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Logische Schneisen VIII

25.01.2014

Betrachten wir zunächst die Aussagetypen der Aufforderung und des Versprechens:

(2) (1)
„Ich warne dich davor, den Fuß auf die Straße zu setzen.“
„Betritt nicht die Straße!“
(2) (2)
„Ich empfehle dir, den Fuß nicht auf die Straße zu setzen.“
„Betritt nicht die Straße!“
(2) (3)
„Ich bitte dich, nicht die Straße zu betreten.“
„(Bitte) Betritt nicht die Straße!“
(2) (4)
„Ich frage dich: Bist du gewillt, dich weiterhin mit mir zu treffen?“
„Willst du dich weiterhin mit mir treffen?“
„Ich bitte dich, die Frage zu beantworten, ob du dich weiterhin mit mir treffen willst.“
(3)
„Ich verspreche dir, mich weiterhin mit ­­­dir zu treffen.“
„Ich will mich weiterhin mit dir treffen.“

Wir sehen: Wir können den Hauptsatz mit dem sogenannten Indikator, der dem Infinitiv voransteht, welcher den Inhalt der betreffenden Aufforderung beziehungsweise des Versprechens angibt, ersatzlos streichen und sodann den erweiterten Infinitiv in einen Aussagesatz umformen. Dann erkennen wir, dass alle Aufforderungen ob Warnung, Empfehlung oder Bitte dieselbe Satzform annehmen – ja, wir können sogar den Fragesatz in einen Aufforderungssatz umformen, nämlich in die Bitte um Antwort.

Es verbleiben demnach als sprachliche Grundformen des pragmatischen Umgangs von Menschen die beiden Satztypen der Aufforderung und des Versprechens:

„Ich fordere dich auf, das und das zu tun.“
„Ich verspreche dir, das und das zu tun.“

Wir sehen: Hier handelt es sich um symmetrische und reziproke Strukturen. Wenn ich dich bitte, uns zu unserem Treffen zwei Stück Kuchen vom Bäcker mitzubringen, ist dieser Satz umgekehrt äquivalent zu dem symmetrisch und reziprok gebildeten Satz, den du auf meine Bitte hin äußern könntest: „Ich verspreche dir, uns zu unserem nächsten Treffen zwei Stück Kuchen mitzubringen.“

Wir führen zur weiteren Reduktion der Formunterschiede und zur Vereinfachung der Darlegung den Begriff der Veranlassung ein. Symmetrie und umgekehrte Äquivalenz werden so noch klarer und sichtbarer. Wenn ich dich veranlasse, uns zu unserem nächsten Treffen zwei Stück Kuchen mitzubringen, kannst du deine Bereitschaft, dich von mir zu diesem Tun veranlassen zu wollen, mit dem Versprechen Ausdruck verleihen, das Erwünschte zu tun.

Im pragmatischen Umgang stehen sich Ego und Alter Ego in symmetrischen und reziproken Positionen gegenüber – in einem sprachlichen Feld, in dem sich mittels der Satztypen der wechselseitigen Veranlassung reziproke und gegenläufige Intentionen kreuzen: Ich veranlasse dich, etwas zu tun – du veranlasst mich, etwas zu tun.

Hierbei ist stets zu ergänzen: etwas zu tun oder nicht zu tun (das heißt zu lassen). Der Inhalt der angesonnenen Tätigkeit mag dabei vom bloßen An-etwas-Denken über das Aussprechen nachgefragter Information bis hin zur zupackenden Tat reichen.

Wie vermag ich dich zu veranlassen, mir bei Tisch die Wasserflasche herüberzureichen? Nun, ich werde vielleicht zu dir gewandt sagen: „Wärst du so nett, mir die Flasche Wasser zu reichen?“ oder „Bitte reich mir doch die Flasche herüber!“ Du verstehst ja Deutsch und weißt, was ich meine, und weil du mir freundlich gesinnt bist, zögerst du nicht, mir das Gewünschte zu geben.

ich könnte allerdings auch eine Hand in Richtung Wasserflasche ausstrecken, als Geste der Aufforderung, einer möge so freundlich sein, mir die Flasche zu reichen, an die ich von meiner Position aus nicht hinlange. Und sicher würde ich mit dieser Geste deine Aufmerksamkeit wecken und du würdest sie richtig als sprachförmige Geste verstehen, die bedeutet: „Bitte, reich mir doch die Flasche Wasser herüber!“ Und du wiederum kommst mir mit der Bewegung deiner Hand gleichsam auf halbem Wege entgegen und reichst mir die Flasche.

Auf solche Weise hätte ich dich mittels eines einfachen Sprechaktes der Aufforderung oder mittels einer einfachen sprachförmigen Geste dazu veranlasst, zu tun, wonach mich verlangt hat.

Jemanden veranlassen, etwas zu tun, heißt nicht, auf jemanden kausal einzuwirken, sodass er tun muss, was du von ihm verlangst. Und jemanden etwas zu tun auffordern heißt nicht ihn wie mittels magischer Sprüche oder Beschwörungsformeln nötigen, etwas zu tun. Auch wenn du von deiner hohen Amtsstellung her befugt wärest, jemandem zu befehlen, etwas zu tun, könnte er sich noch immer weigern, dem Befehl zu gehorchen, auch wenn die Befehlsverweigerung mit hohen Sanktionen bewehrt wäre, denn diese zu erleiden könnte dem heroisch Gesinnten besser dünken, als seinen freien Willen aufzugeben. Du kannst jemanden durch Schmeicheleien und Versprechungen zu beeinflussen und durch Aussicht auf materiellen Gewinn zu bestechen suchen, der Betreffende ist dennoch nicht gezwungen, deiner Aufforderung nachzukommen, wie eine Lampe nicht anders als leuchten „kann“, wenn du den Schalter betätigt hast – es sei denn sie ist kaputt. Wir sagen zusammenfassend: Mit den für die menschliche Praxis wesentlichen und entscheidenden Sprechakten des Aufforderns und Versprechens begeben wir uns ein intentionales Feld des Redens und Tuns, nicht in ein kausales Feld des Geschehens.

Allerdings ist die Erfüllung von Wünschen nicht durch ihre Artikulation garantiert (Schön wärʼs oder auch gar nicht schön!). Es könnte Folgendes passieren: Ich trage dir meine Bitte vor und du ignorierst sie einfach! Du schneidest mich bei Tisch, weichst meinen Blicken aus, tust nicht, was ich von dir verlange, oder beantwortest meine Fragen nicht. Was ist hier geschehen?

Nun, du bist mir wohl böse und übel gesonnen, vielleicht weil ich dir einen Wunsch ausgeschlagen, dich missachtet oder beleidigt habe. Dann geschieht mir durch deine Ignoranz und deine Weigerung, dich von mir zu einem Tun veranlassen zu wollen, die Rache. Oder es gibt jemanden, der gleichsam ältere Rechte oder größeren Einfluss bei dir hat als ich und der dich veranlasst hat, nicht das zu tun, wozu immer ich dich veranlassen will, sondern es zu lassen.

Hier gelangen wir zu der trivialen Einsicht: Nicht jeder kann jedem alles sagen. Oder als Frage formuliert: Wer kann wem was sagen? Nicht jeder kann jeden zu was auch immer veranlassen, nicht jeder fühlt sich von jedem veranlasst, was auch immer zu tun.

Die Arten der Aufforderung sind in einer sozialen Hierarchie angeordnet und reichen vom Befehl des Generals während höchster Gefährdung im Feld, wobei dem Befehlsverweiger durchaus die Todesstrafe drohen mag, über die Anordnung der Eltern, bei Tisch nicht durcheinanderzureden, bis zur Bitte des Bettlers, ihm einen Euro zu schenken. Je nachdem, in welchem Maße die Weigerung, einer Aufforderung nachzukommen, mit Strafe oder Tadel sanktioniert ist, bewerten wir den Ernst und das Gewicht einer Aufforderung.

Ob du dein Versprechen, am ausbedungenen Zeitpunkt und Ort zu erscheinen, wahr machen wirst, steht dahin, wie alles, was man nicht in der Vergangenheitsform formulieren kann. Du könntest dein Versprechen vergessen oder verraten haben, du könntest es im Augenblick, da es dir über die Lippen kam, gar nicht ernst genommen haben, du könntest durch einen Unfall, eine Unpässlichkeit, eine Krankheit, ja im schlimmsten Falle durch dein Ableben endgültig verhindert sein, dein Versprechen einzulösen.

Mit den Sprechakten der Aufforderung und des Versprechens drücken wir unsere Absichten aus, dass ein anderer etwas für uns tue, oder dass wir bereit sind, für einen anderen etwas zu tun. Der Zeitpunkt, an dem eine Absicht erfüllt oder verwirklicht sein wird, ist immer die Zukunft, ein zukünftiger Moment, gesichtet vom imaginären Standpunkt der Gegenwart aus. Was in Zukunft geschehen mag, weiß niemand mit Gewissheit vorauszusehen. Deshalb reichen die Sprechakte der Aufforderung und des Versprechens gewissermaßen in den dunklen oder unsichtbaren Raum des Ungeschehenen.

Wir versuchen, der Ungewissheit alles Zukünftigen gegenzusteuern, indem wir gleichsam Sicherungen in unsere Handlungsschaltkreise einbauen: Du hast deinem Freund versprochen, das ausgeliehene Geld endgültig übermorgen zurückzuerstatten. Weil du nicht voraussehen konntest, ob du die Summe aus eigenen Kräften aufzubringen vermochtest, hast du dir rechtzeitig von einem Dritten dieselbe Summe geliehen. So schleppst du dich zwar mühsam von Gläubiger zu Gläubiger, kannst aber mittels dieser fragwürdigen Absicherung dein Versprechen einhalten.

Wenn du einen größeren Kredit bei einer Bank bezogen hast, hat sich die Bank gegen die Ungewissheiten und Unsicherheiten der Zukunft durch den Abschluss einer Versicherung zur Begleichung der anfälligen Restsumme im Krankheitsfalle, bei Unfall, Invalidität und Tod abgesichert.

In den entscheidenden Fällen unseres Lebens haben wir keine Versicherung oder Sicherheiten zur Hand. Wir erwarten nicht nur den Erhalt und die Wiederkehr alles dessen, was uns lieb und teuer ist, sondern sein endgültiges Verschwinden. Deshalb sind unsere am Zeitsinn der Zukunft orientierten handlungsleitenden Sprechakte des Aufforderns und Versprechens immer auf Risiko, Wagnis und Ungewissheit hin gesprochen.

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