Logische Schneisen I
Wenn du nur etwas sagst, hast du schon alles gesagt.
Etwas sagen heißt, jemandem etwas bedeuten oder zu verstehen geben. Dies ist die Basis-Handlung. In und mit welchen Medien sie ausgeführt wird, lässt die logischen Form unberührt.
Wenn du durch Nicken den anderen aufforderst, etwas Bestimmtes zu tun, hast du eine klare Aussage gemacht. Dein Gegenüber muss dabei verstehen, dass dein Nicken nicht unwillkürlich war, also kein nervöser Reflex, sondern willkürlich oder absichtlich. Als Basis-Handlung muss die Aussage intentional sein.
Nicken kann dem anderen nur in einem Kontext etwas bedeuten, etwa wenn er als Bittsteller an deine Tür tritt und du ihn mit dieser Geste einlädst. Ohne Kontext kann mit Gesten dieser Art nichts oder nichts Eindeutiges und Bestimmtes zu verstehen gegeben werden. Sie sind logisch und sprachlich unterstrukturiert.
Dein Gegenüber muss nicht nur verstehen, dass er angesprochen ist, sondern auch, was er verstehen oder was er tun soll. Indem er das im Inhalt der Aussage Angegebene ausführt, bekundet er in der Regel sein Verständnis des Gesagten – er könnte natürlich auch in diesem Moment aus eigenem Antrieb das Angegebene ausführen und nicht, weil du es verlangst. Dann bleibt offen, ob er verstanden hat oder nicht.
Die Geschichte, wie du die Anwendung der Wörter gelernt hast, ist in der Anwendung der Wörter nicht mitgegeben, sie ist gleichsam verschwunden und vergessen: Du kannst es. Du kannst reden und lesen und verstehen, ohne dich an die ursprüngliche Lernsituation erinnern oder an eine besondere Erfahrung zurückbesinnen zu müssen.
Daher scheinen Lesen und Verstehen, ja spontanes Sprechen gleichsam in der Luft zu schweben und ohne Bodenhaftung der Gefahr jähen Abstürzens ausgesetzt zu sein.
Du liest – und bist dir der grammatischen Regeln, denen der Text gehorcht, nicht bewusst. Aufgefordert, diese und jene Regel anzugeben, vermagst du es nicht. Und doch liest du ohne Schwierigkeiten. So auch mit dem Verstehen und Reden.
Was Grundlage des Argumentierens und Beweisens ist, kann nicht argumentativ abgeleitet und bewiesen werden.
Mittels der Uhr vergewissern wir uns der aktuellen Uhrzeit. Die Zeit ist die logische Dimension, in der wir zeitliche Einteilungen und Messungen vornehmen. Die Zeit als Dimension kann nicht vermessen werden. Vom Anfang oder Ende der Zeit zu reden, ist daher Unsinn.
Es ist töricht, sich über die Korrektheit des Metermaßes dadurch Gewissheit einholen zu wollen, dass man sich der Übereinstimmung des Meters bei mehreren Zollstöcken vergewissert.
Du gibst jemandem eine Rose zum Geschenk. Wenn ich dir mit einem Satz etwas zu verstehen gebe, hat diese Handlung nicht die Struktur, die jene Handlung hat, mit der du ein Geschenk überreichst. Das, was ich dir zu verstehen gebe, die Bedeutung des Satzes, ist allerdings jener Bedeutung analog, die du mit dem Geschenk der Rose zu verstehen geben kannst, wenn du damit nämlich deine besonderen Gefühle dem Beschenkten gegenüber zum Ausdruck bringen willst.
Der sinnvolle Gebrauch des Wörtchens „nicht“ oder des analogen Ausdrucks oder der analogen grammatischen Form in jeder beliebigen Sprache ist die logische Grundlage des Denkens. Denn wenn du etwas sagst, sagst du dies und nicht etwas anderes. Dabei ist das logische Universum dessen, was du von dem ausschließt und abgrenzt, was du sagst, von dem, was du sagst, determiniert. Wenn du sagst: „Dieser Kreis ist gelb“, schließt du aus, dass er rot, blau oder grün ist, aber auch, dass es sich bei der gezeigten Figur nicht um einen Kreis, sondern etwa um ein Rechteck handelt.
Sagst du: „Der Kreis ist gelb und rot“ sagst du die Wahrheit, wenn er teils gelb, teils rot ist. Sagst du: „Der Kreis ist gelb und nicht gelb“, ohne diese Aussage durch nähere Bestimmungen der Zeit oder des Raumes einzugrenzen, redest du bekanntlich Unsinn, weil Widersprüchliches. Du sagst etwas, was du zugleich nicht gelten lässt, also sagst du nichts.
Vergleiche die Begriffe „unwahr“ und „unsinnig“: Wenn du bis zuletzt dich beim Memory-Spiel auf die Zugehörigkeit zweier Karten nicht besinnen kannst, werden am Ende schlimmstenfalls zwei Orte von vier falsch zugeordneten Karten bedeckt sein. Deine Behauptung, die Karten wären äquivalent und deckungsgleich, wäre unwahr. Doch der Rest ist gut und gleichsam unbeschädigt. Dagegen halte, was in der Odyssee Homers Penelope treibt: Sie löst das tagsüber gewirkte Tuch des Nachts wieder auf, am Ende steht sie mit leeren Händen da, alle Liebesmüh ist vergebens und alles ist nichts – auch wenn dieser „Selbstwiderspruch der Tat“, dieses unsinnige Tun, in diesem Falle ausnahmsweise intendiert ist.