Kleine philosophische Lektionen XIII
Reden wir über das Wetter – intentionale und kausale Kontexte
Als wir uns trafen, schien die Sonne. – Obwohl es regnete, haben wir unser Treffen eingehalten. – Weil der Schnee sehr hoch lag, mussten wir unser Treffen verschieben.
Die Wetterlage und unsere Treffen – ein kausaler Kontext von Ereignissen und ein intentionaler Kontext von Ereignissen – sind relativ gleichzeitig, aber voneinander unabhängig verlaufende Ereignisketten. Wir nennen sie zufällige Koinzidenzen, das heißt, sie selbst sind keine kausal determinierten Verknüpfungen, auch wenn einer ihrer Bestandteile eine kausal determinierte Verknüpfung ist. Daher gilt nicht: „wenn p, dann q“ (für p: „Es ist schönes Wetter“, für q: „Wir treffen uns“). Denn es gilt auch: „wenn nicht p, dann q“ (Es ist kein schönes Wetter, wir treffen uns.)
Wenn hoher Schnee unser Treffen verhindert, scheinen die Ereignisse kausal verknüpft zu sein – in Wahrheit könnten wir durch den Einsatz außergewöhnlicher Beförderungsmittel unser Treffen dennoch bewerkstelligen. Dies zeigt, dass die Koinzidenz gewahrt bleibt.
Wunderglaube und Aberglaube beruhen auf dem Missverständnis, als seien kausale und intentionale Ereignisse entweder kausal oder intentional miteinander verknüpft. Wenn wir an einem lauen Sommerabend bei geöffnetem Fenster über das Aussterben einer seltenen Falterart sprechen und genau in diesem Moment flattert ein Exemplar der bedrohten Art durch das Fenster, könnten abergläubisch gesinnte Menschen (die wir natürlich nicht sind) über den scheinbaren kausalen Kontext unseres Gesprächs mit dem kausalen Kontext, dass ein Falter hereingeflogen kommt, erschauern. Wenn der Voodoo-Priester die Nadel der Puppe, die er wie den Erzfeind seines Klienten drapiert und beschworen hat, ins nicht vorhandene Herz stößt und der Voodoo-Gläubige am nächsten Tag erfährt, dass gestern sein Erzfeind an einem Herzinfarkt verstorben ist, wird er die zufällige Koinzidenz eines intentionalen und eines kausalen Ereignisses als intentionale Verknüpfung eines intentionalen und eines kausalen Ereignisses ansehen und von der Wahrheit seines Glaubens schwerlich abzubringen sein.
Echte religiöse Symbolik finden wir, wenn kausale und intentionale Kontexte entweder kausal oder intentional verknüpft erscheinen, aber die Wahrheit dieser Verknüpfung nicht behauptet, sondern dahingestellt wird. So steht geschrieben, der Stern der Erlösung habe über dem Geburtsort des Heilands geleuchtet. So steht geschrieben, Petrus habe über das Wasser des Sees wandeln können, weil er sich dem Wort des Herrn bedingungslos anvertraute. Ja, die Heilige Schrift schenkt uns den Gedanken, dass das Dasein der Welt nicht die Folge rein kausal determinierter Ereignisse, sondern Ausdruck des von Liebe erfüllten Willens des Schöpfers sei.
Wir handeln in einer kausal determinierten Umwelt – die kausalen Ereignissen hindern uns im Grenzfall, unsere Absichten zu verwirklichen: Wir können nicht fliegen, wenn wir wegen zu hohen Schnees unser Treffen verschieben müssen. Wir können nicht alle Vorhaben und Wünsche erfüllen, weil unsere Zeit begrenzt ist, unsere Kräfte endlich sind und allmählich nachlassen, weil uns nach und nach heiß Ersehntes leer und unecht erscheint. In der Regel finden wir, und je klüger wir vorgehen, umso eher und besser, in den kausalen Ereignissen unserer Umwelt den Rahmen und die Bühne für unsere intentionalen Auftritte.
Wenn unsere Absichten nicht mit Reihen kausaler Ereignisse harmonieren und koinzidieren würden, könnten wir überhaupt nicht handeln. Würde die Gravitationskonstante in irrationaler Weise stetig ihren Wert ändern, würden wir besser nicht vor die Türe gehen.
Kausale Verknüpfungen können wir beliebig aneinanderreihen: wenn p, dann q, wenn q, dann r, wenn r, dann s. Intentionale Kontexte können dagegen in sich abgeschlossen sein: Wir haben uns verabredet und treffen uns. Warum? Weil wir es wollen! Basta! Das ist alles!
Allerdings können wir unsere Intentionen beliebig mit anderen Intentionen überlagern: Wir treffen uns, um uns zu sehen. Wir sehen uns, um unseren nächsten Urlaub zu besprechen. Wir planen unseren Urlaub, um uns zu erholen. Wir können solche intentionalen Kontexte und Muster aber auch willkürlich aufbrechen und abbrechen (was bei physisch determinierten Ereignisketten nicht geht): Wir beginnen einen Spaziergang, aber schlechte Laune lässt ihn uns abbrechen.
Einige von uns intentional in Gang gebrachte Kausalreihen können nicht mehr abgebrochen werden: Der Schuss aus der Pistole trifft. Je nach der Bedeutung des Opfers kann ein intentional hervorgerufenes Ereignis eine ungeheure Verkettung von Ereignissen hervorrufen, wie der Schuss auf den Erzherzog Franz-Ferdinand den Ersten Weltkrieg. Aber auch hier haben wir darauf zu achten, dass der Schuss nicht blindlings physisch determinierte Ereignisreihen hervorruft, sondern intentionale Kontexte befeuert, in denen Menschen Entscheidungen treffen, die kausale Folgen haben.
Intentional hervorgerufene Tatsachen sind keine natürlichen Tatsachen, sondern institutionelle Tatsachen. Sie können im Gegensatz zu natürlichen Tatsachen interpretiert werden und in institutionelle Muster von Deutungen eingebunden werden. Du hast ihr Blumen mitgebracht. Du gibst ihr damit entweder ein Zeichen deiner Zuneigung oder ein Zeichen der Entschuldigung für einen kürzlich begangenen Fauxpas. Die physischen Tatsachen haben hier ihr Eigengewicht nur im Muster menschlicher Gepflogenheiten.