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Lippenbekenntnisse

03.04.2014

Kleine deutsche Stilübungen II

Obwohl sie ihn beschwor und behutsam in ihn drang, endlich mit der Wahrheit herauszurücken, kam ihm kein Wort über die Lippen.

Lieber biss sie sich auf die Lippen, als dass sie ihm das Lob gezollt hätte, das ihm auch in ihren Augen gebührte.

Lieber biss er sich auf die Lippen, statt sie in ihrer misslichen Lage noch mit Vorwürfen zu behelligen, die sie in seinen Augen durchaus verdient hatte.

Er hatte nicht den Schneid, zu seinen Taten zu stehen – all seine Treueschwüre befand sie für nichts als Lippenbekenntnisse.

Als es ans Eingemachte ging, riskierte er eine dicke Lippe.

Nachdem sie seine Falschheit durchschaut hatte, kräuselten sich ihre Lippen vor Widerwillen, dann verstummte sie ganz.

Er beschwor, er flehte sie an, ihm die Wahrheit nicht länger vorzuenthalten – sie aber zuckte bloß mit den Lippen.

Ihre Stirn legte sich in Falten, ihre Augenbrauen hoben sich, ihr Blick erstarrte – nur ihre weichen Lippen kündeten noch von der einstigen Ergebenheit ihrer Liebe.

Sie fühlte am jagenden Puls an seiner Hand, wie es um ihn stand – ein Schatten legte sich um ihre Augen, ihre Lippen erblassten.

Seine Zuneigung hatte ihn hellsichtig gemacht – er las ihr jeden Wunsch von den Lippen ab.

Weil er einmal im entscheidenden Augenblick zu seinem Wort nicht gestanden hatte, tat man hinfort all seine beflissenen Zusagen, all seine hochgemuten Versicherungen als schieren Lippendienst ab.

Sie blieb ruhig vor ihm stehen und umfasste seine ganze Gestalt mit gütigen Blicken, ihr Mund war leicht geöffnet – das ersehnte Wort indes brachte er nicht über die Lippen.

Als sie ihn sachte bei der Hand nahm, stutzte er und wurde verlegen – alles, was ihm noch über die Lippen kam, war kaltschnäuzig oder gestelzt, ohne allen Anhauch des heißen Herzens jener frühen Tage.

Seine Lippen, einst von Küssen genährt, von Zärtlichkeiten triefend, glichen, schrundig und runzlig, einer angebissenen und weggeworfenen, vertrockneten Frucht.

Kaum lag sie in seinen Armen, schienen ihre Lippen sich mit Blut zu füllen, im Dämmerschein des Zimmers nahmen sie verschwenderisch vom Leuchten der Augen und wölbten sich sanft über einen Sturzbach herzigen Geplappers.

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