Ontologische Fragmente
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Wie sollte sich eine geschändete und verunstaltete Sprache der Knospe gleich in aller Unschuld auftun und ihren Wohlgeruch verbreiten, um den summenden Befruchter anzulocken?
Wie sollte die zur politischen Aussage und lärmenden Sozialkritik herabgewürdigte Kunst schön sein können wie die Blume, deren Daseinszweck darin liegt, nichts als Blume zu sein und sich in neuen, ihr ähnlichen, noch schöneren Blumen zu vermannigfachen?
Das aufgepfropfte Reis blüht auf, denn es zehrt vom alten Stamm. Der man die schönen Augen ausstach, die Dichtung versinkt im eigenen Dunkel.
Das Amt für Sprachpflege betraut man mit Analphabeten und Illiteraten.
Das Ministerium für Kultur übernimmt jemand, der bei den Namen Mozart und Leibniz zuerst oder an nichts anderes als an Marzipankugeln und Schokoladenkekse denkt.
„Kultur“, dem Sinne nach schöner Blüten, schmackhafter Früchte und nährender Saaten Hort und Acker, die vieler Generationen für ihre Pflege und Hege bedürfen, wird zu einem verrottenden Komposthaufen, über dem parasitäre Fliegen schwirren und sirren.
Mancher wird als großer Denker gefeiert, wenn er Erkenntnisse zu Markte trägt, die jener an Tiefsinn und Bedeutsamkeit gleichen, daß es nachts dunkel ist, weil die Sonne nicht scheint.
Die Fortschrittsfrommen blicken naturgemäß stets nach vorn, nicht indes nach oben; um in die Höhe und das grenzenlose Blau des Himmels zu blicken, müßten sie ja stehenbleiben. Welch ein Zeitverlust! Welch eine religiös verbrämte Bummelei!
Die Lilie des Heils erblüht nicht auf den trostlosen Rasenflächen zwischen neu betonierten Sozialbauten.
Torheit widerlegt sich selbst, wenn sie von der sprachlichen Relativität allen Wissens faselt.
Die Bedeutung des Wortes „Katze“ ist nicht relativ zur Bedeutung des Wortes „Hund“ (oder zu den Bedeutungen aller anderen Wörter, die unser Wörterbuch verzeichnet); in einer Welt ohne Hunde bliebe jenes schöne Tier mit den blitzenden Augen und dem sanften Fell eben jene Entität, die wir mit „Katze“ bezeichnen.
Es ist ein grundlegender Irrtum der strukturalistischen Linguistik und der auf ihr fußenden postmodernen Philosophie anzunehmen, die semantische Relation von Name und Bedeutung sei ähnlich willkürlich, arbiträr und konventionell wie die phonologische Relation zwischen Lautbild und Vorstellung, wie sie sich in den unterschiedlichen Lautgebilden unterschiedlicher Sprachen darstellt. Aber was „the cat“, „le chat“, „il gatto“ und „die Katze“ meinen, ist dieselbe semantische Entität.
Torheit behauptet, wir sähen die Dinge nicht, wie sie an und für sich sind, sondern nur so, wie sie aus unserem Blickwinkel erscheinen. Das kommt der Behauptung gleich, wir seien blind, WEIL wir Augen haben.
Das Grinsen der Katze bleibt nicht wie für Alice im Wunderland noch eine Weile in der Luft hängen, nachdem sie sich davongeschlichen hat.
Ihr Grinsen geht wie ihr gereckter Schweif mit der Katze von dannen; denn sie ist eine natürliche Einheit, dasjenige, was Aristoteles Substanz nennt.
Wir haben mittels sorgfältiger Beobachtung und zoologischer Forschung festgestellt, daß es sich bei Katzen, Löwen und Tigern um dieselbe tierische Familie, nämlich die Feliden, handelt. Die Ähnlichkeit des Körperbaus und des Verhaltens der Katzenartigen gibt uns einen vernünftigen Grund für diese begriffliche Klassifikation; sie beruht nicht auf einer Ähnlichkeit, wie wir sie zwischen Bildern, Vorstellungen und Ideen assoziieren, sondern auf objektiver Wahrnehmung.
Mittels gestischer oder sprachlicher Deixis, also unter Verwendung des Zeigefingers oder des Demonstrativpronomens, isolieren wir aus der vagen Menge der Feliden genau dieses Exemplar, das dort in seinem Körbchen liegt und das wir „Bella“ nennen.
Die Natur ist die erste Lehrmeisterin unserer Sprache und des an sie gebundenen ontologischen Wissens; denn die Substanz dessen, was wir „Katze“ nennen, ist die Katze, dagegen ist die Substanz dessen, was wir „Bett“ nennen, wie Aristoteles erkannte, nicht das Bett, sondern das Holz, aus dem es gefertigt ist.
Sprachliche Kompetenz zeigt sich in der Fähigkeit des Kindes, dieses schöne Tier mit den blitzenden Augen und dem sanften Fell „Katze“ zu nennen; objektives Wissen zeigt sich in der Fähigkeit des Schülers, die Katze in die Gattung der Säugetiere einzuordnen, ontologisches Wissen in seiner Fähigkeit, aus der Klassifikation der Katze als Säugetier zu folgern, daß ihr all jene Eigenschaften zukommen, die Säugetiere aufweisen, also intrakorporal zu empfangen, das befruchtete Ei im Leib der Mutter auszutragen, lebend zu gebären und ihre Jungen zu säugen.
Theorien, die nicht widerlegt werden können, sind keine; daher ist es nach Karl Popper rechtens, Marxismus und Psychoanalyse als Schein-Theorien zu betrachten. Aber widerlegte Theorien, muß man gegen Popper einwenden, teilen nicht dasselbe Schicksal wie ausgestorbene Arten; denn diese haben gelebt und echte Nachkommen gezeugt, jjene haben durch Schein-Zeugung wie etwa durch eine devote Mimikry und ausufernde Paraphrasen ihres gestelzten Jargons nur blutlose Halbwesen und sterile Phantome hervorgebracht.
Meisterdenker der Postmoderne scheinen ihren Ruhm der Maxime zu verdanken, denken heiße im Dickicht der Sprache die Orientierung und den Verstand verlieren, Desorientierung, Verwirrung und Ratlosigkeit aber als neuartige Formen des seelischen Aufschwungs und des geistigen Taumels zu genießen.
Ein Gerüst, mit dessen Hilfe ein Gebäude errichtet oder restauriert wird, kann und soll am Ende der anfallenden Arbeiten wieder entfernt werden; doch Schein-Denker errichten ein bizarres Gerüst aus sinnlosem Gerede, es hat weder eine dienende Funktion noch wird mit seiner Hilfe ein für sich stehender Bau aufgezogen. Doch sollen wir dem inhaltsleeren Phantom am Ende um seiner gewagten und verstiegenen Konstruktion willen unsere Bewunderung zollen.
Das ptolemäische Weltbild wurde widerlegt; aber das kopernikanische kann, so es die tatsächlichen Umläufe der Gestirne adäquat beschreibt, nicht wiederlegt, sondern nur wie durch Newton erweitert oder durch Einstein vertieft werden.
Angst vor der Wahrheit ist, wie Epikur und Lukrez wußten, ein Grund für den Aberglauben.
Torheit und heuchlerische Toleranz verbinden sich in Behauptungen wie jener, der Kalender der Maya sei in deren Kulturkreis nichts anderes als der julianische und gregorianische in unserem.
Der Schriftsteller Jorge Luis Borges entwarf folgende fiktive zoologische Klassifikation eines imaginären chinesischen Kaiserreichs: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppe gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, j) unzählbare, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, i) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen.
Wir erkennen darin typische logische und ontologische Fehler und Mißgriffe wie Unbestimmtheit, Mischung des Realen und Imaginären, Selbstreferenz oder Nullreferenz, die natürlich von dem subtilen und augenzwinkernden Autor der „Bibliothek von Babel“ bewußt eingesetzt werden, um literarische Wirkungen wie Ironie, Irritation und Verblüffung zu erzielen.
Es wäre lehrreich, diese fiktive Klassifikation mit einer wissenschaftlichen, sachlich fundierten wie der für uns weiterhin maßgeblichen Carl von Linnés zu vergleichen. Doch nur eine monströse Intelligenz wie die eines Michel Foucault konnte sie ohne mit der Wimper zu zucken in seine angeblichen Paradigmen von Wissensformen als gleichrangig neben rein wissenschaftlichen Klassifikationssystemen einreihen.
Intelligenz und natürliche Klugheit in der Lebensbewältigung durch Umsicht und Vorsorge sowie den Gebrauch von Werkzeugen bieten uns keine hinreichenden Kriterien bei dem Unterfangen, den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu markieren; ebensowenig das Bewußtsein, das Gedächtnis oder die Lernfähigkeit; suchen wir den Unterschied in der Tatsache, daß wir über Tiere sprechen, sie aber nicht über uns, daß wir ihr Leben erforschen, sie aber nicht das unsere; finden wir ihn in der Tatsache, daß wir Zeichen mit Bedeutungen verwenden, deren Verknüpfung sinnvolle oder sinnlose, wahre oder falsche Aussagen ergeben, Tiere aber Zeichen verwenden, die keinen objektiv darstellenden Gehalt haben, sondern rein kommunikativen Zwecken wie der Warnung, Drohung oder Werbung dienen.
Gewiß, wir können Sprachlaute auch als Signale gebrauchen, so rufen wir unseren Hund „Fips“ in der Absicht, ihn zu uns zu locken; nicht aber in der Absicht, auf die Tatsache, daß sein Name „Fips“ lautet, hinzuweisen, wie wir es tun, wenn unser Besuch danach fragt. Wir können, was Fips nicht kann, über Fips reden, ohne daß sein Name Signalcharakter hat.
Etwas meinen heißt durch sprachliche Mittel auf einen möglichen oder wirklichen Sachverhalt hinweisen. Wir können nichts meinen, was wir nicht sagen können. Und wenn wir etwas anderes oder das Gegenteil dessen meinen, was wir sagen, scheitert unsere Absicht, etwas zu meinen.
Wir erfassen das Verhalten von Lebewesen wie die Mäusejagd der Katze, indem wir ihre körperlichen Bewegungen als sinnvolles, zielgerichtetes Tun beschreiben (Lauern, Springen, Fangen, Totbeißen, Fressen) und aus dem Erfolg (oder auch Mißerfolg) des zielgerichteten Verhaltens auf seinen Zweck schließen (Stillung des Hungers, aber auch Spieltrieb). Der Zweck des Verhaltens muß dabei nicht als Absicht bewußt sein; so werden wir der Spinne nicht die bewußte Absicht unterstellen wollen, ein Netz zum Zweck des Beutefangs zu spinnen; aber genau zur Erfüllung dieses Zweckes tut sie es.
Wir erfassen eine menschliche Handlung mittels Beschreibung einer Bewegung (Drücken des Abzugs einer Pistole), Unterstellen einer Absicht (Tötung), Feststellung der Art ihrer Ausführung (Heimtücke) und ihrer Wirkung (Tod); hat die Person, die eine andere erschossen hat, aus niedrigen Beweggründen wie Mordlust, Befriedigung eines sexuellen Verlangens oder Habgier gehandelt, klassifizieren wir die Handlung als Mord. Durch Täterbefragung, Zeugenaussagen, direkte und indirekte Beweiserhebungen (Spuren, DNA-Analyse) können die Tatmerkmale objektiviert werden. Kann etwa dem Täter kein niedriger Beweggrund nachgewiesen werden, klassifizieren wir die Tat nicht als Mord, sondern als Totschlag.
Die Meinung, daß es sich bei diesem Sachverhalt um Mord und bei dieser Person um den Mörder handelt, kann im besten Falle durch ein gerichtliches Beweisverfahren erwiesen werden.
Absichten, Wünsche, Einstellungen zu haben ist nicht strafbar, auch nicht der Wunsch und die Absicht, jemanden zu töten. Nur post festum, nämlich einem, der es durch die Tat bewiesen hat, können wir nicht nur die Absicht, sondern auch die Fähigkeit unterstellen, einen Mord zu begehen. Dagegen kann man dem Bekenntnis einer Person, jemanden zu hassen und am liebsten tot zu sehen, nur selten eine ernsthafte Tötungsabsicht entnehmen.
Zur Ontologie zählen wir demnach nicht nur Objekte oder Entitäten wie die Katze und ihre Eigenschaften wie die, ein Säugetier zu sein, sondern auch Verhaltensweisen und Handlungen und ihre Eigenschaften wie die, einen Zweck oder eine Absicht zu erfüllen.
Ein fast komischer (und ziemlich windiger), dem Heiligen nachgeplapperter ontologischer Gottesbeweis: Könnte der schwache, törichte, unvollkommene, boshafte Mensch aus freien Stücken und ohne daß sich ihm gleichsam der Himmel geöffnet hätte auf die Idee eines alles vermögenden, allweisen, allgütigen und vollkommenen Gottes kommen? – Wenn aber nicht, so muß ihm Gott selbst die Idee eingeflößt oder offenbart haben. Also existiert Gott. – Doch könnte dies nicht auch Satan eingeflüstert haben, um den Menschen im Schweiße seines Angesichts bei der Stange zu halten?
Das Gesagte ist schon verhallt. Das Erlebte ist schon vergessen. Das Getane ist schon abgetan. Das Entstandene ist schon vernichtet. Da scheint einer zu träumen, und er träumt, er erwache, erwacht er aber, ist er schon entschlafen.
Der Esel, dem man ein Bündel Heu an einer Stange vor Augen hält, zieht den Karren immer weiter. Der Mensch, dem man die verlockende Frucht kommender Paradiese, Allbeglückung, Wohlleben und Umverteilung aller Güter zu seinen Gunsten, mittels staatlich gelenkter Indoktrination stetig vor Augen rückt, zieht den Karren immer weiter.
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