Logische Schneisen XIX
Person ist derjenige, der spricht – der Sprecher einer natürlichen Sprache, aber auch der Schreiber und Leser der mittels der natürlichen Sprache konstruierten künstlichen Idiome wie der logischen oder mathematischen Kalküle.
Sprecher teilen einander mit, was sie für mitteilungswert und bedeutsam halten. Die Bedeutung der Mitteilung, mit der ich dich bitte, unser Treffen um einen Tag zu verschieben, ist nicht in meinem Bewusstsein oder den neuronalen Prozessen unter meiner Schädeldecke gleichsam eingekapselt, und ich habe den Satz auch nicht dadurch mit Bedeutung aufgeladen, dass ich ihn an einen Vorstellungsinhalt meines Bewusstseins geschweige denn an einen elektrochemischen Vorgang in meinen Gehirn angeschlossen hätte: Du verstehst, was ich meine, unmittelbar dadurch, dass du die Satzäußerung oder Mitteilung auffasst, hörst oder liest.
Wir halten fest: Damit deine Äußerung bedeutsam ist und mir etwas zu verstehen gibt, ist es gleichgültig, was immer du dir bei der Verlautbarung denken oder welche Vorstellungen du damit verbinden magst. Wesentlich für das Funktionieren der sprachlichen Mitteilung ist nur die Korrektheit der Satzbildung – beziehungsweise die annähernde Korrektheit, denn auch aus einem elliptisch gebildeten oder einem korrupten Satz können wir zur Not den wohlgebildeten und bedeutungsvollen Satzbau rekonstruieren.
Aus der semantischen Definition der Person als eines Sprechers einer natürlichen Sprache folgt demgemäß, dass wir nicht notwendig auf Vorgänge im Bewusstsein oder Gehirn der Person Bezug nehmen müssen, um sie als Person zu identifizieren: Es genügt uns, wenn uns die Sätze, die sie äußert, verständlich sind, und die Sätze, die wir äußern, wiederum ihr verständlich sind. So erkenne ich, dass du meine Bitte, unser Treffen um einen Tag zu verschieben, verstanden hast, an der Tatsache, dass du nicht an dem zunächst vereinbarten Termin, sondern einen Tag später zu mir kommst.
Das Verstehen ist kein Bedeutungserlebnis und nicht identisch mit dem Erlebnis, welches das Verstehen unmittelbar begleitet, wie das Aha-Erlebnis, das du erfreulicherweise hast, wenn es dir nach großem Kopfzerbrechen endlich gelungen ist, das Rätsel zu knacken oder die algebraische Gleichung zu lösen. Dass Verstehen keine Art des Erlebens und schon gar nicht von der Art des Aha-Erlebnisses ist, merkst du daran, dass du auch in Fällen, in denen du glaubst, etwas verstanden zu haben, was du aber in Wahrheit gar nicht verstanden hast (sondern du lagst leider voll daneben), das beglückende Aha-Erlebnis haben kannst.
Wenn wir den logisch-semantischen Grundbegriff der Person an die Fähigkeit knüpfen, mit der Verwendung sprachlicher Zeichen etwas zu meinen und mitzuteilen und Mitteilungen zu verstehen, und wenn etwas zu meinen und zu verstehen keine psychischen Vorgänge sind, dann sind Personen im hier definierten Sinn weder identisch mit einer Summe von psychischen Vorgängen noch mit der Gesamtheit der neuronalen Prozesse, die diese Vorgänge verursachen.
Wenn du, was nicht selten passiert, danebengreifst und eine logisch-grammatische Regel nicht richtig anwendest und beispielsweise einen falschen Satz nicht mittels der korrekten Verwendung der doppelten Negation in einen wahren Satz umwandelst, bleibst du in deinem Bewusstseinsstrom nicht gleichsam am Vorstellungsbild der einen Negation kleben. Denn das Zeichen für „nicht“ bezeichnet keinen vorstellbaren Gegenstand oder Vorstellungsinhalt, sondern eine Technik der Verknüpfung von Sätzen, der Art nämlich, dass ein wahrer Satz durch Hinzufügung des Zeichens für „nicht“ zu einem falschen Satz und ein falscher Satz eben dadurch zu einem wahren Satz umgeformt wird. Die Vorstellungsbilder, mit denen du die Bildung und Verlautbarung eines Satzes verbinden magst, stehen in keiner notwendigen und internen Beziehung zum Inhalt des Satzes.
Was immer du dir vorstellen magst beim Äußern eines Satzes, dessen Bedeutung dir klar ist, was immer in deinem Gehirn an neuronalen Prozessen ablaufen mag, wenn du den Satz hörst und verstehst, es ist weder identisch mit dem Inhalt des Satzes noch mit deinem Verstehen des Satzes.
Wenn wir Personen als Sprecher natürlicher Sprachen betrachten, sind sie weder identisch mit Funktionen des Bewusstseins wie Vorstellungsbildern, Assoziationen, Erinnerungsbildern oder emotionalen Erlebnissen, die das Sprechen begleiten, noch mit den physiologischen Vorgängen oder neuronalen Mustern, die den physischen Akt des Sprechens verursachen.
Personen in diesem Sinne könnten genauso gut wie Sätze als Ureinwohner des logisch-semantischen Raumes betrachtet werden.