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Lob der Zensur

20.09.2015

Wenn du auf öffentlichen Wegen nicht ungescheut ausspucken darfst, nicht anbellen, der dir entgegenstreckt widrige Grimasse, wenn am festlichen Tisch du des Furzes dich enthalten sollst, dankst du es dir selbst, dann spuckt auch keiner vor dir aus, bellt keiner dich an, dem deine Visage mißfällt, rümpfst du nicht am Tisch der Gemeinschaft pikiert die Nase.

Die glänzendsten Autoren schrieben glänzend unter der gestrengen Zensur der augusteischen Behörden.

Wenn dir der Zensor die Vulgarismen in den Mund zurückstopft, du das Publikum nicht mit Kot und Obszönitäten bewerfen darfst, wirst du fein und geistreich, musst die geheimeren Winkel und Falten des Herzens ausspähen, tiefer dringen in die Wahrheit der Seele.

Wer unter der Zensur nicht schreiben kann, kann nicht schreiben.

Die Zensur befreit den Geist zu sich selbst.

Wie senkt sich Stille und warmes Gedeihen über den Platz, wenn er von herben Wächtern der Sitte gereinigt wird vom Dröhnen männlicher Herrschsucht, vom Gurren weiblicher Gefallsucht, vom Gackern buntscheckiger Hähne, vom Schnalzen schamloser Geilheit.

Die miserablen Dichter, die vor der Zensur ihrer Heimat ins Land ungezügelten Geschwätzes exilieren, werden für das öffentliche Lecken ihrer nicht vorhandenen Wunden beklatscht und mit Orden behängt.

Wir recht hatte Platon, die trockenen Ohrenpinsler und feuchten Penisschmeichler, die vulgär auf die Pauke hauenden Musiker und die schleimigen Eroskrächzer aus seinem Staat entfernt wissen zu wollen.

Nur was im Geheimen hat blühen dürfen, bleibt.

Unter der Zensur einer civitas Dei Dichter sein zu dürfen, in der in würdigem Melos nur der Ruhm des einzig Würdigen widerklingt.

Sie jammern, überwacht zu werden von anonymen Instanzen. Würden sie sich nur selbst überwachen, könnten sie sich des Jammerns entschlagen und zum Frieden finden, wenn sie den Rand halten.

Wenn du den spontanen Einfall verhalten mußt, hast du die Chance, ihn auf seinen Wert zu überprüfen.

Die Bibliotheken sind voll von Behältnissen mit häßlichen Fehl- und Frühgeburten, die dem Messer des Zensors entgingen.

Warum sollen alle alles lesen? Welch verschwendete Lebenszeit, welch Unmaß der Vergiftung! Wieviel besser, wenn Priester der Seele die Lektüren auswählen und gleich fein dosierten Medikamenten verabreichen.

Freiheit ist ein gefährliches Gut, das nur denen gebührt, die es zu entbehren wissen.

Möge Zensur verhindern, daß die unterste Hefe emporquillt.

Die großen Zensoren der Cherubim sorgen dafür, daß nach ihrer musischen Läuterung den Erwählten einzig der ewige Hymnus vor dem ewigen Throne vergönnt sei.

Freilich fordern wir, daß der Zensor gleichen Werts und ästhetischen Ranges sei wie der beste von ihm zensierte Autor. Augustus war es, die Päpste, die byzantinischen oder habsburgischen Kaiser. Die selbst aus der Gosse stiegen, wie Hitler und Konsorten, freilich nicht.

Der größte Zensor ist der Autor selbst, so er sich denn ein monumentum aere perennius errichten will.

Zu glauben, es gebe irgend öffentliches Leben ohne geheime oder offene Einschränkungen, heißt Illusionen anhängen, wie der, unser eigenes öffentliches Leben sei so geartet. In den ungeschriebenen Satzungen unseres sittlichen Kodex etwa gilt: de Iudais vel de Mohammedanis nisi sine bene. Oder auch: Schätze alles, was nicht auf deinem eigenen Mist gewachsen ist, knie nieder vor dem Fremden und Unverständlichen, durchsäure dich mit dem Abnormen und Verrückten, verfluche und zerkratze die Bilder der Ahnen, haue herunter die Säulenheiligen und Heroen des Geistes, liebe die ganze Menschheit, nur nicht dich selbst und dein eignes Volk!

Warum sind unsere Medien und unsere Literaturen pornographisch verseucht? Warum darf satirisch, polemisch und wie man dummdreist behauptet kritisch alles, was einmal Achtung und Ehrfurcht beansprucht hat, sei es Kirche, Zölibat, Ehe und Askese, Heimat, Nation und Vaterland durch den Kot einer unseligen Herabwürdigung gezogen werden? Ist der hier schmerzlich zu vermissende Eingriff der Zensur mit den Bindungen weggesprengt worden, die ein traumatisiertes Selbstbild als Fesseln verspürte? Wir ersehen hieraus, daß recht verstandene Zensur Ergebnis der Wertschätzung der eigenen kulturellen Bestände darstellt.

Die römische Censura erfaßte weniger die Kundgabe von Meinungen als die Regelung des Gemeinwesens durch normierte Klassifikation der Bürger anhand von Vermögensschätzung und Einteilung in die Klassen der Ritter und Partizier, von denen ausgeschlossen oder in denen herabgestuft zu werden eine gefürchtete Statusminderung darstellte. Erst die mittlere Republik institutionalisierte das regimen morum, die Aufsicht über die Einhaltung der guten Sitten, und verrechtlichte den mos maiorum, die Sitten der Ahnen, der als Sittenkodex freilich schon von früh auf die Gemeinschaft stillschweigend beherrschte. Doch ohne die Achtung und zensorielle Maßgabe des mos maiorum hätte Rom nicht die Kraft aufgebracht, über Jahrhunderte zu wachsen und seiner Feinde Herr zu werden. Es scheint nicht zufällig, daß die Rückbesinnung auf den mos maiorum im Zentrum der dichterischen Gestaltungen wie der Oden des Horaz und der Georgica und der Aeneis des Vergil in der augusteischen Klassik stand.

Wir sollten die Bedeutung der römischen Zensur und der römischen Priesterherrschaft stärker ins Licht rücken, um das Bild der römischen Republik, das durch eine einseitige Geschichtsdidaktik merklich aus dem Rahmen gerutscht ist, wieder geradezurücken. Denken wir beim Wirken der Zensoren und der Priester, der sacerdotes, augures und flamines, und der sakralen Institutionen wie Opfer- und Tempelkult, Weihungen und Prozessionen, der Sakralisierung von Heerwesen, Familie, Sippenverband und staatlicher Autoritäten in Republik und Imperium ruhig an den Einfluß des katholischen Klerus im Mittelalter auf Moral und Politik, um nicht der Versuchung zu erliegen, ihre Macht und Bedeutung zu unterschätzen.

Eine Kultur und ein Zeitalter rasen dem Abgrund zu, wenn Lästerung für geistreich, Beschmutzung für reinigend, der Juckreiz der Grenzverwischung zwischen Frau und Mann, Kind und Erwachsenem, Tier und Mensch, zwischen gut und böse, häßlich und schön, wahr und falsch, zwischen gesund und pervers, hoch und niedrig, edel und gemein, zwischen Tugend und Laster, rein und unrein, heilig und unheilig als befreiend und emanzipatorisch gehandelt werden.

Wir danken es den Mächten äußerer und innerer Zensur, wenn bei Dichtern wie Hölderlin, Mörike, Rilke und Trakl die laute Aussprache durch die leise Andeutung, das ebenerdige durch das geflügelte Wort, der eindeutige durch den doppeldeutigen Begriff, die graue Zeichnung durch das farbig leuchtende Bild Erhebung, Vergeistigung und Sublimierung erfuhren.

Ein sogenannter Dichter, der seine sogenannten Verse in hysterischen Anfällen als Schweißperlen hervorbringt, sollte dafür keine Auszeichnungen erhalten, sondern zur Feuer- und Reifeprobe zu einer Schweigeklausur von nicht unter drei Jahren verdonnert werden.

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