Kleine Poetik in Bildern I
Wir sehen gern, wie sommers hübsche Mädchen in farbenfrohen Kleidern, die der Wind bauscht, über den Boulevard staksen. Wenn eine keck einen Strohhut aufgesetzt, eine andere neckisch Blumen ins Haar geflochten hat, steigert dies unser Entzücken. Doch fassen wir uns unwillkürlich an den Kopf, wenn zwischen den Grazien unvermutet das behende Watscheln eines nackten, widerborstigen Fettwanstes die Idylle zur Farce entstellt. Indes, wenn wir uns von grotesken Einfällen hingerissen fühlen …
Der Duft des Parfums soll zum natürlichen Duft der Haut, zur Farbe des Haars, ja zur Farbe der Augen und zum Temperament des Duftenden passen. Ein aufdringliches Odeur, das den Eigengeruch übertünchen soll oder unselig mit dem abgesonderten Schweiß chemisch reagiert, wirkt degoutant.
Das Bild der Nebellandschaft fasziniert, wenn wir aus dem Ungefähren das gespenstische Dasein der Dinge erraten und das Bild uns auf diese Weise das Rätsel des Daseins oder die Unerreichbarkeit des anderen oder die Abwesenheit des Sinns beschwört. Erfahren wir dann zu unserem höchsten Erstaunen, dass der Maler ausschließlich diesem Sujet huldigt, geht uns mit einem Male auf, wieso sein Unvermögen, die Physiognomie der Dinge zu formen, es ihm geraten scheinen ließ, die Konturen der Dinge zu verwischen.
Die „schwarze Milch“ wollen wir nicht mehr trinken, nicht weil wir an irgendeinem reinen Heilwässerchen gesundet wären, sondern weil die expressionistische Manie, den Farbkreis willkürlich abzuteilen, uns den Geschmack an derlei verhexten Essenzen verdorben hat.
Der Bajazzo der Hinterhöfe, der nur ein sentimentales Liedchen kennt oder sei es auch viele Lieder, allerdings nur Variationen auf das eine sentimentale Liedchen, wird aus den Fenstern bald mit Steinchen statt mit Münzen bombardiert.
Auch geht es mit der Vielfalt der Stimmen nur gut, wenn sie in der Engführung des Chors sich berühren und auch bei weitester Entfernung der Harmonie und des Sinns die Hoffnung auf Wiederkehr als Echo vernehmen.
Nach einem forschen Gang durch die sommerliche Gemarkung munden uns eine derbe Hausmannskost und ein zünftiger Humpen kühlen Biers – die leichte Flocke einer Madeleine und die Schaumperlen des Prosecco werden unsere bäurischen Gelüste nicht befriedigen.
Im schlichten Gebinde heimischer Blüten wirkt der prangende Lotus verloren oder arrogant.
Wir verstehen den Totenschädel unter dem am Haken schwebenden Rebhuhn, der Wachtel und dem Hahn, die alle ihre Zungen und Krallen strecken, wenn auf dem mit Batist erhellten Tisch neben der schlichten Vase mit Kornblumen und Mohn die zierlichen Gläser im Licht der Abendsonne irisieren. – Der rosige Schweinskopf, der aus blauen Kugeln glotzt und dem der Maler ein Petersilienbüschel ins Maul gestopft hat, scheint unserem Sinn für Maß und Harmonie eine fette Allegorie zu viel zu sein.
Im verwucherten Hinterhof genügt die vergessene Hacke oder der am Ast des Birnbaums verfaulte Strohhut für den Begriff der endgültigen Abwesenheit des Menschen. – Noch eine Kanüle ins Beet zu platzieren, um mit dem Motiv der Selbstzerstörung aufdringlich zu werden, zeugt uns vom faden Geschmack eines Oberlehrers.
Ein umgekipptes Glas auf dem Tisch zwischen verlorenen Lachen Weins und herabgefallenen gelben Blättern genügt uns für den Begriff der Tristesse nach dem Ende der Gartenparty. – Wir verzichten gern auf den über sich selber stolpernden Gesang des Fado, der aus der offen stehenden Terrassentür dringt.
Nur wenige, dazu noch angestaubte Mohnköpfe am Rand des Weges, wo unter dürren, schmutzigen Halmen Geröll und Schutt vom toten Winkel der Welt erzählen, befriedigen unseren Sinn für das unverhoffte Schöne mehr als der Purpur von Rosen in einer mit erlesenen Motiven verzierten chinesischen Vase aus Porzellan.
Wenn wir den Geliebten mit Geschenken und Aufmerksamkeiten überschütten, wird er bald abstumpfen oder misstrauisch werden, jedenfalls erlangen wir so meist das Gegenteil des Erhofften. Eine Blüte statt eines üppigen Straußes, ein leises Wörtchen statt des atemlosen Monologs, ein Augenzwinkern statt der grellen Gymnastik aus Kopfstehen und Radschlagen …
Ein grober Bauernstuhl aus dickem Rohr und harten Binsen, der fest auf allen Vieren steht – mehr braucht es nicht, um dir zu sagen: Hier lass dich nieder nach all der Lauferei, hier hat die Seele Ruh! – Legen wir bloß kein üppiges, fein besticktes Kissen darauf – du willst jetzt aufrecht sitzen und dich nicht fläzen!
Wenn du bajuwarisch derbe Kost mit edlen orientalischen Gewürzen zu verfeinern gedenkst, behält dein rebellierender Magen Recht.
Das subtil aus feinsten Linien und Schraffuren des Bleistifts erweckte Konterfei oder die in ihren Dünsten und atmosphärischen Vibrationen pastos gespachtelte Landschaft: wähle – beides zu vermengen ist nicht bekömmlich.
Wenn wir Kindern Schnüre geben und Glasperlen in verschiedenen Farben, die sie darauf aufreihen sollen, wird das Kleinste den einfachen Rhythmus zweier abwechselnder Farben wählen, das mittlere vielleicht Gruppen aus drei Farben bilden und das reifste, so hoffen wir, auf die Idee kommen, jeweils eine Gruppe mittels einer gleichsam neutralen Perle, in den Farben Weiß oder Schwarz, als Grenze, Pausenzeichen oder Zeilensprung abzutrennen und zu markieren: So kann es leicht größere rhythmische Gruppen oder Strophen mit vier oder fünf Perlen verschiedener Farbe bilden. Es hat verstanden, dass der Zwischenraum, die Leere und die Stille ebenso bedeutungsvoll sind wie der Raum, die Fülle und der Klang.
Wenn wir in einer Schwarz-Weiß-Welt lebten, richteten sich unsere Aufmerksamkeit und unser Interesse auf die Zwischenstufen zwischen den Extremen, also die Grautöne und ihre Nuancen. Wir spürten der Spannung nach, wie Grauton VII nach Grauton VIII zieht und Grauton XI sich von Grauton XII abstößt. So mögen wir es dort sehen, und so wirken auch die unscheinbarsten Farbflecken auf uns in inspirierender Weise symbolisch. Denn natürlich kommen wir auch in dieser monochromen Welt nicht umhin, nach der Bedeutung der phänomenalen Werte zu fragen. Sie ersetzen, scheint es, unsere Farbpalette, und von dieser könnte man sagen, sie stehe wiederum für die Totalität unserer Lebensinhalte, ob wir nun Rot sehen, weil Gefahr droht, oder wir rot anlaufen, weil das Begehrte uns in die Augen blickt, oder wir uns vor dem schwarzen Abgrund fürchten und ihn fliehen. Das Bild der Geliebten oder des schwarzen Abgrunds, sind diese realiter fern, macht uns weder schwitzen noch frösteln, denn Bilder sind gleichsam Objekte zweiter Stufe, mit denen wir in Gedanken spielen, statt sie wirklich zu küssen oder zu verfluchen. Wäre unsere Welt nichts als eine phantastische Grisaille, verträten deren Grautöne unmittelbar Objekte zweiter Stufe: Wir lebten in einer Welt des reinen ästhetischen Empfindens. Unsere Existenz und die Existenz aller anderen Wesen wären uns gleichgültig, und es wäre ein müßiges, zu nichts verpflichtendes Spiel, ihnen, wie der Frucht auf dem Stillleben diesen oder jenen Rotton, diese oder jene Nuancen des Gefühls zuzusprechen oder abzusprechen. Unbedrängt von den Nöten des Daseins, plantschten wir im lauen Strom der nichts bedeutenden Zeit.
Die reine Lauterkeit des fein geharkten Sands – und nur ein runder, glatter Monolith, der auf der ebenen Fläche zu schwimmen scheint – so sieht sich deine Seele unbefangen und frei. – Wehe, wir gedenken das Bild mit einer erotisch schwellenden Plastik zu verschönern!
Indes darf in der schwülen Enge des Weinbergs der nackte Pan sein mächtiges Glied emporrecken. – Verhunzen wir den grellen Eindruck nicht mit der Niedlichkeit sich schnäbelnder Täubchen!
Beides in einem Gesicht, Klatschmohn des Schmollmunds und Nachtviolen der Lider, spitzt nicht deine Lippen zum Kuss.
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