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Lose Enden

27.04.2019

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Das gute Gewissen ist bekanntlich ein bequemes Ruhekissen; das schlechte kann das Königszeichen sein an einem, den tiefe Unruhe treibt, über sich hinauszuwachsen.

Vor dem Reinen und Erhabenen fühlen wir uns schmutzig, befleckt und niedrig; vor der Schönheit häßlich, vor dem grenzenlosen Blau des Himmels krabbeln wir als kleine schäbige Käfer dahin und huschen in dunkle Erdlöcher.

Wie vernimmt der aus dem Schlamm gezogene Kerl mit seinen ungewaschenen Ohren den Ruf nach dem Bad der Reinigung, der Taufe, der Läuterung?

Doch nicht die glatten, peinlich manikürten Hände des Lebemanns und der Femme fatale sind schön, sondern die rissigen und schmutzigen des Landmanns und die vom Wringen roten der Waschfrau; die Bauernschuhe Van Goghs sind schön, nicht die Lackschühchen des Gigolos.

Bei manchen sind die losen Enden ihrer schön, aber langweilig gewebten Texte die abgeschnittenen Fragezeichen.

Mode-Philosophen mit den venia mentiendi verkünden mit geschwollener Brust und gerunzelten Brauen, es könne, was sie nicht verstehen, eo ipso auch nicht geben.

Gott sei das farbig schillernde Licht auf dem Schaum der menschlichen Wünsche, sagen sie. Ist denn der Begriff der Person, der Freundschaft, des Staates der Schaum auf dem schwarzen Wasser des Unsinns?

Vögel singen nicht. – Nur wir hören den Gesang. Was sie hören, wissen wir nicht.

Wir müssen allerhand an das Gezwitscher anlegen, nicht nur das gewaschene Ohr, um die Melodie heraushören zu können: den Unterschied von Klang und Ton, denn den Ton tarieren und gewichten wir nach Skalen (Höhe, Tiefe, Lautstärke, Intensität und Farbe), wir verknüpfen die Reihe der Töne gemäß der von uns definierten, bevorzugten oder als natürlich empfundenen Tonstufenskala und hören in der Folge Akkorde, Kontraste, Mißtöne; die Hörkunst gipfelt freilich darin, die Abfolge der Töne als Zeitreihe mit mehr oder weniger sinnvollen Zeitabschnitten, Pausen, Neueinsätzen und Wiederholungen wahrzunehmen. Singen mehrere Vögel gleichzeitig oder im Wechsel, sind wir in der Lage, harmonische Beziehungen wie Wohllaut und Spannung, Konsonanz und Dissonanz, vielleicht gar alterierte Töne und ihre Auflösung im Zielakkord, Motiv und Gegenmotiv auszumachen.

Der sokratische Dialog ist kein allgemeines Modell für das, was wir Gespräch nennen.

Wir führen das Gespräch über das Wetter nicht in der Art, wie wir Schach oder „Mensch ärgere dich nicht“ spielen Wir ziehen unsere Gesprächsäußerungen nicht wie Schachfiguren – nach Regeln.

Gleichwohl haben unsere Unterredungen vom Geplauder über das Wetter bis zum Liebesgeflüster Struktur, Dichte und gleichsam ihre je eigene logisch-semantische Mannigfaltigkeit.

Manche freilich führen Gespräche nach dem Muster des Patiencespiels.

Es gibt keine allgemeinen Regeln, keinen Begriff, keine Definition von „Gespräch“. – Wir treffen auf so viele Formen oder Sprachspiele dieses Namens, wie es Anlässe, Themen, Kontexte und Zwecke von verbalen Unterhaltungen gibt. Fachsimpelei, Rendezvous, Konferenz, Stammtischgezeter, Kaffeekränzchen – plaudern, tratschen, sich zanken, debattieren, argumentieren, sich beraten, sich beklagen, einander Vorwürfe machen, sich gegenseitig bezichtigen, sich Anekdoten, Träume, Witze erzählen, sich fabulierend, phantasierend die Bälle zuwerfen – und dies in allen erdenklichen Tonlagen, Sprachniveaus, Idiomen und Idiolekten.

Die Grenzen zu manchen Nachbargebieten verbalen Austauschs sind vage und es gibt fließende Übergänge: Wenn einer den Maulhelden und verbalen Zampano oder den inspirierten Verkünder mimt und bald allein das große Wort schwingt, wird der Dialog rasch am Monolog ersticken. Andere Grenzen sind klar markiert: die Examensprüfung, das Verhör, die Zeugenbefragung, die Beichte, der Unterricht, der Vortrag.

Nicht Sokrates, die schwer wegzuscheuchende lästige Bremse mit ihrem monotonen Gesumm, ein anderer mag uns Auskunft erteilen über die Arten und Unarten des Gesprächs oder die Kunst der Gesprächsführung: Georg Büchner in seinem Drama Woyzeck oder Elias Canetti in seinen wienerisch gefärbten Stücken, nicht zuletzt die japanische Geisha, die schöne Blume der höfischen Kultur, zu deren Ausbildungsgang sowohl Tanz, Gesang, Teezubereitung und Blumendekoration gehören als auch die Kunst der geistreichen Gesprächsführung.

Plastik ist das Lieblingsmaterial dieser dem Untergang oder der Selbstzerstörung geweihten Zivilisation, Plastik, Blech oder Aluminium, Materialien jedenfalls, aus denen man keinen der Erde vom Licht gezeugten Sinn wie in Lehm, Stein und Holz kunstvoll modeln kann; der Wald ist eine Attrappe der Fortwirtschaft, der Boden kann nicht atmen, die Erde erstickt unter dem Asphalt; der ästhetische Sinn der Bewohner ist so verdorben, daß der Unrat von Blech, der die Bürgersteige, Plätze und Straßen versperrt und verstopft, nicht einmal mehr als solcher wahrgenommen wird; die geistige Magersucht oder obszöne Völlerei, die von den Wänden der Museen zeitgenössischer Kunst starrt oder über die Rampen der Theater quillt, die Gesichter, die verwaschen und teigig werden von unreinem Fühlen – nur die Katzen erinnern hier noch an die natürliche Anmut.

Wie das brandige Glied amputiert werden muß, damit das Individuum überlebe, könnte man sagen: Weniger ist mehr, doch in diesem Falle weniger von ALLEM (Autos, Häusern, Menschen, Maschinen).

Wenn die Meute nicht anders kann als lärmen, muß man sie, soll Stille herrschen, vermindern bis auf ein, zwei Mann.

Wieviel Dummheit und technoide Arroganz schon in den Namen: „Denkmaschine“, „künstliche Intelligenz“.

Es gibt keine künstliche Intelligenz; Intelligenz und intelligentes Verhalten sind natürlich. Maschinen können nichts einsehen oder auf dem Schlauch stehen, nichts verstehen oder mißverstehen, sie können nichts kapieren oder begriffsstutzig reagieren. Sie mögen rasend schnell komplexe Berechnungen durchführen, doch die Rechenpfade müssen wir gebahnt und vorgezeichnet haben. Sie können sich nicht darüber wundern, daß die Kreiszahl Pi auf keinen noch so großen Kreisumfang abbildbar ist.

Die Einfältigen sagen: Schau mal, Maschinen können nichts fühlen! Doch den nächsten Unterschied sehen sie nicht: daß sie auch nicht rechnen können, in dem Sinne, wie wir es tun; um dies aber tun zu können, müssen wir – im Sinne des logisch-semantischen Könnens – in der Lage sein, Fehler zu machen. Maschinen machen keine Fehler, sondern versagen oder fallen aus.

Die Fehlbarkeit ist unsere logische Exzellenz.

Eine Maschine, die so perfekt konstruiert und programmiert wäre, daß ihr kein logischer Fehler oder Fehlschluß unterlaufen könnte, stellte damit unter Beweis, daß sie NICHT denkt.

Maschinen denken nicht; sie verbinden zwar syntaktisch das, was wir Zeichen nennen (und ihnen eingegeben haben), nach starren und von uns wohldefinierten Regeln, aber sie können weder Zeichen als solche erkennen und lesen noch neue Zeichen oder Zeichensysteme erfinden.

Denkmaschinen sind Gegenstände in unserer Welt, aber die programmierten Prozesse, die in ihnen ablaufen, sind gleichsam nirgendwo, denn sie können sich nicht zu Gegenständen oder Weltdingen verhalten. Dadurch daß wir uns zu Gegenständen wie Menschen und Maschinen verhalten, werden sie zu Gegenständen in unserem logisch-semantischen Raum, zu Sprachdingen.

Wir können etwa sagen, dieser Stab habe keine Länge; das Falsche sagen zu können (im logischen Sinne von „Können“) geht Maschinen ein für allemal oder apriori ab.

Wenn das Wahre und Falsche „Eigenschaften“ unserer Sätze sind, handelt es sich um logisch-grammatische Sätze wie bei dem Satz „Alle Kugeln sind räumlich oder ausgedehnt“ oder dem Satz „Jeder Stab hat eine Länge“. Wir können SEHEN, daß logische Sätze wahr oder falsch sind; wie an dem Satz: „Peter ist entweder verheiratet oder ein Junggeselle.“ Maschinen können dies nicht.

Weder eine Maschine noch unser Gehirn – oder die genaue künstliche Nachbildung unseres Gehirns – können etwas wissen, sich an etwas erinnern, etwas vergessen oder empfinden; wir sagen von Peter, nicht seinem Gehirn, er wisse etwas oder nicht, erinnere sich an etwas oder habe etwas vergessen, und wenn Peter sich am Knie verletzt hat, sagen wir nicht, das Knie habe Schmerzen, sondern Peter tue das Knie weh.

 

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