Logische Schneisen IV
Die Verknüpfungs- oder Ausschließungsregeln, gemäß denen du die Begriffe verbindest und trennst, bilden die Ordnung der Vernunft.
Solche Regeln ähneln den Regeln der Straßenverkehrsordnung, wonach wir hierzulande gehalten sind, auf der rechten Seite der Straße zu fahren. Diese Vorschrift ist insofern willkürlich und rein konventionell, als wir es ja auch wie die Briten halten könnten. Nicht willkürlich und nicht bloß konventionell ist der Zwang zur Entscheidung für eine der beiden Alternativen oder in anderen Fällen für irgendeine von gegebenenfalls mehreren Alternativen.
Weil das System unserer Erfahrung uns die erfahrbaren Momente, Gegenstände und Ereignisse, als Bündel ein- oder mehrstufiger Relationen von Eigenschaften gleichsam in den logischen Raum hineinstellt, kommen wir nicht umhin, unsere Behauptungssätze aus Ausdrücken für Gegenstände und zu ihnen relative generelle Terme aufzubauen.
Die Ordnung der Vernunft ist mit der Sprache gegeben. Vernunft und Sprache sind gleichsam da oder nicht da – du gelangst nicht von einer Welt ohne Vernunft und Sprache in einer Folge kontinuierlicher Übergänge zu deiner Welt von Vernunft und Sprache. Du musst springen oder du hast schon immer springen müssen, hast den Sprung schon immer hinter dir – denn keine Erinnerung reicht an jene Pseudo-Welt des Unbewussten jenseits der Grenzen des logischen Raums zurück.
Die seltsamen Leute, die Sprache und Offenbarung theologisch pantschten, waren der Wahrheit näher als die heutigen ungemein pfiffigen und zugleich ungemein dummen Evolutionsbiologen und Evolutionspsychologen, die eben jener Kontinuität unmerklicher Übergange von der bewusstlosen und sprachlosen Welt zu unserer Welt des Bewusstseins und der Sprache auf der Spur zu sein wähnen.
Was sollte es zwischen der Welt des Bewusstseins und der Sprache und der unbewussten und sprachlosen Pseudo-Welt geben und ermöglichen, dass diese in jene überginge? Man hat das mythische Bild von Keimen oder Logoi spermatikoi vor Augen. Dies aber trügt. Der Keim zum Bewusstsein und zur Sprache ist schon das ganze Ding.
Sicher, du hast sprechen, lesen, denken gelernt. Aber das erste Wort war schon die ganze Initiation. Mit dem ersten Ein-Wort-Satz warst du schon im Besitz der ganzen Sprache. Mit der primären Initiation in die Welt der Bedeutung war deine Fähigkeit zum Verstehen und Denken geboren.
Du kannst die Zahlenreihe bis zur Erschöpfung immer wieder mechanisch abschreiben und auswendig lernen. Du kannst Additionsmuster auswendig lernen und zur Frage „Was ist 14 X 14?“ das richtige Resultat nennen, ohne dass wir dir zugestehen würden, du wüsstest, was es heißt, zu rechnen. Wenn du verstanden hast, dass du mit der Regel x + 1 und x – 1 die Reihe der natürlichen Zahlen aufbauen kannst, wenn du verstanden hast, dass die Menge dieser Murmeln verteilt auf die Menge dieser Münzen dieselbe Zahl repräsentiert, hast du das Wesen der Zahl und des Zählens und Rechnens verstanden.
Es gibt keinen Anfang des Bewusstseins, der Erfahrung, der Sprache, des Denkens. Bewusstes Erleben, Sätze, Gedanken sind Elemente des logischen Raums, der kein Außen, keinen Anfang, kein Ende hat.
Die Ordnung der Sprache und der Vernunft hängt und schwebt gleichsam in der Luft. Es gibt kein Fundament, weder eine natürliche oder historische Ursache noch einen psychologischen Grund, auf dem sie aufruhte und ihre Rechtfertigung bezöge. Du kannst das Denken nicht durch Angabe von Gründen rechtfertigen, nur den einzelnen Gedanken, den einzelnen Satz. Es gibt keine Antwort auf die Frage: „Warum soll ich vernünftig denken?“ Oder auf die Frage: „Warum soll ich sinnvoll reden?“ Das Spiel der Gründe ist ein Spiel innerhalb der Grenzen des logischen Raums von Sprache und Vernunft.
Sätze über etwas, die nicht verneint werden können, sind sinnlos. Wäre der Satz „Der Mond ist der Erdtrabant“ ein solcher Satz, wäre er keine empirische Aussage, ein Satz über etwas in der Welt, sondern eine Festsetzung wie die, der zufolge 2 x 2 = 4 ist.
Festsetzungen können allerdings nicht verneint, nur angenommen oder verworfen werden. Wenn wir mit ihnen operieren, zum Beispiel addieren und multiplizieren oder Schlüsse ziehen, haben wir sie akzeptiert. Andernfalls rechnen und denken wir nur scheinbar.
Wenn wir sagen: Du kannst nicht gleichzeitig etwas und sein Gegenteil behaupten, reden wir nicht über ein physisches oder psychisches Versagen. Nicht-Können im logischen Raum gleicht mehr einer Tabuisierung oder einem moralischen Verbot als einer physisch-psychischen Blockade.
Natürlich kannst du so tun, als überschrittest du die Grenze des logischen Raums – aber diese Donquichotterie ist vergebliche Liebesmüh, bringt dir nichts, aus diesem Jenseits kommst du mit leeren Händen zurück. Aber du kommst ja nicht zurück – du bist schon immer gleichsam zu Hause.
Die Möglichkeit der Verneinung ist die Möglichkeit, immer etwas Wahres zu sagen oder deine Äußerungen stets mit der Realität in Einklang zu bringen, mit der Realität in Harmonie zu bleiben. Wenn strahlendes Wetter deine Annahme und Behauptung, es regne, augenscheinlich eines Besseren belehrt, so ist es schon gut und alles in Ordnung, wenn du deine ursprüngliche Aussage verneinst.
Du kannst diesen gewaltigen Stein nicht mit der Hand hochheben. Du kannst einen schwarzen und einen weißen Fleck nicht gleichzeitig an demselben Ort im Gesichtsfeld wahrnehmen. – Auf dem Mond könntest du den Stein vielleicht heben. Doch gibt es keine Welt, in der du Schwarz und Weiß zur gleichen Zeit am selben Ort sehen könntest. Dieses Nicht-Können ist kein psychisches Unvermögen, sondern eine Art logischen Zwanges, der aber nichts anderes als unsere Form der Klassifikation der Farben widerspiegelt. Die Aussage über die Farben ist daher keine empirische Aussage, kein Satz über eine Tatsache der Welt, sondern über eine Festsetzung im logischen Raum. Mit dem physisch und psychisch Unmöglichen stoßen wir an die Grenzen unserer Fähigkeiten, mit dem logisch Unmöglichen an die Grenzen des logischen Raums.
„Dies ist kein Satz“ heißt, dies sieht nur so aus wie ein Satz, sieht nur so aus, als hättest du etwas behauptet, in Wahrheit hast du Unsinn geredet, das heißt nichts gesagt.
Verstehen ist autonom und setzt sich gleichsam selbst voraus. „Ich verstehe diesen englischen Ausdruck nicht“ ist gutes Deutsch. „Ich verstehe meine Muttersprache nicht“ scheinbar gutes Deutsch, in Wahrheit aber Unsinn.
Wenn du dein Zimmer aufräumst, kannst du Kraft und Zeit sparen, indem du ökonomisch vorgehst und zum Beispiel erst den Tisch abräumst und dann abwischst. Doch was du in welcher Reihenfolge im Schrank und auf den Regalen stapelst, unterliegt rein praktischen Erwägungen. – Die Ordnung der Sprache und des Denkens lässt allerdings nur gewisse Zusammenstellungen und Kombinationen von Elementen zu. Letztlich kommst du immer wieder auf die Grundform der behauptenden Aussage zurück, nämlich zu sagen, etwas sei so und so.