies die hohe Nacht,
da noch geheimnisvoll
die Knospe einer Rose schwoll
und unverhofften Duft gebracht?

Als hätten Blüten, traumentrückte,
Leuchtmücken in der Winternacht,
der Brust, die Einsamkeit bedrückte,
des Sommers goldnes Grün entfacht.
Und sie durchströmt Gesanges Welle
aus heißer Paradiesesquelle.

Ist dies die hohe Zeit,
da uns aus Wolken, sanft geballt,
zu hüllen Haß und Mißgestalt,
sind Flocken rein herabgeschneit?

Als schritten wir auf weichem Samte,
wie Hirten, vom Gestirn geführt,
das aus schwarzblauem Abgrund flammte.
Als hätte uns ein Hauch gerührt:
Und floß wie Tau auf unsre Wunde
aus eines Kindes keuschem Munde.

Ist dies der Augenblick,
da Ewigkeit die Zeit verschlingt,
die Helle sich ins Dunkel singt,
der eine hohe Herzschlag Glück?

 

Dez 23 24

Geister im Schnee

Wie knirschend unser Schritt zerbrach die Stille,
und Atem wölkte auf, ward Trug, entschwand.
Hoch über uns in schwärzlich-samtener Hülle
das funkelnd ungeheure Sternenband.

Wind wob um uns die Schleier dichter Flocken.
Wir waren wie die Vögel in der Nacht,
die starr auf winterkahlen Ästen hocken,
nicht wissend, was sie ernst und traurig macht.

Als löste mir die Lider Morgenröte,
sah Blumen ich, Kristalle, ausgebreitet,
und fern ergriff mich Schluchzen einer Flöte.

„Laß, Liebe, uns zu jenen Gärten gehen,
wo zwischen Lauben sich die Bläue weitet.“
„Ach, Geister, Lieber, hörst im Schnee du wehen.“

 

Dez 22 24

Sonett von der Einsamkeit

„Ich sah im Schilfrohr kleine Nester schwanken,
und bange Stimmen drangen an mein Ohr.
Sie waren süß wie einem Schwermutkranken
des Mondes Hauch, steigt er im Dunst empor.“

„Mir träumte, wie auf Wassern zarte Flammen,
vom Mond entfacht und von Geseufz genährt,
gleich Blumeninseln kreisend, nachtwärts schwammen,
als wäre ich zum Südmeer heimgekehrt.“

„Läg doch ein schmales Eiland in der Mitten,
wo schwanenweich ermatteten die Schwingen,
daß dein und mein Traum ineinanderglitten.“

„O flösse deiner Knospe Duft in meinen,
flög hin und her das Lied gleich Schmetterlingen,
als könnte Pollenstaub uns noch vereinen.“

 

Dez 21 24

Atme sanfte Verse

Der Abend fällt herab, ein blasses Veilchen.
Mach auf das Fenster, rasch, noch weht es lau.
Du scheinst mir einsam und dein Herz aschgrau,
so atme sanfte Verse noch ein Weilchen.

Kannst du sie hören, jene weichen Töne,
sie nahen schon, fern aus der Jugendzeit,
zu glätten dir die Stirn, die Falte Leid,
als sänge wieder, die lang schwieg, die Schöne.

Trät sie doch ein, das Auge aufzuschlagen,
daß du aus ihm den Tau der Liebe tränkest.
Du würdest ihr von all den Blüten sagen,

die sie gestreut dir hat aus Jenseitshainen.
Gäb Halt mein Vers, daß du nicht niedersänkest,
um in die Nacht, das dunkle Grab, zu weinen.

 

Dez 20 24

Der Staub der Schuld

Ich hab am Staub der Schuld mich fast verschluckt.
Im Vaterland weht auf er wie in Steppen,
wo sich die Maus, das bange Leben, duckt,
steigt fahl der Mond hinab die Wolkentreppen.

Ich hab auf zügellosen Festen Wein,
gepantschten Fusel lächelnd mitgetrunken.
Die deutsche Seele ward zum Marmelstein,
blind weggekickt und im Morast versunken.

Ich lag im Gras, und sah das schwarze Nichts,
das zwischen Stern und Stern wie Tinte quoll.
Vergebens lechzte ich nach Tropfen Lichts,

daß mir der Vers den Heimatpfad beleuchte.
Durchs Dickicht, das vom Hauch der Schwermut schwoll,
schlich hin er, und mir graute, wie er keuchte.

 

Dez 19 24

Die Puppe im Gras

Ich ging durchs hohe Gras, vermißte keinen.
Und war auch keiner, der mich hat vermißt.
Da wehte auf ein elfenweiches Weinen,
ein Schluchzen, das kein Silbenmaß ermißt.

„Hier bin ich“, unter Tränen rief’s ein Püppchen,
„hab dein so lang gewartet, bring mich heim.
Ich back dir Kuchen, braue Festtagssüppchen,
und dichtest du, hauch ich den letzten Reim.“

Ich denk, die Puppe muß meschugge sein,
doch hob ich sie auf meinen Arm ganz sachte.
Da merkte ich’s, es fehlte ihr ein Bein.

Am Fenster hockt sie stets. Den Laden schließ
ich nun nicht mehr. Ich hörte, was sie dachte:
„Ach, daß ich bald in Mondes Glanz zerfließ.“

 

Dez 18 24

Die dumpfe Seele

Die Waldmaus huscht, im Maul die spröden Samen,
Moos, Reisig auch, zu polstern ihren Bau.
Sie weiß nicht, wer sie ist, hat keinen Namen,
doch fühlt die Nacht der Seele sie genau.

Die Jungen drängen, warme Milch zu saugen,
das Herz der Mutter sieht im Dunkel grell
den Blitz, den tödlichen, aus Eulenaugen.
Wie heiß es zittert unterm grauen Fell.

Daß sie im schwarzen Wasser selig kreisten,
auf grünen Schalen, Blüten ungemein,
konnt dir die dumpfe Seele nicht begeisten?

Wie sollte feuchte Glut von Liebesblicken,
dich eines Sternenliedes süßer Schein
aus diesem Grauen huldvoll noch entrücken?

 



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