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Kleine philosophische Lektionen II

01.09.2014

Unwahre, doch sinnvolle Aussage: Metapher

„Dir ist wohl eine Laus über die Leber gelaufen!“
„Er hat sich eine Natter am Busen gezüchtet.“

Diese Sätze und Sätze dieser Art sind falsch, aber werden doch sinnvoll verwendet. Denn es ist natürlich im wörtlichen Sinne falsch und ganz und gar nicht wahr, dass jemandem ohne weiteres eine Laus über die Leber läuft oder sich einer eine Natter im Jackett hält.

Mit unserer rhetorischen Technik, solche im wörtlichen Sinne falschen Sätze zu bilden, machen wir in der geeigneten Situation auf prägnante Weise sinnvolle Mitteilungen. Wir kennen die sprachliche Technik unter dem Begriff Metaphorik. Metaphern dienen vor allem in der lyrischen Dichtung dazu, Bilder für Begriffe oder Begriffe eines kategorialen Bereichs für Begriffe eines anderen kategorialen Bereichs einzusetzen und dadurch die Stelle mit einer eigentümlichen Stimmung oder Gefühlsfarbe zu beleuchten.

Eine Laus ist uns ein kleines Ekeltier, und wenn wir es in der Vorstellung über jemandes Leber laufen lassen, schwingt neben leiser Verachtung auch ein gewisses Maß an Hohn über die Unverhältnismäßigkeit der Zurschaustellung eines finsteren Gesichts bei hellem Sonnenscheine mit.

Metaphern sind ein mächtiges Instrument unserer Verständigung im Alltag. Sie kürzen die Dinge ab, bringen die Sache auf den Punkt, insinuieren mit dem Gran notwendiger Information die angemessene Einstellung und Perspektive. Wir müssen in der geeigneten Situation unser Gegenüber nicht vorwarnen oder einstimmen, indem wir etwa äußern: „Achtung, jetzt kommt eine Metapher!“ oder „Das war nur metaphorisch gemeint“, so wenig wie wir umständlich erklären müssen: „Das war natürlich ironisch gemeint“, wenn wir voraussetzen dürfen, dass unser Gesprächspartner nicht auf den Kopf gefallen ist.

Wie wir durch Anheben der Sprachmelodie dem Hörer unsere Absicht kundtun, ihm eine Frage zu stellen, erklären wir ihm mit der Verwendung sprachlicher Bilder die Absicht, dem Gesagten unseren emotionalen Kommentar zu verpassen, einen mentalen Purzelbaum zu schlagen oder ironisch verstanden werden zu wollen.

Wir müssen unseren Gebrauch von Metaphern nicht ankündigen oder erklären, weil wir voraussetzen dürfen, dass er sich von selbst versteht. Eben darum, weil er die normale Satzverwendung, bei der wir uns auf die Wahrheit der Mitteilung von vertrauenswürdigen Augen- und Ohrenzeugen verlassen, mittels offensichtlich falscher Aussagen durchbricht. Wenn der Hörer vernimmt, dass sich sein Freund eine Natter am Busen herangezüchtet hat, weiß er gleich, um welche besondere Art von Schlange es sich dabei handelt – es ist die Freundin des Armen, die sich schmarotzend bei ihm eingenistet hat und ihn mittels erotisch vergiftender Küsse und Bisse um den Verstand – und den Rest seiner Barschaft bringt.

 

Unwahre, doch sinnvolle Aussage: Ironie

(Er ruft hinter seiner Tochter her, die kurzentschlossen zu Gucci abbiegt:) „Geld spielt keine Rolle!“
(Wird im Gewühle barsch in die Rippen gestoßen, ohne dass sich der Übeltäter zu entschuldigen für notwendig hält:) „Angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen!“

Bei ironischen Bemerkungen setzen wir voraus, dass der Angesprochene die Wahrheit des Gegenteils der Äußerung annimmt: Dem Töchterlein muss klar sein, dass die finanzielle Lage im Moment angespannt ist, und dem Trampeltier, dass diese Art der Kontaktnahme nichts weniger als angenehm ist. Diese Übereinstimmung im Hintergrundwissen gehört bekanntlich zu den Griceschen Implikaturen.

Die ironische Umkehrung des wahren Sachverhalts dient der Degradierung des Delinquenten und Bloßgestellten mit der falschen Unterstellung, er wisse es wohl nicht besser; und sie dient der Erhöhung des Ironikers, der sich nicht von seinen Gefühlen mitreißen lässt („Sie Trampeltier!“), sondern sich als lächelnder Souverän des Alltags erweist.

 

Unwahre, doch sinnvolle Aussage: Offenbarung

„Du bist Petrus der Fels, und auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen.“
„Der Herr ist mein Stock und mein Stab, mir wird nichts mangeln.“

Gewiss heißt es das Gegenteil des Wahren annehmen, wenn man annimmt, dass eine Person ein Fels oder ein Stock sein kann. Aber will der Satz einfach sagen: Petrus ist wie ein Fels in der Brandung, standhaft und unerschütterlich?

Es ist doch sonnenklar, dass Petrus als schwacher Mensch das Gegenteil eines Felsen ist, sondern sich als schwankes Rohr im Wind, ja als Verleugner und Verräter des Herrn erweist.

Dass die Kirche dank der sie heiligenden Einsetzung und ihrer Hierarchie trotz all der in sie getauften Gimpel, Stümper, Sünder und Missetäter durch die Geschichte hindurch unerschütterlich auf ihrem Felsen verbleibe und in der Hand Gottes ruhe, das ist kein als plausibel zu schluckender Satz, sondern nur dem als Gewissheit zumutbar, der sich selbst auf dem Felsen Petri sicher ruhend oder in Gottes Hand geborgen weiß.

Es ist doch ebenfalls sonnenklar, dass es uns als schwachen, kreatürlichen Wesen immer an irgendetwas mangeln wird – gieren wir gerade einmal nicht nach realen Happen, schnuppern oder seufzen wir schon an imaginären Blumen. Ob du nun hungrig, durstig, fuchsig oder schlapp bist, an Mangelgefühlen ist kein Mangel. Und am Ende des Tags kommt es dir gerade noch so über die gähnenden Lippen: „Eigentlich war es ganz schön heute, aber irgendetwas fehlte, ich weiß nicht was!“

Der Psalmist weiß also um einen Zustand des Erlöstseins inmitten des kreatürlichen Mangel-Wesens und des natürlichen Unerlöstseins. Wir können getrost von der uns unverdient und also gnadenhaft zugesprochenen und zugemessenen Geborgenheit in Gottes Hand sprechen.

Der Unerhörtheit ihres Anspruchs wegen können wir die messianische Botschaft nicht in wahre Sätze hüllen, sondern müssen den Umweg über unwahre Sätze nehmen, die mit ihren einfachen Metaphern uns gleichsam seitenverkehrt aus dem Spiegel der Wahrheit anschauen oder besser den mit der Wahrheit berühren, der zu glauben willens ist. Und zu glauben willens ist, wer auf Gnade hin schon glaubt.

Das Bild von Stock und Stab stammt aus der alten, uns versunkenen Welt der biblischen Nomaden, als welche die Patriarchen auf den Spuren der Offenbarung wanderten. Gewiss, der Hirt müht sich um seine Schafe, aber er wird müde, er träumt vor sich hin, er wird am Ende gleichgültig gegen sich und was ihm anvertraut ward. Von dem Erlöser erfahren wir, dass er um des einen verlorenen Schafes willen die Herde verlässt und es zu suchen nicht ablässt, bis er es gefunden hat. Wir wissen uns ohne Hirt und Hut im Dunkel der Welt wandeln und in das letzte Dunkel gehen: Wer ein Licht in diesem Dunkel zu sehen vermöchte, sieht er nicht den Hirten?

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