Kleine philosophische Lektionen V
Intentionale Zustände: Glauben (3), Befürchten, Mensch-Tier-Unterschied
Wir sagen zurecht „Ich glaube, dass p“, wo wir einfach auch sagen können „Ich meine, dass p“ oder „Ich denke, dass p“.
Glauben ist die Grundform unserer intentionalen Zustände, alle anderen bauen darauf auf. „Ich befürchte, dass der Brief vom Finanzamt heute eintrifft“ heißt: „Ich glaube, der Brief vom Finanzamt trifft heute ein, und das ist unerfreulich“. „Ich hoffe, dass du mich bald wieder besuchst“ heißt: „Ich glaube, du besuchst mich bald wieder, und dann werde ich mich freuen.“ „Ich bedauere, dich gestern beleidigt zu haben“ heißt: „Ich glaube, ich habe dich gestern beleidigt, und das ist von Übel.“
Wir können uns intentional auf Ereignisse der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft beziehen. Wir bereuen, etwas gesagt oder getan zu haben, wir glauben, etwas zu sehen, wir erwarten hoffen, befürchten, dass ein Ereignis eintritt.
Kann ein Hund befürchten, dass du aufgrund deiner fortgesetzten Unpünktlichkeit demnächst wieder eine Abmahnung deines Arbeitgebers erhalten wirst und es damit wahrscheinlicher wird, dass du bald fristlos gekündigt wirst?
Warum kann er das nicht, obwohl er doch ansonsten so ein cleveres Kerlchen ist und immer gleich spitzkriegt, wo du den Socken versteckt hast? Wir sagen: Weil ein der menschlichen Sprache nicht mächtiges Tier nicht in der Lage ist, syntaktisch und semantisch komplexe Glaubensüberzeugungen wie eine solche Befürchtung zu bilden.
Wie könnte die genannte Befürchtung OHNE Zuhilfenahme der menschlichen Sprache ausgedrückt werden? (Wenn unser Hund jene Befürchtung hegen können soll, müsste er ja dazu in der Lage sein.) Antwort: überhaupt nicht.
Kommen wir dem Hund mittels der so beliebten Reduktion der Komplexität doch ein wenig entgegen: Könnte er befürchten, dass du ihm demnächst aufgrund deiner prekär gewordenen finanziellen Verhältnisse NICHT mehr mit den nicht ganz billigen Leckereien aufwarten könntest wie bisher?
Du meinst vielleicht, so ein Tier denkt vorwiegend mit dem Magen – und damit packen wir es! Doch wir sagen: Dies könnte der Hund noch viel weniger glauben und befürchten. Es ist gewiss kein leichtes Unterfangen, eine Überzeugung über ein zukünftiges Ereignis und seine komplexen Bedingungen zu bilden. Aber es ist ein noch weniger leichtes Unterfangen, eine Überzeugung über ein zukünftiges Ereignis zu bilden, das NICHT eintreten wird! Der Hund soll irgendein Bild von seinem leckeren Fressen im Kopfe haben – meinetwegen! Aber wie soll er ein Bild von einem nicht existierenden leckeren Fressen im Kopfe haben – etwa von seinem schmerzlich leer vorgefundenen Fressnapf?
Der Brocken Fleisch, der nicht im Fressnapf liegt, ist dem Hund kein Brocken, der nicht da ist, sondern einfach nicht vorhanden. Der Glaube und die Befürchtung, dass der Napf demnächst mit einem billigen Surrogat gefüllt sein oder leer bleiben wird, ist dem Hund ein nicht denkbarer Gedanke.
Ich kann glauben, dass du davon überzeugt bist, dein Hund werde den nicht vorhandenen „Braten“ riechen. Doch dein Hund kann ganz und gar nicht glauben, dass du ihm so etwas zu glauben unterstellst!
Am Ende läuft es darauf hinaus: Dein Hund trabt herzu und wedelt freudig mit dem Schwanz, schleicht um seinen Napf und findet nicht seine gewohnten Leckereien – er wird ein wenig grummeln und sich dann über den billigen Fraß hermachen. Wird er des Nachts aufschrecken und die Befürchtung hegen, am kommenden Tag wieder mit dem schnöden Surrogat abgespeist zu werden? Keineswegs. Am kommenden Tag wird er schon begierig auf den Napf stoßen und beherzt zulangen.
Wir bemerken: Etwas zu glauben und all jene intentionalen Befindlichkeiten, die etwas glauben zu können voraussetzen, wie Bedauern, Hoffen und Befürchten, sind ein humanes Spezifikum, das den Gebrauch der syntaktisch und semantisch komplexen menschlichen Sprache voraussetzt.
Und da die Fähigkeit, zu glauben, dass etwas der Fall ist, die Fähigkeit impliziert, zu glauben, dass etwas nicht der Fall ist, erweist sich auch die Fähigkeit der Negation als ein humanes Spezifikum, das den Gebrauch der syntaktisch und semantisch komplexen menschlichen Sprache voraussetzt.