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Metternich, Oberdorfstraße

05.03.2019

Oberdorf und Unterdorf,
katholisch und protestantisch,
wir Jungens prügelten uns vor dem alten Bunker,
in Lehm gebohrte Gänge und Höhlen,
wo der Dunst der Angst zu Grünspan geronnen war.
So klein war jene Welt, so groß.

Vorzeit aus Basalt, Bruchstein und Löß,
Gestank der Sickergrube und des Hühnerstalls,
nächtlichem Brüllen einer Kuh, die kalbte,
dem selig-blöden Grinsen des wasserköpfigen Knechts,
der seine Stulle in der Hocke kaute,
Großmutter hat sie ihm geschmiert,
dem süßen kleinen Grauen einer Liebe,
die mit Heu im Haar auf einer Tenne tanzte –
bevor der Sommer nach Teer und Asphalt roch
und das Blut von der Axt, mit der Johann
die Hühner auf dem Strunk im Keller köpfte,
für immer abgewaschen war.

Wie es wohlig in die dumpfe Stille klatschte
und der Atemhauch im Plumpsklo
auf dem Hof das gute Zeichen
meiner winterfesten Freude war,
bevor die Kerze vor dem Bild der Jungfrau
im Gebläse des Staubsaugers erlosch
und ich verstört durch bunte Glasbausteine
ins Zerrbild meiner Zukunft glotzte.

Der Lindenblätter gelbes Abschiedsgaukeln
auf Regenwassern vor dem Kinderbänkchen,
wo ich meinen Apfel knatschte,
in die braune Flut der Gosse starrend,
ist in einem Gulliloch verschollen,
die Linde abgeholzt – hat wohl die Bank
mit treuer Glut noch eines Vagabunden
klamme Hand gewärmt?

Verschüttet unterm Dung von abgetanem Ehedem
sind tausend Knospen, Kirschen, Beeren,
Häherfedern, bunte Murmeln und Monstranzen,
die durchs Grün der Weidenzweige blinkten,
bedeckt vom Schlick der Mosel und des Rheines
Egge, Hacke, Melkschemel, Kummet und Joch,
das Lächeln weißer Alabasterputten,
die Bronze froher Vesperglocken.

Noch in Träumen hör ichʼs glucksen,
wie der Schnee im Riedgras schmolz,
Sirren, wenn die Schwalben tauchten,
und des buckligen Schreiners Säge
in der Mittagsschwüle kreischte,
hör das Rauschen zwischen Kieseln,
die wie Kupferpfennige im Bachlauf glänzten,
nur von ferne,
nur von fern.

Doch die Lieder des Zigeuners
mit dem schönen Federhut,
der am Fenster meiner Mutter
kehlig zur Gitarre sang,
sind verstummt,
sind lang verstummt.

 

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