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Logische Schneisen X

29.01.2014

Gehirne haben kein Bewusstsein. Nur Personen haben Bewusstsein oder sind sich ihrer Erlebnisse mehr oder weniger bewusst. Das Gehirn ist ein Teil der Person, mit dessen Hilfe sie denkt, aber nicht umgekehrt ist die Person Teil des Gehirns, zum Beispiel als Illusion oder Fiktion seiner Illusionen oder Fiktionen projizierenden Tätigkeit.

Fiktionen sind im Übrigen nur als Gegensatz von Tatsachen verständlich, und Tatsachen werden von deskriptiven Sätzen über mögliche Umstände und Ereignisse der Welt von Personen konstituiert. Also werden auch Fiktionen als deskriptive Aussagen über nichtbestehende Umstände und Ereignisse der Welt von Personen konstituiert.

Wir nennen Personen solche Wesen wie wir, denen während sie was immer auch erleben in mehr oder weniger starkem Maße bewusst ist, was sie erleben, und denen im gleichem schwachen oder starken Maße bewusst ist, dass sie erleben, was sie erleben. Bewusstsein impliziert Selbstbewusstsein, wenn auch in nuce, wie umgekehrt Selbstbewusstsein natürlich Bewusstsein impliziert. Ich sehe, dass und wie es abends dunkel wird: Dass es kein anderer ist, dem genau dies Erleben, dieser intentionale Zustand, zugeschrieben werden kann außer mir, ist evident. Dieses Nicht-Können ist ein Zug im logischen Raum, kein empirisches Datum. Nur ich kann dies singuläre Erlebnis haben, weil alle Erlebnisse, die ich habe, eben dadurch zu meinen singulären Erlebnissen werden, dass ich sie habe.

Eine Welt der Tatsachen, die wir in Behauptungssätzen der Form „Ich glaube, dass p“ erfassen, ist der Tatsache des Bewusstseins äquivalent, die wir in Sätzen der Form artikulieren „Ich bin mir bewusst, dass ich glaube, dass p“. Wir bemerken hier, dass der Satz „Ich bin mir bewusst, dass ich glaube, dass p“ eine Implikation des Satzes „Ich glaube, dass p“ darstellt. Wir bemerken außerdem, dass der Begriff der Welt, in der wir leben, kurz Lebenswelt, ein Teil des logischen Raums und nicht ein Gegenstand oder die Summe von Gegenständen ist, die unabhängig oder jenseits des logischen Raums vorgefunden werden könnten – wie es theoretische Entitäten wie der physikalische Begriff des Kosmos unterstellen. (Indes steht auch der Begriff des Kosmos in einer internen Beziehung zum Begriff der Welt als der Welt des Bewusstseins – was an dieser Stelle nicht ausgeführt werden soll.)

Es scheint nicht adäquat zu sagen, dir deines intentionalen Zustands bewusst zu sein, sei eine Form des Wissens. Was du weißt, könntest du genauso gut nicht wissen. Jedes Wissen aber kannst du in die Satzform, „Ich weiß, dass p“ gießen und diesen wie jeden anderen Behauptungssatz kannst du verneinen, indem du sagst „Ich weiß nicht, dass p“. Aber deines intentionalen Zustands, zum Beispiel, dass du jetzt gerade diese Zeilen liest, nicht bewusst zu sein, ist nicht möglich, ist ein Nicht-Können, das eine Grenze des logischen Raums bezeichnet. Zu sagen „Ich habe den intentionalen Zustand i, bin mir dessen aber nicht bewusst, dass i“ ist nicht falsch, sondern unsinnig.

Die Tatsache des Bewusstseins (nicht die Organismen, die Bewusstsein haben) hat keine Geschichte. Sie ist eine unmittelbare Tatsache. Wäre sie das nicht, könnte es einen Zwischenzustand zwischen einem nichtbewussten Zustand i0 und einem bewussten Zustand i1 geben, sodass der Wechsel von i0 zu i1 zum Zeitpunkt t1 die Entstehung des Bewusstseins markierte. Indes liegen bekanntlich auf der Punktgeraden zwischen der Nullkoordinate und dem Punkt 1 für die erste natürliche Zahl beliebig viele Zwischenpunkte, je nachdem, ob wir den rationalen oder reellen Zahlenstrahl zugrungelegen. Unter diesem Aspekt würde sich die Entstehung des Bewusstseins gleichsam unendlich aufschieben lassen.

„Wie lange bist du deiner bewusst?“ ist im Gegensatz zu den Fragen „Seit wann wohnst du in dieser Stadt?“ oder „Bist du eben erst aus der Ohnmacht erwacht?“ eine unsinnige Frage. Der Tod als die empirische Unmöglichkeit, dir weiterhin bewusst zu sein, ist die faktische, keine innere, logische Grenze des Bewusstseins.

Du gelangst nicht peu à peu von einem gleichsam vorbewussten, dunklen, vorreflexiven Zustand allmählich in die Helle des Bewusstseins. Du kannst die Tatsache des Bewusstsein eher mit einem Wunder vergleichen als mit der biologischen Entstehung eines Individuums aus dem Keim oder des komplexen Körpers durch die Synthese von Atomen und Molekülen – diese Analogien sind unzureichend.

Ähnlich wie der Satz vom Widerspruch keinen Anfang in der Zeit hat, ist das Bewusstsein gleichsam zeitlos, ewig, losgelöst oder absolut.

Das Bewusstsein ist nicht eine irgendwie subtile, raffinierte oder höherstufige Vorstellung oder Repräsentation – der Begriff der Vorstellung oder Repräsentation setzt die Tatsache des Bewusstseins immer schon voraus. Du hast beliebige Vorstellungen, aber du bist keine davon. Wir können dies auch so ausdrücken: Das Bewusstsein ist kein bewusster Inhalt seiner selbst – alle bewussten Inhalte sind intentionale Korrelate des Bewusstseins und setzen seine Existenz voraus.

Kurz: Das Bewusstsein ist keine Vorstellung einer Vorstellung, kein Resultat einer Reflexion. Wäre es Resultat einer Reflexion, könnte es dieses Resultat zum Objekt erneuter Reflexion machen und so weiter ad infinitum.

Bewegung und Wechsel sind akzidentelle Eigenschaften intentionaler Zustände, die behauptenden Aussagen korrelieren, keine wesentliche Eigenschaft des Bewusstseins und der Dimensionen des logischen Raums. Du bist dir zum Zeitpunkt t1 bewusst, dass p1, zum Zeitpunkt t2, dass p2 usw. Die Aussage, dass p1 „Es regnet“ hat keine wesentliche, interne Beziehung zu der Aussage p2 „Die Sonne scheint“ – im Gegensatz zu der Aussage –p1 „Es regnet nicht“ oder –p2 „Die Sonne scheint nicht“. Es ist für den Inhalt und die logische Form der behauptenden Aussagen gleichgültig, ob p1 oder p2 zum Zeitpunkt t1 oder t2 oder einem beliebigen anderen Zeitpunkt geäußert werden. Daraus folgt, dass die zeitliche Zuordnung bewusster intentionaler Zustände, die in behauptenden Aussagen ihr intentionales Korrelat haben, für deren interne Struktur und logische Form keine Relevanz hat.

Dies gilt nicht für den zweiten wesentlichen Typ von Aussagen, den Aufforderungen und Versprechen, die eine interne Relation zu den Zeitpunkten ihrer Äußerung aufweisen: Ich kann dich nicht dafür tadeln, mir anders als verabredet, zugesagt oder versprochen das ausgeliehene Buch nicht zum ausbedungenen Zeitpunkt zurückgegeben zu haben, wenn ich dir zuvor zu dem Zeitpunkt, als du es von mir ausgeliehen hattest, nicht die Zusage und das Versprechen abgenommen hatte, es mir zum ausbedungenen Zeitpunkt wieder zurückzugeben – sondern es dir auf beliebige Zeit ausgeliehen hätte. Anders gesagt: Du kannst mich nur dann tadeln, etwas getan zu haben, also auffordern oder zu der Absicht veranlassen, es nicht wieder zu tun, wenn du mich zuvor aufgefordert oder zu der Absicht veranlasst hast, das Gegenteil davon zu tun. Hier spielt die zeitliche Reihenfolge der Äußerungen und ihrer korrespondierenden intentionalen Zustände des Bewusstseins demnach eine wesentliche Rolle.

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