Mutterbild
Nach einer alten Photographie
Mutter, mit Kopftuch, blütenfleckiger
Sommertag, im Schattenpfad der Gärten,
hatte wohl Beeren gepflückt,
Kartoffeln ausgebuddelt, gejätet,
und damals nur einen Mann
erkannt, dem Endsieg gefallen,
wie sie scheu und kokett die Hand
vor der Sonne an die Stirne lehnt,
die Hand, einem Flügel gleich,
der sich müde geflattert.
Wie einsam sie dahinstarb,
von sich selbst getrennt,
im Kemperhof, ich sah in der Dämmerung
durch das Fenster auf die Mosel,
das schlammige Fatumswasser:
Menschenskind, da drüben liegt Metternich,
ich sehe den Kirchturm von St. Johannes
und links das Denkmal auf dem Kimmelberg!
Sie sagte nichts, sie sprach nicht mehr,
ihr runzlig-kleiner Vogelkopf
durchsickerte schmutziger Saft,
den die Schrumpfleber nicht mehr auffrischen,
die Lungen, ölverklumpte Flügel
eines Strandläufers nach der Tankerhavarie,
nicht mehr mit dem Sauerstoff
der Erinnerung anreichen konnten.
Keiner begreift das Leben,
und sei es noch so klein und vogelleicht,
von Landwind gezaustes Wehmut-Gefieder,
gekrümmt ins Angstloch
unter hoch donnernden Todesgeschwadern,
geflüchtet in den Verlassenheitshinterhof,
wer schaut mich an,
als sie Großvater, deinen Vater, betrunken,
wieder einmal, und Großmutter, deine Mutter,
war jahrlang schon tot,
vor die Haustür legten,
womit habe ich das verdient.
Lächelnd, als dein Sohn, sauber gestriegelt,
das Gedicht aufsagte vor dem geistlichen Herren
oder vor dem Stimmbruch ein Purpurwölkchen
sein Kindersopran in den Chor hochkringelte –
weinend, zeternd, gellend,
als der faule Balken des Hauses nachtlang ächzte
und endlich nachgab, und man nichts mehr sah
vor Augen in all dem Qualm und Aschenruß
niedergestürzter Gelöbnisse und Schwüre,
womit habe ich das verdient,
und wieder anfangend, auf dem Fahrrad
mit neuer Frisur und flott behost,
auf der Karthause, wo ich Richtung Kühkopf
das Weite suchte, als dein Möhnenclub
sich fesch-bunte Hüte aufsetzte,
mit Plastikbeeren und Moos besetzt,
und obszön herabrinnende Schlieren
von Karnevalsschnulzen die Tapete verätzten.
Migriert von Wohnung zu Wohnung,
Metternich, Güls, Karthause,
Altstadt und zurück, Deutsches Eck
und wieder zurück, als wäre dort alles
anders und freundlich die Ansichtskartenwelt,
als wärest du dort anders
und ruhig das Leben,
ruhig das Herz.
Es begreift sich selber nicht,
das Herz, als wäre ihm von Anbeginn
eingewachsen eines dunklen Traums
vergifteter Stachel, den nur der Engel
des Todes gesenkten Blicks
dem ausgeträumten entwindet.
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